Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Eine "Entnahme" im Sinne des § 6 Abs. 1 Ziff. 4 EStG liegt in der Regel nicht vor, wenn ein Unternehmer Gegenstände des Betriebsvermögens von einem seiner Betriebe in einen anderen überführt.

Zur Abgrenzung des Betriebsvermögens bei einem neu zu eröffnenden Betrieb.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, §§ 5, 6 Abs. 1 Ziff. 4, § 6/1/5, § 10a

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Entnahmen im Jahre 1955 im Zusammenhang mit der Nachversteuerung der in den Vorjahren begünstigten nicht entnommenen Gewinne.

Die Bfin. ist die Witwe des Kaufmanns X. (abgekürzt: Ehemann), der früher ein Einzelunternehmen in Y. betrieben hatte. Zum 1. September 1955 hatte er dieses Unternehmen in eine neu gegründete KG eingebracht, an der er selbst als Komplementär und seine Kinder A. und B. als Kommanditisten beteiligt waren. Am 28. Dezember 1955 starb er; an seiner Stelle wurde seine Ehefrau - die Bfin. - Komplementärin. Vor Gründung der KG hatte der Ehemann ein Grundstück in Z. gekauft, um dort einen zweiten branchegleichen Betrieb zu eröffnen, der aber aus Wettbewerbsgründen unter einer anderen Firma geführt werden und später auf die Tochter übergehen sollte. Für den neuen Betrieb standen schon Maschinen bereit; ebenso schwebten Verhandlungen wegen Einstellung von Arbeitskräften. Auf den Kaufpreis für das Grundstück von 62 000 DM zahlte der Ehemann 26 687 DM aus Betriebsmitteln der Einzelfirma. Er aktivierte diesen Betrag zunächst auf einem Grundstückskonto; in die Schlußbilanz (Umwandlungsbilanz) zum 31. August 1955 nahm er aber das Grundstück nicht auf, sondern buchte den Betrag von 26 687 DM zu Lasten seines Kapitalkontos aus. Vom 1. September bis zum 31. Dezember 1955 wurden von der inzwischen gegründeten KG weitere 20 077 DM aus deren Betriebsmitteln auf den Kaufpreis des Grundstücks gezahlt, die ebenfalls zunächst auf einem Grundstückskonto aktiviert, zum 31. Dezember 1955 aber zu Lasten des Kapitalkontos des Ehemanns bzw. der Bfin. ausgebucht wurden. In seinem Testament vom 15. November 1955 hatte der Erblasser unter anderem verfügt, daß hinsichtlich des Grundbesitzes in Z. seine Ehefrau alleinige befreite Vorerbin und seine Tochter Nacherbin sein solle. Im Gesellschaftsvertrag vom 15. November 1955 war bestimmt, daß der Grundbesitz in Y. in die KG eingebracht werde, während das Grundstück in Z. nicht erwähnt wurde.

