Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung eines in Teilzeit erwerbstätigen Kindes

 

Leitsatz (amtlich)

Geht ein volljähriges Kind, das die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erfüllt, einer Teilzeiterwerbstätigkeit von 20 Stunden in der Woche nach, besteht weiterhin eine typische Unterhaltssituation, die es rechtfertigt, für das Kind Kindergeld zu gewähren, sofern die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen. Die Höhe der von dem Kind erzielten Einkünfte und Bezüge ist für die Beurteilung, ob eine die Berücksichtigung als Kind ausschließende Vollzeiterwerbstätigkeit anzunehmen ist, nicht entscheidend.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1, § 63 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Urteil vom 19.08.2002; Aktenzeichen 2 K 4659/00)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erhielt zunächst Kindergeld für ihre am 21. November 1976 geborene Tochter J, die ab dem 1. September 1997 an einer Fachhochschule studierte und im Haushalt der Klägerin lebte. Unter dem 10. Mai 1998 teilte die Klägerin der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) mit, J habe ab dem 1. Mai 1998 bis voraussichtlich zum 31. Dezember 1998 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen und werde daraus Bruttoeinnahmen von 2 000 DM monatlich erzielen. J hatte am 20. April 1998 einen unbefristeten Anstellungsvertrag mit einer Firma zu einem monatlichen Bruttogehalt von 2 000 DM bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden abgeschlossen.

Mit Bescheid vom 23. Juni 1998 änderte die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 1998 nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und setzte das Kindergeld auf Null DM fest. Das bis Mai 1998 bereits gezahlte Kindergeld von insgesamt 1 100 DM forderte die Familienkasse mit der Begründung zurück, die Einkünfte und Bezüge der J überstiegen für 1998 den Jahresgrenzbetrag von 12 360 DM gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 1998 geltenden Fassung. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse zurück.

Mit der Klage wandte sich die Klägerin gegen die Versagung des Kindergelds für die Monate Januar bis April und September bis Dezember 1998. Sie trug vor, J habe im April 1998 ihr Studium abgebrochen und am 1. September 1998 mit dem Abschluss eines Berufsausbildungsvertrags mit dem Unternehmen ihre Ausbildung fortgesetzt. Damit liege eine kindergeldschädliche Übergangszeit von mehr als vier Monaten i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG vor, so dass die in den Monaten Mai bis August 1998 erzielten Einkünfte in Höhe von 8 333,33 DM außer Betracht bleiben müssten. Die in der Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 1998 erzielten Einkünfte in Höhe von 8 704 DM abzüglich des anteiligen Werbungskostenpauschbetrags lägen unterhalb des anteiligen Grenzbetrags von 8 240 DM. Zum Nachweis des Studienabbruchs legte die Klägerin eine Bescheinigung der Fachhochschule vor, aus der sich ergibt, dass J mit Ablauf des Sommersemesters 1998 zum 31. August 1998 exmatrikuliert wurde, jedoch keinerlei Leistungsnachweise oder Belegungen für das Sommersemester registriert sind und J das Studium in dieser Zeit nicht betrieben hatte.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (DStRE) 2003, 1386 und in juris veröffentlicht. Das FG führte im Wesentlichen aus: J habe von Mai bis September 1998 nur 20 Wochenstunden gearbeitet. Bei dem monatlichen Bruttolohn von 2 000 DM sei sie indes in der Lage gewesen, ihren Unterhalt zu bestreiten, sodass die Klägerin keinen Unterhalt habe leisten müssen. Demnach seien der Grenzbetrag und die von J erzielten Einkünfte anteilig anzusetzen. J habe in den Monaten September bis Dezember 1998 einen Bruttolohn von insgesamt 8 704 DM erzielt. Die während der Erwerbstätigkeit von Mai bis August 1998 erzielten Bruttoeinnahmen von 8 333,33 DM blieben außer Betracht. Der Grenzbetrag von 12 360 DM sei wie folgt anteilig anzusetzen: 12 360 DM: 12 x 8 = 8 240 DM. Von den während der Ausbildungszeit erzielten Einkünften in Höhe von insgesamt 8 704 DM sei der Werbungskostenpauschbetrag nach § 9a EStG von 2 000 DM anteilig in Höhe von 8/12 = 1 333 DM abzuziehen, sodass sich im Streitfall Einkünfte und Bezüge der J für 1998 in Höhe von 7 371 DM ergäben, die unter dem anteiligen Grenzbetrag lägen. Der Klägerin stehe damit wie beantragt Kindergeld für die Monate Januar bis April und September bis Dezember 1998 zu. Lediglich für Mai 1998 sei das Kindergeld zurückzuzahlen bzw. zu verrechnen.

Mit der Revision trägt die Familienkasse vor: J sei während des gesamten Kalenderjahres 1998 als Kind zu berücksichtigen. Sie habe sich von Mai bis August 1998 gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten befunden, da der nächste Ausbildungsabschnitt in dem Monat nach Ablauf des vierten vollen Kalendermonats begonnen habe (September 1998). Eine Übergangszeit i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG sei nur dann nicht anzunehmen, wenn das Kind in diesem Zeitraum einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehe, unabhängig von der Höhe der erzielten Einkünfte (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 19. Oktober 2001 VI R 39/00, BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481, und vom 14. Mai 2002 VIII R 83/98, BFH/NV 2002, 1551). Entscheidend sei nur der Umfang der Arbeitszeit. Dass J während ihrer Teilzeiterwerbstätigkeit von Mai bis August 1998 imstande gewesen sei, ihren Lebensunterhalt sicherzustellen, sei unerheblich.

Die Familienkasse beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Entgegen der Auffassung des FG ist J im gesamten Kalenderjahr 1998 nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bzw. Buchst. b EStG als Kind zu berücksichtigen, so dass für die Prüfung, ob der Grenzbetrag § 32 Abs. 4 Sätze 2 ff. EStG überschritten ist, ihre gesamten im Kalenderjahr 1998 bezogenen Einkünfte und Bezüge zu berücksichtigen sind.

1. Nach § 62, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird ein Kind, welches das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, unter anderem beim Kindergeldberechtigten berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird (Buchst. a), sich in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten befindet (Buchst. b) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (Buchst. c) und wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12 360 DM im Kalenderjahr hat (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht vorliegen, ermäßigt sich der Betrag nach Satz 2 um ein Zwölftel (§ 32 Abs. 4 Satz 6 EStG). Einkünfte und Bezüge, die auf diese Kalendermonate entfallen, bleiben außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 Satz 7 EStG).

2. Für die Monate Januar bis April und September bis Dezember 1998 ist J nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG als Kind zu berücksichtigen. Denn von Januar bis April befand sie sich im Studium und ab September in einem Ausbildungsdienstverhältnis. Zwar wurde sie erst zum 31. August 1998 exmatrikuliert, d.h. aus dem Verzeichnis der Fachhochschule gestrichen. Sie hatte ihr Studium jedoch im Mai nicht mehr fortgesetzt, sondern diese Ausbildung mit dem Abschluss des Vertrags im April 1998 über eine unbefristete Anstellung ab 1. Mai 1998 spätestens Ende April 1998 abgebrochen (vgl. BFH-Urteil vom 17. November 2004 VIII R 56/04, BFH/NV 2005, 693). Nach dem Monatsprinzip (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2004 VIII R 34/03, BFH/NV 2004, 1094) ist J noch für den ganzen Monat April 1998, in dem sie sich zeitweise noch im Studium befand, zu berücksichtigen. Mit der Aufnahme des Ausbildungsdienstverhältnisses zum 1. September 1998 hat sie eine neue Ausbildung begonnen.

3. Im Zeitraum Mai bis August ist J nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG als Kind zu berücksichtigen.

Die Vier-Monats-Frist des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist nicht taggenau zu berechnen, sondern umfasst vier volle Kalendermonate (BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 105/01, BFHE 203, 102, BStBl II 2003, 847; ebenso H 180a des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs; DA 63.3.3 Abs. 1 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes ―DA-FamEStG―).

