Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze Verfahrensrecht, Abgabenordnung, Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerliche Betriebsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

Daß die AO eine mündliche Verhandlung vor dem Finanzgericht nicht zwingend vorschreibt, ist keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Die Anberaumung eines Termins zur Erörterung vor dem beauftragten Richter des Finanzgerichts nach § 271 AO steht einer mündlichen Verhandlung im Sinne von § 272 AO nicht gleich.

Zu Unrecht gutgebrachte Wohnungsbau-Prämien können in entsprechender Anwendung des § 5 WoPG zurückgefordert werden, auch wenn der Wortlaut der Vorschrift nicht unmittelbar erfüllt ist. § 5 WoPG ist ein Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens, daß, wer auf Kosten der Allgemeinheit etwas zu Unrecht erhalten hat, zur Herausgabe verpflichtet ist. Die in § 5 WoPG Absätze 1 und 2 genannten Fälle sind nur Beispiele für dieses Prinzip.

4. Der Rückforderungsanspruch auf Wohnungsbau-Prämie ist nur nach den Grundsätzen von Treu und Glauben und den gesetzlichen Verjährungsfristen begrenzt.

Zur Stellung der Bausparkassen im Wohnungsbau- Prämienverfahren.

 

Normenkette

WoPG §§ 4, 5/1, § 5 Abs. 2; AO § 96 Abs. 2, §§ 144, 124; WoPG § 5/4; GG Art. 103 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Bf. und seine Mutter schlossen im Dezember gemeinsam einen Bausparvertrag (Gemeinschaftsvertrag). Die Mutter zahlte noch im gleichen Monat 2.000 DM darauf ein, während der Bf., der in den Vorjahren noch zwei andere Bausparverträge geschlossen hatte, auf den Vertrag vom Dezember 1959 keine Zahlungen leistete. Am 8. Februar 1960 füllte der Bf. zwei Antragsvordrucke der Bausparkasse auf Gewährung von Wohnungsbau-Prämie im eigenen Namen und im Namen seiner Mutter aus. In beiden Vordrucken bezeichnete er seine Mutter als Prämienberechtigte und gab ihre Einzahlungen im Streitjahr 1959 richtig mit 2.000 DM an. Beide Vordrucke übersandte er am 12. Februar 1960 mit einem Anschreiben an die Bausparkasse und bemerkte in dem Schreiben, daß er, da er auf den Sparvertrag nichts eingezahlt habe, für sich keine Wohnungsbau- Prämie beanspruchen könne; für seine beiden eigenen Bausparverträge beanspruche er keine Wohnungsbau-Prämie, weil er den Sonderausgabenabzug geltend machen wolle. Die Bausparkasse sah irrtümlich die eingegangenen beiden Antragsvordrucke als zwei Anträge an, in denen je ein eingezahlter prämienbegünstigter Betrag von 2.000 DM geltend gemacht werde. Weil im Jahre 1959 jedoch auf den Vertrag nur insgesamt 2.000 DM eingezahlt waren, hielt der Bearbeiter der Bausparkasse die Eintragung von je 2.000 DM auf den Antragsvordrucken für ein Versehen des Bf. und nahm ohne Rückfrage an, daß der Bf. und seine Mutter je 1,000 DM eingezahlt hätten und dafür die Wohnungsbau-Prämie beanspruchten. Die Bausparkasse legte den unter dem Namen des Bf. gestellten Antrag dem für den Bf. zuständigen Finanzamt M. mit der Bestätigung vor, daß der Bf. im Jahre 1959 1.000 DM prämienbegünstigt gespart habe. Den Antrag für die Mutter leitete die Bausparkasse dem für die Mutter zuständigen Finanzamt W. mit der entsprechenden Bestätigung zu. Jedes Finanzamt gewährte dem Bf. und seiner Mutter durch Mitteilung an die Bausparkasse und überweisung des Betrags eine Wohnungsbau-Prämie von je 250 DM. Als das Finanzamt des Bf. Anfang 1962 feststellte, daß der Bf. die Wohnungsbau-Prämie zu Unrecht bezogen hatte, forderte es am 14. Mai 1962 die 250 DM von ihm zurück. Der Bf. verweigerte die Rückgabe. Er wies darauf hin, daß seiner Mutter bei richtiger Sachbehandlung eine Prämie gemäß § 3 Abs. 2 des Wohnungsbau- Prämiengesetzes (WoPG) 1958 von 400 DM zugestanden hätte; das Finanzamt habe ihr aber nur 250 DM, also 150 DM zu wenig, gutgebracht. Er werde darum allenfalls (250 DM ./. 150 DM =) 100 DM zurückgeben. Im übrigen habe den Fehler, der zur Auszahlung der 250 DM geführt habe, nicht er selbst, sondern die Bausparkasse als Hilfsstelle des Finanzamts zu vertreten. Das Finanzamt müsse sich den Fehler der Bausparkasse zurechnen lassen. Die Voraussetzungen für einen Widerruf der ihm gutgebrachten Wohnungsbau-Prämie mit Wirkung für die Vergangenheit läge gemäß § 96 Abs. 2 AO nicht vor. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück und führte aus: Dem Bf. sei im Jahre 1960 eine Wohnungsbau-Prämie gewährt worden, auf die er keinen Anspruch hatte. Sie hätte nicht gewährt werden dürfen, weil es an einem entsprechenden Antrag gefehlt habe. Prämienberechtigt sei nur die Mutter gewesen. Das Finanzamt habe darum zu Recht die Rückzahlung gefordert. Der Bf. müsse auch die 250 DM voll wieder herausgeben. Zwar könne sich der Fiskus zur Begründung seines Rückforderungsanspruchs nicht auf § 5 Abs. 1 und 2 WoPG berufen, weil der Bf. weder gegen das Kreditaufnahmeverbot vorstoßen noch die Mittel vorzeitig vertragswidrig verwendet habe. Auch die Vorschriften der AO rechtfertigten die Rückforderung nicht. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen sei aber derjenige, der etwas auf Kosten eines anderen ohne Rechtsgrund erhalten habe, zur Herausgabe verpflichtet. Die fehlerhafte Verfügung des Finanzamts beruhe darauf, daß die Bausparkasse die Prämienanträge unkorrekt bearbeitet habe. Den Fehler der Bausparkasse müsse der Bf. sich zurechnen lassen. Der Bf. habe auch nicht auf den Bestand der Gutschrift vom 23. August 1960 vertrauen können. Er habe keine Wohnungsbau-Prämie zu beanspruchen gehabt. Nach seinem eigenen Sachvortrag habe er bis zum Erlaß des Rückforderungsbescheids des Finanzamts nicht gewußt, daß es sich um eine Gutschrift zu seinen Gunsten gehandelt habe; er habe angenommen, den Betrag für seine Mutter erhalten zu haben. Unter diesen Umständen könne der Bf. keinen besonderen Vertrauensschutz beanspruchen. Zahle der Bf. die Prämie zurück, so stehe wohl der Mutter eine zusätzliche Prämie von 150 DM zu. über den Anspruch der Mutter könne aber in diesem Verfahren nicht entschieden werden.

