Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung gegen Lohnsteuererstattungsansprüche

 

Leitsatz (NV)

Das FA kann gegen Lohnsteuererstattungsansprüche, die auf der Geltendmachung des Verlustabzugs nach § 10d EStG beruhen, aufrechnen (Bestätigung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 19. Oktober 1982 VII R 64/80, BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541).

 

Normenkette

AO 1977 § 226; GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 10d

 

Verfahrensgang

FG des Saarlandes

 

Tatbestand

Der Kläger war Inhaber eines Handelsgeschäfts für Bekleidung. Die Firma wurde, nachdem die beantragte Konkurseröffnung mangels Masse abgelehnt worden war, im Jahre 1978 von einer Textil-Handelsgesellschaft mbH (GmbH) übernommen, die den Kläger als Angestellten weiterbeschäftigte.

Bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers und seiner Ehefrau für das Jahr 1978 ergab sich - bedingt durch Verlustvorträge aus den Vorjahren - ein Erstattungsanspruch in Höhe der von der GmbH des Klägers einbehaltenen und abgeführten Lohn- und Kirchensteuern. Das FA rechnete mit einer vom Kläger noch aus der Zeit seiner Einzelfirma geschuldeten Umsatzsteuerrestforderung 1976 gegen einen Betrag von . . . DM des Erstattungsanspruchs auf.

Mit der nach erfolgloser Beschwerde gegen die Aufrechnungsverfügung erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Aufrechnung stelle eine unzulässige Rechtsausübung das (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Januar 1977 III R 107/73, BFHE 121, 279, BStBl II 1977, 393) und verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Denn ihm gegenüber sei die Aufrechnung nur möglich gewesen, weil er als Lohnsteuerpflichtiger keine Verlustvorträge auf seiner Lohnsteuerkarte habe eintragen lassen können, während gegen einen Selbständigen bei gleicher Sachlage wegen der Verlustvorträge keine Einkommensteuer- und Kirchensteuervorauszahlungen hätten festgesetzt werden können, so daß diesem gegenüber jede Aufrechnungsmöglichkeit entfalle.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage unter Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 19. Oktober 1982 VII R 64/80 (BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541) ab.

Mit der Revision vertritt der Kläger weiterhin die Auffassung, die Aufrechnung aufgrund der formalen Rechtsstellung, die das FA ihm gegenüber erlangt habe und die es bei gleicher Sachlage einem Selbständigen gegenüber nicht hätte, stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Zwar sehe es das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch als mit dem GG vereinbar an, daß dem Arbeitnehmer - bedingt durch das Lohnsteuererhebungsverfahren - gewisse Zinsnachteile, die durch den Arbeitnehmerfreibetrag abgegolten würden, entstehen könnten. Im Streitfall liege aber mit der Aufrechnung ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. In diesem Zusammenhang seien die Ausführungen des erkennenden Senats in seinem Urteil in BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541, die sich die Vorinstanz zu eigen gemacht habe, nicht überzeugend.

Darüber hinaus sei auch die Argumentation des FG, das FA hätte für den Fall, daß eine erstattungspflichtige Steuerüberzahlung nicht entstanden wäre, die entsprechenden Beträge bei ihm pfänden können, nicht stichhaltig. Hier verkenne das FG offensichtlich, daß Lohnsteuer bereits bei einem Arbeitseinkommen anfalle, das nach § 850c der Zivilprozeßordnung (ZPO) noch unpfändbar sei. Zumindest in Höhe dieser Steuerbeträge verstoße eine Aufrechnung gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, die Aufrechnungsverfügung des FA und die Beschwerdeentscheidung der OFD ersatzlos aufzuheben. Hilfsweise beantragt er, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Frage der Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG einzuholen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Die Aufrechnungserklärung des FA mit seiner Umsatzsteuerrestforderung 1976 gegen die Erstattungsansprüche des Klägers, die sich aus der Anrechnung der Steuerabzugsbeträge auf die Einkommensteuer- und Kirchensteuerschulden 1978 ergeben (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG -), ist rechtlich nicht zu beanstanden.

