Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Im Land Nordrhein-Westfalen sind die Finanzverwaltungsbehörden nicht befugt, Helfern in Steuersachen eine Warnung als Disziplinarmaßnahme zu erteilen.

 

Normenkette

AO § 107a Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1

 

Tatbestand

Das zum Land Nordrhein-Westfalen gehörende Finanzamt erteilte dem Bg. mit "Disziplinarentscheidung" vom 19. Mai 1958 eine "Warnung" mit der Begründung, daß er bei Ausübung seiner Tätigkeit als Helfer in Steuersachen ihrem Inhalt nach unsachliche und im Ton ungebührliche Schriftsätze dem Finanzamt eingereicht habe. Es stützte seine Maßnahme auf § 107 a Abs. 6 AO in Verbindung mit dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 28. Juli 1943 S 1144-1281 III R (RStBl 1943 S. 602), der nach einem Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen weiter anzuwenden sei.

Die hiergegen vom Bg. an die Oberfinanzdirektion eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

Auf die gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom Bg. eingelegte Berufung hob das Finanzgericht die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion und die "Disziplinarentscheidung" des Finanzamts ersatzlos auf. Die Vorinstanz hielt eine gesetzliche Grundlage für die Maßnahmen der Verwaltungsbehörden für nicht gegeben.

 

Entscheidungsgründe

Die von der Oberfinanzdirektion gegen das Urteil des Finanzgerichts eingelegte Rb. ist nicht begründet.

