Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung bei Verzögerungen der Briefbeförderung eines Einspruchsschreibens

 

Leitsatz (redaktionell)

Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG gebieten es, § 44 StPO dahin auszulegen, daß dem Bürger bei der schriftlichen Einlegung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl oder einen Bußgeldbescheid Verzögerungen der Briefbeförderung oder -zustellung durch die Deutsche Bundespost, die er nicht zu vertreten hat, nicht zugerechnet werden.

 

Normenkette

GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1; StPO § 44; BayVwZVG Art. 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Schweinfurt (Beschluss vom 14.06.1977; Aktenzeichen Qs 148/77 OWi)

AG Schweinfurt (Beschluss vom 05.05.1977; Aktenzeichen 6 OWi 5 Js 3204/77)

 

Gründe

I.

Dem Beschwerdeführer wurde am 4. März 1977 ein Bußgeldbescheid über 150.– DM wegen einer Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr übersandt, der gemäß Art. 4 Abs. 1 BayVwZVG als am 7. März 1977 zugestellt gilt. Mit Schreiben vom 10. März 1977, das am 12. März 1977 (Samstag) zwischen 8.00 und 10.00 Uhr bei der Poststelle Bückeburg 5 als Einschreibesendung aufgegeben wurde, legte der Beschwerdeführer Einspruch ein. Der Brief ging laut Eingangsstempel der Verwaltungsbehörde am 16. März 1977 (Mittwoch), also erst nach Ablauf der Einspruchsfrist am 14. März 1977 zu. Das Amtsgericht Schweinfurt verwarf mit Beschluß vom 12. April 1977 den Einspruch als verspätet. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin form- und fristgerecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist, da die unvorhersehbar lange Postlaufzeit für ihn ein unabwendbares Ereignis darstelle. Diesen Antrag wies das Amtsgericht Schweinfurt mit Beschluß vom 5. Mai 1977 zurück, weil die postalische Laufzeit von 4 Tagen unter Einschluß des Wochenendes nicht als ungewöhnlich lang anzusehen sei.

Das Landgericht Schweinfurt verwarf die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde mit Beschluß vom 14. Juni 1977 als unbegründet. Es folgte im wesentlichen der Begründung des Amtsgerichts.

II.

Mit der gegen beide Entscheidungen gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer – unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Postlaufzeit – die Verletzung von Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG.

III.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Auskunft der Deutschen Bundespost – Postamt Stadthagen – eingeholt. Danach hätte das Einspruchsschreiben bei normaler Beförderungsdauer dem Empfänger am 14. März 1977 zugehen müssen. Die Verzögerung beruhe auf einer unvorhersehbaren Störung im Betriebsablauf, deren Ursache nachträglich nicht mehr zu ermitteln sei.

2. Das Bayer. Staatsministerium der Justiz, dem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig und begründet.

IV.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebieten Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG, § 44 StPO dahin auszulegen, daß dem Bürger bei der schriftlichen Einlegung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl oder einen Bußgeldbescheid Verzögerungen der Briefbeförderung oder -zustellung durch die Deutsche Bundespost, die er nicht zu vertreten hat, nicht zugerechnet werden (BVerfGE 40, 42; 41, 23; 41, 341; 41, 356; 42, 258; 43, 75; 43, 151).

Amts- und Landgericht werden diesem Maßstab nicht gerecht. Die angegriffenen Entscheidungen waren daher aufzuheben. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG ist die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen worden.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG.

 

Fundstellen

BVerfGE, 404

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