a) Das FG hat zu Recht festgestellt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufrechnung nach § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. den §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gegeben waren und Aufrechnungsverbote nicht vorlagen. Die für die Aufrechnung erforderliche Gegenseitigkeit der Forderungen (§ 387 BGB) war auch hinsichtlich des Anspruchs des Klägers auf Erstattung der einbehaltenen Kirchensteuer gewahrt. Denn nach § 226 Abs. 4 AO 1977 kommt es für die Gegenseitigkeit auf die Verwaltungshoheit an. Da, wie sich aus dem Urteil des FG ergibt, im Saarland die Verwaltung der Kirchensteuer - ebenso wie die der zur Aufrechnung gestellten Umsatzsteuer - den FÄ übertragen ist, standen sich der Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kirchensteuer und die Umsatzsteuerforderung des FA aufrechenbar gegenüber. Das Gebrauchmachen von der Aufrechnungsbefugnis durch das FA stellt auch entgegen der Auffassung des Klägers keinen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben oder den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dar.

b) Die vom Kläger angeführte unterschiedliche Behandlung der Steuerpflichtigen, die nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit haben (im folgenden Lohnsteuerzahler), gegenüber den Steuerpflichtigen, die andere Einkünfte als solche aus nichtselbständiger Arbeit oder neben derartigen Einkünften noch andere Einkünfte beziehen (Einkommensteuerzahler), beruht hinsichtlich der als Sonderausgaben abzugsfähigen Verluste aus früheren Veranlagungszeiträumen (§ 10d EStG) darauf, daß § 39a Abs. 1 Nr. 4 EStG den Verlustabzug nach § 10d EStG von der Berücksichtigung im Lohnsteuerermäßigungsverfahren (Eintragung eines Fehlbetrags auf der Lohnsteuerkarte) ausschließt. Das führt dazu, daß vom Arbeitslohn der Lohnsteuerzahler zunächst eine höhere Lohnsteuer einzubehalten ist, die später bei Berücksichtigung des vortragsfähigen Verlustes im Veranlagungsverfahren (vgl. § 46 Abs. 2 Nr. 8c EStG) zu einem Erstattungsanspruch führt. Bei den Einkommensteuerzahlern ist dagegen der Verlustabzug nach § 10d EStG bereits bei der Bemessung ihrer Vorauszahlungen zu berücksichtigen, da diese sich grundsätzlich nach der voraussichtlichen Einkommensteuerschuld des laufenden Veranlagungszeitraums richten (§ 37 Abs. 1 Satz 1 EStG). Sie zahlen damit im Vergleich mit den Lohnsteuerzahlern von vornherein eine geringere Einkommensteuer und sind nicht auf die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs im Veranlagungsverfahren angewiesen, demgegenüber sich das FA durch Aufrechnung wegen anderer Steuerforderungen befriedigen könnte.

c) Das BVerfG hat in seinem Beschluß vom 26. Januar 1977 1 BvL 7/76 (BVerfGE 43, 231, BStBl II 1977, 297) die verschiedene Behandlung von Einkommensteuerzahlern und Lohnsteuerzahlern als verfassungsmäßig angesehen, wenn sie durch die Besonderheiten des Veranlagungs- oder des Lohnsteuerabzugsverfahrens sachlich gerechtfertigt ist. Nach seiner Entscheidung verstößt es nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß beim Lohnsteuerabzug Verluste aus anderen Einkunftsarten grundsätzlich nicht berücksichtigt, sondern erst bei der Einkommensteuerveranlagung der Arbeitnehmer ausgeglichen werden. Mit dem in dieser Entscheidung angesprochenen Verlustausgleich negativer Einkünfte mit positiven Einkünften desselben Veranlagungszeitraums gemäß § 2 Abs. 3 EStG ist der im Streitfall entscheidungserhebliche Verlustabzug nach § 10d EStG, bei dem die Verluste aus früheren Veranlagungszeiträumen wie Sonderausgaben abgezogen werden, der Sache nach und in seinen Auswirkungen vergleichbar. Für letzteren hat der VI. Senat des BFH bereits in seinem Urteil vom 24. Juni 1960 VI 198/58 S (BFHE 71, 443, BStBl III 1960, 414) die mangelnde Eintragungsfähigkeit auf der Lohnsteuerkarte mit den Unterschieden in den Verfahren des Lohnsteuerabzugs und der Veranlagung gerechtfertigt und insoweit einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und den Grundsatz von Treu und Glauben verneint.

