Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertrauensschutz bei der Rücknahme eines fehlerhaften, begünstigenden Verwaltungsaktes

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zu den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden verfassungsrechtlichen Geboten gehört grundsätzlich auch die Möglichkeit, gegenüber einer Rücknahme oder einem Widerruf begünstigender Verwaltungsakte Vertrauensschutz geltend zu machen. Das Prinzip der Beachtung des Vertrauensschutzes führt jedoch nicht zu dem Ergebnis, daß jegliche einmal erworbene Position ungeachtet der wirklichen Rechtslage Bestand haben muß, vielmehr muß nach den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit im Einzelfall geprüft werden, ob die Belange des Allgemeinwohls oder die Interessen des Einzelnen am Fortbestand der Rechtslage den Vorrang verdienen.

2. Gegenüber dem Widerruf der Erstattungen kann ein Vertrauensschutz nur geltend gemacht werden, wenn eine schutzwürdige Rechtsposition im Zeitpunkt des Widerrufs der Verwaltungsakte erlangt worden war, in die aufgrund des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht mehr eingegriffen werden kann.

3. Auch die Änderung einer feststehenden Rechtsprechung kann gegen das Gebot des Vertrauensschutzes verstoßen. Dies setzt jedoch voraus, daß durch eine gefestigte Rechtsprechung eine schutzwürdige Rechtsposition erlangt wurde und die so – sei es auch zu Unrecht – eingeräumte Rechtsposition nicht enttäuscht werden darf.

4. Die Dauer der Untätigkeit der Finanzbehörden von einem Jahr zwischen Gewährung einer Erstattung und deren Widerruf begründet – im Hinblick auf die objektiven Schwierigkeiten der rechtlichen Einordnung der ausgeführten Waren (Sorghum) – keinen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes; für die Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben muß die Untätigkeit der Verwaltung nachhaltig sein.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; AO 1977 § 130 Abs. 2

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 13.10.1983; Aktenzeichen VII R 33-34/82)

Hessisches FG (Urteil vom 08.12.1981; Aktenzeichen VII 654/67)

 

Gründe

1. Die Verfassungsbeschwerde ist lediglich insoweit zulässig, als der Bundesfinanzhof die Revision der Beschwerdeführerin als unbegründet zurückgewiesen und damit den Widerrufsbescheid der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel vom 8. Dezember 1966 in der Fassung der Bescheide vom 18. August 1972 und 1. Dezember 1975 hinsichtlich der Teilpartien aus vier Schiffsladungen bestätigt- hat. Im übrigen Umfang hat der Bundesfinanzhof in seinem Beschluß die Sache an das Hessische Finanzgericht zurückgewiesen, so daß insoweit der Rechtsweg nicht erschöpft ist.

2. Soweit die Verfassungsbeschwerde danach zulässig ist, hat sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

a) Im Rechtsstaatsprinzip sind die Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verfassungskräftig verankert (BVerfGE 30, 392 ≪403≫; 43, 242 ≪286≫; 63, 215 ≪223≫). Zu den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden verfassungsrechtlichen Geboten gehört grundsätzlich auch die Möglichkeit, gegenüber einer Rücknahme oder einem Widerruf begünstigender Verwaltungsakte Vertrauensschutz geltend zu machen (BVerfGE 59, 128 ≪152≫). Das Prinzip der Beachtung des Vertrauensschutzes führt jedoch nicht zu dem Ergebnis, daß jegliche einmal erworbene Position ungeachtet der wirklichen Rechtslage Bestand haben muß. Es nötigt vielmehr zu der an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit im Einzelfall vorzunehmenden Prüfung, ob jeweils die Belange des Allgemeinwohls, wie etwa die Wiederherstellung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, oder die Interessen des Einzelnen am Fortbestand der Rechtslage, auf die er sich eingerichtet hat und auf deren Fortbestand er vertraute, den Vorrang verdienen (BVerfGE 59, 128 ≪166≫),

b) Die Entscheidungen der Finanzgerichte verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihren verfassungsmäßigen Rechten, denn die Gerichte haben das Gebot des Vertrauensschutzes hinreichend beachtet. Die Gerichte haben das Interesse der Beschwerdeführerin an der Aufrechterhaltung der Erstattungsbescheide berücksichtigt und geprüft, ob das Vertrauen der Beschwerdeführerin in den Bestand dieser Bescheide schutzwürdig war. Sie haben das öffentliche Interesse an der Beseitigung der fehlerhaften Erstattungsbescheide gegenüber dem durch den Erlaß der Verwaltungsakte begründeten Interesse der Beschwerdeführerin an der Beständigkeit der behördlichen Entscheidung abgewogen. Die Gerichte haben dabei den Umfang und die Reichweite des Gebots des Vertrauensschutzes nicht verkannt. Dies ergibt sich im einzelnen aus folgenden Überlegungen:

aa) Die Beschwerdeführerin kann gegenüber dem Widerruf der Erstattungen einen Vertrauensschutz nur geltend machen, wenn sie eine schutzwürdige Rechtsposition im Zeitpunkt des Widerrufs der Verwaltungsakte erlangt hat, in die aufgrund des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht mehr eingegriffen werden kann. Voraussetzung für einen Vertrauensschutz ist in der Regel, daß der Betroffene sein Vertrauen betätigt hat. Er kann sich für sein Vertrauen insoweit nur auf Tatsachen, Entscheidungen oder Handlungen berufen, die vor der vertrauensbegründenden Handlung liegen.

Die Beschwerdeführerin macht Vertrauensschutz im Hinblick auf die ihr gewährten Erstattungen in der Form der abschöpfungsfreien Einfuhr geltend. Sie kann sich für einen Vertrauensschutz nur auf Tatsachen oder Ereignisse berufen, die vor dem Zeitpunkt liegen, in dem sie aufgrund der gewährten Erstattungen die abschöpfungsfreie Einfuhr von Sorghumhirse durchgeführt hat und in dem der Widerruf noch nicht erklärt war. Soweit die Beschwerdeführerin sich daher auf Tatsachen, Entscheidungen oder Handlungen beruft, die nach dem Widerruf ergangen oder ihr bekanntgeworden sind, läßt sich hieraus eine schutzwürdige Rechtsposition nicht herleiten; ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes scheidet insoweit aus.

(1) Der Bundesfinanzhof hat einen Vertrauensschutz der Beschwerdeführerin vor allem mit der Begründung verneint, daß die zum Zeitpunkt der Ausfuhr gültigen Anweisungen des Bundesministeriums der Finanzen zum Abschöpfungstarif vom 20. November 1964 ausdrücklich Getreideflocken (i. S. der Tarifstelle 11.02 – C I h 1 – Abschöpfungstarif) als „geschälte, durch Dämpfen usw. aufgeschlossene und aufgerollte Getreidekörner” bezeichneten (BZol1Bl. 1964, S. 997 ≪1000≫). In ihren Anträgen auf Erstattungszusagen hat sich die Beschwerdeführerin ausdrücklich auf die Tarifstelle des Gebrauchs-Abschöpfungstarifs Nr. 11.02 C I h 1 bezogen. Im Hinblick auf die eindeutigen Anweisungen des Bundesministeriums der Finanzen konnte die Beschwerdeführerin daher nicht darauf vertrauen, daß ein geringerer Grad an Schälung erforderlich war, als dies die Finanzgerichte und der Europäische Gerichtshof entschieden haben. Danach ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, daß der Bundesfinanzhof der Beschwerdeführerin insbesondere im Hinblick auf die Anweisungen des Bundesministeriums der Finanzen den Vertrauensschutz in die Erstattungen verweigert hat.

Die Beschwerdeführerin kann sich nicht darauf berufen, daß sie diese Anweisungen nicht kannte oder nicht hätte kennen müssen, denn dadurch, daß sie im Bundeszollblatt veröffentlicht waren, waren sie der Öffentlichkeit zugänglich. Der Beschwerdeführerin war es als Exportunternehmen zuzumuten, sich über die sie betreffenden Erlasse im Bundeszollblatt zu unterrichten.

Die normativen Regelungen über die Flockeneigenschaft waren auch hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, solange sie den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Gesetzesbindung der Verwaltung und deren gerichtlicher Kontrolle gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gerecht werden (BVerfGE 8, 274 ≪325≫; st. Rspr.). Aus den in diesem Fall verfassungsrechtlich unbedenklichen normkonkretisierenden Verwaltungsanweisungen des Bundesministeriums der Finanzen ergab sich mit hinreichender Deutlichkeit die Eigenschaft der Getreideflocken.

(2) Demgegenüber kann sich die Beschwerdeführerin nicht darauf berufen, daß sie dem Antrag auf Erstattungen Proben beigefügt habe, aus denen sich die tatsächliche Beschaffenheit der Ware ergeben hätte. Grundlage für die Ausfuhrerstattung war der schriftliche Antrag der Beschwerdeführerin. Daß die Beschaffenheit der dem Antrag beigefügten Proben die schriftlichen Angaben im Antrag nicht verdrängt, ist eine zutreffende, verfassungsrechtlich unbedenkliche Auslegung und Anwendung einfachen Rechts.

