Leitsatz (amtlich)

Das Rechtspraktikantenverhältnis im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung in der Freien Hansestadt Bremen ist --unter Einschluß eingeschobener Studienabschnitte-- ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis nach § 19 Abs.1 Nr.1 EStG mit der Folge, daß hierdurch veranlaßte Aufwendungen als Werbungskosten abziehbar sind (Anschluß an BFH-Urteil vom 19.April 1985 VI R 131/81, BFHE 143, 572, BStBl II 1985, 465).

 

Orientierungssatz

Ein Dienstverhältnis (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet, d.h. wenn er in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 7, § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 22 Nr. 1, § 9 Abs. 1 S. 1; LStDV § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Bremen (Entscheidung vom 22.01.1982; Aktenzeichen I 42/80 K)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) sowie seine Ehefrau sind zur Einkommensteuer für das Streitjahr 1977 zusammenveranlagt worden. Ihre gemeinsame Wohnung hatten sie im Streitjahr in H. Der Kläger befand sich während des gesamten Streitjahres in der einstufigen Juristenausbildung in Bremen. Er unterhielt dort eine Zweitwohnung.

Der Kläger wurde auf seinen Antrag mit Wirkung vom Beginn der praktischen Ausbildung in der Strafrechtspflege am 7.Februar 1977 gemäß § 23 des Bremischen Juristenausbildungsgesetzes (BremJAG) i.d.F. vom 29.Juli 1976 (Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen --BremGBl-- S.181) in ein als "Rechtspraktikantenverhältnis" bezeichnetes öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis zur Freien Hansestadt Bremen aufgenommen. Sein Strafrechtspraktikum dauerte bis zum 6.April 1977. Nach einem einsemestrigen Studium setzte er seine praktische Ausbildung am 15.August 1977 fort. Ab 1.September 1977 erhielt er mit Beginn des 37.Monats vor Ende der Ausbildung gemäß § 25 Abs.1 BremJAG einen Unterhaltszuschuß.

Der Kläger machte als Werbungskosten Mehraufwendungen infolge doppelter Haushaltsführung ab 7.Februar 1977 und sonstige Aufwendungen anläßlich seiner Juristenausbildung geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die geltend gemachten Aufwendungen des Klägers als Werbungskosten nur, soweit sie auf die Zeit ab 1.September 1977 entfallen.

Der Kläger blieb mit seiner Klage, mit der er sein Begehren weiterverfolgte, erfolglos. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 347 veröffentlichten Urteil beurteilte das Finanzgericht (FG) die Tätigkeit des Klägers als Rechtspraktikant nicht als nichtselbständige Arbeit i.S. von § 19 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und den empfangenen Unterhaltszuschuß nicht als Arbeitslohn, da er nicht im fremden, sondern im eigenen Interesse gearbeitet habe. Statt dessen sah es den Unterhaltszuschuß als wiederkehrende Bezüge i.S. von § 22 Nr.1 EStG an. Da der Unterhaltszuschuß kein Entgelt für geleistete Arbeit sei, könnten auch die mit der Ausbildung zusammenhängenden Aufwendungen des Klägers nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 9 Abs.1 EStG. Der Unterhaltszuschuß, den ein Rechtspraktikant im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung beziehe, müsse ebenso wie die Bezüge eines Referendars als Arbeitslohn i.S. von § 19 EStG beurteilt werden. Daher seien auch seine mit der Ausbildung zusammenhängenden Aufwendungen als Werbungskosten abziehbar.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1977 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA trägt vor, allerdings habe der Kläger ab 1.September 1977 Arbeitslohn mit der Folge bezogen, daß er insoweit auch Werbungskosten geltend machen könne. Seine Aufwendungen bis zum 31.August 1977 seien jedoch Kosten der Berufsausbildung i.S. von § 10 Abs.1 Nr.7 EStG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das angefochtene Urteil war aufzuheben, weil das FG die Tätigkeit des Klägers als Rechtspraktikant nach § 23 BremJAG unzutreffend nicht als nichtselbständige Arbeit i.S. von § 19 EStG beurteilt und ihm den Abzug der hierdurch veranlaßten Aufwendungen als Werbungskosten zu Unrecht versagt hat.

