Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die für ein Gebäude bestehende Abbruchsgefahr kann als Schadensgefahr im Sinne des § 37 Abs. 1 BewDV anzusehen sein.

 

Normenkette

BewDV § 37 Abs. 1, § 37/2; BewG § 82/1

 

Tatbestand

Streitig ist die Fortschreibung des Einheitswerts für das bebaute Grundstück des Beschwerdeführers (Bf.) auf den 1. Januar 1949. Das Gebäude war im Krieg zerstört. Es wurde in den Jahren 1946 - 1948 vom Bf. in dem früheren Zustand wieder aufgebaut. Am 21. Juni 1948 war der Rohbau im wesentlichen fertiggestellt. Der Innenausbau (die gesamten Tischlerarbeiten, Putzarbeiten, Deckenarbeiten) fehlte noch. Im Oktober 1948 bezog der Bf. in dem Neubau einen Raum und wohnte darin. Am 1. Januar 1949 war der ganze Bau bis auf die Malerarbeiten und Putzarbeiten, insbesondere den Außenputz, fertiggestellt. Das Finanzamt hat den Einheitswert des Grundstücks auf den 1. Januar 1949 auf 29.200 DM fortgeschrieben. Der Einheitswert des Grundstücks mit dem später zerstörten Gebäude betrug am letzten vorangegangenen Feststellungszeitpunkt (1. Januar 1940) 21.400 RM. Der Bf. wendet gegen die Fortschreibung ein, daß das wiedererrichtete Gebäude am 1. Januar 1949 wertlos gewesen sei. Nach der Stadtplanung sei eine Straßenverbreiterung vorgesehen. Es sei damit zu rechnen, daß er das Haus um ca. 9 Meter zurückverlegen müsse. Durch Beschluß der Baupolizei vom 7. Januar 1950 sei der inzwischen erfolgte Wiederaufbau des Gebäudes nicht genehmigt worden, und es müsse jederzeit auf Verlangen des Bauaufsichtsamts vom Bf. auf seine Kosten abgebrochen werden. Bei den Einheitswertakten befindet sich die Ausfertigung eines Bescheids des Bauaufsichtsamts betreffend Bau-Schlußabnahme-Meldung vom 17. November 1951, in dem unter der Spalte Abnahme-Datum eingetragen ist: Abgelehnt am 7. Januar 1950. Der Einspruch wurde vom Steuerausschuß als unbegründet zurückgewiesen. In der Berufung hat der Bf. noch ausgeführt, daß ihm der im Jahre 1945 gestellte Antrag auf Erteilung der Bauerlaubnis im Jahre 1950 mit dem Vermerk zurückgesandt worden sei, daß die Bauerlaubnis nicht erteilt werden könne. Das Haus sei inzwischen fertiggestellt gewesen; während des Aufbaus hätten Beamte der Baubehörde den Bau besichtigt und Anweisungen gegeben, die von ihm befolgt worden seien. Eine Klage gegen die Baubehörde sei von dem Oberverwaltungsgericht mit dem Anheimgeben abgewiesen worden, Schadensersatzansprüche gegen die zuständigen Behörden geltend zu machen. Er beantragt, nur den Wert des Grund und Bodens anzusetzen. Das Finanzamt hat in seiner Stellungnahme zur Berufung ausgeführt: Die Stadt habe nach dem Kriege für weite Gebiete eine vorläufige Bausperre angeordnet, ohne daß jedoch irgendwelche Beschlüsse gefaßt worden seien, wie diese Gebiete später gestaltet werden sollten. So sei auch für die hier in Betracht kommende Straße und die angrenzenden Straßenzüge die vorläufige Bausperre angeordnet worden. Tatsächlich sei auch heute (Juni 1952) noch nicht darüber entschieden, ob die Straße verbreitert werde. Zur Zeit der Fortschreibung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1949 am 18. Januar 1950 sei die Planung noch völlig ungewiß gewesen. Das Finanzgericht hat folgende Anfrage an das Bauaufsichtsamt gerichtet: "In einem Bescheid vom 7. Januar 1950 ist gesagt, daß der vom Bf. ohne Bauerlaubnis und Lizenz bereits ausgeführte Bau nur befristet geduldet werden könne unter Vorbehalt des jederzeitigen Abbruchverlangens. Es wird um Mitteilung gebeten, bis zu welchem Zeitpunkt voraussichtlich der Grundstückseigentümer mit dem Abbruch des Gebäudes rechnen muß, oder ob etwa die Möglichkeit besteht, daß die geplante Zurücknahme der Baufluchtlinie (ca. 9 m) nicht realisiert wird." Die Antwort des Bauaufsichtsamts ging dahin, daß die Straße um etwa 9 m verbreitert werde. Ein Beschluß liege jedoch bisher nicht vor. Wann mit der Durchführung dieser Maßnahme zu rechnen sei, könne im Augenblick noch nicht gesagt werden. In der mündlichen Verhandlung mit dem Finanzgericht hat der Bf. ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung folgende Urkunden vorgelegt:

1) Bau- oder Instandsetzungserlaubnis, Lizenz III/229 Datum: 27. 4. 1946 gültig bis 30. 9. 1946 verlängert bis 1947

2) Bescheid vom 4. Mai 1946 über Zuteilung der Lizenz Nr. III/229 und Berechtigung zur Durchführung der genehmigten Bauarbeiten, sowie Inanspruchnahme bewirtschafteter Arbeitskräfte und Baustoffe.

3) Bescheid des Bauaufsichtsamts vom 1. Januar 1950, worin "der Bauantrag vom 30. Januar 1945 auf Grund der §§ 119, 124 der Bauordnung vom 21. Oktober 1906 abgelehnt wird, weil

durch den Wiederaufbau der Tischlerei das Grundstück vollständig bebaut wird,

eine gesicherte Licht- und Luftzuführung nicht vorhanden ist. Auch nach § 3 Abs. 2 der Staffelbauordnung würde eine Ablehnung erfolgen, da das Grundstück im Umgestaltungsgebiet liegt und der Wiederaufbau hiermit in Widerspruch steht.

Der von ihnen ohne Bauerlaubnis und Lizenz bereits ausgeführte Bau kann nur befristet geduldet werden und auch nur unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Abbruchsverlangens -."

Außerdem hat der Bf. ausgeführt, daß es ihm unmöglich sei, wegen der Abbruchsmöglichkeit eine Beleihung des Grundstücks vorzunehmen. Das Finanzgericht hat den Einheitswert auf den 1. Januar 1949 um 8.760 DM auf 20.400 DM herabgesetzt. In den Gründen des Urteils wird ausgeführt: Wenn auch kein rechtskräftiger Beschluß über die Straßenverbreiterung vorläge, könne der Bf. doch damit rechnen, daß sein Haus über kurz oder lang abgebrochen werden müsse. Es könne nicht zweifelhaft sein, daß diese bereits am Stichtag bestehende Möglichkeit den gemeinen Wert des Grundstücks beeinträchtige. Der Umstand, der diese Beeinträchtigung zur Folge habe, ergebe sich aus der Lage des Grundstücks im Umgestaltungsgebiet. Daher sei eine Ermäßigung Grundstückswerts gemäß § 37 Abs. 3 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz - BewDV - um 30 v. H. = 8.760 DM gerechtfertigt.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Grundstückseigentümers, in der im wesentlichen das frühere Vorbringen wiederholt wird. Er beantragt, die Wertfortschreibung bis zum vollen Ausbau des Gebäudes auszusetzen, evtl. vorläufige Bewertung nach dem Wert des Grund und Bodens in Höhe von 5.400 DM vorzunehmen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Das Grundstück ist als gemischtgenutztes Grundstück gemäß § 33 Abs. 1 BewDV mit dem Vielfachen der Jahresrohmiete bewertet worden. Die Bewertung nach dem Vielfachen der Jahresrohmiete ist Bewertung mit dem gemeinen Wert (Urteil des Reichsfinanzhofs III A 30/37 vom 9. April 1937, Reichssteuerblatt 1937 S. 634). Soweit das Verlangen des Bf. dahin geht, diesen Wert niedriger festzusetzen, kann ihm nur im Rahmen des § 37 BewDV entsprochen werden. Nach § 37 Abs. 1 a. a. O. ist der Wert eines Grundstücks, der sich aus dem Vielfachen der Jahresrohmiete ergibt, zu ermäßigen oder zu erhöhen, wenn Umstände tatsächlicher Art vorliegen, die von den bei der Bildung der Vervielfältiger zugrunde gelegten Verhältnissen des Bezirks und der Grundstücksgruppe wesentlich abweichen. Solche Umstände sind, vorbehaltlich des Abs. 2, nur: Der bauliche Zustand, das Alter oder die Einrichtung des Gebäudes, die Lage des Grundstücks, die Art der Bebauung, Schadensgefahren (z. B. Berg-, Rauch-, Wasser- oder Erschütterungsschäden), die Belastung mit Gebäudeentschuldungssteuer. Abs. 2 ermächtigt die Oberfinanzpräsidenten zur Bestimmung weiterer Umstände, die eine Wertermäßigung oder Werterhöhung rechtfertigen. Im Streitfall ist, soweit ersichtlich, von dieser Ermächtigung kein Gebrauch gemacht. Das Finanzgericht ist der Auffassung, daß die für das Grundstück des