Soweit die Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde geltend macht, die Anweisungen des Bundesministeriums der Finanzen seien sachlich falsch, hat der Bundesfinanzhof in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise diesen Einwand zurückgewiesen, da die Anweisungen der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs entsprächen. Im übrigen handelt es sich hierbei um die Auslegung einfachen Rechts, die verfassungsgerichtlicher Überprüfung nicht unterliegt.

(3) Es verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot des Vertrauensschutzes, daß der Bundesfinanzhof die Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesernährungsministeriums aus dem Jahre 1967 nicht zugunsten der Beschwerdeführerin berücksichtigt hat. Da diese Schreiben erst nach dem Widerruf der Erstattungen ergangen sind, konnten sie keine schutzwürdige Rechtsposition für die Beschwerdeführerin schaffen.

Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, daß die Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesernährungsministeriums im Hinblick auf Art. 3 GG rückwirkend hätten angewandt werden müssen, ist eine Verletzung von Art. 3 GG nicht ersichtlich. Weder aus den Schreiben selbst noch aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin ergibt sich, daß diese Schreiben in mehreren vergleichbaren Fällen rückwirkend angewandt worden wären.

(4) Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die Finanzgerichte hätten das Urteil des Europäischen Gerichtshofs „rückwirkend auf die Beschwerdeführerin angewendet”, ist eine Ver

letzung der verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführerin nicht gegeben.

4.1) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß auch die Änderung einer feststehenden Rechtsprechung gegen das Gebot des Vertrauensschutzes verstoßen kann (BVerfGE 59, 128 ≪165 f.≫). Dies setzt jedoch voraus, daß ein Beschwerdeführer durch eine gefestigte Rechtsprechung eine schutzwürdige Rechtsposition erlangt hat und im Vertrauen auf den Fortbestand dieser ihm – sei es auch zu Unrecht – eingeräumten Rechtsposition nicht enttäuscht werden darf. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Eine gefestigte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs oder der nationalen Gerichte zur Anwendbarkeit der „Brüsseler Erläuterungen” und zur Flockeneigenschaft von Getreide, aus der sich eine schützenswerte Rechtsposition der Beschwerdeführerin ergeben könnte, lag nicht vor. Soweit die Beschwerdeführerin darüber hinaus rügt, daß die Finanzgerichte die in diesem Verfahren ergangene Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auf den vorliegenden Fall angewendet haben, ist eine Verletzung von verfassungsmäßigen Rechten der Beschwerdeführerin nicht erkennbar.

4.2) Soweit die Beschwerdeführerin sich auf das Verhalten der Verwaltung beruft, haben die Finanzgerichte ebenfalls den Grundsatz des Vertrauensschutzes hinreichend beachtet. Die Entscheidungen der Finanzgerichte, daß auch insoweit keine schutzwürdige Rechtsposition der Beschwerdeführerin entstanden sei, die einem Widerruf der Erstattungsbescheide entgegenstehen würde, ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

4.2.1) Die Rüge der Beschwerdeführerin, daß sie eine verfassungsrechtlich schutzwürdige Rechtsposition aufgrund der Untätigkeit der Finanzbehörden von über einem Jahr erlangt habe, greift nicht durch. Allein die Tatsache, daß zwischen der Gewährung der Erstattungen und dem Widerruf ein Zeitraum von über einem Jahr liegt, begründet keinen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes. Die Finanzgerichte stellen darauf ab, daß die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die objektiven Schwierigkeiten der rechtlichen Einordnung der ausgeführten Waren nicht hätte darauf vertrauen können, daß mit der Gewährung der Erstattung die Prüfung der Verwaltung abgeschlossen sein würde. Die Beschwerdeführerin könne sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben nur berufen, wenn die Untätigkeit der Verwaltung nachhaltig sei. Diese von den Finanzgerichten geforderten zusätzlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer schutzwürdigen Rechtsposition sind verfassungsrechtlich unbedenklich. Daß diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt waren, haben die Finanzgerichte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt.

