Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein Arbeitnehmer jahrelang Beiträge zu einer Versorgungseinrichtung eines Arbeitgebers geleistet und sind diese Beiträge mit Einverständnis der Finanzbehörde der Lohnsteuer unterworfen worden, so können die späteren Versorgungsbezüge nicht zur Lohnsteuer herangezogen werden, sondern sind als Renten im Sinne des § 22 Ziff. 1 EStG zu behandeln, auch wenn die frühere Behandlung der Beiträge rechtlich unrichtig war.

 

Normenkette

EStG § 19 Nr. 2, § 22 Ziff. 1; LStDV § 2 Abs. 2 Ziff. 2 S. 2; AO § 152 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) - Revisionsbeklagte - war von 1924 bis 1959 bei den X.-Betrieben beschäftigt. Am 1. September 1959 trat er in den Ruhestand und erhält seitdem von den X. ein Ruhegeld. Seit dem 1. Januar 1961 behalten die X. von den Ruhegeldern Lohnsteuer ein. Im März 1961 beantragte der Stpfl. beim Finanzamt (FA), die für die Monate Januar bis März 1961 einbehaltene Lohnsteuer zu erstatten. Er trug vor, er habe während seiner aktiven Dienstzeit laufend Beiträge an die Ruhegeldeinrichtung der X. gezahlt und habe dadurch das Recht auf das Ruhegeld erworben. Die Beiträge zu der Ruhegeldeinrichtung der X. seien als Gehaltsteile der Lohnsteuer unterworfen worden. Das Ruhegeld sei somit eine Rente, die auf seinen Beitragsleistungen beruhe und sei deshalb kein Arbeitslohn.

Das Finanzgericht (FG) entschied mit seinem in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1965 S. 453 veröffentlichten Urteil, daß das FA die einbehaltene Lohnsteuer zu erstatten habe. Es stellte fest, daß die X. nach den "Bestimmungen über die Gewährung von Ruhegeld an die Angestellten und Arbeiter der X.-Betriebe" in den Fassungen vom 1. März 1929, 1. April 1946, 7. Mai 1952 und 29. / 30. Dezember 1959 verpflichtet seien, an die der Ruhegeldeinrichtung angeschlossenen Arbeitnehmer ein Ruhegeld zu zahlen. Die Arbeitnehmer hätten sich den Ruhegeldbestimmungen unterworfen. Bei Beginn des Arbeitsverhältnisses hätten sie die folgende Erklärung über die Einbehaltung von Beiträgen unterschrieben:

"Ich verzichte hiermit auf die Auszahlung des von mir nach den näheren Vorschriften der Ruhegeldbestimmungen zu zahlenden Zuschusses - z. Zt. ... Prozent von Einkommen - und weise die Verwaltung an, diesen Zuschuß stets von meinen Bezügen einzubehalten und an die Ruhegeldeinrichtung abzuführen".

