Leitsatz (amtlich)

1. Fertigung im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG ist jeder Vorgang, dessen Kosten Herstellungskosten im Sinne des Einkommensteuerrechts sind. Zur Aufbewahrung des zu verarbeitenden Materials benutzte Schränke und Regale dienen der Fertigung.

2. Die erhöhte Investitionszulage von 25 v. H. kann nach § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG nur gewährt werden, wenn das angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgut ausschließlich oder überwiegend der Fertigung dient.

 

Normenkette

BerlinFG § 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (Kläger) ist Optikermeister und unterhält in Berlin (West) ein augenoptisches Institut. Für sein Ladengeschäft schaffte er im Jahre 1969 drei Sitzverkaufstische, verschiedene Lagerschränke und ein in die Schaufenstereinrichtung einzubauendes Lagerregal an. Hierfür nahm er die erhöhte Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG 1970 von 25 v. H. in Anspruch. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionskläger (das FA) gewährte jedoch nur die normale Zulage von 10 v. H. Während der Einspruch abgewiesen wurde, hatte die Klage zum Teil Erfolg. Das FG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Kläger betreibe das verarbeitende Gewerbe, soweit er vorgefertigte Brillengestelle der Kopfform des Kunden anpasse und die passenden Gläser einsetze. Die hierzu erforderlichen Wirtschaftsgüter dienten der Fertigung. Die Fertigung beginne aber frühestens mit der Anpassung des Brillengestells. Die Aufbewahrung und Lagerung der Brilleneinzelteile, also der Brillengestelle und Gläserrohlinge, diene daher nicht der Fertigung, sondern der Vorratshaltung. Demzufolge seien die Lagerschränke und das Schaufensterregal von der erhöhten Investitionszulage auszunehmen. Das Regal auch deshalb, weil in ihm zum Teil reine Handelsware, wie Brillenetuis und Kontaktbrillenflüssigkeit, aufbewahrt werde. Dagegen dienten die drei Sitzverkaufstische der Fertigung. Sie seien erforderlich, um die Brillen anpassen zu können.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers mit folgender Begründung: Das Urteil des FG Berlin verletze § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG, weil es die der Lagerung und Aufbewahrung dienenden Schränke und Regale von der erhöhten Investitionszulage ausschließe. Voraussetzung der erhöhten Zulage sei, daß das betreffende Wirtschaftsgut mittelbar oder unmittelbar der Fertigung diene. Zum Fertigungsbereich rechne alles, was in der Kalkulation bis zum Punkte Herstellungskosten erfaßt sei. Zu den Herstellungskosten zählten aber auch die Materialgemeinkosten, die durch die Beschaffung und Lagerung des Materials verursacht würden. Soweit nicht der Verarbeitung dienende Wirtschaftsgüter gelagert werden, sei ihr Anteil gering. Auch würden die Etuis regelmäßig mit den fertigen Brillen abgegeben. Die Kontaktlinsenflüssigkeit werde beim Anpassungsvorgang verwandt und sei von geringer Menge.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und seinem Antrag auf Investitionszulage voll zu entsprechen.

Das FA beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen und im Wege der Anschlußrevision das Urteil des FG Berlin aufzuheben, soweit eine weitere Investitionszulage von 666,87 DM zuerkannt worden ist.

Es führt hierzu aus: Die Ansicht des Klägers, die Lagerung der Rohware gehöre zum mittelbaren Fertigungsbereich, sei abwegig. Dem FG könne aber nicht gefolgt werden, soweit es die Verkaufstische dem Fertigungsbereich zurechnet. Sie gehörten vielmehr überwiegend dem Vertriebsbereich an.

Der Kläger beantragt, die Anschlußrevision zurückzuweisen, und führt hierzu aus: Bei den sog. Sitzverkaufstischen handele es sich um speziell für den Gebrauch des Optikers angefertigte Möbelstücke, die allein dem Zweck dienten, dem Kunden die Sehhilfen anzupassen. Die Länge, Breite und Ausrüstung seien darauf angepaßt, daß der Augenoptiker seinen Kunden über den Tisch hinweg die Brille auf- und absetzen und für spezielle Anpassungsvorgänge Werkzeuge und Reinigungslappen in den dafür vorgesehenen Behältnissen und Schubladen ablegen kann.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist zum Teil begründet. Für die Lagerschränke steht dem Kläger die erhöhte Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG zu.

