Entscheidungsstichwort (Thema)

Mündliche Steuerberaterprüfung

 

Leitsatz (NV)

1. In der mündlichen Steuerberaterprüfung müssen an den Bewerber nicht Fragen aus sämtlichen der in § 37a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebiete gestellt werden.

2. Zum Schutz des Vertrauens in den Bestand der Rechtsprechung.

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1; StBerG § 37a Abs. 1, 3; DVStB § 10 Abs. 3, § 12 a.F., § 26 Abs. 3, 7

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat die Steuerberaterprüfung (2. Wiederholung) nicht bestanden, weil die durch zwei geteilte Summe der Gesamtnoten seiner schriftlichen und mündlichen Prüfung die Zahl 4,15 überstieg. Gegen die ihm mündlich bekanntgegebene Prüfungsentscheidung wandte sich der Kläger mit der Klage, in der er rügte, an ihn seien in der mündlichen Prüfung entgegen der Regelung in § 37a Abs. 3 Nrn. 7 und 8 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) keine Fragen aus den Prüfungsgebieten Volkswirtschaft und Berufsrecht gestellt worden. Er begehrte, die Beklagte und Revisionsklägerin (Beklagte), unter Aufhebung der Prüfungsentscheidung zu verpflichten, ihm die Wiederholung des mündlichen Teils der Prüfung zu gestatten.

Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage für begründet. Nach der vom FG geteilten Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müßten berufsbezogene Prüfungsverfahren so gestaltet sein, daß das Grundrecht der Berufsfreiheit effektiv geschützt werde (BVerfG-Beschluß vom 17. April 1991 1 BvR 419/81 und 213/83, BVerfGE 84, 34). Die Beklagte müsse daher gewährleisten, daß die bei ihr gebildeten Prüfungsausschüsse die Prüfung in einer Weise durchführten, daß ein Bewerber dartun könne, er sei in der Lage, den Beruf des Steuerberaters ordnungsgemäß auszuüben. Dazu gehöre, daß der Bewerber Gelegenheit erhalte, Fragen aus sämtlichen in § 37a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebieten zu beantworten. Ein Aussparen einzelner Prüfungsgebiete lasse die Prüfung nicht mehr als ordnungsgemäß erscheinen. Die Beklagte habe das FG mangels substantiierten Gegenvortrags und des Nichtvorhandenseins eines insoweit aussagekräftigen Prüfungsprotokolls nicht davon überzeugen können, daß der gesetzliche Inhalt der Steuerberaterprüfung im Falle des Klägers beachtet worden sei.

Mit ihrer Revision macht die Beklagte u.a. geltend, die Vorentscheidung weiche von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab und die tragenden Gründe dieser Entscheidung beruhten auf dieser Abweichung. In der Vorentscheidung werde ausgeführt, daß der Bewerber Gelegenheit erhalten müsse, Fragen aus sämtlichen Prüfungsgebieten, die in § 37a Abs. 3 StBerG im einzelnen aufgeführt seien, zu beantworten. Ein Aussparen einzelner Prüfungsgebiete lasse die Prüfung nicht mehr als ordnungsgemäß erscheinen. Demgegenüber habe der BFH in seinem Urteil vom 17. Juli 1984 VII R 38/84 (BFHE 141, 203, BStBl II 1984, 676) ausgeführt, daß an den Bewerber in der mündlichen Prüfung zwar Fragen aus sämtlichen Prüfungsgebieten zu stellen seien, es aber im Ermessen des Prüfers bzw. des Prüfungsausschusses stehe, die im Einzelfall zu stellenden Fragen auszuwählen und ihre Anzahl zu bestimmen; es könne genügen, wenn nur eine Frage aus einem Prüfungsgebiet gestellt werde, wenn diese nicht ersichtlich nur gestellt worden sei, um der Form Genüge zu tun. Die Beklagte schließt aus diesen Ausführungen des BFH, daß es genüge, wenn in der mündlichen Prüfung an den Bewerber - neben Fragen aus den steuerrechtlichen Gebieten - nur Fragen aus einem der übrigen Gebiete gestellt würden. Aus der Begründung des Entwurfs zu § 37a StBerG ergebe sich, daß mit der Gesetzesänderung insoweit keine inhaltliche Änderung der Prüfung beabsichtigt gewesen sei. Schließlich weiche die Vorentscheidung auch von dem Senatsurteil vom 24. Juli 1973 VII R 88/72 (BFHE 110, 222, BStBl II 1973, 804) insoweit ab, als das FG im Gegensatz dazu eine Niederschrift über die mündliche Prüfung für das Prüfungsprotokoll verlange.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung.

