Entscheidungsstichwort (Thema)

Schätzung nach einem Gesamtvermögensvergleich, der mehrere Jahre umfaßt

 

Leitsatz (NV)

Der buchführungspflichtige, aber keine Bücher führende Landwirt kann bei einer Schätzung nach § 4 Abs. 1 EStG über einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht verlangen, daß für jedes einzelne Wirtschaftsjahr ein Vermögensvergleich mit Schlußbilanz erstellt wird. In der Regel genügt ein Gesamtvermögensvergleich.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 162, 173 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

1. Für die Veranlagungszeiträume 1973 bis 1975 ist streitig,

a) dem Grunde nach, ob die wegen Nichterfüllung der Buchführungspflicht durchgeführten Schätzungen des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Hektarsätzen (Bayerisches Schätzungsverfahren) in bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden aufgrund einer Betriebsprüfung durch Schätzungen nach einem Gesamtvermögensvergleich nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert werden konnten,

b) gegebenenfalls, ob die Gewinne durch den Gesamtvermögensvergleich, der den Zeitraum vom 1. Juli 1972 bis 30. Juni 1976 umfaßte, der Höhe nach zutreffend geschätzt wurden.

2. Für den Veranlagungszeitraum 1976 ist die Höhe des Gewinns streitig, der im Rahmen des den Zeitraum vom 1. Juli 1972 bis 30. Juni 1976 umfassenden Gesamtvermögensvergleiches geschätzt wurde.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Alleinerbin ihres im März 1978 verstorbenen Ehemanns, mit dem sie im vertraglichen Güterstand der Gütergemeinschaft lebte. Zum Gesamtgut der Eheleute (im folgenden Steuerpflichtige) gehörte ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb, den sie am 31. August 1976 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge an ihren Sohn übergaben.

Die nach § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e der Reichsabgabenordnung (AO) für die Buchführungspflicht maßgebliche Gewinngrenze war in den Kalenderjahren 1970 (Gewinn nach dem Gesetz über die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittsätzen - GDL - 12 729 DM) und 1971 (Gewinn nach dem GDL 16 810 DM) überschritten. Der Einkommensteuerbescheid 1971 vom 28. Februar 1973 enthielt folgenden Hinweis: ,,Nach § 161 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) sind Sie verpflichtet, ab 1. Juli 1972 Bücher zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu machen." Weil die Steuerpflichtigen jedoch keine Bücher führten, ermittelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ab dem Wirtschaftsjahr 1972/73 die Gewinne nach den Schätzungsrichtlinien der Oberfinanzdirektion (OFD) München, die auf § 217 AO (§ 162 AO 1977) beruhen und von Schätzungsgrundbeträgen je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche ausgehen (sog. Bayerisches Schätzungsverfahren). Danach ergaben sich folgende Gewinne:

Wirtschaftsjahr Gewinn

972/73 35 909 DM

973/74 48 485 DM

974/75 33 548 DM

975/76 47 283 DM.

Die so ermittelten Gewinne legte das FA zeitanteilig den endgültig durchgeführten Einkommensteuerveranlagungen der Kalenderjahre 1972 bis 1975 zugrunde.

Entsprechend dem Ergebnis einer Betriebsprüfung (Bericht vom 30. September 1977) schätzte das FA die Gewinne der Wirtschaftsjahre 1972/73 bis 1975/76 durch einen den Zeitraum 1. Juli 1972 bis 30. Juni 1976 umfassenden Betriebsvermögensvergleich, wobei es die Herstellungskosten des 1974 errichteten Wohnhauses mit 188 000 DM und die nicht gebundenen Privatentnahmen mit 100 000 DM ansetzte. Den gegenüber den bisherigen Schätzungen errechneten Mehrgewinn von insgesamt 46 152 DM verteilte es mit je 11 538 DM auf die genannten Wirtschaftsjahre.

Am 31. Januar 1978 erließ das FA für das Kalenderjahr 1972 und am 12. Januar 1978 für die Kalenderjahre 1973 bis 1975 geänderte Einkommensteuerbescheide, die es auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 stützte. Ebenfalls am 12. Januar 1978 erteilte es für das Kalenderjahr 1976 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO 1977) einen Erstbescheid, in dem es den Gewinn für das Rumpfwirtschaftsjahr 1. Juli bis 31. August 1976 mit 1/6 des für das Wirtschaftsjahr 1975/76 geschätzten Gewinns annahm.

