Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrten eines Rechtspraktikanten zu seiner Ausbildungsstation und zur Arbeitsgemeinschaft

 

Leitsatz (NV)

Einem Rechtspraktikanten der einstufigen Juristenausbildung, der die Fahrten zwischen seiner Wohnung und einer Station der praktischen Ausbildung mit dem eigenen Kraftfahrzeug durchführt, steht lediglich die km-Pauschale des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG zu (Anschluß an BFHE 139, 190, BStBl II 1983, 718).

Fahrten zwischen der Wohnung des Rechtspraktikanten und dem Ort der Arbeitsgemeinschaft sind Dienstreisen, wenn dieser vom Ort der Ausbildungsstation mindestens 15 km entfernt ist (Anschluß an BFHE 139, 195, BStBl II 1983, 720).

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) befand sich im Streitjahr in der einstufigen Juristenausbildung. Mit Verfügung vom 25. September 1981 wurde er zur Ausbildung bei einer Behörde der allgemeinen Verwaltung bis zum 15. April 1982 der Bezirksregierung A zugewiesen. Diese teilte den Kläger dem Landkreis B mit Dienstort B zu. Ferner hatte der Kläger ab Mitte Dezember 1981 wöchentlich einmal an der Arbeitsgemeinschaft in A teilzunehmen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte im Einkommensteuerbescheid für 1981 für die Fahrten vom Wohnort des Klägers C nach B und A nur den Pauschbetrag nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an. Ferner berücksichtigte er den Verpflegungsmehraufwand, den der Kläger - wegen mehr als siebenstündiger Abwesenheit von der Wohnung - an 62 Tagen mit 15,50 DM pro Tag geltend gemacht hatte, mit 3 DM pro Tag.

Gegen den Einkommensteuerbescheid erhob der Kläger nach erfolglosem Vorverfahren Klage, mit der er die Berücksichtigung der Fahrten von C nach B und A mit 0,36 DM pro gefahrenem Kilometer und von Mehrverpflegungskosten von täglich 15,50 DM begehrte. Zur Begründung der Klage trug er vor, die Kreisverwaltung in B sei nicht seine regelmäßige Arbeitsstätte gewesen, da die Zuweisung nur vorübergehend erfolgt und der Zeitraum von vornherein als Ausbildungsabschnitt begrenzt gewesen sei. Regelmäßige Arbeitsstätte sei die Universität C geblieben.

Die Klage hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß die Fahrten des Klägers nach B und A als Fahrten zu ständig wechselnden Arbeitsstellen anzusehen seien, weil es ihm nicht möglich gewesen sei, durch Verlegung seiner Wohnung die Höhe der Fahrtkosten zu mindern.

Für einen Rechtspraktikanten sei es typisch, daß er mehrere Male im Jahr verschiedenen Ausbildungsstationen an verschiedenen Orten zugewiesen werde und zwischendurch zum Studium an die Hochschule zurückkehre. Die Verhältnisse lägen insoweit bei Rechtspraktikanten ebenso wie bei Rechtsreferendaren. Mithin sei dem Kläger für seine Fahrten nach A und B der Pauschsatz nach Abschn. 25 Abs. 8 Satz 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) von 0,72 DM je Entfernungskilometer zuzuerkennen. Der Pauschsatz für Verpflegungsmehraufwendungen stehe ihm jedoch nicht zu, weil die Fahrten keine Dienstreisen, sondern nur Fahrten zu ständig wechselnden Einsatzstellen seien. Denn der Kläger habe während seiner Ausbildung in B seine regelmäßige Arbeitsstätte in C nicht beibehalten. Das gelte unbeschadet der Tatsache, daß er während des Praktikums an der Universität weiter immatrikuliert gewesen sei und - wie er vortrage - die Universitätsbibliothek benutzt habe.

