Entscheidungsstichwort (Thema)

Stellenanzeige keine berufswidrige Werbung eines Steuerberaters

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Werbeverbot für steuerberatende Berufe wird nicht durch die Einleitung der Stellenanzeige einer Steuerberatungsgesellschaft „Wir sind eines der führenden Dienstleistungsunternehmen auf dem Gebiet der steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Beratung von Angehörigen der Heilberufe mit Sitz unserer Zentrale in H. …” unter gleichzeitiger Namensnennung des Inserenten umgangen.

2. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß gerade der Name des Unternehmens die Entscheidung eines potentiellen Stellenbewerbers maßgeblich beeinflußt, kann die Namensnennung in einer Stellenanzeige nicht verboten, bzw. der Stellenanbieter nicht auf die Möglichkeit der Plazierung einer Chiffrenanzeige verwiesen werden.

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1; StBerG § 57 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 08.08.1988; Aktenzeichen 44 StL 55/87)

 

Tatbestand

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Rüge eines Steuerberaters wegen berufswidriger Werbung.

1. Der beschwerdeführende Steuerberater war bis Juni 1986 einer der Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft, die überörtlich tätig ist und sich vornehmlich auf Mandate aus dem Kreis der Heilberufe spezialisiert hat.

In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erschien in der Wochenendausgabe vom 11./12. Januar 1986 folgende Anzeige:

„Wir sind eines der führenden Dienstleistungsunternehmen auf dem Gebiet der steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Beratung von Angehörigen der Heilberufe mit Sitz unserer Zentrale in H…

Für die Beratung unserer Klientel im Bereich des Mikro-Personalcomputer-Einsatzes suchen, wir einen

DV-Berater.

Neben einschlägigen DV-Erfahrungen ist eine betriebswirtschaftliche Ausbildung zwingend notwendig.

Ihre Bewerbung richten Sie bitte unter Angabe des frühesten Eintrittstermines und Ihrer Gehaltsvorstellungen an

Treuhand H… GmbH – Steuerberatungsgesellschaft.”

Wegen des Einleitungssatzes dieser Anzeige erteilte die Steuerberaterkammer Niedersachsen dem Beschwerdeführer eine Rüge. Das ihm zurechenbare Inserat erwecke den Anschein einer berufswidrigen Werbung. Die Steuerberatungsgesellschaft geriere sich als Marktführer für die steuerliche Beratung eines bestimmten Personenkreises. Derartige Angaben seien bei einer Stellenanzeige verzichtbar.

Nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens wies das Landgericht den Antrag auf Aufhebung des Rügebescheides mit Beschluß vom 8. August 1988 zurück. Nach § 57 Abs. 1 StBerG gehöre es zu den Berufspflichten eines Steuerberaters, berufswidrige Werbung zu unterlassen. Zur näheren Ausgestaltung des Begriffs der berufswidrigen Werbung könne auf die einschlägige berufsgerichtliche Rechtsprechung und die Standesrichtlinien für Steuerberater zurückgegriffen werden. Danach sei jede Tätigkeit, die als Aufforderung zur Auftragsanbahnung verstanden werden könne, eine berufswidrige Werbung. Nicht nach ihrer äußeren Aufmachung, wohl aber nach ihrem Inhalt stelle der Text eine bewußte und gezielte Werbung für die Praxis des Beschwerdeführers dar. Der Hinweis auf die Marktstellung und das besondere Dienstleistungsangebot veranlasse gerade die Angehörigen einer bestimmten Berufsgruppe zur Anbahnung geschäftlicher Kontakte mit dem Unternehmen des Beschwerdeführers. Das hätte durch die Angabe einer Kennummer vermieden werden können.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 12 Abs. 1 GG. Für den Eingriff in seine Berufsfreiheit fehle es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage. Die Rüge könne nicht auf die Standesrichtlinien für Steuerberater gestützt werden. Darüber hinaus seien keine Gemeinwohlgründe ersichtlich, die den Eingriff rechtfertigen könnten. Die beanstandete Anzeige habe allenfalls einen in Kauf zu nehmenden zusätzlichen Werbeeffekt. Die Selbstdarstellung sei ein sachlich gebotenes Mittel, um ungeeignete Bewerbungen von vornherein auszuschließen und der Stellenanzeige zum Erfolg zu verhelfen. Ein sensationelles Herausstellen sei weder nach dem äußeren Erscheinungsbild der Anzeige noch nach ihrem Text festzustellen. Im übrigen könne ein Stelleninserat generell keine berufswidrige Werbung sein. Unter Hinweis auf eine Vielzahl gleichartiger, aber unbeanstandeter Inserate hält er die ihm erteilte Rüge für willkürlich. Darüber hinaus sieht er sich auch in seinem Recht auf faires Verfahren verletzt, weil der Kammervorstand bei der Durchführung der mündlichen Verhandlung über den Einspruch keine Sitzungsniederschrift gefertigt, ihm eine Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer vorenthalten und von einer näheren Begründung seiner Entscheidung abgesehen habe.