Die gegen die Einkommensteuerbescheide 1972 bis 1976 eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Das FA änderte die angefochtenen Bescheide in der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 1978 nach Hinweis gemäß § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 zum Nachteil der Klägerin ab, weil es nunmehr von nicht gebundenen Entnahmen von 123 892 DM ausging. Danach belief sich der Mehrgewinn aus dem Betriebsvermögensvergleich auf insgesamt 69 775 DM. Die zunächst nach dem Bayerischen Schätzungsverfahren ermittelten Gewinne erhöhten sich um je 17 444 DM auf nachstehende Beträge:

Wirtschaftsjahr Gewinn

1972/73 1 353 DM

1973/74 65 929 DM

1974/75 50 992 DM

1975/76 64 727 DM.

Der Gewinn des Rumpfwirtschaftsjahrs betrug nunmehr 10 787 DM.

In der Einspruchsentscheidung führte das FA die Einkommensteuerfestsetzungen wie folgt durch:

Veranlagungs- zu versteuern Einkommensteuer bisher

zeitraum (Splittingtabelle) bestandskräftig

DM DM DM

1972 32 577 6 502 4 114

1973 55 263 14 542 8 168

1974 53 764 13 952 7 678

1975 47 699 11 098 5 332

1976 36 764 7 222 -

Mit der Klage trug die Klägerin im wesentlichen vor, daß die Buchführungspflicht weder am 1. Juli 1972 noch später eingetreten sei, weil der notwendige Hinweis auf den Beginn der Buchführungspflicht nicht auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zurückwirken könne und der Hinweis nicht gegenüber der Mitunternehmerschaft (Gütergemeinschaft) ergangen sei. Hätte die Buchführungspflicht gleichwohl mit dem auf den Hinweis folgenden Wirtschaftsjahr 1973/74 begonnen, so hätte das FA für den Betriebsvermögensvergleich eine Anfangsbilanz auf den 1. Juli 1973 aufstellen müssen. Auch im übrigen sei die Gewinnermittlung fehlerhaft, weil das FA die Herstellungskosten des Wohnhauses und die nicht gebundenen Privatentnahmen überhöht angesetzt und Sonderabschreibungen nach § 76 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) nicht berücksichtigt habe. Schließlich lägen für die endgültig veranlagten Kalenderjahre die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht vor.

In der mündlichen Verhandlung bezeichneten die Beteiligten den 1. Juli 1973 als Beginn der Buchführungspflicht. Daraufhin hob das FA den für das Kalenderjahr 1972 erlassenen Änderungsbescheid vom 31. Januar 1978 auf. Insoweit erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage für begründet.

Hinsichtlich der Streitjahre 1973 bis 1975 vertrat es die Auffassung, daß die Steuerpflichtigen ab 1. Juli 1973 buchführungspflichtige Landwirte gewesen seien, die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Veranlagungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 jedoch nicht vorgelegen hätten.

Hinsichtlich des Streitjahres 1976 vertrat das FG die Auffassung, daß der vom FA geschätzte Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft der Höhe nach insofern fehlerhaft sei, als sich der durchgeführte Gesamtvermögensvergleich auch auf das Wirtschaftsjahr 1972/73 erstreckt habe, für das für die Steuerpflichtigen noch keine Buchführungspflicht bestanden habe. Ausgangspunkt für einen derartigen Gesamtvermögensvergleich hätte eine Anfangsbilanz auf den 1. Juli 1973 sein müssen. Darüber hinaus seien vom FA bei dem für 1976 angesetzten Gewinn die von der Klägerin beantragten Sonderabschreibungen gemäß § 76 EStDV nicht berücksichtigt worden und die Höhe der Gebäudeherstellungskosten und der Privatentnahmen streitig. Aus diesem Grunde müsse auch der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 1976 aufgehoben werden. Die erneute Gewinnermittlung für 1976 werde gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem FA übertragen.

Mit der Revision rügt das FA hinsichtlich der Streitjahre 1973 bis 1975 Verletzung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, hinsichtlich des Streitjahres 1976 die Verletzung des § 217 AO und des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet.