Nach § 19 Abs.1 Nr.1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a. Gehälter, Löhne und andere Bezüge, die für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst gewährt werden. Ein Dienstverhältnis ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet, d.h. wenn er in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs.2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung --LStDV--; Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10.Dezember 1971 VI R 112/70, BFHE 104, 197, BStBl II 1972, 251, und vom 7.April 1972 VI R 58/69, BFHE 105, 274, BStBl II 1972, 643).

Der Kläger übte entsprechend den vorstehenden Grundsätzen eine nichtselbständige Arbeit seit seiner Aufnahme in das Rechtspraktikantenverhältnis am 7.Februar 1977 während des Restes des Streitjahres 1977 aus. Er befand sich sowohl während der Praktika vom 7.Februar bis 6.April 1977 und ab 15.August 1977 als auch während des eingeschobenen einsemestrigen Studiums in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Er war während des gesamten Zeitraums gegenüber seinem Dienstherrn grundsätzlich weisungsgebunden und, wenn auch während des Studienabschnitts in gelockerter Form, in den Organismus der Justiz eingegliedert. Er stellte seinem Dienstherrn seine Dienste zum Zwecke seiner Ausbildung zur Verfügung. Der VI.Senat hat in diesem Sinne bereits mit Urteil vom 19.April 1985 VI R 131/81 (BFHE 143, 572, BStBl II 1985, 465) für Studenten der einstufigen Juristenausbildung in Niedersachsen in Anlehnung an die Rechtsstellung von Referendaren entschieden. Er hat ein Dienstverhältnis von dem Zeitpunkt an, in dem der Student mit Beginn des ersten Pflichtpraktikums auf seinen Antrag in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis aufgenommen wird, für die gesamte Dauer der weiteren Ausbildung bis zur Abschlußprüfung unter Einschluß der eingeschobenen Studienabschnitte bejaht. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung für das Rechtspraktikantenverhältnis im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung in der Freien Hansestadt Bremen an.

Der an der Universität Bremen für den Studiengang Juristenausbildung immatrikulierte Student wird mit Wirkung vom Beginn der praktischen Ausbildung in der Strafrechtspflege auf Antrag vom Senat in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis (Rechtspraktikantenverhältnis) zur Freien Hansestadt Bremen aufgenommen (§ 23 Abs.1 Satz 1 BremJAG). Das hiermit begründete Dienstverhältnis endet grundsätzlich bei erfolgreichem Bestehen der Abschlußprüfung oder bei ihrem wiederholten Nichtbestehen (§ 24 Abs.1 BremJAG). Er erhält mit Beginn des 37.Monats vor Ende der Ausbildung einen Unterhaltszuschuß (§ 25 Abs.1 Satz 1 BremJAG).

Der Rechtspraktikant schuldet seinem Arbeitgeber seine Arbeitskraft nach Maßgabe des § 26 Abs.1 Satz 1 BremJAG, demzufolge er die ihm übertragenen Aufgaben sachgerecht und unter Beachtung der allgemeinen Dienst- oder Standespflichten des Ausbilders, dem er zugewiesen ist, auszuführen hat. Er unterliegt den für Widerrufsbeamte im Vorbereitungsdienst geltenden Bestimmungen über die Genehmigung von Nebentätigkeiten (§ 26 Abs.3 BremJAG). Wie bereits der VI.Senat des BFH für die entsprechende Regelung der einstufigen Juristenausbildung in Niedersachsen entschieden hat, schuldet der Rechtspraktikant seinem Arbeitgeber seine Arbeitskraft auch während der Zeit, zu der er keiner praktischen Ausbildungsstelle zugewiesen ist. Während der eingeschobenen Studienzeiten ruhen zwar grundsätzlich seine Rechte und Pflichten aus dem Rechtspraktikantenverhältnis (§ 26 Abs.6 BremJAG). Er behält aber seinen Anspruch auf Unterhaltszuschuß, den er bei schuldhaftem Fernbleiben verliert (§ 26 Abs.6 Satz 2 i.V.m. § 25 Abs.1 BremJAG). Seine Weisungsgebundenheit ergibt sich daraus, daß er Anordnungen des Ausbildungs- und Prüfungsamts und des Ausbilders, die sich auf die Ausbildung beziehen, zu befolgen hat (§ 26 Abs.1 Satz 2 BremJAG).