3. Die Bundessteuerberaterkammer und die Steuerberaterkammer Niedersachsen verteidigen die angegriffenen Entscheidungen. Die übrigen Äußerungsberechtigten haben von einer Stellungnahme abgesehen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.

1. Die berufsaufsichtsrechtliche Maßnahme einer Rüge wegen berufswidriger Werbung greift in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers ein. Zu der durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit der Berufsausübung gehört jede Tätigkeit, die mit der Berufsausübung zusammenhängt und dieser dient (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪256≫). Dazu zählt auch die Außendarstellung zur Gewinnung von Mitarbeitern.

a) Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erlaubt Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung. Diesem Gesetzesvorbehalt wird durch § 57 Abs. 1 StBerG genügt. Danach gehört zu den Berufspflichten eines Steuerberaters, seinen Beruf unter Verzicht auf berufswidrige Werbung auszuüben. Hierbei handelt es sich um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Regelung. Dem Steuerberater wird nicht jede, sondern lediglich eine berufswidrige Werbung verboten (vgl. zu ähnlichen Regelungen für Ärzte: BVerfGE 71, 162 ≪174≫; 85, 248 ≪257≫).

Die vorliegende Verfassungsbeschwerde gibt keinen Anlaß, zur Geltung der Standesrichtlinien für Steuerberater Stellung zu nehmen. Die Pflicht, berufswidrige Werbung zu unterlassen, ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 57 Abs. 1 StBerG. Soweit in den angegriffenen Entscheidungen neben den durch die berufsgerichtliche Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen auch § 34 Abs. 4 der Standesrichtlinien für Steuerberater erwähnt wird, geschieht dies nicht in der Annahme einer normativen Bindung, sondern lediglich als eines von mehreren Argumenten bei der Auslegung des § 57 Abs. 1 StBerG. Für die Begründung des Landgerichts haben die Standesrichtlinien praktisch keine Bedeutung. Insoweit besteht ein wesentlicher Unterschied zu den Entscheidungen, die Gegenstand der Anwaltsbeschlüsse waren (vgl. BVerfGE 76, 171 ff.; 76, 196 ff.).

b) Auslegung und Anwendung einfachen Rechts sind grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht weitgehend entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Doch lassen die angegriffenen Entscheidungen Auslegungsfehler erkennen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und dem Schutzbereich der Berufsfreiheit beruhen. Die ihnen zugrunde liegende Annahme, der Beschwerdeführer dürfe die Marktstellung seines Unternehmens und sein spezielles Dienstleistungsangebot auch bei der Formulierung von Stellenanzeigen in keiner Weise deutlich machen, führt zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung seiner Berufsfreiheit.

