Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliche Auswertung eines Grundlagenbescheids

 

Leitsatz (NV)

Ein Steuerbescheid kann aufgrund eines Grundlagenbescheids auch dann noch geändert werden, wenn der Grundlagenbescheid bereits bei Erlaß eines früheren Steuerbescheids hätte berücksichtigt werden können (Anschluß an ständige Rechtsprechung).

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 175 Nr. 1 (jetzt § 175 Abs. 1 Nr. 1); EStG § 21a

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist seit 1970 Eigentümer eines mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücks. Das Gebäude enthält zwei Wohnungen. Eine Wohnung nutzt der Kläger selbst, die andere hat er vermietet. In seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1976 bis 1978 ermittelte der Kläger - wie in den Jahren zuvor - seine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung durch Überschuß der Einnahmen (einschließlich Mietwert) über die Werbungskosten. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) veranlagte ihn zunächst erklärungsgemäß.

Anläßlich einer Außenprüfung im Jahre 1980 bemerkte das FA, daß das Gebäude in den Streitjahren als Einfamilienhaus bewertet war. Es änderte daraufhin die Einkommensteuerbescheide für 1976 bis 1978 nach § 175 Nr. 1 (jetzt § 175 Abs. 1 Nr. 1), § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Dabei ermittelte es den Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung nach §§ 21 Abs. 2, 21a des Einkommensteuergesetzes (EStG) und für den vermieteten Teil des Hauses nach § 21a Abs. 4 Satz 2 EStG den Überschuß der Mieteinnahmen über die anteiligen Werbungskosten.

Das Finanzgericht (FG) hat der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage stattgegeben und die geänderten Steuerbescheide aufgehoben, weil die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht vorgelegen hätten. Das FA habe aufgrund eines handschriftlichen Vermerks in der Einkommensteuererklärung für 1970 und den Angaben der Bewertungsstelle des FA vom 11. Juni 1970 in den Vermögensteuerakten des Klägers bereits bei Erlaß der ursprünglichen Steuerbescheide wissen können und müssen, daß das Gebäude als Einfamilienhaus bewertet worden sei.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 175 Nr. 1 AO 1977.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Klage ist unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Vorentscheidung verletzt § 175 Nr. 1 AO 1977. Das FA durfte nach dieser Vorschrift die früheren Steuerbescheide ändern.

Nach § 175 Nr. 1 AO 1977 war das FA verpflichtet, aus dem Einheitswertbescheid mit der Artfeststellung des Grundstücks als Einfamilienhaus die Folgerung für die Einkommensteuerfestsetzungen des Klägers zu ziehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Mai 1981 VIII R 103/78, BFHE 134, 210, BStBl II 1982, 99). Der Einheitswertbescheid ist hinsichtlich der Feststellung der Grundstücksart und der Höhe des Einheitswerts für die Ermittlung der Einkünfte aus einem eigengenutzten Haus bindend (§ 21a Abs. 1 EStG). Im Streitfall mußte daher der Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung im eigenen Haus aufgrund des anteiligen Einheitswerts des Grundstücks ermittelt werden, wie es in den angefochtenen Änderungsbescheiden zutreffend geschehen ist (vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1982 VIII R 153/81, BFHE 138, 180, BStBl II 1983, 627).

Ein Steuerbescheid kann auch dann noch geändert werden, wenn der Grundlagenbescheid bereits bei Erlaß eines früheren Steuerbescheids hätte berücksichtigt werden können (BFH-Urteile vom 9. August 1983 VIII R 55/82, BFHE 139, 341, BStBl II 1984, 867, und vom 6. November 1985 II R 255/83, BFHE 145, 117, BStBl II 1986, 168). Der Wortlaut des § 175 Nr. 1 AO 1977 sieht - anders als der des § 173 AO 1977 - eine Einschränkung der Änderungsmöglichkeit nicht vor. Er durchbricht vielmehr den Grundsatz der Rechtssicherheit und gibt dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung den Vorrang (vgl. BFHE 134, 210, BStBl II 1982, 99). Das rechtfertigt es, die Änderung eines Folgebescheids nach diesen Vorschriften unabhängig davon vorzunehmen, ob die Möglichkeit hierzu bei Erlaß des Folgebescheids bereits vorhanden war (BFH-Urteil vom 4. Juli 1989 VIII R 217/84, BFHE 157, 427, BStBl II 1989, 792, und Senatsurteil vom 26. Februar 1985 IX R 59/82, BFH/NV 1985, 6). Für den Steuerpflichtigen tritt insofern kein Rechtsnachteil ein; denn er hat - wie im Streitfall - in der Regel Kenntnis von dem Grundlagenbescheid und muß daher mit einem angepaßten Folgebescheid rechnen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 218

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