Die Beiträge hätten 3 v. H., zeitweise 5 v. H. des Arbeitslohnes betragen. Die X. selbst hätten nach den Ruhegeldbestimmungen 7 bzw. 10 v. H. an die Ruhegeldeinrichtung abführen müssen. Einen Anspruch auf Ruhegeld erwürben die Mitglieder der Ruhegeldeinrichtung nach mindestens zehnjähriger Dienstzeit. Schieden sie vorher aus, so seien ihnen die eingezahlten Beiträge mit Zinsen zurückzuzahlen. Nach der Auffassung des FG haben unter diesen Umständen die Ruhegehaltsbezüge auf eigenen Beitragsleistungen der Arbeitnehmer beruht und gehören deshalb nach § 2 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Eine eigene Beitragsleistung des Arbeitnehmers sei gegeben, wenn ein Teil seines Einkommens zur Erlangung des Versorgungsanspruchs aufgewendet und dieser Teil des Arbeitslohns der Lohnsteuer unterworfen worden sei. Nach den Urteilen des Reichsfinanzhofs (RFH) VI A 40/33 vom 7. November 1934 (RStBl 1935 S. 697) und IV 193/41 vom 20. November 1941 (RStBl 1942 S. 77) sei eine Einnahme zugeflossen, wenn der Steuerpflichtige über sie wirtschaftlich verfügen könne. Eine solche Verfügung könne auch darin bestehen, daß ein Arbeitnehmer, um einen Versorgungsanspruch zu erwerben, auf die Auszahlung eines Teils des vereinbarten Lohnes verzichte. Ob sich der Versorgungsanspruch gegen den Arbeitgeber selbst oder eine Versorgungskasse richte, sei nicht wesentlich, wie im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) VI 235/59 vom 19. August 1960 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961 S. 29) ausgesprochen sei. Ob eine arbeitsvertraglich vereinbarte Gehaltskürzung einen Zufluß von Arbeitslohn bedeute, sei aus der Gestaltung des Arbeitsvertrages und dem angestrebten Zweck zu beurteilen (BFH-Urteil VI 163/60 U vom 3. März 1961, BStBl 1961 III S. 191, Slg. Bd. 72 S. 525). Eine wirtschaftliche Verfügung über den Arbeitslohn sei regelmäßig anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur einen aufschiebend bedingten Anspruch auf Versorgung erwerbe, sondern auch einen Anspruch auf Rückzahlung der angesammelten Beiträge, falls er den Versorgungsanspruch nicht erwirbt. Der erworbene Vermögenswert sei dann nicht von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig. In dieser Beziehung bestehe ein wesentlicher Unterschied zu den Versorgungsansprüchen der Beamten. Die einwandfreie rechtliche Abgrenzung der Versorgungsvereinbarungen sei oft schwierig. In Zweifelsfällen sei darauf abzustellen, daß die Bezüge aus einem Dienstverhältnis einmal als Arbeitslohn zu versteuern seien (BFH-Urteil VI 202/59 U vom 29. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 105, Slg. Bd. 70 S. 282). Da hier der zur Alterssicherung verwendete Teil des Arbeitslohnes der Lohnsteuer unterlegen habe, sei eine erneute Lohnsteuererhebung später unzulässig. Demgegenüber sei nicht erheblich, daß die X. ein Eigenbetrieb der Stadt seien. Der Eigenbetrieb sei wirtschaftlich als Sondervermögen gesondert zu verwalten und nachzuweisen (§ 10 des Eigenbetriebsgesetzes). Unterhalte ein Eigenbetrieb eine besondere Ruhegeldeinrichtung, so komme es nicht darauf an, ob diese zusammen mit dem Sondervermögen des Eigenbetriebes verwaltet oder ob sie als weiteres Sondervermögen ausgesondert sei. Für die Arbeitnehmer sei allein von Bedeutung, ob sie einen gesicherten und verfügbaren Anspruch hätten. Das FA könne für seine Rechtsauffassung nichts daraus herleiten, daß die einbehaltenen Beiträge der Arbeitnehmer praktisch nicht mit der Lohnsteuer belegt worden seien, weil sie als Sonderausgaben vom versteuerten Arbeitslohn gekürzt worden seien.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Es führt aus, die Versorgungsleistungen der X. hätten nicht auf Beiträgen der Arbeitnehmer beruht. Diese seien verpflichtet gewesen, der Ruhegeldeinrichtung als Mitglied anzugehören. Bei Beginn des Dienstverhältnisses hätten sie auf einen Teil ihres Tariflohnes verzichtet. Wirtschaftlich hätten sie aber nur einen um den Arbeitnehmerbeitrag gekürzten Teil des Arbeitslohns ausgezahlt erhalten. Nach dem BFH-Urteil VI 179/62 U vom 14. Februar 1964 (BStBl 1964 III S. 243, Slg. Bd. 79 S. 28) sei dem Arbeitnehmer nur der gekürzte Betrag im Sinne des § 11 EStG zugeflossen. § 2 Abs. 2 Ziff. 2 Satz 2 LStDV bezeichne als "Beiträge" nur solche Leistungen, die auf Grund einer Versicherung oder eines versicherungsähnlichen Verhältnisses geleistet würden. Nur solche Beiträge seien auch Sonderausgaben. Die hier streitigen Beiträge (Arbeitnehmeranteile) fielen nicht darunter. Die Ruhegeldeinrichtung der X. sei kein Sondervermögen; sie habe auch keine eigene Rechtsperson. Die Ruhegelder würden auch nicht nach den geleisteten Beiträgen, sondern wie beamtenrechtliche Bezüge nach der abgeleisteten Dienstzeit bemessen. Die Bediensteten der X. erhielten Versorgungsbezüge wirtschaftlich von der X. selbst als Arbeitslohn.

Wie früher die Arbeitnehmerbeiträge steuerlich behandelt worden seien, spiele keine Rolle. Nach dem BFH-Urteil VI 163/60 U (a. a. O.) könne, wenn die frühere Sachbehandlung falsch gewesen sei, die richtige Steuer nicht nacherhoben werden. Eine unrichtige Besteuerung sei nicht etwa deswegen zulässig, weil in der Vergangenheit Fehler begangen worden seien. Wenn die Leistungen der Ruhegeldeinrichtung nunmehr der Lohnsteuer unterworfen würden, so bedeute das keine doppelte Besteuerung, weil die einbehaltenen Arbeitnehmerbeiträge als Sonderausgaben behandelt worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision konnte keinen Erfolg haben.

