Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbezogenheit des Abzugsbetrags nach §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR

 

Leitsatz (NV)

Der Steuerabzugsbetrag gemäß §58 Abs. 3 EStG i. V. mit §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR ist auf die Einkommensteuer beschränkt, die auf die Einkünfte aus einer im Beitrittsgebiet neu aufgenommenen gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit entfällt.

 

Normenkette

EStG § 58 Abs. 3; DBStÄndG DDR § 9 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) eröffnete am 1. August 1990 in D (neue Bundesländer) einen Gewerbebetrieb. Für das Kalenderjahr 1990 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) einen Steuerabzugsbetrag gemäß §58 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. V. m. §9 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen zum Gesetz zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer -- Steueränderungsgesetz -- (DBStÄndG DDR) vom 16. März 1990 in Höhe von 4 910 DM.

Im Streitjahr (1991) erzielte der Kläger aus dem 1990 eröffneten Gewerbebetrieb Einkünfte in Höhe von 10 940 DM; die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 34 179 DM. Mit Bescheid vom 11. August 1993 setzte das FA die Einkommensteuer auf 3 646 DM fest, minderte diese jedoch nur um den auf die gewerblichen Einkünfte des Klägers entfallenden Steuerabzugsbetrag gemäß §58 Abs. 3 EStG i. V. m. §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR in Höhe von 885 DM (24,25 v. H. der festzusetzenden Einkommensteuer). Den Solidaritätszuschlag setzte das FA auf 136,72 DM fest. Mit ihrer Klage begehrten die Kläger wie im Einspruchsverfahren die Berücksichtigung eines Steuerabzugsbetrages in Höhe von 3 646 DM und infolgedessen die Festsetzung der Einkommensteuer auf 0 DM, da der nach der Anrechnung im Jahre 1990 verbliebene Betrag von 5 080 DM auszuschöpfen sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es war der Auffassung, der Steuerabzugsbetrag gemäß §58 Abs. 3 EStG i. V. m. §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR müsse auf die gesamte Steuerschuld der zusammenveranlagten Kläger angerechnet werden. Das FA habe den Steuerabzugsbetrag systematisch nicht zutreffend eingeordnet. Er sei nicht bei der Festsetzung der Einkommensteuer zu berücksichtigen, sondern mindere die Steuerschuld. Diese Einordnung ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte des Steuerabzugsbetrages. Die Vorgängerregelungen des §9 DBStÄndG DDR regelten "Steuerbefreiungen", mit denen die Steuerpflichtigen von der "Abführung" der "Steuern" freigestellt worden seien. Diese systematische Einordnung des §9 DBStÄndG DDR entspreche auch der Systematik des Einkommensteuerrechts und gewährleiste, daß die Steuerbefreiung in voller Höhe gewährt werde.

Der Steuerabzugsbetrag sei nicht auf die Einkommensteuer beschränkt, die auf Einkünfte aus dem neueröffneten Betrieb entfielen; er sei vielmehr auch bei den auf die übrigen Einkünfte entfallenden Steuern in Abzug zu bringen. Das gelte bei einer Zusammenveranlagung von Ehegatten auch für die Steuerschuld, die sich aus den Einkünften des Ehegatten ergebe, der keinen Betrieb unterhalte. Zwar bestimme §9 DBStÄndG DDR, daß die Steuerbefreiung "dem Inhaber" gewährt werde, und §58 Abs. 3 EStG, daß diese Regelung für Steuerpflichtige weiter anzuwenden sei, die eine Betriebsstätte begründet hätten. Doch folge daraus nicht, daß die Steuerbefreiung nur anteilig auf die durch den neueröffneten Betrieb verursachte Steuerschuld beschränkt sei. Die Steuerbefreiung werde für die gesamte Steuerschuld gewährt, die der Steuerpflichtige des neueröffneten Betriebs zu zahlen habe; dazu gehörten auch die Beträge, die er aufgrund der Zusammenveranlagung gemäß §26 b EStG als Gesamtschuldner für die Einkünfte des Ehegatten schulde.

