Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein freiberuflich tätiger Arzt, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt, muß in der Jahresschlußbilanz auch die ausstehenden Forderungen ausweisen. Dies gilt auch für solche Forderungen, die aus der Behandlung von Kassenpatienten des IV. Jahresquartal herrühren. Die Höhe dieser Außenstände ist gegebenenfalls im Schätzungswege zu ermitteln, wenn am Tage der Bilanzaufstellung eine endgültige Abrechnung noch nicht vorliegt.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, § 6/2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beschwerdegegner (Bg.), der praktischer Arzt ist und seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt, verpflichtet war, zu den jeweiligen Bilanzstichtagen seine Forderungen gegen die Vereinigung der Sozialversicherungsärzte von Berlin (VSB) aus Leistungen im IV. Quartal der Veranlagungszeiträume 1949, 1951 und 1952 auszuweisen. In der Zeit vom Januar 1955 bis Mai 1955 fand mit Unterbrechungen bei dem Bg. eine Betriebsprüfung statt, bei der der Prüfer feststellte, daß der Bg. Forderungen in den Handelsbilanzen der Jahre 1949 bis 1953 mit Ausnahme der Anfangsbilanz 1949 nicht ausgewiesen hatte. Diese Forderungen betrugen nach den Feststellungen des Prüfers am 31. Dezember 1949 3050 DM, am 31. Dezember 1950 950 DM, am 31. Dezember 1951 2184 DM, am 31. Dezember 1952 2795 DM und am 31. Dezember 1953 3307 DM. Gemäß § 222 AO wurden für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1952 Berichtigungsveranlagungen durchgeführt.

Der Einspruch hiergegen hatte nur zu einem Teil Erfolg. Der Steuerausschuß war der Ansicht, daß die ausstehenden Forderungen, auch soweit sie das IV. Quartal des Veranlagungsjahres beträfen, aktiviert werden müßten, da diese Forderungen allenfalls wegen ihrer Höhe zweifelhaft sein könnten. Dem hätte aber der Bg. durch Einstellung von Wertberichtigungsposten abhelfen können. Es sei nicht zu bestreiten, daß zur Zeit der Einreichung der Steuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1953 auch die das IV. Quartal betreffenden Abschlußzahlungen bereits eingegangen waren. Der Bg. habe die bis zur Bilanzerstellung gewonnene Erkenntnis bei dieser verwerten müssen.

Außerdem war noch die Abzugsfähigkeit gewisser Ausgaben als Betriebsausgaben streitig, die im Rechtsbeschwerdeverfahren jedoch nicht mehr zur Erörterung stehen.

Die Berufung, die sich im wesentlichen gegen die Aktivierungspflicht der Forderungen an die VSB der Jahre 1949, 1951 und 1952, soweit sie das letzte Quartal dieser Jahre betreffen, richtete, hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht führte dazu aus: Die Ansprüche des Bg. seien an den Bilanzstichtagen weder aktivierungspflichtig noch überhaupt aktivierungsfähig gewesen. Der Bg. habe zwar infolge seiner ärztlichen Tätigkeit eine gewisse Aussicht auf Einnahmen gehabt, die jedoch nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung noch nicht hätten aktiviert werden können. Der Bg. habe infolge seiner Leistungen am Bilanzstichtag zwar besser dagestanden als ein Arzt, der keine ärztliche Leistung erbracht habe. Diese wirtschaftliche Besserstellung habe jedoch in der Bilanz nicht zum Ausdruck gebracht werden können, da dies erst möglich sei, wenn diese Aussicht sich in eine konkrete Forderung umgewandelt habe. Das sei aber zum Bilanzstichtag noch nicht geschehen. Insbesondere würde eine um Kredit angegangene Bank, der der Bg. als Sicherheit seine Ansprüche gegen die VSB angeboten haben würde, im Hinblick auf das Schreiben vom 10. Mai 1954 und die darin geäußerte Auffassung der VSB den Kreditantrag in vollem Umfang abgelehnt haben.