Dieser Vorschrift zufolge erhöht sich die Investitionszulage für abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die in einem Betrieb (einer Betriebstätte) des verarbeitenden Gewerbes - ausgenommen Baugewerbe - unmittelbar oder mittelbar der Fertigung dienen, auf 25 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Bei dem Betrieb des Klägers handelt es sich um einen Betrieb des verarbeitenden Gewerbes im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG. Der VI. Senat des BFH hat in der Entscheidung vom 1. Dezember 1970 VI R 386/69 (BFHE 100, 573, BStBl II 1971, 164) bereits darauf hingewiesen, daß dieser im Gesetz nicht näher erläuterte Begriff im Steuerrecht, insbesondere im Einkommensteuerrecht nicht verwendet werde. Abgesehen von dem Begriff des Gewerbebetriebes, der im Einkommensteuerrecht verwendet werde, könne die Auslegung des Begriffs "verarbeitendes Gewerbe" nur an den Wortsinn und die Verkehrsauffassung sowie an den Willen des Gesetzgebers unter Berücksichtigung des Zweckes und des Zieles des Gesetzes anknüpfen. Für den Willen des Gesetzgebers sei die Begründung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Berlinhilfegesetzes vom 19. Juli 1968 (BGBl I 1968, 833) in Bundestagsdrucksache V/3019 zu Art. 1 Nr. 5 Buchst. a des Gesetzesentwurfs von Bedeutung, in der unter anderem ausgeführt sei, daß sich die Abgrenzung des verarbeitenden Gewerbes aus dem Systematischen Verzeichnis des Statistischen Bundesamts ergebe. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung und übernimmt sie zur Auslegung auch des mit § 19 BHG 1968 identischen § 19 BerlinFG.

Hiernach könnte der Betrieb des Klägers ohne weiteres als Betrieb des verarbeitenden Gewerbes anerkannt werden, wenn er in Abteilung 2 des Systematischen Verzeichnisses - Verarbeitendes Gewerbe (außer Baugewerbe) - aufgezählt wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn unter der in Betracht kommenden Nr. 25 20 5 wird lediglich die Herstellung von Augengläsern, nicht aber das Zusammensetzen von Augengläsern und Brillengestellen zu fertigen Brillen erwähnt. In dem angeführten Urteil hat der VI. Senat des BFH jedoch darauf hingewiesen, daß das Verzeichnis des Statistischen Bundesamts in erster Linie für Zwecke der Arbeitsstätten- und Berufszählung 1961 herausgegeben wurde und steuerliche Beurteilungen nicht beiseiteschieben könne. Für den Begriff der Be- und Verarbeitung sei an die Begriffsbildung des UStG a. F. anzuknüpfen. Dementsprechend liege entsprechend § 12 Abs. 1 UStDV a. F. eine Verarbeitung vor, wenn die Wesensart des Gegenstandes geändert wird. Der erkennende Senat folgt der Ansicht des VI. Senats auch in diesem Punkte. Wird der Betrieb des Klägers unter dieser Sicht beurteilt, so ergibt sich, daß der Betrieb als Betrieb des verarbeitenden Gewerbes zu behandeln ist, weil die in ihm hergestellten Brillen Waren anderer Marktgängigkeit sind als die Augengläser und die Brillengestelle, aus denen sie zusammengesetzt werden, durch das Zusammensetzen also die Wesensart der Einzelteile, aus denen die Brillen zusammengesetzt werden, geändert wird.

Auch die übrigen Voraussetzungen liegen vor. Entgegen der vom FG vertretenen Ansicht dienen die Lagerschränke, in denen das zur Brillenfertigung notwendige Material, nämlich Brillengestelle und Gläserrohlinge gelagert werden, der Fertigung im Sinne des Gesetzes. Was unter Fertigung zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher erläutert. Der Begriff ist aber synonym dem im Einkommensteuerrecht gebrauchten Begriff der Herstellung (vgl. Der Große Duden, sinnverwandte Wörter, Stichwort: anfertigen), so daß es gerechtfertigt ist, jeden Vorgang der Fertigung zuzurechnen, dessen Kosten im Einkommensteuerrecht als Herstellungskosten im Sinne des § 6 EStG anerkannt werden. Hierzu zählen aber nach Nr. 21 der Anlage 2 zu § 15 der Betriebsprüfungsordnung vom 23. Dezember 1965 (BStBl I 1966, 46) auch die Materialgemeinkosten, u. a. die Kosten, die mit der Lag rung des Materials im Zusammenhang stehen.