Der Senat folgt nicht der Auffassung der Vorinstanz, als Arbeitnehmer schulde nur derjenige seine Arbeitskraft, der im fremden Interesse arbeite; der Rechtspraktikant arbeite hingegen im eigenen Interesse für seine Ausbildung. Wie bereits der VI.Senat in seinem Urteil in BFHE 143, 572, BStBl II 1985, 465 ausgeführt hat, läßt sich eine solche Unterscheidung aus § 19 EStG nicht herleiten. Nichtselbständige Arbeit gegen Arbeitslohn führen alle diejenigen aus, die Leistungen in abhängiger Stellung gegen Entgelt erbringen. Ist somit ein Dienstverhältnis i.S. von § 19 Abs.1 Nr.1 EStG vom Zeitpunkt der Aufnahme des Klägers in das Rechtspraktikantenverhältnis (7.Februar 1977) an gegeben, so kann er auch von da an Aufwendungen, die durch diese auf Erzielung von Einnahmen gerichtete Tätigkeit veranlaßt sind, als Werbungskosten geltend machen. Die Absicht, Einnahmen zu erzielen, wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Rechtspraktikant nicht sofort, sondern erst mit Beginn des 37.Monats vor Ende der Ausbildung einen Unterhaltszuschuß erhält (§ 25 Abs.1 Satz 1 BremJAG). Der Kläger kann Werbungskosten während seiner Rechtspraktikantenzeit ohne einen Unterhaltszuschuß vom 7.Februar bis 31.August 1977 als vorab entstandene Werbungskosten absetzen. Durch das damals bereits bestehende Dienstverhältnis ist ein hinreichend klarer wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem ab 1.September 1977 aufgrund dieses Dienstverhältnisses bezogenen Unterhaltszuschuß gewährleistet (vgl. zu dieser Voraussetzung für die Annahme vorab entstandener Werbungskosten BFH-Urteile vom 8.Februar 1983 VIII R 130/79, BFHE 138, 195, BStBl II 1983, 554, und vom 8.Februar 1983 VIII R 163/81, BFHE 138, 202, BStBl II 1983, 355). Insbesondere auch die Aufwendungen des Klägers anläßlich des eingeschobenen Studiensemesters sind Werbungskosten und keine nur begrenzt nach § 10 Abs.1 Nr.7 EStG abziehbaren Sonderausgaben. Denn auch sie sind durch das bereits bestehende Dienstverhältnis des Klägers veranlaßt.

Die Sache geht an das FG zurück, damit dieses tatsächliche Feststellungen dazu nachholt, ob und ggf. in welcher Höhe der Kläger in der Zeit vom 7.Februar bis 31.Dezember 1977 Mehraufwendungen infolge doppelter Haushaltsführung nach § 9 Abs.1 Nr.5 EStG hatte und welche sonstigen Werbungskosten ihm während dieser Zeit entstanden sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60736

BStBl II 1986, 184

BFHE 144, 442

BFHE 1986, 442

BB 1986, 647-647 (ST)

DB 1986, 88-89 (ST)

DStR 1986, 128-128 (S)

HFR 1986, 182-183 (ST)

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