Bf. am Fortschreibungszeitpunkt bestehende Abbruchsmöglichkeit sich aus der Lage des Grundstücks im Umgestaltungsgebiet ergebe und daher nach § 37 Abs. 1, 3 a. a. O. zu berücksichtigen sei. Dagegen verneint das Finanzamt die Zulässigkeit der Ermäßigung der Bewertung, weil am 1. Januar 1949 und auch jetzt (1953) noch nicht zu übersehen sei, ob und wann die geplante Straßenverbreiterung durchgeführt werde. Die Lage des Gebäudes im sogenannten Sperrgebiet rechtfertigt nach Auffassung des Senats für sich allein noch keine Minderbewertung der dortgelegenen, bebauten Grundstücke. Es ergibt sich jedoch für das hier in Betracht kommende Gebäude die Besonderheit, daß es nach dem erwähnten Bescheid des Bauaufsichtsamts nur befristet und unter Vorbehalt des jederzeitigen Abbruchsverlangens geduldet wird. Gründe dafür, daß das Abbruchverlangen nicht ernst zu nehmen sei, sind weder geltend gemacht noch erkennbar. Die Abbruchgefahr für ein Gebäude mindert grundsätzlich dessen Wert, wie wiederholt in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs anerkannt worden ist. (Urteil III A 348/32 vom 19. Januar 1933, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1933 Nr. 245 und III A 41/35 vom 7. März 1935, StuW 1935 Nr. 243). Gegen die vom Finanzgericht aus diesem Grunde vorgenommene Ermäßigung des Grundstückswertes bestehen daher keine Bedenken. Allerdings wird nicht die Lage des Grundstücks im Sperrgebiet als Grund für die Ermäßigung nach § 37 Abs. 1, 3 BewDV anzusehen sein, sondern die für das Gebäude bestehende Schadensgefahr (Abbruchsgefahr). Die im § 37 Abs. 1 a. a. O. angeführten Schadensgefahren sind nicht erschöpfend, sondern nur beispielsweise aufgezählt. Die Abbruchsgefahr stellt jedenfalls eine Schadensgefahr für das Grundstück dar. Insoweit ist der Vorinstanz im Ergebnis beizutreten. Es bestehen jedoch aus einem anderen Grunde Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Finanzgerichts. Dieses geht bei der Wertfortschreibung von einer geschätzten Jahresrohmiete von 3.255 DM und dem Vervielfältiger 9 aus. Nach dem Akteninhalt ist das Gebäude, soweit ersichtlich, in gleichem Umfang und gleicher Art wie früher wieder errichtet worden. Bei der letzten vorangegangenen Einheitsbewertung auf den 1. Januar 1940 für das Grundstück mit dem damals noch unzerstörten Gebäude ist die übliche Jahresrohmiete von 2.520 RM und der Vervielfältiger 8,5 angewandt. Jahresrohmiete und Vervielfältiger gehören zu den Wertverhältnissen im Sinne des § 3 a Abs. 1 BewDV. Bei der Fortschreibung eines Grundstücks sind die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935 zugrunde zu legen. Die angefochtene Entscheidung läßt nicht einwandfrei erkennen, ob diese Bestimmung beachtet worden ist. Gründe dafür, daß die bei der früheren Einheitsbewertung angenommene Jahresrohmiete und der Vervielfältiger falsch und daher bei der Fortschreibung auf den 1. Januar 1949 zu berichtigen waren, sind dem Urteil des Finanzgerichts nicht zu entnehmen. Das angefochtene Urteil war daher wegen möglichen Rechtsirrtums aufzuheben. Die nichtspruchreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen, das die Richtigkeit der zugrunde gelegten Jahresrohmiete und des Vervielfältigers gemäß vorstehenden Ausführungen überprüfen muß. Sollte sich bei der Prüfung etwa ergeben, daß ein Fall des § 33 Abs. 3 BewDV vorliegt, wäre das Grundstück unter Berücksichtigung der Abbruchsmöglichkeit unmittelbar mit dem gemeinen Wert zu bewerten.

 

Fundstellen

BStBl III 1953, 352

BFHE 1954, 158

BFHE 58, 158

StRK, BewGDV:37 R 1

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