Das Finanzamt nahm an, der über das Kapitalkonto des Ehemanns in der Bilanz vom 31. August 1955 abgebuchte Betrag von 26 687 DM sei eine zusätzliche Entnahme. Die Bfin. bestritt das; das Grundstück in Z. sei notwendiges Betriebsvermögen gewesen; hilfsweise beantragte sie, einer Bilanzänderung zuzustimmen. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte im wesentlichen aus: Der Ehemann habe das Grundstück in Z. nicht als Betriebsvermögen der Einzelfirma behandelt. Er habe vielleicht zunächst die Absicht gehabt, das Grundstück in das Betriebsvermögen der alten Firma zu übernehmen; er habe aber diese Absicht dann nicht ausgeführt. Notwendiges Betriebsvermögen des alten Unternehmens sei das Grundstück nicht geworden; denn es sei nicht dazu bestimmt gewesen, diesem Betrieb zu dienen. Es sei aber auch nicht, wie die Bfin. annehme, notwendiges Betriebsvermögen des geplanten neuen Betriebs geworden; denn dieser Betrieb sei nicht eröffnet worden. Allein die Absicht, den Betrieb zu eröffnen, reiche nicht aus, um das Grundstück zum notwendigen Betriebsvermögen zu machen. Das Grundstück habe auch nicht zum gewillkürten Betriebsvermögen gehört. Die gesonderte Behandlung des Grundstücks in Z. im Testament und die Nichterwähnung des Grundstücks im Gesellschaftsvertrag sprächen dafür, daß der Ehemann das Grundstück als Privatvermögen habe behandeln wollen. Nach der Buchführung habe der Ehemann das Grundstück seinem Privatvermögen zurechnen wollen. Im Urteil des Bundesfinanzhofs I 115/51 U vom 12. Dezember 1951 (BStBl 1952 III S. 79, Slg. Bd. 56 S. 197) sei zwar ausgesprochen, daß die überführung von Gütern von einer Betriebstätte eines Unternehmens in eine andere selbständig bilanzierende Betriebstätte keine Entnahme und Einlage im Sinne des § 10 Abs. 1 Ziff. 3 EStG 1949 sei. Vorausgesetzt sei dabei aber, daß der Gewinn in beiden Betrieben auf Grund einer ordnungsmäßigen Buchführung ermittelt werde. Der Ehemann habe keine Eröffnungsbilanz für das Unternehmen in Z. aufgestellt und habe dadurch kundgetan, daß das Grundstück in Z. bis zur Eröffnung des neuen Betriebs sein Privatvermögen sein solle. Weil das Grundstück kein Gegenstand des Betriebsvermögens sei, komme eine Bilanzänderung nicht in Betracht. Die Bfin. wolle in Wirklichkeit einen Betriebsvorgang, nämlich die Entnahme von Geldmitteln aus dem Betrieb, nachträglich rückgängig machen. Eine solche Rückwirkung sei ausgeschlossen, weil sich die Maßnahme bereits steuerlich ausgewirkt habe (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 38/53 U vom 5. November 1953, BStBl 1954 III S. 4, Slg. Bd. 58 S. 231).

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.

Das Finanzgericht hat angenommen, der verstorbene Ehemann der Bfin. habe das Grundstück für einen neu zu errichtenden Betrieb erworben, der mit dem bisherigen Betrieb zwar branchengleich war, aber aus besonderen Gründen unter einer anderen Firma geführt werden sollte. Das Grundstück war, wie das Finanzgericht ferner festgestellt hat, seiner Anlage nach für den Betrieb geeignet und bestimmt; der Ehemann hatte auch durch Anschaffung von Maschinen und Anwerbung von Arbeitskräften schon ernsthafte Vorbereitungen zur Eröffnung des neuen Betriebs getroffen. Die Verwirklichung seiner Pläne war offenbar nur an seinem schnellen Tod gescheitert. Die Ausführungen, mit denen das Finanzgericht trotz dieser Feststellungen begründet, daß der Ehemann bzw. seine Ehefrau als Rechtsnachfolgerin eine Entnahme gemacht hätten, sind nicht schlüssig. Eine Entnahme im Sinne des § 6 Abs. 1 Ziff. 4 EStG setzt voraus, daß ein Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen des Unternehmers überführt wird; die Entnahme führt zu einer Gewinnverwirklichung, bei der etwaige stille Reserven, die in dem Wirtschaftsgut liegen, innerhalb des Betriebs erfaßt werden. Wird das Wirtschaftsgut nicht in das Privatvermögen des Unternehmers überführt, sondern in das Vermögen eines anderen Betriebs desselben Unternehmers eingebracht, so liegt keine Entnahme vor, weil das Wirtschaftsgut den betrieblichen Bereich nicht verlassen hat. Haben beide Betriebe eine getrennte Buchführung, so wird der Vorgang zwar gewöhnlich buchmäßig so dargestellt, daß bei dem einen Betrieb eine "Entnahme" und bei dem anderen eine "Einlage" erscheint. Rechtlich und wirtschaftlich liegen aber Entnahmen und Einlagen nicht vor. Davon ist, wie das Finanzgericht zutreffend bemerkt, auch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 115/51 U a. a. O. ausgegangen.