4.2.2) Die Beschwerdeführerin kann sich im übrigen auch nicht darauf berufen, daß sie von der Entnahme zolleigener Proben durch die Zollbehörden keine Kenntnis gehabt habe und daß sie nicht zur Mitwirkung herangezogen worden sei. Für ein zu schützendes Vertrauen in den Bestand einer Erstattungszusage ist es in der Regel ohne Bedeutung, ob die Verwaltung über eigene Proben verfügt, um ihrerseits die im Erstattungsantrag angegebenen Tatsachen zu überprüfen. Daß die Finanzgerichte einen Vertrauenstatbestand zugunsten der Beschwerdeführerin jedenfalls verneint haben, solange das Verhalten der Verwaltung nicht unter dem Gesichtspunkt der Arglist rechtswidrig gewesen sei und die Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt habe, von der Entnahme der Proben Kenntnis zu erlangen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Rüge, daß die Entnahme der zolleigenen Proben rechtswidrig gewesen sei, hat das Hessische Finanzgericht zurückgewiesen. Diese Auslegung einfachen Rechts unterliegt nicht verfassungsgerichtlicher Überprüfung.

bb) Soweit die Finanzgerichte einen Vertrauenstatbestand angenommen und zwischen dem Vertrauen der Beschwerdeführerin in den Bestand der Erstattungsbescheide und dem öffentlichen Interesse an deren Beseitigung abgewogen haben, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Gerichte haben sich ausführlich mit der Schutzwürdigkeit der Rechtsposition der Beschwerdeführerin an der Aufrechterhaltung der Erstattungsbescheide auseinandergesetzt. Wenn sie das Vertrauen der Beschwerdeführerin in den Bestand ihrer Rechtsposition nicht als schutzwürdig erachten, ist es folgerichtig, die zu Unrecht erlangten Erstattungen zurückzufordern.

cc) Soweit sich die Beschwerdeführerin schließlich darauf beruft, daß die Erstattungsbescheide im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig waren, handelt es sich um eine Frage einfachen Rechts, die verfassungsgerichtlich nicht nachzuprüfen ist.

3. Die Rüge der Beschwerdeführerin, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, weil der Bundesfinanzhof nicht den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes angerufen habe, ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Vorlageverpflichtung lagen nicht vor.

Nach § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Gesetz vom 19. Juni 1968, BGB1. I S. 661) besteht eine Vorlageverpflichtung, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will. In dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil des Bundesfinanzhofs ging es jedoch nicht um die Entscheidung derselben Rechtsfrage, die Gegenstand des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 12. Juli 1973 (III ZR 37/70) gewesen ist. Während der Bundesgerichtshof über die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG und in diesem Zusammenhang insbesondere über die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden zu entscheiden hatte, ging es in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs um die Rechtsfrage, ob dem Widerruf eines Erstattungsbescheides rechtsstaatliche Grundsätze des Vertrauensschutzes entgegenstehen. Da zu beiden Verfahren auch nicht präjudiziell dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden war, scheidet eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes und damit eine Verletzung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) aus.

4. Die Verfassungsbeschwerde hat schließlich auch insoweit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, als die Beschwerdeführerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) rügt.

a) Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Beteiligten grundsätzlich ein Recht darauf, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt, den Tatsachen und den Beweismitteln zu äußern. Dem Beteiligten muß Gelegenheit gegeben werden, zu der von ihm angegriffenen Maßnahme und der dadurch hervorgerufenen Entscheidung tatsächlich und rechtlich Stellung zu nehmen. Indessen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, daß sämtliche für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen rechtlichen Erwägungen schon vor Erlaß der Entscheidung mitgeteilt werden oder diese im Verfahren bereits angesprochen sein müssen. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich weder ein Anspruch auf ein Rechtsgespräch zwischen den Parteien und dem Gericht noch eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters (BVerfGE 67, 90 ≪96≫; 66, 116 ≪147≫). Danach stellt es keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wenn sich der Bundesfinanzhof in seinem Urteil auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs stützt, ohne die Beschwerdeführerin ausdrücklich darauf hinzuweisen.

b) Soweit die Beschwerdeführerin im übrigen geltend macht, der Bundesfinanzhof habe sich mit den von ihr vorgetragenen Tatsachen und Rechtsauffassungen nicht ausreichend auseinandergesetzt, liegt ebenfalls kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (BVerfGE 22, 267 ≪274≫; st. Rspr.). Es besteht in der Regel keine Verpflichtung, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (BVerfGE 65, 293 ≪295≫). Besondere Umstände, die vorliegend eine Ausnahme von diesem Grundsatz begründen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Es ist insoweit auch unbedenklich, daß der Bundesfinanzhof im vorliegenden Fall einzelne Verfahrensrügen unter Berufung auf Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung zurückgewiesen hat.

Da auch im übrigen eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerin nicht erkennbar ist, hat die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1552248

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