Leitsatz (amtlich)

Wer ein mit einem steuerbegünstigten Wohngebäude bebautes Grundstück von einem Miterben erwirbt, der das vor Eintritt des Erbfalles bebaute Grundstück im Wege der Erbauseinandersetzung übertragen erhalten hat, ist nicht Ersterwerber im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG Baden-Württemberg. Offen bleibt, ob dies auch insoweit gilt, als der Miterbe am ungeteilten Nachlaß beteiligt war.

 

Normenkette

GrEStG Baden-Württemberg § 6 Abs. 1 Nr. 10

 

Tatbestand

Die Klägerin verkaufte mit notariell beurkundetem Vertrag vom 4. Juli 1968 ein Einfamilienhaus an die Eheleute X. je zur ideellen Hälfte. Das Grundstück war ursprünglich in unbebautem Zustand von dem Vater der Klägerin zu 10/11 und seinen Enkelkindern J. und K. Y. zu je 1/22 erworben und anschließend bebaut worden. Die Bezugsfertigkeit war am 20. Juli 1963 eingetreten. Der Vater wurde nach seinem Tode von seiner Ehefrau, diese wiederum von ihrem Sohn aus erster Ehe und der Klägerin beerbt. Über den Nachlaß setzten sich diese am 13. Dezember 1967 dergestalt auseinander, daß die Klägerin das Einfamilienhaus übernahm, wobei sie den fehlenden Anteil von 1/11 von J. und K. Y. erwarb.

Das beklagte FA lehnte es ab, für den Erwerb des Grundstücks durch die Eheleute X. Steuerfreiheit wegen Ersterwerbs nach § 6 Abs. 1 Nr. 10 des Baden-Württembergischen Grunderwerbsteuergesetzes vom 2. August 1966 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg S. 165 - GBl, 165 -, BStBl II, 200) - GrEStG - zu gewähren. Es richtete wegen des jeweils hälftigen Erwerbes des Einfamilienhauses durch die Eheleute X. an die Klägerin zwei Grunderwerbsteuerbescheide über jeweils 6 650 DM. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Das FG war demgegenüber der Auffassung, daß die Eheleute X. in Höhe von 10/11 Ersterwerber seien, weil die Klägerin das Einfamilienhaus insoweit im Wege der Erbauseinandersetzung erworben habe und deshalb über dessen Ehefrau als Alleinerbin die Rechtsstellung des Vaters der Klägerin, der das Grundstück zusammen mit seinen beiden Enkeln bebaut habe, fortgesetzt habe. Es setzte die Grunderwerbsteuer deshalb auf je 604,50 DM herab.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Das FA vertritt nunmehr die Auffassung, daß ein steuerfreier Ersterwerb der Eheleute X. in Höhe von 5/11 vorliege, weil die Klägerin insoweit an der Erbengemeinschaft nach der Ehefrau ihres Vaters beteiligt gewesen sei und insoweit die Rechtsstellung ihres Vaters fortgesetzt habe. Gleichzeitig hat das Finanzamt gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO gegen die Klägerin einen berichtigten Grunderwerbsteuerbescheid über 7 254,50 DM erlassen, der an die Stelle der beiden angefochtenen Bescheide über je 6 650 DM getreten ist. Die Klägerin hat beantragt, den Berichtigungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage gegen den Steuerbescheid vom 25. Februar 1970, der gemäß §§ 68, 123 Satz 2 FGO auf Antrag der Klägerin zum Gegenstand des Verfahrens geworden ist.

Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts ist der Erwerb des Grundstücks durch die Eheleute X. zumindest insoweit grunderwerbsteuerpflichtig, als das Finanzamt in seinem berichtigten Bescheid Grunderwerbsteuerpflicht angenommen hat. § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG ist zumindest insoweit nicht anwendbar, weil bereits der Erwerb des Einfamilienhauses durch die Klägerin von der Erbengemeinschaft und von den Enkeln des Vaters der Klägerin ein Ersterwerb im Sinne dieser Vorschrift war. Ein weiterer Erwerb ist steuerlich nicht begünstigt.

