Die Fähigkeit zum Dissens (oder die Fähigkeit zum kognitiven oder zum konstruktiven Konflikt) wird heute in der Theorie als eine der Kernfähigkeiten angesehen, um zu guten Entscheidungen zu gelangen.[1] Soweit die Theorie. In der Praxis wird Dissens leider häufig nicht in dem Ausmaß zugelassen, wie es wünschenswert wäre. Zu den Hauptursachen hierfür gehören ein "ungesundes" Harmoniebedürfnis, eine Verwechslung von affektiven und kognitiven Konflikten, ein falsches Verständnis von Konsens sowie ein falsches Verständnis der Rolle eines Advocatus Diaboli.

Die Rollenbeschreibungen des Controllers als Sparringspartner oder als jemandem, der die Contre Rôle oder die des Advocatus Diaboli einnimmt, weisen in Richtung der Idee des Dissenters. Das Problem in der Praxis ist häufig eine nicht zielführende Umsetzung dieses Rollenverständnisses: sei es indem man die Rolle komplett negiert ("Die Zahlen sprechen für sich"), oder indem man Kollegen diskreditiert ("Der Müller hat ja gar keine Ahnung") oder indem man die Ansicht vertritt, es ginge darum eine Schlacht zu führen, deren Ziel es ist, Gewinner und Verlierer zu ermitteln, oder indem man meint, die Rolle sei mit der des Bedenkenträgers gleichzusetzen ("Das hat noch nie funktioniert").

Der große Vorteil von echtem, und damit authentischem und konstruktivem Dissens ist, dass er die Flexibilität im Denken erhöht. Dissens soll divergentes Denken stimulieren, denn das gilt als ein Herzstück guter Entscheidungen. Wie aber wird das umgesetzt und erreicht? Die Methoden der Wahl sind das aktive Zuhören und das Beherrschen von Fragetechniken, insbesondere lösungsorientierte Fragen sowie Fragen, die zu einem Perspektivwechsel auffordern. Hier ein paar Beispiele für Fragen, die sich in der Praxis im Kontext von Entscheidungsprozessen als hilfreich erwiesen haben:

  • Was wäre, wenn diese Annahme nicht zutreffen würde?
  • Wie können wir diese Annahme validieren?
  • Wie könnte .....?
  • Welche neuen Fakten | Erkenntnisse würden Sie veranlassen, Ihre Meinung zu ändern?
  • Welche Argumente sprechen dagegen?
  • Was würde Sie veranlassen, das Projekt zu stoppen?
  • Welchen Personen bringt diese Entscheidung einen Nachteil? Kann dieser reduziert werden?
  • Was wäre Ihr Vorschlag, wenn wir nur X TEUR zur Verfügung hätten?

Die bereits oben erwähnte Studie von McKinsey[2] bestätigt dies. Danach ist bei sog. "big bet"-Entscheidungen, das sind die grundlegenden und wichtigen Entscheidungen, die Qualität der Diskussion die wichtigste Erklärungsvariable für den Erfolg der Entscheidung. Eine hohe Qualität der Diskussion erfordert 3 Dinge:

  1. die Erkundung von Annahmen und Alternativen jenseits der vorhandenen Informationen
  2. die aktive Suche nach Disconfirming Evidence und
  3. das Vorhandensein eines Advocatus Diaboli.
[1] Vgl. zu diesem Thema bspw. Nemeth, 2018.
[2] Vgl. McKinsey, 2019.

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