Das Finanzgericht meint, der Ehemann habe das Grundstück in Z. privat erwerben können und habe durch die buchmäßige Behandlung und im Testament tatsächlich auch den Willen bekundet, das Grundstück als Privatvermögen zu behandeln. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Erwerb des Grundstücks etwa ein notwendiger Betriebsvorgang war. In der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 255/53 U vom 28. Januar 1954 (BStBl 1954 III S. 109, Slg. Bd. 58 S. 516) ist ausgesprochen, daß schon vorbereitende Handlungen zu einer Betriebserrichtung Betriebsvorgänge sind. Ob daraus auch gefolgert werden kann oder muß, daß Gegenstände, die im Zuge der Vorbereitung eines neuen Betriebs erworben werden und diesem zu dienen bestimmt sind, unabdingbar notwendiges Betriebsvermögen sind, kann dahingestellt bleiben; denn jedenfalls kann der Unternehmer solche Gegenstände dann als Betriebsvermögen behandeln, wenn der objektive Zusammenhang mit dem ernsthaft geplanten neuen Betrieb eindeutig ist, der Unternehmer seinen Willen klar bekundet hat und alle steuerrechtlichen Folgen aus seiner Entscheidung zu übernehmen bereit ist. Es gelten ähnliche Grundsätze, wie sie in den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs VI 10/60 S vom 15. Juli 1960 und I 185/59 S vom 19. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 484 und 485), betreffend das gewillkürte Betriebsvermögen bei Angehörigen der freien Berufe, entwickelt sind.

Im Streitfall kämpft die Bfin. dafür, daß ihr verstorbener Ehemann das Grundstück im Rahmen des geplanten neuen Betriebes erworben habe; die objektiven Zusammenhänge sprechen auch für diese Auffassung. Die Handlungen des verstorbenen Ehemanns lassen nicht, wie das Finanzgericht meint, seinen Willen erkennen, das Grundstück als Privatvermögen zu behandeln. Wenn der Ehemann nicht sofort eine Eröffnungsbilanz für den neuen Betrieb aufstellte, so kann das nicht ausschlaggebend sein; denn das geschieht üblicherweise erst bei der tatsächlichen Aufnahme eines Betriebs. Wenn der gezahlte Kaufpreis im alten Betrieb als "Entnahme" verbucht wurde, so ist das, wie schon gesagt, eine buchtechnische Maßnahme, die auf den Willen des Ehemannes keinen Schluß zuläßt. Wenn ferner im Gesellschaftsvertrag das Grundstück in Z. nicht erwähnt wurde, so erklärt sich das zwanglos daraus, daß der geplante Betrieb in Z. unter einer anderen Firma eröffnet werden und neben der KG bestehen sollte. Wenn schließlich der Erblasser im Testament gesondert über das Grundstück in Z. verfügte, so besagt das für die Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen oder zum Privatvermögen nichts.

Der Senat hat keine Bedenken, der Auffassung der Bfin. darin zu folgen, daß der Erblasser und die Bfin. das Geld für die Bezahlung des Kaufpreises nicht im Sinne des § 6 Abs. 1 Ziff. 4 EStG aus dem alten Betrieb entnommen haben und daß der Erwerb des Grundstücks in Z. als ein betrieblicher Vorgang behandelt werden kann. Es wird aber nochmals darauf hingewiesen, daß die Beteiligten auch alle Folgerungen aus dieser Auffassung, für die sie kämpfen, ziehen müssen, vor allem die, daß das Grundstück in Z. mit dem Erwerb Betriebsvermögen geworden ist und solange bleibt, bis es "entnommen" oder der Plan zur Eröffnung des Betriebs endgültig "aufgegeben" wird; bei der "Entnahme" oder "Aufgabe" muß dann das Grundstück mit dem Wert, den es zu dieser Zeit hat, angesetzt werden (ß 6 Abs. 1 Ziff. 4, § 16 Abs. 3 EStG).

Das Finanzgericht hat demnach zu Unrecht den Betrag von 26 687 DM für das Streitjahr 1955 als Entnahme behandelt. Die angefochtene Entscheidung und die Einspruchsentscheidung des Finanzamts werden wegen unrichtiger Anwendung von § 6 Abs. 1 Ziff. 4, § 10a EStG 1955 aufgehoben. Die Sache wird zu anderweitiger Berechnung der Einkommensteuer an das Finanzamt zurückverwiesen.

 

Fundstellen

BStBl III 1960, 489

BFHE 1961, 643

BFHE 71, 643

BB 1960, 1375

DB 1960, 1441

StRK, EStG:6/1/4 R 17

BFH-N, (K) Nr. 1051

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