Sowohl bei dem Verlustausgleich nach § 2 Abs. 3 EStG als auch bei dem Verlustabzug nach § 10d EStG kann es um die Berücksichtigung von Verlusten in erheblicher Höhe gehen, die auch über mehrere Jahre hinweg anfallen können und jeweils nachträglich bei der Veranlagung zur Erstattung der gesamten vom Arbeitslohn des Arbeitnehmers einbehaltenen Lohnsteuer führen können. Diese nicht unerhebliche Auswirkung und die möglicherweise lange Dauer der Ungleichbehandlung von Einkommensteuer- und Lohnsteuerzahlern kann dem BVerfG in seiner Entscheidung zum Verlustausgleich nicht verborgen geblieben sein. Sie führt deshalb auch im Rahmen des Verlustabzugs nach § 10d EStG nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung in BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541 ausgeführt hat, kann auch für beide Fälle der Berücksichtigung von Verlusten nicht angenommen werden, daß das BVerfG die Frage der Verfassungsmäßigkeit anders beurteilt hätte, wenn es das gegenüber dem Erstattungsanspruch des Lohnsteuerzahlers gegebene Aufrechnungsrecht des FA erkannt und mitberücksichtigt hätte. Das Gericht sieht deshalb keinen Anlaß, dem Hilfsantrag des Klägers entsprechend im Streitfall gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 GG eine Entscheidung des BVerfG einzuholen.

d) Der erkennende Senat hat im Urteil in BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541 ferner entschieden, daß die Aufrechnung des FA gegen den Lohnsteuererstattungsanspruch des Arbeitnehmers, der sich bei der Einkommensteuerveranlagung infolge des Verlustabzugs nach § 10d EStG ergibt, im Regelfall keine unzulässige Rechtsausübung darstellt. An dieser Entscheidung hält der Senat trotz der dagegen vom Kläger erhobenen Kritik fest. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt er auf seine in dem angegebenen Urteil dargestellte Begründung Bezug. Ergänzend weist er darauf hin, daß die Aufrechnung durch das FA gegenüber dem Erstattungsanspruch des Lohnsteuerzahlers, der sich bei dessen Veranlagung ergibt, nicht als Ausnutzung einer lediglich formalen Rechtsposition angesehen werden kann. Der bei der Veranlagung entstehende Steuererstattungsanspruch des Arbeitnehmers aus überzahlter Lohnsteuer, der dem FA zur Aufrechnung zur Verfügung steht, stellt nach den Wertungen des Gesetzgebers eine Forderung wie jede andere dar. Sie unterliegt weder nach Steuerrecht, noch nach Konkursrecht, noch nach dem Recht der Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) irgendwelchen Einschränkungen oder Besonderheiten. Mit ihr kann auch der Erstattungsberechtigte gegen Steuerforderungen des FA aufrechnen, und sie steht dessen Gläubigern zur Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung zur Verfügung. Dann muß aber auch das FA gegen den Erstattungsanspruch aus einbehaltener Lohnsteuer aufrechnen dürfen. Die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) sind keine übergeordneten Rechtsnormen. Sie können die gesetzlichen Folgen, die sich aus der vom Gesetzgeber gewollten Regelung des Lohnsteuerabzugsverfahrens ergeben, nicht verdrängen (vgl. Fichtelmann, Finanz-Rundschau - FR - 1977, 439, 440).