Die vom Landgericht und der Steuerberaterkammer vorgenommene Auslegung des § 57 Abs. 1 StBerG hat den Zweck, das Werbeverbot für steuerberatende Berufe zu sichern. Es soll nicht dadurch umgangen werden können, daß ein Steuerberater eine ihm für sein Dienstleistungsangebot untersagte Werbung auf dem Umweg einer Stellenanzeige potentiellen Dienstleistungsinteressenten zur Kenntnis gibt und sie dadurch zur Kontaktaufnahme veranlaßt. Das Werbeverbot und das damit in Zusammenhang stehende Umgehungsverbot dienen – wie die Werbebeschränkungen anderer freier Berufe – dem Zweck, eine Verfälschung des jeweiligen Berufsbildes durch Verwendung kommerzieller Werbemethoden zu verhindern (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪260≫ m.w.N.). Die Kommerzialisierung der steuerberatenden Berufe soll im Interesse einer wirksamen Steuerrechtspflege vermieden werden. Es geht um ein wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. BVerfGE 21, 173 ≪179≫), das geeignet ist, das Werbeverbot und damit auch das Umgehungsverbot zu rechtfertigen.

Die Pflicht, auch Stellenanzeigen so abzufassen, daß eine Werbewirkung gegenüber künftigen Mandanten vermieden wird, ist geeignet und im Prinzip auch erforderlich, den Zweck des Werbeverbots und dessen Schutz vor Umgehung zu erreichen. Ein Mittel, das die Berufsausübung des Steuerberaters weniger beschränkt, den Zweck des Gesetzes aber gleich wirksam erfüllt, ist nicht erkennbar. Letztlich läßt sich die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, daß Stellenanzeigen dazu benutzt werden sollen, eine ansonsten als berufswidrig anzusehende Darstellung des Dienstleistungsangebots potentiellen Kunden zu präsentieren.

Jedoch räumen die angegriffenen Entscheidungen bei einer Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe (vgl. BVerfGE 77, 308 ≪332≫ m.w.N.) der Sicherung des Werbeverbots gegenüber dem Grundrecht des Beschwerdeführers auf Berufsausübungsfreiheit einseitig den Vorrang ein. Entscheidend kommt es auf die Angemessenheit der Grenzziehung zwischen erlaubten und verbotenen Handlungsformen an. Die Abwehr von Umgehungsmöglichkeiten und Mißbräuchen darf nicht so weit gehen, daß legitime Interessen des Grundrechtsträgers nicht mehr angemessen berücksichtigt werden können. Das haben die Steuerberaterkammer und das Landgericht offensichtlich verkannt.

Steuerberatungsgesellschaften sind auf qualifizierte Mitarbeiter angewiesen und müssen diese auf dem Arbeitsmarkt finden und gewinnen. Stellenanzeigen müssen gewisse Informationen über das suchende Unternehmen enthalten, um geeignete Stellenbewerber zu einer Kontaktaufnahme zu veranlassen und ungeeignete Bewerber von einer aussichtslosen Bewerbung abzuhalten. Werden derartige Angaben generell verboten, so zwingt das zu unzweckmäßigen Stellenanzeigen. Das ist unzumutbar. Auch die vom Landgericht genannte Chiffremöglichkeit bietet keinen zumutbaren Ausweg. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, daß gerade der Name des Unternehmens die Entscheidung des Bewerbers maßgeblich beeinflußt. Deshalb kann die Namensnennung nicht ohne weiteres verboten werden. Die Gefahr der Umgehung des Werbeverbots rechtfertigt eine Einschränkung des Inhalts von Stellenanzeigen nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte auf die Absicht schließen lassen, nicht nur Stellenbewerber, sondern auch potentielle Kunden sollten in einer anpreisenden Form angesprochen werden. Dazu bedarf es zunächst der Feststellung, ob das Inserat nach Form, Inhalt oder Erscheinungsweise aus dem Rahmen einer normalen Stellenanzeige fällt. Ferner müssen objektivierbare Anhaltspunkte dafür bestehen, daß diese Abweichungen dem Zweck dienen können, Kunden anzusprechen. Entsprechende Feststellungen fehlen in den Ausgangsverfahren, weil bei der Auslegung des § 57 Abs. 1 StBerG die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers nicht ausreichend berücksichtigt wurde.

2. Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG begründet ist, kann offenbleiben, ob weitere vom Beschwerdeführer gerügte Grundrechtsverletzungen vorliegen.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1504849

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