Rz. 143

Untersuchungsgegenstand der Vermögensanalyse ist die Aktivseite einer Bilanz. Dabei wird neben der Vermögensstruktur und dem Vermögensumschlag auch die Investitionstätigkeit einer Unternehmung betrachtet. Ziel ist es, Erkenntnisse über die Art und Zusammensetzung des Vermögens sowie die Dauer der Vermögensbindung zu gewinnen. Erfolgt eine Analyse der Vermögenslage unter dem Gesichtspunkt der Bindungsdauer, so werden eingegangene finanzielle Bindungsrisiken offenkundig. Das Liquiditätspotenzial, die Dispositionselastizität des Managements und somit die Anpassungsflexibilität bei sich verändernden Absatzgegebenheiten einer Unternehmung werden dadurch einschätzbar.[1]

[1] Vgl. Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 26. Aufl. 2021, S. 1140; Lachnit/Müller, Bilanzanalyse, 2. Aufl. 2017, S. 270 ff.

6.3.2.1 Vermögensstruktur

 

Rz. 144

Die Analyse der Vermögensstruktur liefert Informationen über die Zusammensetzung der Aktivseite einer Bilanz. Die Verwendung des Kapitals soll dabei nach Art und Zusammensetzung der konkreten investiven Nutzung untersucht werden. Daneben sollen Informationen über die in den Vermögensgegenständen gebundene Liquidität sichtbar werden. Je geringer die Dauer der Vermögensbindung, desto positiver wirkt dies auf die Liquiditätssituation des Unternehmens, die Gefahr der Illiquidität nimmt ab, die Anpassungsfähigkeit an Beschäftigungsänderungen und die Flexibilität des Unternehmens nehmen zu. Als Einstieg sind vor allem folgende Gliederungs- bzw. Intensitätskennzahlen bedeutsam:

 
Langfristvermögensintensität = langfristiges Vermögen
Gesamtvermögen
Sachanlagevermögensintensität = Sachanlagevermögen
Gesamtvermögen
Goodwill-Intensität = Goodwill
Gesamtvermögen
Lieferforderungenintensität = Lieferforderungen
Gesamtvermögen
Zahlungsmittelintensität = Zahlungsmittel und -äquivalente
Gesamtvermögen
 

Rz. 145

Diese Gliederungszahlen heben Investitionsschwerpunkte, das betriebliche Liquiditätspotenzial, Bindungsrisiken sowie die Dispositionselastizität des Managements hervor. Zur betriebswirtschaftlichen Bewertung werden diese Kennzahlen im zeitlichen Vergleich hinsichtlich ihrer Veränderung und im überbetrieblichen Vergleich z. B. mit Branchendurchschnittswerten verglichen, um Auffälligkeiten in der Vermögensbindung des Unternehmens festzustellen. Für die finanzielle Analyse sind daraus Hinweise auf Investitionsschwerpunkte, Liquidierbarkeit, Bindungsrisiken und finanzielle Dispositionselastizität des Vermögens zu entnehmen.

 

Rz. 146

Die Analyse von Vermögensgegebenheiten auf der Basis ausgewiesener Bilanzzahlen ist nicht unproblematisch. Zum einen sind diese Zahlen beeinflusst durch Ansatz- und Bewertungswahlrechte handels- und ggf. noch steuerrechtlicher Art oder abweichende Regelungen nach IFRS sowie durch unvermeidliche Einschätzungsspielräume, z. B. wegen Zukunftsungewissheit. Zum anderen bestehen unterschiedliche Bewertungsobergrenzen, sodass u. U. beträchtliche stille Reserven durch über den Anschaffungswert hinaus gestiegene Zeitwerte vorhanden sein können bzw. auch ausgewiesen sind. Gerade etwa bei der Goodwill-Intensität prallen Abbildungen aufeinander, wo ggf. nach HGB noch erfolgsneutral verrechnete oder planmäßig abgeschriebene Geschäfts- oder Firmenwerte kaum nennenswerte Buchwerte ausmachen, während nach IFRS durch die Aktivierungspflicht und nur außerplanmäßige Abschreibungsnotwendigkeit dort sehr große Beträge stehen können.

 

Rz. 147

Zudem ist in den letzten Jahren eine starke Änderung der Vermögensstrukturen durch Finanzierungsgeschäfte zu konstatieren. Immer mehr Unternehmen insbesondere aus dem Automobil-, Flugzeug-, Schiff- und Anlagenbau haben die Finanzierung des Absatzes entweder als wertschaffende Erweiterung des Geschäftes oder aber auf Druck der Nachfrager mit anzubieten. Dies führt dazu, dass Unternehmen der verarbeitenden Industrie somit häufig hohe Finanzvermögens- und Finanzschuldenanteile in der Bilanz auszuweisen haben, die die Relationsbetrachtungen erschweren. Im Gegenzug führt diese Entwicklung, je nach Ausgestaltung der Leasingverträge, in anderen Branchen ebenfalls zu verzerrten Vermögensrelationen, da betriebsnotwendiges Vermögen in der Bilanz nicht mehr ausgewiesen wird.

6.3.2.2 Vermögensumschlag

 

Rz. 148

Die Analyse des Vermögensumschlags trägt der Tatsache Rechnung, dass die Erfolgs- und Finanzlage einer Unternehmung neben der Struktur des Vermögens gleichermaßen von seiner Nutzungsintensität beeinflusst wird. Die Untersuchung des Vermögensumschlags erfolgt anhand von Umschlagshäufigkeiten oder Umschlagsdauern bzw. Bestandsreichweiten.[1] Dabei zeigt der Umschlagskoeffizient die Häufigkeit an, mit der ein Vermögenswert in einer vorgegebenen Periode umgeschlagen wird. Umschlagsdauern bzw. Bestandsreichweiten drücken den reziproken Wert der Umschlagshäufigkeit aus. Die Umschlagsdauer bzw. Bestandsreichweite definiert den benötigten Zeitraum zum einmaligen Umschlag eines Vermögenswerts.

Konkret werden Kenntnisse über die Vermögensbindung und die dadurch verursachten finanziellen Belas...

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