Mit der Revision wird die Verletzung des § 9 EStG gerügt. Das FA meint, die Vorentscheidung berufe sich zu Unrecht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Juli 1980 VI R 198/77 (BFHE 131, 64, BStBl II 1980, 654). Denn nach dieser Entscheidung komme es für das Vorliegen einer ständig wechselnden Einsatzstelle darauf an, ob der Wechsel für den vom Arbeitnehmer ausgeübten Beruf typisch sei. Das sei dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer damit rechnen müsse, im nächsten Jahr wieder aus im betrieblichen Interesse liegenden Gründen an einer oder mehreren anderen Einsatzstellen tätig zu sein. Es müsse für den Arbeitnehmer also ein gewisses Unsicherheitselement im Hinblick auf den Ort seiner Tätigkeit und die Häufigkeit sowie den Zeitpunkt des Wechsels gegeben sein. Gerade daran fehle es bei der einstufigen Juristenausbildung in Niedersachsen. Aufgrund des vorgegebenen Ausbildungsplans wisse der Rechtspraktikant nämlich, zu welchen Zeitpunkten ein Wechsel seiner Arbeitsstätte erfolge und wie oft er wechseln müsse. Auch könne er unter Umständen auf die Wahl des Ortes Einfluß nehmen; denn meist unterbreiteten die Rechtspraktikanten dem zuständigen Präsidenten des Oberlandesgerichts ihre Wünsche, denen im Rahmen der organisatorischen Möglichkeiten Rechnung getragen werde . . .

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er vertritt aus den Gründen der Vorentscheidung die Auffassung, daß es sich bei den Ausbildungsstationen in B und A um ständig wechselnde Einsatzstellen handele. Hilfsweise macht er für den Fall, daß die Dienststelle in B als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen sein sollte, geltend, daß dann die Fahrten von C zur Arbeitsgemeinschaft nach A am . . . Dezember und . . . Dezember 1981 als Dienstreisen angesehen werden müßten mit der Folge, daß für die Fahrtkosten 0,36 DM pro gefahrenem Kilometer und für den Verpflegungsmehraufwand 15,50 DM pro Tag anzusetzen seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist teilweise begründet.

1. Zu Recht ist zunächst das FG stillschweigend davon ausgegangen, daß es sich bei den Anwärterbezügen, die der Kläger als Rechtspraktikant im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung erhalten hat, um steuerpflichtigen Arbeitslohn i. S. des § 19 EStG handelt mit der Folge, daß hierdurch veranlaßte Aufwendungen als Werbungskosten abziehbar sind. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats im Urteil vom 19. April 1985 VI R 131/81 (BFHE 143, 572, BStBl II 1985, 465, betreffend Anwärterbezüge eines Studenten der einstufigen Juristenausbildung während der Studienabschnitte) und auf das BFH-Urteil vom 24. September 1985 IX R 96/82 (BFHE 144, 442, BStBl II 1986, 184) verwiesen.

2. Zu Unrecht hat das FG aber angenommen, daß die Fahrten des Klägers zwischen seiner Wohnung und seiner Ausbildungsstelle in B Fahrten zu ständig wechselnden Einsatzstellen seien. Wie der Senat in seinem nach Ergehen der Vorentscheidung veröffentlichten Urteil vom 12. August 1983 VI R 155/80 (BFHE 139, 190, BStBl II 1983, 718) entschieden hat, sind die Fahrten eines Rechts-(Gerichts-)Referendars zwischen seiner Wohnung und der jeweiligen Ausbildungsstation Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und nicht Fahrten zu ständig wechselnden Einsatzstellen. Der Senat ließ in dieser Entscheidung offen, ob die Kritik an der Begünstigung von Arbeitnehmern mit ständig wechselnden Einsatzstellen durch die Rechtsprechung grundsätzlich berechtigt sei, da es sich bei den einzelnen Ausbildungsstationen von Rechtsreferendaren jedenfalls nicht um wechselnde Einsatzstellen im Sinne dieser Rechtsprechung handele. Denn diese sei entwickelt worden für Arbeitnehmer, bei denen der Einsatz auf den wechselnden Einsatzstellen berufstypisch sei; damit seien Arbeitnehmer gemeint, die im Grundsatz ständig keine feste (regelmäßige) Arbeitsstätte innehätten. Nicht gedacht sei dabei an Arbeitnehmer, die sich erst in einem Durchgangsstadium zu ihrem eigentlichen Beruf befänden. In derartigen Fällen sei die jeweilige Einsatzstelle als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen, da sie der Mittelpunkt der auf - wenn auch begrenzte - Dauer abgestellten Tätigkeit des auszubildenden Arbeitnehmers sei. Zu berücksichtigen sei auch, daß sich der Auszubildende in der Regel besser auf den Wechsel der Ausbildungsstätten einstellen könne als ein Arbeitnehmer, bei dem der Wechsel berufstypisch sei; denn die wechselnden Tätigkeitsstätten des in Ausbildung befindlichen Arbeitnehmers lägen regelmäßig von vornherein planmäßig fest. Schließlich komme hinzu, daß der BFH die Rechtsprechung zu dem erhöhten Werbungskostenabzug bei Fahrten zu ständig wechselnden Einsatzstellen damit begründet habe, daß die Arbeitnehmer ,,im ausschließlichen Interesse des Betriebs" ihre Tätigkeit wiederholt wechseln müßten. Dieser Gesichtspunkt komme indessen bei Arbeitnehmern in Ausbildung meist gerade nicht zum Tragen, da der Wechsel der Tätigkeitsstätte nicht im Interesse des Dienstherrn, sondern in ihrem eigenen Interesse, im Rahmen der Ausbildung möglichst viele verschiedene Tätigkeitsstätten kennenzulernen, liege.