Eine Beschränkung des Steuerabzugsbetrages auf die durch die gewerbliche Tätigkeit entstandenen Steuern entspräche auch nicht dem Zweck der Vorschrift des §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR. Die Steuerbefreiung sollte die Gründung von Unternehmen im Wege der steuerlichen Entlastung des Inhabers erleichtern. Dieser Zweck werde effektiv erreicht, wenn der Steuerabzugsbetrag auch für rechnerisch nicht auf Einkünfte aus Gewerbebetrieb entfallende Steuern gewährt werde. Anderenfalls könnte der Höchstbetrag von 10 000 DM in vielen Fällen nicht voll ausgeschöpft werden, da der Inhaber in der Anfangsphase der Entwicklung seines neugegründeten Unternehmens häufig auf die Nutzung alternativer Einkunftsquellen angewiesen sei.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe zu Unrecht den Steuerabzugsbetrag auf die gesamte Einkommensteuerschuld der Kläger angerechnet. Diese Handhabung stehe im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). In seinem Urteil vom 6. März 1995 VI R 81/94 (BFHE 177, 122, BStBl II 1995, 463) habe der BFH unter Hinweis auf die Entscheidung vom 9. November 1994 I R 67/94 (BFHE 176, 244, BStBl II 1995, 305) ausgeführt: Da §58 Abs. 3 EStG keine Anhaltspunkte dafür liefere, daß sich der Zweck der Begünstigung des §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR aufgrund der Übernahme in bundesdeutsches Recht habe ändern sollen, sei bei der Auslegung dieser Vorschrift von dem Zweck auszugehen, der nach dem Recht der DDR mit ihr verfolgt worden sei. Dieser Zweck sei ausschließlich eine steuerliche Begünstigung des Inhabers in bezug auf den neueröffneten Betrieb gewesen.

Unabhängig von dieser Rechtslage hätte das FG den angegriffenen Einkommensteuerbescheid nicht selbst ändern dürfen, sondern hätte ihm, dem FA, Gelegenheit geben müssen, einen Abrechnungsbescheid gemäß §218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu erlassen (Hinweis auf BFH-Urteil in BFHE 177, 122, BStBl II 1995, 463).

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat zu Unrecht den im Kalenderjahr 1990 nicht in Anspruch genommenen Steuerabzugsbetrag nach §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR bei der Festsetzung der Einkommensteuer für das Streitjahr in der beantragten Höhe auf die geschuldete Einkommensteuer angerechnet. Den Klägern steht dagegen nur ein Abzugsbetrag bei der Einkommensteuer in Höhe von 885 DM zu.

1. Entgegen der Auffassung des FA kann über die Gewährung der vorgenannten Steuerbegünstigung auch in dem Verfahren betreffend die Steuerfestsetzung entschieden werden (vgl. BFH-Urteil vom 13. November 1996 XI R 6/95, BFHE 182, 75, BStBl II 1997, 293).

2. Gemäß §58 Abs. 3 EStG ist §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR für Steuerpflichtige weiter anzuwenden, die vor dem 1. Januar 1991 in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages (EinigVtr) genannten Gebiet eine Betriebsstätte begründet haben, wenn sie vom Tag der Begründung der Betriebsstätte an zwei Jahre lang die Tätigkeit ausüben, die Gegenstand der Betriebsstätte ist. Nach §9 Abs. 1 Satz 1 DBStÄndG DDR wird bei Neueröffnung eines Handwerks-, Handels- oder Gewerbebetriebes dem Inhaber eine einmalige Steuerbefreiung für zwei Jahre höchstens bis 10 000 DM gewährt. Nach Satz 3 der Vorschrift wird diese Steuerbefreiung auch bei der Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit gewährt.

Daraus, daß §58 Abs. 3 EStG auf eine Ausübung der gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit vor dem 1. Januar 1991 abstellt, ist ersichtlich, daß im Jahr 1991 unter der Geltung des EStG keine besondere Steuervergünstigung für neueröffnete Gewerbebetriebe oder für eine neu aufgenommene selbständige Tätigkeit geschaffen werden sollte, sondern der von der DDR eingeführte Steuerabzugsbetrag nur solchen Steuerpflichtigen erhalten bleiben sollte, die ihn bereits im Jahr 1990, in dem nach Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 EinigVtr das Einkommensteuerrecht der ehemaligen DDR noch bis zum Jahresende anzuwenden war, beanspruchen konnten, aber nicht hatten (voll) ausschöpfen können (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 20. April 1995 IV R 89/94, BFH/NV 1996, 24).

Sinn und Zweck des §9 DBStÄndG DDR war vor allem auch, die Gründung neuer Betriebe und damit das Angebot an neuen Arbeitsplätzen im Beitrittsgebiet steuerlich zu fördern, um so den Überbestand an Arbeitnehmern zu vermindern, die fast ausschließlich in den stark existenzgefährdeten Großbetrieben beschäftigt waren (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 6. Juli 1995 IV R 84/94, BFHE 178, 189, BStBl II 1995, 833; vom 14. Dezember 1994 XI R 39/93, BFHE 176, 406, BStBl II 1995, 320). Die steuerliche Förderung ist sachlich und zeitlich untrennbar mit der Aufnahme einer gewerblichen (oder freiberuflichen) Tätigkeit verknüpft; sie steht somit in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Einkünften und den sich daraus ergebenden Steuern. Der Umstand, daß möglicherweise wegen fehlender positiver Einkünfte der Freibetrag nicht voll ausgenutzt werden kann, löst den betrieblichen Zusammenhang nicht, der sich durch die Abhängigkeit von der Aufnahme einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit ergibt. Die ausschließliche steuerliche Begünstigung des Inhabers des neueröffneten Betriebs wird dadurch belegt, daß §9 Abs. 1 Satz 2 DBStÄndG DDR bestimmt, daß die "Steuerbefreiung" von höchstens 10 000 DM bei mehreren Inhabern nur einmal in Anspruch genommen werden kann (BFH-Urteil in BFHE 177, 122, BStBl II 1995, 463). Entgegen der Ansicht der Kläger führt die Gewährung des Abzugsbetrages nach §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR nicht dazu, daß sich die Bemessungsgrundlagen für die Steuerfestsetzung ermäßigen und die Einkommensteuerschuld entsprechend geringer ausfällt, sondern zu einem Abzug von der Steuerschuld (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 176, 244, BStBl II 1995, 305, und vom 21. März 1996 XI R 6/95, BFHE 180, 325, BStBl II 1996, 604). Eine Begrenzung des Steuerabzugsbetrages auf die den Einkünften des neueröffneten Betriebs zuzuordnenden Steuern zeigt sich auch daran, daß sich nach dem Recht der ehemaligen DDR die Begünstigung nicht auf die auf Lohneinkünfte entfallenden Steuern auswirken konnte, weil diese mit dem Abzug als abgegolten galten (s. dazu BFH-Urteil in BFHE 177, 122, BStBl II 1995, 463).

Begünstigt somit der Steuerabzugsbetrag gemäß §58 Abs. 3 EStG i. V. m. §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR nur den Inhaber des neueröffneten Betriebs mit den daraus erzielten Einkünften, kann dieser Betrag nicht die gesamte, sich auch aus anderen Einkünften ergebende Einkommensteuerschuld 1991 des Steuerpflichtigen mindern. Dabei ist der Steuerabzugsbetrag anteilig in dem Verhältnis zu gewähren, in dem die auf die Einkünfte aus dem neueröffneten Betrieb entfallende Steuer zu derjenigen steht, die auf den übrigen Einkünften beruht.

Das bedeutet für den Streitfall, daß das FA bei der Festsetzung der Einkommensteuer für das Streitjahr zutreffend von einem Abzugsbetrag nach §58 Abs. 3 EStG i. V. m. §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR in Höhe von 885 DM ausgegangen ist.

Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung ist daher aufzuheben und die Klage der Kläger abzuweisen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1085

VIZ 1998, 704

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