BayLfSt, 01.12.2005, S 2172 - 1 St 32/St 33

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gelten für die bilanzsteuerrechtliche Behandlung der Aufwendungen zur Einführung eines betriebswirtschaftlichen Softwaresystems (ERP-Software[1] ) folgende Grundsätze:

 

I. Begriffsbestimmung

1

ERP-Software ist ein Softwaresystem, das zur Optimierung von Geschäftsprozessen eingesetzt und aus verschiedenen Modulen (z. B. Fertigung, Finanzen, Logistik, Personal, Vertrieb) zusammengestellt wird. Wesensmerkmal eines ERP-Systems ist die Funktion zur umfassenden Integration und Steuerung verschiedener Unternehmensaktivitäten. Für den betrieblichen Einsatz ist es notwendig, die Programme an die unternehmensspezifischen Belange anzupassen. Der Gesamtvorgang der Einführung der ERP-Software wird als Implementierung bezeichnet.

 

II. Art und Umfang des Wirtschaftsgutes

2

ERP-Software ist regelmäßig Standardsoftware und bei entgeltlichem Erwerb ein aktivierungspflichtiges immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens. Dabei bilden alle Module zusammen – wegen ihres einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhangs – ein Softwaresystem (d. h. ein Wirtschaftsgut). Dies gilt auch, wenn die Module zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder von unterschiedlichen Softwareherstellern erworben werden, es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass einzelne Module nicht in das Gesamtsystem zur Steuerung der Geschäftsprozesse integriert werden, also selbständig nutzbar sind. Der Steuerpflichtige erwirbt mit der Software entsprechende Lizenzrechte vom Anbieter (Softwarehersteller oder ein von diesem berechtigter Unternehmer).

 

III. Anschaffung

3

Ist Gegenstand der Verträge mit dem Anbieter und/oder mit Dritten ein eingerichtetes Softwaresystem (Erwerb einer Standardsoftware und ihre Implementierung), liegt ein aktivierungspflichtiger Anschaffungsvorgang vor. Dies gilt auch, wenn die erworbene Standardsoftware ganz oder teilweise mit eigenem Personal implementiert wird (Herstellung der Betriebsbereitschaft).

4

Die erforderliche Implementierung der ERP-Software macht diese nicht zu einer Individualsoftware und führt damit nicht zu einem Herstellungsvorgang, wenn keine wesentliche Änderungen am Quellcode vorgenommen werden; die Anpassung an die betrieblichen Anforderungen (sog. Customizing) erfolgt regelmäßig ohne Programmierung. Insofern kann von einer Selbstherstellung und infolgedessen von einem Aktivierungsverbot nicht ausgegangen werden. Ein Indiz für wesentliche Änderungen am Quellcode ist gegeben, soweit diese Auswirkungen auf die zivilrechtliche Gewährleistung des Software-Herstellers haben.

Bei der Zuordnung der Aufwendungen im Zusammenhang mit der Anschaffung ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

 

IV. Herstellung

11

Wird das Softwaresystem selbst hergestellt, greift das Aktivierungsverbot gemäß § 5 Abs. 2 EStG ein. Demzufolge sind alle Aufwendungen sofort abziehbare Betriebsausgaben.

12

Von einer Herstellung kann ausgegangenen werden, wenn eine neue Individualsoftware durch eigenes fachlich ausgebildetes Personal oder Subunternehmer im Rahmen von Dienstverträgen hergestellt und das Herstellerrisiko vom Softwareanwender selbst getragen wird.

13

Änderungen oder Erweiterungen am Softwareprogramm (sog. Modifications und Extensions, i. d. R. durch Änderungen am Quellcode) sind nur dann als Herstellungsvorgang zu werten, wenn diese in einem solchen Umfang vorgenommen werden, dass Leistungen des Anbieters im Rahmen der Gewährleistung und Wartung vertraglich ausgeschlossen sind oder der Softwareanwender das Herstellungsrisiko einer erfolgreichen Realisierung der Erweiterungs- oder Verbesserungsmaßnahme trägt. Hierfür trägt der Steuerpflichtige die Darlegungs- und Beweislast.

 

V. Andere sofort abziehbare Aufwendungen

 

1. Vorkosten

14

Vorkosten sind Aufwendungen, die vor der Kaufentscheidung anfallen. Sie sind sofort als Betriebsausgaben abziehbar.

 

2. Schulungskosten

15

Aufwendungen für die Anwenderschulung sind sofort als Betriebsausgaben abziehbar (Ausnahme vgl. Rdnr. 7).

 

3. Wartungskosten

16

Es bestehen keine Bedenken, Wartungskosten, die aufgrund von regelmäßig mit dem Lizenzvertrag abgeschlossenen Wartungsverträgen anfallen, sowie die Zurverfügungstellung von Weiterentwicklungen und Verbesserungen der Software im Rahmen von Updates, Versions- oder Releasewechseln als Erhaltungsaufwendungen zu behandeln, obwohl sie auch Elemente von nachträglichen Anschaffungskosten enthalten (Abgrenzung vgl. Rdnr. 10).

17

Ein sofortiger Abzug als Erhaltungsaufwand ist ausgeschlossen, wenn in den Wartungskosten ein verdeckter Kaufpreis enthalten ist. Dies ist der Fall, wenn der Abschluss eines Wartungsvertrages Einfluss auf die Höhe des Kaufpreises der Lizenz hat. In diesem Fall ist eine Aufteilung in Erhaltungsaufwand und Anschaffungskosten im Wege der Schätzung vorzunehmen.

 

4. Piloteinsätze

18

Bei Piloteinsätzen wird das Softwaresystem bereits überwiegend für Zwecke der betrieblichen Leistungserstellung eingesetzt. Die dadurch verursachten zus...

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