Auch die Rechtsprechung (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 206/55 U vom 29. November 1956, BStBl 1957 III S. 234, Slg. Bd. 65 S. 1) gehe davon aus, daß ein Anspruch, um aktiviert werden zu können, zumindest entstanden sein müsse. Wenn der Prüfer annehme, daß die Abnahme der Leistung des Bg. durch die VSB bereits mit Abschluß der Behandlung der Kassenpatienten erfolgt sei, so könne das Gericht dem nicht folgen. Auf die Auffassung des Kassenpatienten könne es nicht ankommen, da zwischen dem Bg. und ihm keinerlei Vertragsbeziehungen, sondern nur solche zwischen dem behandelnden Arzt und der Kasse bestünden. Es handle sich somit um einen Vertrag zwischen Arzt und Kasse zugunsten Dritter, nämlich zugunsten des Kassenpatienten. Es komme also nur auf die Einstellung der Kasse an. Die Krankenversicherungsanstalt Berlin (KVAB) habe aber der VSB, wie sich aus deren Schreiben vom 10. Mai 1954 ergebe, ihre Rechte aus den Verträgen mit den Kassenärzten übertragen. Die VSB sei demnach allein abnahmeberechtigt. Sie übe dieses Recht auch aus, indem sie die Leistungen der Kassenärzte nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung überprüfe. Diese Prüfung erfolge aber erst Monate nach Ablauf des IV. Quartals eines Jahres. Die Abnahme sei auch für die behandelnden ärzte durchaus noch mit einem Risiko behaftet gewesen, da diese das keineswegs unbedeutende Morbiditätsrisiko tragen müßten. Das Gericht stimme daher mit der VSB darin überein, daß der Bg. seinen Rechtsanspruch auf Honorar aus dem IV. Quartal auch nicht entfernt einigermaßen genau am Bilanzstichtag habe bestimmen können. Dem Arzt sei auch die Zahl der Behandlungsfälle anderer ärzte, die die Höhe seines Honoraranspruchs mitbestimmten, unbekannt. Ihm sei mithin eine genaue Berechnung seines Restanspruchs auch nicht möglich. Frühestens könne eine aktivierungspflichtige Forderung entstehen, wenn der Arzt die von seinen Kassenpatienten erhaltenen Krankenscheine ausfülle und bei der VSB einreiche. Da diese Einreichung aber erst nach Ablauf des jeweiligen Quartals überhaupt zulässig sei, könne auch die Forderung des Bg. erst nach Ablauf dieses Quartals entstanden sein.

Die Ansicht des Vorstehers des Finanzamts, wonach der Bg. seine Kenntnisse über die Höhe der Forderungen, die er vor Aufstellung seiner Bilanzen erlangt hatte, bei deren Aufstellung hätte berücksichtigen müssen, würde nur dann Bedeutung haben, wenn die Forderungen am Bilanzstichtag wenigstens bereits entstanden und lediglich ihrer Höhe nach ungewiß gewesen wären. Da die Forderungen jedoch nach der Ansicht des Gerichts am Bilanzstichtag noch nicht entstanden gewesen seien, komme es somit auf die Kenntnis des Bg. nach dem Bilanzstichtag, aber vor Aufstellung der Bilanzen nicht an.

Das Verwaltungsgericht hat demgemäß Gewinn sowie Einkommen berechnet und die Einkommensteuer für die Streitjahre neu festgesetzt.