Die "Disziplinarentscheidung" des Finanzamts entbehrt - wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat - der Rechtsgrundlage. Nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ist dem einzelnen Staatsbürger das Grundrecht der Berufsfreiheit gewährleistet. Dieses Grundrecht kann nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG durch Gesetz geregelt werden. Vor dem Inkrafttreten des GG konnte eine Regelung grundsätzlich auch durch Rechtsverordnung, die auf gesetzlicher Grundlage ergangen war, vorgenommen werden (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 100/57 vom 7. Januar 1959, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 9 S. 73 ff., insbesondere Rechtssatz 2). An einer Rechtsvorschrift, welche die Finanzbehörden für befugt erklärt, Disziplinarmaßnahmen der angefochtenen Art (Warnung) gegen Helfer in Steuersachen zu verhängen, fehlt es im Land Nordrhein-Westfalen. Aus § 107 a Abs. 6 AO oder der Verordnung zur Durchführung des § 107 a der Reichsabgabenordnung vom 11. Januar 1936 - DV zu § 107 a AO - (RGBl I S. 11, RStBl 1936 S. 65) sowie der sich daraus ergebenden, im Beschluß des erkennenden Senats II 31/53 U vom 3. Dezember 1953, BStBl 1954 III S. 28, Slg. Bd. 58 S. 301, unter II 1 und 3 auch anerkannten Notwendigkeit einer gewissen Beaufsichtigung der Helfer in Steuersachen läßt sich keine Befugnis der Finanzbehörden herleiten, Warnungen als Disziplinarmaßnahmen gegen Helfer in Steuersachen auszusprechen oder - wie sich die Oberfinanzdirektion in einem Schreiben vom 12. Mai 1958 an das Finanzamt ausdrückt - als "Disziplinarbehörde" einen Helfer in Steuersachen mit einer "Warnung zu bestrafen". Auch der von den Finanzverwaltungsbehörden angezogene Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 28. Juli 1943 bildet keine Rechtsgrundlage für Maßnahmen der angefochtenen Art, die die Oberfinanzdirektion in ihrer Beschwerdeentscheidung richtig als "Ahndung" von Verstößen gegen berufsrechtliche Grundsätze bezeichnet. Bei dem Erlaß vom 28. Juli 1943 handelte es sich um eine Verwaltungsbestimmung, nicht um eine Rechtsvorschrift, die allein als ausreichende Grundlage angesehen werden könnte. Sonstige einschlägige vorkonstitutionelle Rechtsverordnungen oder eine nach dem Inkrafttreten des GG ergangene bundesgesetzliche Regelung, die nach geltendem Recht die Verfügungen der Finanzbehörden im Streitfall rechtfertigen könnten, bestehen gleichfalls nicht. Darüber, daß die Berufsaufsicht gegenüber Helfern in Steuersachen in den Ländern der früheren britischen Zone nur einen Teil der allgemeinen Steueraufsichtsbefugnisse der Finanzämter bildet, die der gesetzlichen Grundlage bedürfen, vgl. den erwähnten Beschluß II 31/53 U unter II 1, sowie Fließbach, Steuer und Wirtschaft 1958 Spalten 759 f. Die Zulässigkeit einer Warnung als Disziplinarmaßnahme ergibt sich auch nicht aus § 107 a Abs. 6 AO auf Grund des Schlusses "a majore ad minus". Die Warnung als Disziplinarmaßnahme ist gegenüber der Entziehung der Zulassung kein ministeriellen sondern ein aliud. Beim vorläufigen Tätigkeitsverbot im Verhältnis zur endgültigen Zurücknahme der Erlaubnis liegt es insofern anders. Die Oberfinanzdirektion kann sich daher für ihre Auffassung nicht auf das Urteil des erkennenden Senats II 8/53 U vom 7. April 1954, BStBl 1954 III S. 167, Slg. Bd. 58 S. 671, unter 3 berufen. Soweit im Schrifttum in der Frage der Zulässigkeit von Disziplinarmaßnahmen gegen Helfer in Steuersachen (in Ländern der früheren britischen Zone) eine abweichende Meinung vertreten wird, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Hinweis der Oberfinanzdirektion darauf, daß bei anderen Gruppen von freien Berufen Disziplinarmaßnahmen zulässig seien, geht deshalb fehl, weil in jenen Fällen eine gesetzliche Grundlage gegeben ist. Es trifft zu, daß nach § 63 des Entwurfs eines Steuerberatungsgesetzes (Bundestag, 3. Wahlperiode, Drucksache Nr. 128 vom 10. Januar 1958) für Steuerberater und Steuerbevollmächtigte vorgesehen ist, daß im ehrengerichtlichen Verfahren als Strafe u. a. eine "Warnung" ausgesprochen werden kann. Für die Entscheidung im Streitfall, die nach dem geltenden Recht zu treffen ist, kann das zu keinem anderen Ergebnis führen. Auch hat die Vorinstanz zutreffend darauf hingewiesen, daß auch der Gesichtspunkt eines angeblichen Standesgewohnheitsrechts nicht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage zu führen vermag; in dieser Hinsicht vgl. den erwähnten Beschluß II 31/53 U unter I 5 sowie den Beschluß II 126/53 S vom 18. November 1954, BStBl 1955 III S. 20 f., Slg. Bd. 60 S. 54. Die Vorinstanz hat danach mit Recht die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion und die Disziplinarentscheidung des Finanzamts aufgehoben.

Die Unzulässigkeit einer Disziplinarmaßnahme schließt allerdings Maßnahmen der Finanzämter (insbesondere Steueraufsichtsmaßnahmen), die im Rahmen des Gesetzes gegen einen Helfer in Steuersachen ergehen, nicht aus. Das Finanzamt kann z. B. einen Helfer in Steuersachen, der sich unsachlich und im Ton ungebührlich verhält, nach § 107 a Abs. 7 in Verbindung mit § 107 Abs. 2 u. 5 AO als Bevollmächtigten oder als Beistand zurückweisen. Es ist auch befugt, den Helfer in Steuersachen darauf hinzuweisen - ihm zu eröffnen -, daß ein bestimmtes Verhalten zu Beanstandung Anlaß gebe und bei weiteren ähnlichen Vorkommnissen gegebenenfalls die Entziehung der Zulassung als Helfer in Steuersachen (§ 107 a Abs. 6 AO) erwogen werden müsse. Allerdings darf ein solcher Hinweis mangels gesetzlicher Grundlage nach geltendem Recht nicht den Charakter einer Disziplinarmaßnahme tragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409795

BStBl III 1960, 432

BFHE 1961, 489

BFHE 71, 489

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