Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung; Übertragung fast aller Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts

 

Leitsatz (NV)

1. Es besteht kein öffentliches Interesse an einer Sicherheitsleistung, wenn mit Gewißheit oder großer Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache eine für den Steuerpflichtigen günstige Entscheidung zu erwarten ist.

2. Bei Übertragung von Anteilen an einer Grundbesitz haltenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts steht es der Annahme eines Gestaltungsmißbrauchs entgegen, wenn einer der Gründungsgesellschafter in der Gesellschaft verblieben ist.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 42, 361 Abs. 2 S. 3; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Am 24. Mai 1984 erwarb eine aus zwei Gesellschaftern - nämlich der A-GmbH und der B-GmbH & Co. - bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ein teilbebautes Grundstück. Dieser Gesellschaft traten in der Zeit vom 27. November bis zum 27. Dezember 1985 . . . weitere Personen bei oder verpflichteten sich zum Beitritt. Diese gingen insgesamt Einlageverpflichtungen von über . . DM ein. Die Gesellschaft - die Klägerin - führte fortan ihre nunmehrige Bezeichnung. Zunächst blieben beide Gründungsgesellschafter, sodann blieb nur noch die A-GmbH mit einer Beteiligung von . . . DM in der Gesellschaft. Diese Gesellschaft wurde auch zur Geschäftsführerin bestellt. In einer notariellen Verhandlung vom 28. Dezember 1985 wurde auf die Beitrittserklärungen Bezug genommen, und es wurde das Statut der Gesellschaft ,,festgestellt". Gleichzeitig wurde das Gesellschaftsgrundstück treuhänderisch auf die A-GmbH übertragen.

Durch Bescheid vom 4. Juli 1986 setzte das beklagte Finanzamt (FA) gegen die Klägerin ,,z. H. A-GmbH" als Empfänger Grunderwerbsteuer in Höhe von . . . DM fest. Als Gegenstand der Steuer bezeichnete es den am 28. Dezember 1985 abgeschlossenen Vertrag zwischen ,,Ihnen als Veräußerer und den . . . Zeichnern an Ihrer GbR als Erwerber" des Grundstückes. Die Steuerfestsetzung erging mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter der GbR. Das FA sah dabei die Vereinbarung vom 28. Dezember 1985 als Vertrag an, der auf den Erwerb des (in weiterem Umfang als bisher) bebauten Gesellschaftsgrundstücks gerichtet war. Es setzte daher als Gegenleistung den - um einige Posten verminderten - sog. Gesamtaufwand an. Auf den Einspruch der Klägerin hin setzte das FA die Steuer nach § 6 Abs. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 um 0,4936 v. H. herab. Hiergegen richtete sich die Klage, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat.

Die Klägerin beantragte die Aussetzung der Vollziehung des vollen Steuerbetrages. Das FA gab dem Antrag statt, jedoch gegen Sicherheitsleistung. Die dagegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

Mit der dagegen gerichteten Klage verfolgte die Klägerin sinngemäß das Ziel, die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Das FG hat dem Klageantrag stattgegeben und die Vollziehung ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt. Der Grunderwerbsteuerbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung seien mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig. Eine Steuerumgehung scheide mit einer für das Absehen von einer Sicherheitsleistung hinreichenden Wahrscheinlichkeit aus, wenn der verbleibende Gesellschafter gleichzeitig Geschäftsführer der Gesellschaft sei. Es könne daher offenbleiben, ob und in welchem Umfang der Steuerbescheid in bezug auf die Erfassung des zutreffenden Rechtsvorgangs ernstlichen Zweifeln begegne und ob er in bezug auf die Inanspruchnahme des Steuerschuldners als Veräußerer oder als Erwerber hinreichend bestimmt sei. Das FG hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 361 Abs. 2 Satz 3 der Abgabenordnung (AO 1977).

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt es im wesentlichen an: Ein Fall des § 42 AO 1977 könne auch dann vorliegen, wenn kein vollständiger Gesellschafteraustausch erfolge, der Kapitalanteil der verbleibenden Gesellschafter sich aber - insbesondere nach einem vorgefaßten Plan - im sachlichen Zusammenhang mit dem Eintritt der neuen Gesellschafter zur wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit verringere. Das FA bezieht sich dabei auf das Urteil des erkennenden Senats vom 13. April 1988 II R 134/86 (BFHE 153, 241, BStBl II 1988, 735). Dies treffe auf den Streitfall zu, wo dem verbleibenden Altgesellschafter lediglich ein Zwerganteil von ca. 0,49 v. H. des Gesamtkapitals verbleibe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß kein öffentliches Interesse an einer Sicherheitsleistung besteht, wenn mit Gewißheit oder großer Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache eine für den Steuerpflichtigen günstige Entscheidung zu erwarten ist (vgl. Senatsbeschluß vom 8. November 1989 II B 129/89, BFH/NV 1990, 671, m. w. N.).

Das FG hat auch zutreffend entschieden, daß der angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid mit großer Wahrscheinlichkeit in vollem Umfang rechtswidrig ist.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, daß die Übertragung sämtlicher Anteile an einer Grundbesitz haltenden GbR nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 i. V. m. § 42 AO 1977 der Grunderwerbsteuer unterliegen kann (vgl. die Senatsentscheidungen vom 4. März 1987 II R 150/83, BFHE 149, 45, BStBl II 1987, 394, und vom 7. Juni 1989 II B 111/88, BFHE 156, 527, BStBl II 1989, 803). Dabei ist davon auszugehen, daß grundsätzlich nur die Übertragung sämtlicher Mitgliedschaftsrechte an einer Personengesellschaft der Veräußerung der Gesellschaftsgrundstücke gleichstehen kann (vgl. Senatsbeschluß vom 29. Juli 1987 II B 57/87, BFHE 150, 366, BStBl II 1987, 722). Im Streitfall steht der Annahme eines Gestaltungsmißbrauchs daher allein schon der Umstand entgegen, daß einer der geschäftsführenden Gründungsgesellschafter in der Gesellschaft verblieben ist. Ein Anhaltspunkt dafür, daß es sich in bezug auf dessen weitere Beteiligung an der Gesellschaft um ein Scheingeschäft handelt, ist nicht ersichtlich. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob die Rechtsprechung auch auf die Auswechslung sämtlicher Gesellschafter an einer Personengesellschaft übertragbar ist, die im Zeitpunkt des Gesellschafterwechsels noch keine anderen Aktivitäten entwickelt hat, als die Vorbereitung der möglichen Bebauung des von der Gesellschaft gehaltenen Grundbesitzes, insbesondere, wenn noch keine diesbezüglichen Verpflichtungsverträge eingegangen wurden.

Die Einwendungen des beklagten FA sind demgegenüber nicht stichhaltig. Auf das mögliche Vorliegen eines ,,vorgefaßten Plans" im sachlichen Zusammenhang mit dem Eintritt der neuen Gesellschafter kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Dem Urteil des erkennenden Senats vom 13. April 1988 II R 134/86 (BFHE 153, 241, BStBl Ii 1988, 735), auf das sich das FA insoweit beruft, läßt sich für die entscheidungserhebliche Problematik (Vorliegen eines Gestaltungsmißbrauchs) nichts entnehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417938

BFH/NV 1992, 409

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