Mit der Rb. rügt der Bf., das Urteil sei von Richtern gefällt worden, die nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätten. In Steuerstreitsachen müsse das Finanzgericht stets mündlich verhandeln. Das Urteil des Finanzgerichts widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen. Im übrigen sei die Entscheidung auch sachlich unrichtig. Der Rückforderungsanspruch könne allenfalls auf § 96 Abs. 2 AO gestützt werden. Diese Vorschrift sei indessen nicht anzuwenden, weil er die zugeteilte Wohnungsbau- Prämie nicht durch unlautere Mittel erschlichen habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

Die Verfahrensrüge geht fehl. Das Finanzgericht hat ohne mündliche Verhandlung entschieden. Allerdings hat ein Erörterungstermin vor einem beauftragten Richter stattgefunden. Ein solcher Erörterungstermin steht aber einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 272 AO nicht gleich (Urteile des Bundesfinanzhof IV 630/55 U vom 21. Februar 1957, BStBl 1957 III S. 164, Slg. Bd. 64 S. 437; I 181/60 S vom 17. Oktober 1961, BStBl 1962 III S. 57, Slg. Bd. 74 S. 151). Das Finanzgericht konnte die Sache auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Eine mündliche Verhandlung ist im finanzgerichtlichen Verfahren gemäß § 272 AO nicht zwingend vorgeschrieben. Darin liegt keine Verletzung des im Grundgesetz (GG) garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 346/56 vom 3. April 1959, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 9 S. 231; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts IV C 412/57 vom 26. September 1958, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwGE - Bd. 7 S. 230; Urteil des Bundesfinanzhofs I 181/60 S, a. a. O.). Die Frage wäre vielleicht anders zu beurteilen, wenn der Bf. einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hätte. Das ist aber nicht geschehen.