 

Entscheidungsgründe

Dagegen richtet sich die Rb. des Vorstehers des Finanzamts, mit der unrichtige Rechtsanwendung hinsichtlich der Aktivierung der Forderungen des Bg. für das IV. Quartal des jeweiligen Veranlagungsjahres gerügt wird. Es könne nicht darauf ankommen, ob die Forderung fällig, sondern nur darauf, ob sie entstanden sei, d. h. ob der berechtigte Bg. seine Leistungsverpflichtung aus dem Vertrag erfüllt habe. Das sei aber hier der Fall. Ein schwebendes Geschäft liege nicht vor. Der Bg. habe nach Erfüllung seines Vertrages einen Honoraranspruch gegen die VSB gehabt. Die weiteren vom Verwaltungsgericht erwähnten Umstände, daß vor Leistung der endgültigen Zahlung erst noch eine Prüfung des Anspruchs habe erfolgen müssen, sei für die Fälligkeit und Höhe, nicht aber für die Entstehung der Forderung selbst von Bedeutung. Streitig könne nur die Höhe der Forderungen an den jeweiligen Bilanzstichtagen gewesen sein, die an diesen Tagen zweifellos noch nicht endgültig festgestanden habe. Die Höhe der Forderungen sei daher in der Regel durch Schätzung zu ermitteln gewesen, wobei erfahrungsmäßige Abschläge der VSB zu berücksichtigen gewesen seien.

Der Bg. ist nach wie vor der Ansicht, daß es sich im Streitfall um schwebende Geschäfte handle, bei denen es auf die Leistungsabnahme der VSB ankomme, die aber erst nach dem Bilanzstichtag erfolgt sei. Auch sei seiner Ansicht nach das Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1103/31 vom 5. August 1931 (Steuer und Wirtschaft 1931 Nr. 891) nur hinsichtlich der Behandlung von Vorschüssen bei freien Berufen als überholt anzusehen. Im übrigen hätten aber bezüglich der Behandlung von Forderungen bei freien Berufen Regeln zu gelten, die von der Behandlung der Forderungen bei Gewerbetreibenden nicht unbeträchtlich abwichen. Man müsse es bei freiberuflich tätigen Personen auf den Zeitpunkt der Erteilung einer Liquidation abstellen, dem im Streitfalle die Einreichung der Krankenscheine bei der VSB entspreche. Diese Einreichung sei aber stets erst nach dem Bilanzstichtag erfolgt.

Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes: Der Bg. ermittelt seinen Gewinn unstreitig nach § 4 Abs. 1 EStG. Als Angehöriger eines freien Berufes hat er zwar grundsätzlich das Wahlrecht, ob er seinen Gewinn durch Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 3 EStG oder durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermitteln will. Entscheidet er sich, wie im Streitfalle, für die letztgenannte Methode, dann muß er auch die sich daraus ergebenden Folgerungen ziehen (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs IV 159/53 U vom 2. September 1954, BStBl 1954 III S. 314, Slg. Bd. 59 S. 266). Die Auffassung des Reichsfinanzhofs im Urteil VI A 1103/31 vom 5. August 1931 (a. a. O.), die es darauf abstellt, inwieweit es bei ärzten den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht, Forderungen auszuweisen, trifft seit 1934 nicht mehr die objektive Regelung des § 4 Abs. 1 EStG und ist daher mit Recht vom Bundesfinanzhof im Urteil vom 2. September 1954 (a. a. O.) als überholt bezeichnet worden (siehe dazu auch die Urteile des Finanzgerichts Düsseldorf vom 25. Februar 1958, Entscheidungen der Finanzgerichte 1959 S. 156, und des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 29. April 1959, Entscheidungen der Finanzgerichte 1959 S. 234).