1. Wie der Senat bereits durch Urteil vom 14. Dezember 1993 VII R 46/93 (BFHE 173, 378, BStBl II 1994, 333) entschieden hat, ist es rechtlich nicht erforderlich, daß in der mündlichen Steuerberaterprüfung an jeden der Teilnehmer zumindest eine Frage aus jedem der in § 37a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebiete gestellt wird.

a) Zwar hat der Senat aufgrund der Rechtslage vor Einfügung des § 37a Abs. 3 StBerG durch das 5. Gesetz zur Änderung des StBerG und Streichung des § 12 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (DVStB) durch die Verordnung zur Änderung der DVStB vom 19. August 1991 (BGBl I, 1797) entschieden, § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB sei dahin auszulegen, daß in der mündlichen Steuerberaterprüfung an jeden Prüfling mindestens jeweils eine Frage aus den damals in § 12 DVStB genannten Prüfungsgebieten gestellt werden müsse (Senatsurteile vom 1. Februar 1983 VII R 133/82, BFHE 137, 536, BStBl II 1983, 344, und in BFHE 141, 203, BStBl II 1984, 676 m.w.N.; grundlegend Senatsurteil vom 22. Juni 1976 VII R 110/75, BFHE 119, 364, BStBl II 1976, 735 zu der insoweit gleichlautenden Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes vom 1. August 1962, BGBl I, 537). Mit dieser Rechtsprechung stehen die Ausführungen des FG entgegen der Auffassung der Beklagten zwar in Einklang. Aufgrund der Einführung des § 37a in das StBerG und insbesondere aufgrund der Neugliederung der Prüfungsgebiete durch § 37a Abs. 3 StBerG hält es der Senat aber nicht mehr für gerechtfertigt, § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB weiterhin in diesem Sinne auszulegen.

b) Mag eine Auslegung der vorgenannten, jetzt geltenden Vorschriften über die mündliche Steuerberaterprüfung entsprechend der Rechtsprechung des Senats zur früheren Rechtslage auch im Rahmen des möglichen Wortsinns (BFHE 119, 364, 366) dieser Bestimmungen liegen, so zwingt jedenfalls deren Wortlaut, nach dem in den Prüfungsabschnitten an den Bewerber Fragen aus den Prüfungsgebieten zu stellen sind, nicht zu einer solchen Auslegung. Dieser gestattet vielmehr auch die Auslegung, daß nur Fragen gestellt werden dürfen, die die in § 37a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebiete betreffen, daß aber die Auswahl der Prüfungsgebiete, aus denen Fragen gestellt werden, der fachlichen Verantwortung des Prüfungsausschusses überlassen bleibt.

Diese Auslegung ist unter Berücksichtigung der gegenüber § 12 DVStB a.F. weiteren Untergliederung der Prüfungsgebiete durch § 37a Abs. 3 StBerG der Entscheidung im Streitfall deshalb zugrunde zu legen, weil nur sie dem mit der Gesetzesänderung erkennbar angestrebten Ziel und damit dem Normzweck entspricht, der sich vor allem aus dem nunmehr für die mündliche Steuerberaterprüfung maßgebenden Normzusammenhang ergibt.

Gegenüber den ursprünglichen in § 12 DVStB genannten drei Prüfungsgebieten (Steuerrecht I, Steuerrecht II und Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Wirtschaftsrecht, Berufsrecht) mit einer Vielzahl von möglichen Prüfungsthemen sind durch § 37a Abs. 3 StBerG die Prüfungsgebiete neu gegliedert und zu acht Prüfungsgebieten zusammengefaßt worden. Die Zuordnung einzelner Prüfungsthemen zu den neu gegliederten Prüfungsgebieten hielt der Verordnungsgeber nach der Begründung zu Nrn. 9 bis 11 des Entwurfs der Änderungsverordnung nicht für erforderlich (vgl. BRDrucks 341/91, S. 24). Nach der Begründung des Gesetzentwurfs war die Änderung deswegen erforderlich, weil im Zusammenhang mit der Eignungsprüfung gemäß § 37b Abs. 2 StBerG der Nachweis von Vorkenntnissen auf einzelnen Prüfungsgebieten erleichtert werden mußte (vgl. auch § 26 Abs. 4 und 5 DVStB). Es ist - auch unter Berücksichtigung der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks 11/7665, S. 9, BRDrucks 324/90, S. 18) und des Entwurfs der Änderungsverordnung (BRDrucks 341/91) - nicht erkennbar, daß mit der aufgezeigten Rechtsänderung eine Ausdehnung des Umfangs der mündlichen Steuerberaterprüfung angestrebt worden ist.

Dies würde aber eintreten, wenn der § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB weiterhin wie bisher ausgelegt würde. Dann nämlich wäre der Prüfungsausschuß verpflichtet, im Rahmen der mündlichen Prüfung sämtliche der in § 37a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebiete abzudecken und dementsprechend aus jedem der Prüfungsgebiete Fragen zu stellen. Die danach zwingend zu behandelnden Prüfungsthemen würden von drei auf acht erweitert. Das würde zu einer über das bisherige Maß hinausgehenden Festlegung des Prüfungsstoffs für die mündliche Steuerberaterprüfung führen. Eine derarrige Ausweitung unter Beibehaltung der Prüfungszeit (§ 26 Abs. 7 DVStB) würde auch dem vorrangigen Zweck der Prüfung als einer Verständnisprüfung (BFHE 119, 364, 367) zuwiderlaufen. Denn sie birgt zumindest die Gefahr in sich, daß die mündliche Steuerberaterprüfung mehr darauf ausgerichtet wird, der Pflicht zur Behandlung aller Prüfungsgebiete i.S. des § 37a StBerG zu genügen, und weniger darauf, eine vertiefte Erörterung der gestellten Fragen und damit eine Überprüfung des Verständnisses für ein geprüftes Gebiet vorzunehmen. Das wiederum stünde auch nicht im Einklang mit dem in § 37a Abs. 1 StBerG bestimmten Ziel der Steuerberaterprüfung, dem Bewerber Gelegenheit zu geben, darzutun, daß er in der Lage ist, den Beruf eines Steuerberaters ordnungsgemäß auszuüben.

Dieser Prüfungszweck erfordert es zwar, einerseits dem Prüfungsausschuß zu ermöglichen, sich ein umfassendes Bild vom Wissen des Bewerbers auf den Gebieten zu verschaffen, mit denen er es in seinem angestrebten Beruf als Steuerberater zu tun haben wird, und andererseits dem Bewerber zu ermöglichen, das auf den Prüfungsgbieten erworbene Wissen auch zu zeigen (BFHE 119, 364, 366). Die dazu notwendige fachliche Breite der Prüfungsthemen wird aber schon durch die vorgeschriebene Zahl von sechs Prüfungsabschnitten (§ 26 Abs. 3 Satz 1 DVStB) und durch eine entsprechende Zahl von Prüfern, die aus unterschiedlichen Berufssparten kommen (§ 10 Abs. 3 DVStB), gewährleistet. Es kann danach der fachlichen Verantwortung des Prüfungsausschusses überlassen bleiben, die Prüfungsfragen aus den in § 37a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebieten so auszuwählen, daß der zuvor beschriebene Zweck der Steuerberaterprüfung erfüllt wird. Ein Anspruch des Bewerbers darauf, in bestimmten der in § 37a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebiete auch tatsächlich geprüft zu werden, kann demgegenüber den nunmehr geltenden Vorschriften über die mündliche Steuerberaterprüfung nicht entnommen werden. Diese sprechen vielmehr dafür, daß von dem Bewerber erwartet wird, sich auf alle Prüfungsgebiete so vorzubereiten, daß er in der mündlichen Prüfung den an ihn gestellten Anforderungen des Prüfungsausschusses auf den geprüften Gebieten gerecht wird.

Eine nach diesen Grundsätzen durchgeführte Prüfung wird auch den Anforderungen gerecht, die Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes an Eingriffe in die Freiheit der Berufswahl stellt. Sie gewährleistet, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, insbesondere, daß der Bewerber Gelegenheit hat, durch die Prüfung seine Fähigkeit zur fachkundigen Ausübung des Steuerberaterberufs darzutun. Der insoweit vom FG unter Berufung auf die Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 84, 34) vertretenen abweichenden Auffassung ist deshalb nicht zu folgen. Im übrigen befaßt sich das BVerfG in der genannten Entscheidung auch nicht mit den Prüfungsinhalten, sondern mit der Bewertung der Prüfung und den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten für den Prüfling dagegen vorzugehen. Aus dieser Entscheidung jedenfalls läßt sich nichts entnehmen, was die Auffassung des FG stützen könnte.

2. Der Kläger könnte sich im vorliegenden Fall auch nicht auf Vertrauensschutz hinsichtlich des Bestands der bisherigen Rechtsprechung des Senats zu § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB berufen. Zwar ist die Stetigkeit der Rechtsprechung des BFH ein wesentliches Element der Rechtssicherheit (vgl. BFH-Beschluß vom 5. Juli 1990 GrS 2/89, BFHE 161, 332, 350 m.w.N.). Aus diesem Gesichtspunkt folgt aber kein Vertrauensschutz in der Weise, daß eine für nicht mehr vertretbar gehaltene Rechtsprechung nicht geändert werden könnte (vgl. BFHE 161, 332, 350; Senatsurteil vom 21. November 1989 VII R 59/87, BFH/NV 1990, 602, 604). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Entscheidung im Streitfall, nachdem die Rechtslage für die mündliche Steuerberaterprüfung aufgrund Gesetzesänderung nicht mehr der entspricht, die den bisherigen Entscheidungen des Senats zugrunde lag, überhaupt auf einer Rechtsprechungsänderung beruht.

3. Die Vorentscheidung entspricht nicht der vorstehend wiedergegebenen Rechtsauffassung und kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist auch spruchreif. Die Klage war unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 910

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