Da J frühestens im April 1998 das Studium abgebrochen und damit einen Ausbildungsabschnitt beendet hat, hat sie mit dem Beginn des Ausbildungsdienstverhältnisses zum 1. September 1998 die Vier-Monats-Frist nicht überschritten.

4. Entgegen der Auffassung des FG entfällt die Berücksichtigung der J als Kind in der Übergangszeit zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten von Mai bis August 1998 nicht durch deren Erwerbstätigkeit.

Wie der Senat in dem Urteil vom 15. September 2005 III R 67/04 (BFH/NV 2006, 656) ausgeführt hat, sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht erfüllt, wenn das Kind in der Übergangszeit einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht. Dies beruht auf der typisierenden Annahme, dass ―unabhängig von der Höhe der von dem Kind in dieser Zeit erzielten Einkünfte und Bezüge― eine Unterhaltspflicht der Eltern nicht besteht (BFH-Urteil vom 16. März 2004 VIII R 65/03, BFH/NV 2004, 1522). Entscheidend ist daher nicht, ob das Kind über eigene seinen Lebensunterhalt sichernde Mittel verfügt und deshalb nicht auf Unterhaltsansprüche angewiesen ist. Die Höhe der von dem Kind erzielten Einkünfte und Bezüge ist nur bei der Ermittlung des Grenzbetrags des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu prüfen. Abzustellen ist nicht auf die konkrete Unterhaltssituation, sondern darauf, ob typischerweise eine Unterhaltssituation der Eltern gegenüber dem Kind besteht, auch wenn diese typisierende Annahme im Einzelfall nicht zutrifft (BFH-Urteil vom 30. November 2004 VIII R 9/04, BFH/NV 2005, 860).

Der Senat kann offen lassen, ob ―wie die Verwaltung meint― eine typische Unterhaltssituation anzunehmen ist, solange das Arbeitsverhältnis drei Viertel der üblichen Arbeitszeit nicht übersteigt (DA 63.3.3 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. DA 63.3.2.6 Abs. 2 a Satz 2 DA-FamEStG). Eine Beschäftigung von 20 Wochenstunden ―wie im Streitfall―, was etwa der Hälfte der üblichen regelmäßigen Arbeitszeit von Arbeitnehmern entspricht, reicht jedenfalls typischerweise nicht aus, den üblichen Lebensunterhalt zu sichern. Bei einem in einem solchen Arbeitsverhältnis stehenden Kind besteht daher eine typische Unterhaltssituation gegenüber den Eltern, die es rechtfertigt, das Kind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG zu berücksichtigen.

5. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Kindergeldanspruch der Klägerin hängt davon ab, ob J Einkünfte und Bezüge i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erzielt hat, die den Grenzbetrag von 12 360 DM übersteigen. Dazu liegen keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen vor. Die Sache wird daher an das FG zurückverwiesen.

J erzielte in den Monaten Mai bis August 1998 Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit von 8 333,33 DM und von September bis Dezember von 8 704 DM (Ausbildungsvergütung monatlich 1 076 DM zuzüglich monatlicher Prämie 1 100 DM), insgesamt 17 037,33 DM. Nach Abzug des Arbeitnehmerpauschbetrags gemäß § 9a EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung von 2 000 DM verbleiben Einkünfte von 15 037,33 DM. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) sind bei der Ermittlung des Grenzbetrags gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG diejenigen Beträge nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen, die ―wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge― von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen und deshalb keine Entlastung der Eltern bewirken können, sondern anderen Zwecken als der Bestreitung des Unterhalts zu dienen bestimmt sind. Das FG wird zu prüfen haben, ob bei J weitere Zuflüsse einzubeziehen sind und ob unter Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge und ggf. weiterer weder ihr noch der Klägerin verfügbarer Abzugsbeträge der Grenzbetrag überschritten ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1507576

BFH/NV 2006, 1390

BStBl II 2008, 702

BFHE 2007, 476

BFHE 212, 476

BB 2006, 1210

DStR 2006, 940

DStRE 2006, 767

HFR 2006, 782

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