Demzufolge ist nach Ansicht des Senats davon auszugehen, daß Forderungen des Arztes grundsätzlich in der Bilanz auszuweisen sind, sobald sie als entstanden anzusehen sind. Wann das der Fall ist, mag im Einzelfall streitig sein. Insbesondere mag es zweifelhaft sein, ob es sich bei der Leistung des Arztes um ein sogenanntes schwebendes Geschäft handelt, das der Abnahme der Leistung durch den Geschäftsherrn bedarf (siehe dazu das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats IV 226/58 S vom 28. Januar 1960, das davon ausgeht, daß bei Dienstverträgen - und um solche handelt es sich bei den Arztverträgen - im Gegensatz zum Werkvertrag eine Leistungsabnahme nicht in Betracht kommt). Die Rechtsprechung hat sich hinsichtlich der Behandlung von Forderungen bei Handelsvertretern mehrfach mit dem hier streitigen Rechtsproblem befaßt (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs IV 206/55 U vom 29. November 1956, a. a. O., und die dort angeführte Rechtsprechung). Es kann jedoch zweifelhaft sein, ob die dort entwickelten Grundsätze uneingeschränkt auch auf die Forderungen von ärzten angewandt werden könne, insbesondere ob auch von einer Abnahme der ärztlichen Leistungen gesprochen werden kann. Diese Frage verneint der Senat. Es muß vielmehr grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß der Arzt seine Leistung mit der Heilbehandlung erfüllt hat. Mit der Erfüllung der vertraglichen Dienstleistung hat der Arzt einen Anspruch auf Zahlung des Honorars erworben und damit entsprechend dem Prinzip der Sollberechnung, die dem Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG innewohnt, auch einen Gewinn verwirklicht.

Ist das aber der Fall, so erfordern es die Grundsätze der ordnungsmäßigen Buchführung, daß er am Bilanzstichtag die bestehenden Forderungen ausweist. Die weiteren Fragen der Prüfung durch die VSB und etwaiger Abstriche durch dieselbe können dann nur noch die Höhe der Forderungen berühren, nicht aber ihren grundsätzlichen Bestand. Auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung kommt es daher, wie der Bundesfinanzhof und das Niedersächsische Finanzgericht (a. a. O.) zutreffend ausgeführt haben, nicht an, wobei dahingestellt bleiben kann, ob eine solche, wie der Bg. selbst meint, nicht in der Einreichung der Kassenscheine bei der VSB zu erblicken ist.

Diese grundsätzlichen Erwägungen führen nach Ansicht des Senats auch zur Bejahung der Aktivierungspflicht der Forderungen des Steuerpflichtigen, die ihm aus der Heilbehandlung von Kassenpatienten im IV. Quartal eines Kalenderjahres erwachsen sind. Nach Ablauf dieses Quartals ist die Behandlung, also die Leistung des Bg., mindestens gebührentechnisch abgeschlossen. Das kommt in der übersendung der Krankenscheine (unter Aufführung der Leistungen) an die VSB zum Ausdruck, mag sich auch die Prüfung und Berechnung der endgültigen Zahlung noch einige Monate hinziehen. Dadurch wird nur die Höhe der Gebührenansprüche betroffen. Auch daß die Abrechnung der Gebühren erst nach dem Bilanzstichtag erfolgt, steht nicht der Annahme entgegen, daß der Bg. wirtschaftlich seinen Gewinn verwirklicht hat. Hierbei ist wesentlich, daß die gesamten Forderungen, die dem Veranlagungszeitraum bis zum Bilanzstichtag angehören, berücksichtigt werden müssen (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs IV 206/55 U, a. a. O.).

Dem Bg. ist zuzugeben, daß er am jeweiligen Bilanzstichtag noch nicht die zutreffende Kenntnis über die Höhe seiner Abschlußzahlung für das IV. Quartal besessen hat. Er wird sie aber angesichts der in der Einspruchsentscheidung genannten und nicht bestrittenen späten Termine für die Einreichung der Steuererklärungen bis zur tatsächlichen Erstellung der Bilanzen ohne Zweifel erlangt haben. Diese Kenntnis, die er in der Zwischenzeit erlangt hat, muß aber bei der Bilanzerstellung verwertet werden. äußerstenfalls verbleibt dem Bg. die Möglichkeit, die Höhe dieser Außenstände unter Berücksichtigung vorausgegangener Abrechnungen und der etwa erfahrungsgemäß erfolgenden Abschläge durch die VSB zu schätzen.

Nach alledem ist die Rb. sachlich begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht, das nunmehr nach den vorstehenden Ausführungen Gewinn, Einkommen und Einkommensteuer für die Streitjahre neu zu berechnen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409664

BStBl III 1960, 268

BFHE 1961, 53

BFHE 71, 53

BB 1960, 729

DB 1960, 802

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