Daß bereits der Erwerb des Einfamilienhauses durch die Klägerin von der Erbengemeinschaft und den Enkeln des Vaters der Klägerin der erste Erwerb nach der Fertigstellung des Wohngebäudes war, folgt aus den für die Grunderwerbsteuer maßgebenden Vorgegebenheiten des bürgerlichen Rechts. Zur Eigentumsübertragung waren nicht nur hinsichtlich der den Enkeln des Vaters der Klägerin zustehenden ideellen Miteigentumsanteile, sondern auch hinsichtlich des der Erbengemeinschaft zustehenden Miteigentumsanteils ein notarieller Vertrag (§ 313 BGB) und die Auflassung erforderlich (vgl. RGZ 57, 432; 118, 244). Die Erbengemeinschaft, welche durch das Grunderwerbsteuerrecht als selbständiger Rechtsträger anerkannt wird (vgl. Urteil vom 29. November 1972 II R 42/67, BFHE 108, 257, BStBl II 1973, 372), ist, ohne daß sie eine eigene Rechtspersönlichkeit erlangt, so weit verselbständigt, daß zur Eigentumsübertragung zwischen ihr und Miterben ein schuldrechtlicher und ein dinglicher Vertrag wie zwischen fremden Personen erforderlich sind. Ein auf Übertragung des Grundstücks gerichteter Vertrag zwischen gesamthänderisch verbundenen Miterben und einem einzelnen Miterben ist danach ein der Grunderwerbsteuer unterliegender Vorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, wenn er auch nach § 3 Nr. 3 GrEStG von der Besteuerung ausgenommen ist.

Ist der Erwerb eines Grundstücks durch einen Miterben im Wege der Nachlaßteilung ein der Grunderwerbsteuer unterliegender Vorgang, so Entspricht es dem Gesetzeswortlaut, diesen Vorgang auch als ersten Erwerb im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG anzusehen. Wenn die Erbauseinandersetzung auch nach § 3 Nr. 3 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit ist, so ändert dies nichts daran, daß die Steuerfreiheit für den Ersterwerb durch die Erbauseinandersetzung verbraucht wird. Es gibt keinen Rechtssatz, wonach die Steuerfreiheit für den Ersterwerb auf den Zweiterwerb verlagert wird, wenn der Ersterwerb bereits nach anderen Vorschriften von der Steuer befreit ist.

Wenn der Senat den Erwerb durch Erbfolge nicht als einen Ersterwerb im Sinne des § 1 Nr. 5 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau 1958 (GrEStWoBauG) angesehen hat (vgl. Urteil vom 26. Juli 1961 II 196/60 U, BFHE 73, 576, BStBl III 1961, 475), so hat er hierbei die Besonderheiten der Gesamtrechtsnachfolge im Erbfalle gewürdigt. Diese Rechtsprechung läßt sich jedoch nicht auf den Erwerb unter Lebenden übertragen, auch nicht auf den Erwerb im Wege der Erbauseinandersetzung (vgl. zur vorweggenommenen Erbfolge die Urteile des Senats vom 1. April 1969 II 131/65, BFHE 96, 69, BStBl II 1969, 561; vom 8. Dezember 1970 II R 26/67, BFHE 101, 312, BStBl II 1971, 255, und vom 13. September 1972 II R 49/72, BFHE 107, 313, BStBl II 1973, 86).