An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.

Bei einem Rechtspraktikanten der einstufigen Juristenausbildung sind die Verhältnisse aber insoweit nicht anders als bei einem Rechts-(Gerichts-)Referendar. Die vorerwähnten Gesichtspunkte führen deshalb auch hier dazu, keine wechselnden Einsatzstellen, sondern Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anzunehmen. Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigt insbesondere nicht der Umstand, daß er - anders als ein Referendar - an der Universität immatrikuliert blieb und nach der praktischen Ausbildung dorthin zurückkehrte, eine andere rechtliche Beurteilung. Denn für die hier zu entscheidende Frage ist es gleichgültig, ob der Wechsel zwischen praktischen oder zwischen praktischen und theoretischen (Universität) Ausbildungsstätten erfolgt. In beiden Fällen handelt es sich jeweils um einen Wechsel im Rahmen desselben - vorübergehenden - öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses. Ebensowenig wie bei einem Referendar vollzieht sich der Wechsel der Ausbildungsstätte auch hier im Interesse des Dienstherrn, sondern des Arbeitnehmers. Ferner steht im vorliegenden wie in jenem Falle die Ausbildungsstätte regelmäßig von vornherein planmäßig fest.

3. Hinsichtlich der Fahrten zwischen der Wohnung und dem Ort der Arbeitsgemeinschaft in A ist die Vorinstanz allerdings zu Recht davon ausgegangen, daß die Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen berechnet werden können. Zwar handelt es sich auch hier nicht um Fahrten zu ständig wechselnden Einsatzstellen. Vielmehr liegen insoweit Dienstreisen vor. Denn - wie sich aus den Ausführungen unter 2. ergibt - hatte der Kläger auch während der Dauer der Arbeitsgemeinschaft in A, also ab Mitte Dezember 1981, seine regelmäßige Arbeitsstätte in B. Aus beruflichen Gründen - auf Weisung seines Dienstherrn - mußte er sich einmal wöchentlich, im Streitjahr insgesamt zweimal, an einen anderen Ort, nämlich nach A, begeben. Beim Besuch der Arbeitsgemeinschaft wichen mithin tatsächliche und regelmäßige Arbeitsstätte voneinander ab; die Abweichung betrug auch mehr als 15 Kilometer. Damit sind die Voraussetzungen für die Annahme von Dienstreisen gegeben. Zur weiteren Begründung wird insoweit auf die Ausführungen des Senats im Urteil vom 12. August 1983 VI R 83/82 (BFHE 139, 195, BStBl II 1983, 720) verwiesen. Dort hat der Senat die entsprechende Rechtsfrage für einen Rechts-(Gerichts-)Referendar entschieden, bei dem die Verhältnisse auch insoweit gleichliegen.

4. Da die Fahrten nach A Dienstreisen sind, hat der Kläger auch Anspruch auf die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen. Diese hat er - hilfsweise - mit 15,50 DM pro Tag, insgesamt also 31 DM, geltend gemacht. Dabei hat er offensichtlich den entsprechenden Pauschsatz aus Abschn. 25 Abs. 6 Nr. 3b LStR 1981 angesetzt. Der Senat geht wegen der Geringfügigkeit des Betrages und im Hinblick darauf, daß das FA insoweit keine Einwendungen erhoben hat, davon aus, daß die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen gegeben sind und eine Saldierung mit den vom FA bereits anerkannten Verpflegungsmehraufwendungen nicht in Betracht kommt.

5. Die Vorentscheidung, die den vorstehenden Rechtsgrundsätzen nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Einkommensteuer 1981 berechnet sich wie folgt . . .

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 662

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