Die Rb. ist auch sachlich unbegründet. Zutreffend ist das Finanzgericht davon ausgegangen, daß dem Bf. für das Streitjahr 1959 keine Wohnungsbau-Prämie zustand und daß ihm die 250 DM zu Unrecht gutgebracht wurden. Wohnungsbau-Prämien werden gemäß § 4 Abs. 1 WoPG 1958 nur auf Antrag gewährt. Das Finanzgericht hat angenommen, die Gutschrift des Finanzamts vom 23. September 1960 sei unwirksam gewesen, weil es an einem Antrag des Bf. auf Wohnungsbau-Prämie gefehlt habe. Diese Auffassung ist bedenklich. Man kann annehmen, daß hier von der Bausparkasse ein Antrag zugunsten des Bf. gestellt war. Das Kreditinstitut hat dem Finanzamt bestätigt, daß der Bf. im Streitjahr 1.000 DM prämienbegünstigt gespart habe, und hat dafür beim Finanzamt des Bf. die Gewährung einer Wohnungsbauprämie zugunsten des Bf. beantragt. Der Senat braucht nicht zu der Streitfrage Stellung zu nehmen, ob, wenn eine Wohnungsbau-Prämie ohne Antrag des Berechtigten gewährt wird, die Bewilligung schlechthin unwirksam (nichtig) ist. Denn hier lag, wie gesagt, ein Antrag der Bausparkasse vor, den der Bf. auch gegen sich gelten lassen muß. Im Gegensatz zur Auffassung des Bf. ist nämlich im Wohnungsbau- Prämienverfahren das Kreditinstitut nicht Hilfsstelle des Finanzamts, sondern Erfüllungsgehilfe des Bankkunden. Die Banken sammeln im Interesse ihrer Kunden zur schnelleren Abwicklung des Prämienverfahrens die eingehenden Anträge, vervollständigen sie und geben sie an das Finanzamt weiter (§ 4 Abs. 2 und 3 WoPG 1958). Ihre Stellung ist anders als z. B. die der Banken im Lastenausgleichsverfahren, die gemäß § 139 LAG in Verbindung mit der Vierten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz (4. AbgabenDV-LA) vom 8. Oktober 1952 (BGBl 1952 I S. 662, BStBl 1952 I S. 812) beauftragte Stellen des Fiskus sind. Die Erklärungen, die ein Kreditinstitut gegenüber dem Finanzamt abgibt, müssen darum im Wohnungsbauprämienverfahren als Erklärungen des Sparers gewertet werden.

Im Streitfall war die Angabe der Bank, daß der Bf. in 1959 auf den Gemeinschaftsvertrag 1.000 DM eingezahlt habe, objektiv unrichtig. Auf das Verschulden der Beteiligten kommt es dabei nicht an. Eine Wohnungsbauprämie darf gemäß § 4 Abs. 1 WoPG nur gewährt werden, wenn prämienbegünstigte Aufwendungen gemacht worden sind. Diese Voraussetzung hat der Bf. hinsichtlich des Bausparvertrags vom Dezember 1959 nicht erfüllt. Der Rückforderungsanspruch des Finanzamts hat in § 5 WoPG eine ausreichende Rechtsgrundlage. Der Wortlaut dieser Vorschrift deckt zwar nicht unmittelbar Fälle der vorliegenden Art, sondern erwähnt nur zwei Fälle, nämlich, daß Bausparkassenbeiträge unter Verstoß gegen das Kreditaufnahmeverbot eingezahlt worden sind und daß der Bausparer die vorzeitig ausgezahlte Bausparsumme vertragswidrig verwendet hat. Diese beiden Fälle, die in § 5 WoPG erwähnt sind, sind indessen nach Auffassung des Senats nur Sonderfälle des übergeordneten Prinzips, daß Wohnungsbau-Prämien, für die von vornherein die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlagen oder bei denen durch das spätere Verhalten der Berechtigten die Voraussetzungen nachträglich weggefallen sind, an das Finanzamt zurückgezahlt werden müssen. Dieser allgemeine Gedanke hat offenbar den Gesetzgeber geleitet und er hat ihn in § 5 WoPG für zwei besondere Fälle, die in seinen Gesichtskreis getreten waren, festgelegt. Daraus darf aber nicht etwa gefolgert werden, daß in anderen Fällen zu Unrecht gewährte Wohnungsbau- Prämien nicht zurückgefordert werden können, sondern man muß vielmehr annehmen, daß der Gesetzgeber diesen den allgemeinen Rechtsgrundsätzen entsprechenden Rechtsgedanken nur für zwei Sonderfälle, die besonders oft praktisch werden, gewissermaßen als Beispiele herausgestellt hat. Von dieser Auffassung ist der Senat auch bereits in den Urteilen VI 1/62 U vom 31. Januar 1964 (BStBl 1964 III S. 258, Slg. Bd. 79 S. 71) und VI 220/63 U vom 13. Mai 1964 (BStBl 1964 III S. 473, Slg. Bd. 79 S. 661) ausgegangen, wenn er dort entschieden hat, daß Wohnungsbau-Prämien zurückgefordert werden können, solange der Rückforderungsanspruch nicht verjährt ist und die Rückforderung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben in Einklang steht.