Ob auch das Schaufensterregal der Fertigung dient, hängt davon ab, in welchem Umfang es zur Lagerung des zur Brillenherstellung erforderlichen Materials und in welchem Umfang es zur Lagerung fertiger Handelsware benutzt wird. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, daß die Brillenetuis - von der Kontaktflüssigkeit kann wegen ihrer unbestritten geringen wirtschaftlichen Bedeutung abgesehen werden - kein Material für die Fertigung sind, wie der Kläger offenbar meint. Das Zusammenfügen der veräußerten Brillen mit den Etuis ist keine Fertigung im Sinne des Gesetzes. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter im Rahmen eines Betriebs des verarbeitenden Gewerbes der Fertigung dienen, so daß unter "Fertigung" nur die Be- oder Verarbeitung verstanden werden kann. Das Zusammenstellen erworbener Gegenstände zu einer Sachgesamtheit ist aber nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1962 keine Beoder Verarbeitung. Die Etuis sind daher kein der Fertigung dienendes Material. Ihre Lagerung ist kein Fertigungsvorgang, so daß das für ihre Lagerung benutzte Regal insoweit nicht der Fertigung dient. Soweit das Regal aber zur Lagerung der Brillengestelle und Gläserrohlinge bestimmt ist, dient es der Fertigung, so daß es zum Teil der Fertigung und zum Teil nicht der Fertigung dient. Unter welchen Voraussetzungen für ein solches nur teilweise der Fertigung dienendes Wirtschaftsgut die erhöhte Investitionszulage gewährt werden kann, ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen. Fest steht lediglich, daß das Gesetz die erhöhte Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG bei gemischter Nutzung des der Fertigung dienenden Wirtschaftsguts nicht ausschließen will. Das ergibt sich daraus, daß es die zur Förderung der Forschung in Berlin (W) gewährte auf 30 v. H. erhöhte Zulage in § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BerlinFG davon abhängig macht, daß das Wirtschaftsgut ausschließlich der Forschung oder Entwicklung dient, und eine gleichlautende Bestimmung in § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG fehlt. Aus der Begründung der Neufassung des mit § 19 BerlinFG identischen § 19 BHG 1968 in Bundestagsdrucksache V/3019 zu Artikel 1 Nr. 5 zu Buchst. a ergibt sich jedoch, daß die erhöhte Investitionszulage eine Steigerung der Investitionstätigkeit gerade im industriellen Sektor fördern soll, weil ein besonderes Interessse daran besteht, den industriellen Bereich auszuweiten. Da der Wortlaut des § 19 BerlinFG eine Beschränkung auf Industriebetriebe nicht vornimmt, wie es der Gesetzesbegründung entsprechen würde, ist unter dem in der Begründung erwähnten industriellen Bereich ganz allgemein der Produktionsbereich zu verstehen. Der Gesetzgeber will ganz allgemein die Produktion in West-Berlin fördern. Dieses Ziel wird aber nicht erreicht, wenn die angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter nur in einem geringen Umfang für die Produktion eingesetzt werden.

Um dem Sinn und Zweck des Gesetzes gerecht zu werden, muß daher ein erheblicher Einsatz des Wirtschaftsguts im verarbeitenden gewerblichen Sektor gefordert werden. Ein solcher erheblicher Einsatz liegt nur vor, wenn das Wirtschaftsgut überwiegend der Fertigung dient. Wann diese Voraussetzung vorliegt, ist den Umständen des Einzelfalls zu entnehmen. Das FG hat hierzu keine Feststellungen getroffen, so daß nicht erkennbar ist, in welchem Umfang das Schaufensterregal der Lagerung des zur Brillenherstellung notwendigen Materials und in welchem Umfang der Lagerung der Handelsware - zu der, wie bereits ausgeführt, auch die Etuis gehören - gedient hat. Diese Prüfung hat das FG nachzuholen, wobei die genutzte Fläche als Maßstab dienen kann, falls nicht ein anderer Maßstab den Umständen des Falles besser gerecht wird.

Die Anschlußrevision des FA ist nicht begründet.

Auch die drei Sitzverkaufstische dienen der Fertigung.

Wie der Kläger unwidersprochen dargelegt hat, werden die Verkaufstische benutzt, um die Brillengestelle, die später mit den Augengläsern zu Brillen zusammengesetzt werden, den Kunden anzupassen. Dieser Vorgang des Anpassens ist zur Anfertigung der individuell für den einzelnen Kunden bestimmten Brillen unerläßlich und ist damit Teil der Fertigung. Die für die Anpassung der Brillengestelle speziell angefertigten Sitzverkaufstische dienen daher der Fertigung, und zwar unmittelbar.

 

Fundstellen

BStBl II 1973, 674

BFHE 1973, 408

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