Auch der Zweck des § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG erfordert keine Auslegung, die die Erwerbe im Zuge der Erbauseinandersetzung nicht mitzählt. § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG ist hervorgegangen aus § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Baden-Württembergischen Ersten Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau (I. GrEStWG) vom 21. September 1953 (GBl, 147, BStBl II, 125) und § 1 Abs. 1 Nr. 10 des Baden-Württembergischen Zweiten Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau (II. GrEStWG) vom 20. Juli 1962 (GBl, 74, BStBl II 1963, 20). Zunächst war nur der Ersterwerb von einem bestimmten Bauträger steuerfrei. Der erkennbare Zweck des § 6 Abs. 1 Nr. 3 I. GrEStWG ging dahin, eine steuerliche Benachteiligung dann zu verhindern, wenn jemand nur unter Einschaltung eines Bauträgers im Wege des Ersterwerbs Eigentümer eines Hauses werden konnte. Waren zunächst nur bestimmte Bauträger privilegiert, so wurde die Vorschrift durch das II. GrEStWG dahin erweitert, daß eine Beschränkung auf Ersterwerbe von bestimmten Bauträgern entfiel. Rein verbal waren nunmehr zwar auch Ersterwerbe von Bauherren befreit, die für ihren eigenen Bedarf gebaut hatten, das Haus aber innerhalb der Fünfjahresfrist weiterveräußerten. Ihre innere Rechtfertigung aber erhielt die Vorschrift weiterhin dadurch, daß sie Ersterwerbe von Bauträgern von der Grunderwerbsteuer freistellte und dadurch auch denjenigen Personen ohne Grunderwerbsteuerbelastung den Erwerb eines Hauses ermöglichte, die nicht in der Lage waren, auf eigenem Grund und Boden selbst zu bauen.

Wenn die Vorschrift gleichwohl bewirkte, daß auch derjenige, der für sich selbst baute, das Haus innerhalb der fünfjährigen Veräußerungsfrist steuerfrei weiterveräußern konnte, so war dies eine Nebenfolge der in erster Linie für Ersterwerbe von Bauträgern konzipierten Vorschrift, nicht aber ihr Hauptziel. Die dadurch eintretende Bevorzugung derjenigen, die selbst bauen, gegenüber denjenigen, die ihr Haus von einem Bauträger erwerben, hält sich zwar noch innerhalb der Grenzen des Artikels 3 Abs. 1 GG. Es verbietet sich aber jede erweiternde Auslegung dieser Vorschrift dahin, daß auch Erwerbe als Ersterwerbe angesehen werden, die nach der Systematik des Grunderwerbsteuerrechts bereits Zweiterwerbe sind.

Hier ändert auch der Umstand nichts, daß die Erbengemeinschaft eine Zufallsgemeinschaft ist und im allgemeinen auf eine baldige Auseinandersetzung angelegt ist. Mag damit ein Erwerbsvorgang mehr oder weniger zwangsläufig bereits durch den Erbfall ausgelöst werden, so ändert dies jedoch nichts daran, daß die Übertragung eines Grundstücks im Wege der Erbauseinandersetzung ein Erwerbsvorgang ist, der Ersterwerb im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG sein kann. Auch sonst sind zahlreiche Möglichkeiten denkbar, die einen Eigentümer zu einer vielfach nicht gewollten Veräußerung zwingen, ohne daß deshalb ein solcher Erwerbsvorgang nach § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG nicht als Ersterwerb gezählt würde.

Aus dem Urteil des VI. Senats vom 15. Januar 1965 VI 233/63 U (BFHE 82, 13, BStBl III 1965, 252) kann die Klägerin für sich nichts herleiten. Dieses Urteil ist zu § 7 b des Einkommensteuergesetzes ergangen. Es stützt sich vor allem auf wirtschaftliche Erwägungen, die für das Grunderwerbsteuerrecht, das an Rechtsvorgänge anknüpft, keine Bedeutung haben.

Die Frage, ob die Weiterveräußerung durch die Klägerin deshalb in Höhe von 5/11 steuerfrei ist, weil sie insoweit nicht als Ersterwerberin anzusehen ist, als sie selbst an der Erbengemeinschaft beteiligt war, stellt sich nicht mehr, da das Finanzamt insoweit bereits Steuerfreiheit durch den berichtigten Grunderwerbsteuerbescheid, der Gegenstand des Verfahrens geworden ist, gewährt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71361

BStBl II 1975, 457

BFHE 1975, 286

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