Zu Unrecht beruft sich der Bf. auf § 96 Abs. 2 AO. Der Senat hat zwar für das WoPG 1952 (BGBl 1951 I S. 139, BStBl 1952 I S. 207) ausgesprochen, daß auch eine ohne formellen Bescheid ausgezahlte Wohnungsbau-Prämie nur unter der Voraussetzung des § 96 Abs. 2 AO zurückgefordert werden kann (Urteil VI 124/58 U vom 7. November 1958, BStBl 1959 III S. 25, Slg. Bd. 68 S. 70). Im WoPG 1952 war die Rückforderung von Prämien ausdrücklich nur für den Fall geregelt, daß die prämienbegünstigten Aufwendungen nicht zum vertragsmäßigen Zweck verwendet wurden (§ 5 Abs. 2 WoPG 1952). Aber bereits das Gesetz vom 21. Dezember 1954 (BGBl 1954 I S. 482, BStBl 1954 I S. 709) hat in § 5 Abs. 1 Satz 2 bestimmt, daß die Prämie an das Finanzamt zurückzuzahlen sei, wenn die in § 2 Abs. 2 WoPG bezeichneten Voraussetzungen nicht vorlagen. Damit wurde die Anwendung von Vorschriften der AO über die Zurücknahme von Verfügungen und damit auch § 96 Abs. 2 unanwendbar, wie der Senat bereits in den Urteilen VI 1/62 U und VI 220/63 U (a. a. O.) ausgeführt hat.

Wie in der Sache VI 220/63 U (a. a. O.) braucht auch hier nicht entschieden zu werden welche Wirkung ein auf Grund von § 4 Abs. 4 Satz 1 WoPG 1958 erlassener besonderer Prämienbescheid hat, vor allem, ob dann das Rückforderungsrecht des Finanzamts entfällt. Denn wenn wie im Streitfall die Prämie ohne einen förmlichen Bescheid festgesetzt wurde, wird das auf § 5 WoPG gestützte Rückforderungsrecht des Finanzamts nur durch die Grundsätze von Treu und Glauben und die gesetzlichen Verjährungsfristen beschränkt. Die Verjährungsfrist beträgt, wie in dem Urteil VI 1/62 U (a. a. O.) dargelegt ist, ein Jahr, beginnend mit Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch auf die Rückzahlung der Prämien begründet wurde und das Finanzamt von der prämienschädlichen Verwendung Kenntnis erhalten hat. Diese Frist war im Streitfall noch nicht abgelaufen. Auf den Grundsatz von Treu und Glauben kann sich der Bf. nicht berufen. Es ist nicht zu erkennen, inwiefern das Finanzamt illoyal handeln sollte, wenn es vom Bf. zurückverlangt, was ihm auf Grund eines Irrtums der Bausparkasse zu Unrecht gewährt worden ist. Dem Bf. entsteht kein Schaden wenn er die versehentlich gewährte Wohnungsbau-Prämie dem Finanzamt zurückgibt. Der Bf. kann auch nicht mit den Ansprüchen seiner Mutter aufrechnen (§ 124 AO). Die Mutter muß vielmehr den Anspruch auf die ihr zustehende Prämie bei ihrem Finanzamt in W. geltend machen.

 

Fundstellen

BStBl III 1965, 435

BFHE 1965, 522

BFHE 82, 522

StRK, ESt WoPG:5 R 12

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