Im übrigen stellt die Aufrechnung des FA gegenüber dem Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers wegen einbehaltener Lohnsteuer schon deshalb keine Unbilligkeit dar, weil dadurch Steuerverbindlichkeiten getilgt werden, zu deren Befriedigung der Arbeitnehmer grundsätzlich verpflichtet ist. Die Herbeiführung dieses vom Gesetz gewollten Ergebnisses verstößt auch nicht deshalb gegen Treu und Glauben, weil gegenüber einem Einkommensteuerzahler bei gleicher Sachlage die Aufrechnungsmöglichkeit für das FA nicht bestünde. Dabei ist, wie bereits das FA angedeutet hat, folgendes zu berücksichtigen: Der Einkommensteuerzahler kann zwar über sein Einkommen ungeschmälert verfügen, wenn er wegen des Verlustvortrags nach § 10d EStG keine Einkommensteuervorauszahlungen leisten muß. Damit stehen aber auch seinen Gläubigern - wie dem FA - bei gleichen Einkommensverhältnissen laufend Zugriffsmöglichkeiten für die Zwangsvollstreckung in einem größeren Umfang zur Verfügung als bei einem Lohnsteuerzahler. Denn bei diesem mindern die einbehaltenen Lohnsteuern das pfändbare Arbeitseinkommen (§ 850e Nr. 1 ZPO). Es ist daher nicht unbillig, wenn das FA sich wegen seiner Steuerforderungen durch Aufrechnung befriedigt, sobald ein Erstattungsanspruch des Lohnsteuerzahlers entsteht. Im Rahmen dieser Überlegungen kann allerdings auf einen Direktvergleich zwischen Einkommensteuerzahlern und Lohnsteuerzahlern bei gleichen Einkommensverhältnissen schon deshalb nicht abgestellt werden, weil für Arbeitseinkommen besondere, von anderen Einkommenszuflüssen abweichende Pfändungsschutzregelungen bestehen (§§ 850 bis 850k ZPO). Das macht die vorstehenden, unter Billigkeitsgesichtspunkten angestellten Erwägungen aber nicht wertlos.

e) Der erkennende Senat hält auch an seiner im Urteil in BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541 vertretenen Auffassung fest, daß diese Entscheidung nicht von der Entscheidung des III. Senats des BFH in BFHE 121, 279, BStBl II 1977, 393, auf die sich der Kläger beruft, abweicht und daher eine Anrufung des Großen Senats des BFH nach § 11 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht geboten ist. Der III. Senat hat für einen Fall, in dem der Gemeinschuldner im Auftrag des Konkursverwalters sein in Konkurs gefallenes Unternehmen als ,,Angestellter" fortgeführt hatte, die Aufrechnung gegen dessen Lohnsteuererstattungsanspruch als unzulässige Rechtsausübung angesehen. Für seine Entscheidung waren, wie der erkennende Senat in seinem Urteil ausgeführt hat, die besonderen Umstände des zu beurteilenden Falles maßgebend (vgl. hierzu auch Fichtelmann, FR 1977, 439, der dem III. Senat für den entschiedenen Fall deshalb folgt, weil die Zahlungen des Konkursverwalters an den Gemeinschuldner Entnahmen seien, von denen keine Lohnsteuer hätte einbehalten werden dürfen). Auch insoweit nimmt der Senat auf die Begründung seine Entscheidung in BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541 Bezug. Im Streitfall ist der Kläger zweifelsfrei Arbeitnehmer gewesen, von dessen Bezügen zu Recht Lohnsteuer und Kirchensteuer einbehalten worden sind. Solche Besonderheiten, von denen sich der III. Senat bei seiner Entscheidung hat leiten lassen, lagen nicht vor, so daß der Senat auf die Entscheidung nicht einzugehen braucht. Für den Streitfall kann demnach die Aufrechnung durch das FA gegenüber dem Erstattungsanspruch des Klägers aufgrund einbehaltener Lohn- und Kirchensteuer als wirksam angesehen werden, ohne daß es der Anrufung des Großen Senats des BFH bedarf.

 

Fundstellen

BFH/NV 1985, 4

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge