Rz. 71

Der Große Senat hatte im in Rede stehenden Beschluss nicht darüber zu befinden, ob der subjektive Fehlerbegriff in Fällen, in denen der Steuerpflichtige bei der Bilanzierung von unzutreffenden Tatsachen, wie z. B. bei der Bestimmung von Nutzungsdauern, Bonitätseinschätzungen, Prognosen oder Schätzungen, ausgegangen ist, ohne dabei gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verstoßen zu haben, weiterhin Anwendung finden kann, weshalb er diese Frage auch explizit offen ließ.[1] Partiell können die Argumente, die der Große Senat gegen die Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs bei Rechtsfragen anführt, jedoch auch in Bezug auf Tatsachenfragen ins Feld geführt werden.

So ist festzuhalten, dass auch eine Besteuerung, die auf falschen Tatsachen beruht, grundsätzlich im Widerspruch zum objektiven Recht steht;[2] gleichwohl wird dadurch nicht die Geltung des objektiven Rechts verneint, was nach Auffassung von Rogall/Curdt aber Hauptargumentationspunkt des Großen Senats gegen die Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs bei Rechtsfragen war.[3] Auch das in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB kodifizierte Vorsichtsprinzip, das über den Maßgeblichkeitsgrundsatz auch in die Steuerbilanz hineinwirkt, spricht gegen die Ausweitung des objektiven Fehlerbegriffsverständnisses auf Tatsachenfragen, da nach dieser Vorschrift zwar bessere Kenntnisse bis zur Bilanzaufstellung berücksichtigt werden, danach jedoch nicht mehr.[4] Im Ergebnis spricht vieles dafür, dass für Tatsachen auch in Zukunft der subjektive Fehlerbegriff anwendbar bleibt, was auch richtig erscheint, da die subjektive Sicht des Kaufmanns bei Sachverhaltsbewertungen, Prognosen und Schätzungen immanenter Wesensbestandteil der Rechnungslegung ist und insoweit der subjektive Fehlerbegriff auch der Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit gerecht wird.[5] Dieser Ansicht hat sich nun auch die Finanzverwaltung angeschlossen.[6]  Gleichwohl wäre es aus Gründen der Rechtsfortbildung wünschenswert gewesen, wenn sich der Große Senat auch in Bezug auf Tatsachenfragen geäußert hätte und insoweit über die vorgelegte Frage hinausgegangen wäre.

[2] Vgl. Weber-Grellet, DStR 2013, S. 732, der dies insbesondere unter Heranziehung des Untersuchungsgrundsatzes aus § 88 AO begründet, der die Verwaltung verpflichtet, bei der Steuerfestsetzung den richtigen Sachverhalt zugrunde zu legen.
[3] Vgl. Rogall/Curdt, Ubg 2013, S. 349.
[4] Vgl. Schulze-Osterloh, BB 2013, S. 1133; a. A. Weber-Grellet, nach dessen Auffassung auch das Vorsichtsprinzip die Pflichten aus § 88 AO nicht verdrängt und lediglich im Bereich von Schätzungen und Prognosen ein Restanwendungsbereich für den subjektiven Fehlerbegriff bleibt; vgl. Weber-Grellet, DStR 2013, S. 732.
[5] Vgl. Prinz, Wpg 2013, S. 654.

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