Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerberichtigung bei rechtsfehlerhafter Beurteilung des Vorsteuerabzugs

 

Leitsatz (NV)

Das Finanzamt kann den rechtsfehlerhaft gewährten Vorsteuerabzug für die Herstellung von zwei zwischenvermieteten Eigentumswohnungen innerhalb des Vorsteuerberichtigungszeitraums nach §15 a Abs. 1 UStG berichtigen, wenn die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr unabänderbar ist und deshalb eine Änderung dieser Steuerfestsetzung nach den Vorschriften der Abgabenordnung nicht mehr durchführbar ist.

 

Normenkette

UStG 1980 § 15 Abs. 1-2, § 15a Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) vermietete zwei von ihm im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft in den Jahren 1983 und 1984 hergestellte Eigentumswohnungen in N ab Januar 1985 an einen gewerblichen Zwischenvermieter, die A-Gesellschaft. Er verzichtete auf die Steuerbefreiung für die Vermietung von Grundstücken und zog die ihm von Bauhandwerkern berechnete Umsatzsteuer als Vorsteuer ab. Die A-Gesellschaft vermietete die Wohnungen, wozu sie vertraglich berechtigt war, an Endmieter. Bei einem "Auslaufen"des Mietvertrages mit der A-Gesellschaft sollten die mit Dritten begründeten Mietverhältnisse von dem Eigentümer übernommen werden.

Nachdem die A-Gesellschaft in wirtschaft liche Schwierigkeiten geraten war, der Kläger das Mietverhältnis mit ihr am 26. Februar 1986 fristlos gekündigt hatte und am 1. April 1986 das Konkursverfahren über das Vermögen der A-Gesellschaft eröffnet worden war, schloß er zum 1. Mai 1986 mit der Firma L Mietverträge über die erwähnten Wohnungen zu einem verminderten Mietzins ab. Die Mietverträge mit den Wohnungsmietern hatte der Konkursverwalter der A-Gesellschaft zum 30. Juni 1986 gekündigt.

Nach einer Betriebsprüfung beurteilte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Vermietung der Wohnungen an die Firma L nicht mehr als steuerpflichtige Umsätze. Das FA berichtigte die abgezogenen Vorsteuern in den Umsatzsteuerfestsetzungen für 1986 bis 1988 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 1993 gemäß §15 a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980). Das Finanzgericht (FG) gab der hierauf erhobenen Klage statt, weil das FA die Vorsteuer zu Unrecht berichtigt habe.

Mit der Revision rügt das FA unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) unrichtige Anwendung von §15 a UStG 1980.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Vorentscheidung entspricht nicht der Auslegung des §15 a UStG 1980 durch den BFH.

1. Der Kläger hat -- wie das FG unzutreffend entschieden hat -- seine Wohnungen ab 1985 steuerfrei und damit vorsteuerabzugsschädlich vermietet (§15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. §4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980), weil die Zwischenvermietung als rechtsmißbräuchliche Gestaltung (§42 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) nicht berücksichtigt werden kann. Dies ist jedoch in den Abzugsjahren (1983 bis 1984) und im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (1985) von dem FA nicht erkannt worden. Daß der Kläger seine Wohnungen auch in den Streitjahren (1986 bis 1988) steuerfrei und damit vorsteuerabzugsschädlich (§15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. §4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) vermietet hatte, ist offensichtlich, weil ein umsatzsteuerrechtlich anzuerkennender Grund, vermietete Wohnungen an einen zweiten Zwischenvermieter zu vermieten, nicht vorhanden war.

2. Ob das FA den Vorsteuerabzug in den angefochtenen Steuerfestsetzungen zutreffend nach §15 a UStG 1980 berichtigt hat, hängt von bisher nicht getroffenen Feststellungen ab.

Nach §15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern. Mit den im Erstjahr für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände gemeint, unter denen der Unternehmer mit dem bezeichneten Wirtschaftsgut die Umsätze ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß §15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts im Abzugsjahr ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).

3. Die Verhältnisse ändern sich i. S. von §15 a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sein.

a) Der Senat hat mit den Urteilen vom 16. Dezember 1993 V R 65/92 (BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485), V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) und V R 24/93 (BFH/NV 1995, 448), vom 27. Januar 1994 V R 31/91 (BFHE 173, 463, BStBl II 1994, 488) sowie vom 17. Februar 1994 V R 44/92 (BFH/NV 1995, 352) entschieden, die Änderung der "maßgebenden Verhältnisse" könne auch dadurch eintreten, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Voraussetzung ist aber, daß die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Der Senat hat der rechtlichen Beurteilung für die Vorsteuerberichtigung nach §15 a Abs. 1 UStG 1980 insoweit dieselbe Wirkung wie bei einer Gesetzesänderung zuerkannt (vgl. dazu BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983; Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, §15 a Rz. 48). Dieser Rechtsprechung des Senats hat sich der XI. Senat in dem Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BStBl II 1997, 370) angeschlossen. Der Senat hat seine Rechtsprechung durch Urteil vom 12. Juni 1997 V R 36/95 (BFHE 182, 462, BStBl II 1997, 589) fortgeführt. Darauf nimmt der Senat Bezug.

b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dargelegte Auslegung des §15 a UStG 1980 bestehen nicht. Die Verfassungs beschwerde gegen das Senatsurteil in BFH/NV 1995, 444 ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 9. August 1994 1 BvR 592/94).

c) Entscheidungserhebliche Zweifelsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegt werden müßten, stellen sich im Streitfall nicht, weil Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) die Berichtigung des Vorsteuerabzugs "nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten" vorsieht, diesen somit einen Freiraum bei der Umsetzung der Richtliniengrundsätze (Art. 20 Abs. 1 vor Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG) vorbehält.

4. Der Senat kann im Streitfall nicht abschließend entscheiden. Das FG hat aufgrund seines Rechtsstandpunkts keine Feststellungen zur Änderbarkeit der Steuerfestsetzungen in den Abzugsjahren und zur Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze in den Streitjahren getroffen. Der Senat verweist die Sache deshalb an das FG zurück.

Unabänderbarkeit ist gegeben, wenn bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr, in der der Steuerberichtigungsbetrag nach §15 a UStG 1980 berücksichtigt worden ist, keine Gründe (z. B. nach §§172 ff. AO 1977) für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr vorliegen. Wenn die erstmalige tatsächliche Verwendung (Vermietung der Objekte) nicht im Abzugsjahr, sondern in dem späteren Erstjahr erfolgt, ist für die Änderbarkeit der Steuerfestsetzung des Abzugsjahres §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II. 2.) handelt es sich bei der erstmaligen tatsächlichen Verwendung um ein auf das Abzugsjahr zurückwirkendes Ereignis. In diesem Fall beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt (§175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 359

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