Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung bei angeblich verfassungswidriger Norm

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Aussetzung der Vollziehung ist nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil der Steuerpflichtige die Verfassungswidrigkeit einer Norm behauptet.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3; AO § 251

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 24.01.1963; Aktenzeichen IV 2/63)

 

Gründe

I.

Gegen den Beschwerdeführer ergingen für die Veranlagungszeiträume 1955 bis 1959 rechtskräftige Einkommensteuerbescheide. Auf Grund einer nachträglich vorgenommenen Betriebsprüfung stellte das Finanzamt fest, daß die Einkommensteuerschuld für die genannten Zeiträume sich um 11175 DM erhöhe. Es berichtigte in diesem Sinn unter Anwendung des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 der AO die früher ergangenen Steuerbescheide. Dagegen wandte sich der Beschwerdeführer zunächst mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs, der erfolglos blieb. Das Verfahren ist zur Zeit in der Berufungsinstanz beim Finanzgericht anhängig. In diesem Verfahren erhebt der Beschwerdeführer keine wesentlichen Einwendungen gegen die Feststellung der Betriebsprüfung. Jedoch machte er geltend, die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO sei verfassungswidrig, weil sie gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verstoße.

Zugleich mit dem Einspruch gegen die Berichtigungsbescheide des Finanzamts beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 251 AO die Aussetzung der Vollziehung der Berichtigungsbescheide. Das Finanzamt gewährte zunächst die beantragte Aussetzung, hob sie jedoch später wieder auf. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion als unbegründet zurück. Auch gegen diese Entscheidung legte der Beschwerdeführer Berufung ein, die er als „Anrufungsklage” gemäß Art. 19 Abs. 4 GG bezeichnete. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Auch die Rechtsbeschwerde gegen die Berufungsentscheidung wurde vom Bundesfinanzhof durch Urteil vom 24. Januar 1963 – IV 2/63 als unbegründet kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die rechtzeitig eingelegte Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs und die diesem Urteil vorausgegangenen Vorentscheidungen mit der Behauptung, durch die Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung der sogenannten Berichtigungsbescheide seien die Vorschriften der Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG verletzt worden. Das Prinzip der Rechtssicherheit verbiete die erneute Wiederaufrollung einer rechtskräftig entschiedenen Sache. Gegen dieses Verbot werde aber verstoßen, wenn auf Grund einer Betriebsprüfung gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO rechtskräftig gewordene Einkommensteuerbescheide zuungunsten des Steuerpflichtigen berichtigt würden. Da jedoch § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO verfassungswidrig sei, habe für die Finanzbehörden und Finanzgerichte die Verpflichtung bestanden, die Vollstreckung aus den Berichtigungsbescheiden vorläufig einzustellen, auch wenn eine Entscheidung in sachlicher Hinsicht noch nicht ergangen sei.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet. Von ihrer Entscheidung ist daher eine Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten. Durch die Versagung der Entscheidung entsteht dem Beschwerdeführer auch kein schwerer und unabwendbarer Nachteil.

Die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs befaßt sich nur mit der Frage, ob die Steuerbehörden verpflichtet waren, die Vollziehung der angefochtenen Berichtigungsbescheide vorläufig auszusetzen. Nach dem Wortlaut des § 251 AO ist die Aussetzung der Vollstreckung eines Bescheids in das Ermessen der Verwaltungsbehörden gestellt. Der Bundesfinanzhof vertritt daher zu Recht die Auffassung, daß im Rechtsmittelverfahren gegen die Ablehnung einer beantragten Aussetzung die Gerichte nur prüfen können, ob die Verwaltungsbehörden die Grenzen ihres Ermessens eingehalten haben. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Finanzbehörde bei unmittelbarer oder analoger Anwendung der Vorschrift des § 251 AO dem Aussetzungsantrag des Beschwerdeführers hätte stattgeben können. Jedenfalls ist den Ausführungen des Bundesfinanzhofs, daß eine Verpflichtung zur Aussetzung im vorliegenden Fall nicht bestand, im Ergebnis beizupflichten. Wie das Bundesverfassungsgericht schon früher entschieden hat (vgl. BVerfGE 12, 180 [186]), ist eine Aussetzung nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil ein Steuerpflichtiger die Verfassungswidrigkeit einer Norm behauptet, mag auch Anlaß sein, die Aussetzung in Betracht zu ziehen. Von einem Ermessensmißbrauch kann jedenfalls dann nicht die Rede sein, wenn die Finanzbehörden und – wie hier – die angerufenen Gerichte die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Norm bejahen, und diese Rechtsauffassung nicht offensichtlich unvertretbar ist.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1740442

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