1. Das FA war - entgegen der Meinung des FG - berechtigt, die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für 1973 bis 1975 aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu ändern.

a) . . .

b) . . . (wird im einzelnen ausgeführt; um Wiederholungen zu vermeiden, wird insoweit auf das Urteil des BFH vom 24. Oktober 1985 IV R 75/84 in BStBl II 1986, 233, BFHE 145, 302 verwiesen).

c) Auch die Einwände der Steuerpflichtigen gegen die Zulässigkeit der angefochtenen Änderungsbescheide, die sich auf Treu und Glauben berufen, greifen schon im Hinblick auf den Umstand nicht durch, daß Ausgangspunkt und Ursache der nochmaligen Schätzungen durch den Betriebsprüfer und der darauf begründeten Änderungsbescheide die Pflichtverletzungen der Steuerpflichtigen bei der Erfüllung ihrer Buchführungspflichten waren, durch die dem FA die Grundlagen für die Ermittlung der tatsächlichen Gewinne fehlten. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierzu auf die Ausführungen des Senats im Beschluß in BFHE 135, 45, BStBl II 1982, 273 unter II Abschnitt 4 verwiesen.

2. Wegen seiner anderen Rechtsauffassung hat das FG noch nicht geprüft und entschieden, ob die Einwände der Klägerin gegen die Höhe der durch den Gesamtvermögensvergleich geschätzten Gewinne für die Streitjahre 1973 bis 1975 berechtigt sind. Die Sache muß daher an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.

Der Senat verweist dazu auf die Ausführungen des Vertreters der Klägerin im Schriftsatz vom 20. Juni 1986 und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es trifft zu, daß eine Richtsatzschätzung nur dann gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 durch eine Schätzung nach dem Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ersetzt werden kann, wenn der Vermögensvergleich in seinen wesentlichen Grundlagen auf gesicherten tatsächlichen Feststellungen beruht und daher die tatsächlichen individuellen betrieblichen Verhältnisse wiedergibt; er darf wesentlich nicht selbst auf griffweisen Schätzungen beruhen.

Andererseits bemerkt der Senat, daß der vom FA vorgenommene Gesamtvermögensvergleich, der den Zeitraum vom 1. Juli 1972 bis 30. Juli 1976 umfaßt, nicht schon aus grundsätzlichen Erwägungen wegen des Überschreitens des Zeitraums, für den Buchführungspflicht besteht, nicht Grundlage für die Gewinnschätzungen der Streitjahre sein kann, sondern nur dann, wenn das FG bei seinen Ermittlungen zu dem Ergebnis kommt, daß er aufgrund der festgestellten tatsächlichen Verhältnisse für die Streitjahre zu unrichtigen Ergebnissen führt. Der buchführungspflichtige, aber keine Bücher führende Landwirt kann bei einer solchen Schätzung nach § 4 Abs. 1 EStG über einen Zeitraum von mehreren Jahren in der Regel nicht verlangen, daß für jedes einzelne Wirtschaftsjahr eine Schlußbilanz (bzw. Anfangsbilanz) erstellt wird. Auf die Sonderabschreibungen nach § 76 EStDV hat die Klägerin bis einschließlich des Wirtschaftsjahres 1973/74 keinen Anspruch, da sie und ihr Ehemann ihre Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft nicht aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt haben (vgl. § 76 und § 84 Nr. 7 EStDV 1975 im Gegensatz zu § 76 EStDV 1974).

3. Hinsichtlich des Streitjahres 1976 hat das FG zu Unrecht den angefochtenen Einkommensteuerbescheid gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO aufgehoben und die Gewinnermittlung dem FA übertragen; denn das FG hat keine wesentlichen Verfahrensmängel festgestellt. Das FG konnte sich daher einer Sachentscheidung nicht entziehen (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1979 VIII R 27/77, BFHE 130, 7, BStBl II 1980, 330).

Da die Vorentscheidung somit hinsichtlich des Streitjahres 1976 auf einer Verletzung des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO beruht, war sie auch für dieses Streitjahr aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit es selbst die Einwände der Klägerin gegen die Höhe des vom FA geschätzten Gewinns prüft und darüber entscheidet.

Abschließend weist der Senat darauf hin, daß die Ausführungen des FG zur Frage der einheitlichen Gewinnfeststellung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft der in Gütergemeinschaft lebenden Steuerpflichtigen nicht zu beanstanden sind.

 

Fundstellen

BFH/NV 1987, 682

BFH/NV 1987, 683

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