Dem Lohnsteuerabzug unterliegen nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Dazu gehören nach § 19 Ziff. 2 EStG 1961 auch Ruhegelder, die ihre Grundlage in einem früheren Dienstverhältnis haben. Ruhegelder in diesem Sinne sind z. B. nicht Renten aus der Sozialversicherung, aus Versicherungsverträgen oder aus selbständigen Versorgungseinrichtungen des Arbeitgebers. übernimmt der Arbeitgeber ganz oder teilweise Leistungen zum Erwerb einer Alterssicherung der genannten Art, so können diese Leistungen zum Arbeitslohn gehören (Urteile des Senats VI 1/54 U vom 31. Oktober 1957, BStBl 1958 III S. 4, Slg. Bd. 66 S. 8; VI 233/56 S vom 28. März 1958, BStBl 1958 III S. 268, Slg. Bd. 66 S. 701). § 2 Abs. 2 Ziff. 2 Satz 2 LStDV stellt in zutreffender Auslegung der Vorschriften des EStG klar, daß Bezüge eines Arbeitnehmers, die ganz oder zum Teil auf seinen eigenen früheren Beitragsleistungen beruhen, nicht zum Arbeitslohn im Sinne des § 19 EStG gehören; denn solche Bezüge haben ihre Grundlage nicht in dem früheren Arbeitsverhältnis, sondern in der mindestens zum Teil von Beiträgen der Arbeitnehmer gespeisten Versorgungseinrichtung.

Das FG hat die von den Arbeitnehmern an die Ruhegeldeinrichtung zu leistenden Beiträge als ihnen wirtschaftlich zugeflossen betrachtet, einmal, weil die Arbeitnehmer auf die Auszahlung eines entsprechenden Lohnteiles ausdrücklich verzichtet und die Verwaltung der X. angewiesen hatten, diesen Teil als Beiträge an die Ruhegeldeinrichtung abzuführen, ferner, weil die X. den ganzen Gehaltsanspruch der Lohnsteuer unterworfen hatten. Nach den Urteilen des Senats VI 163/60 U (a. a. O.) und VI 179/62 U (a. a. O.) ist die Frage, ob Aufwendungen zur Zukunftssicherung eines Arbeitnehmers zugeflossener Arbeitslohn sind, nach den zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer getroffenen und durchgeführten Vereinbarungen zu beurteilen. Die rechtliche Würdigung des FG wird durch die Feststellung getragen, daß die Arbeitnehmer der X. ausdrücklich auf die Auszahlung eines vertraglichen Gehaltsteiles verzichteten und gleichzeitig die X. angewiesen, diesen Teil als ihren Beitrag der Ruhegeldeinrichtung zuzuführen, und daß die X. dementsprechend den vollen Arbeitslohn einschließlich des Beitrages der Lohnsteuer unterworfen haben. Sind aber die den Arbeitnehmern einbehaltenen Beiträge der Lohnsteuer unterworfen worden, so würden sie doppelt mit der Lohnsteuer belastet, wenn die Ruhegelder oder bei vorzeitigem Ausscheiden das angesammelte Kapital nochmals der Lohnsteuer unterworfen würde. Eine solche Doppelbelastung ist aber nach dem Urteil VI 179/62 U (a. a. O.) nicht zulässig.

Es ist dem FA zuzugeben, daß diese Sachbeurteilung grundsätzlich voraussetzt, daß die Ruhegelder von einer selbständigen Versorgungskasse gezahlt werden. Hier bestand keine selbständige Versorgungskasse. Die Beiträge zu der "Ruhegeldeinrichtung der X." waren deshalb, wie das FA mit Recht ausführt, keine Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Ziff. 2 b EStG. Es wäre sachgerecht gewesen, wenn die X. mit ihren Arbeitnehmern vereinbart hätten, daß sie nur einen um die Beiträge gekürzten Arbeitslohn erhalten und der Lohnsteuer unterwerfen sollten, wie es im Fall des Urteils VI 179/62 U (a. a. O.) geschehen ist. Nach den Feststellungen des FG haben aber die X. keine solche Vereinbarung getroffen. Sie haben vielmehr ihre Arbeitnehmer veranlaßt, auf die Auszahlung eines Lohnteils zu verzichten und sie - die X. - anzuweisen, den einbehaltenen Teil an die Ruhegeldeinrichtung abzuführen. Dieser Lohnteil stand also rechtlich den Arbeitnehmern zu und sie verfügten darüber wirtschaftlich durch ihre Anweisung an die X.

Nach den Feststellungen des FG sind die X. im Einvernehmen mit den Finanzbehörden entsprechend verfahren. Sie haben die einbehaltenen Beiträge an einen gesondert ausgewiesenen Fonds - nämlich die "Ruhegeldeinrichtung" - geleistet, die nach § 18 der Satzung einen besonderen Geschäftsleiter hatte, dem ein Verwaltungsausschuß zur Seite gestellt war, dem auch Vertreter der Arbeitnehmer angehörten. Damit war die Ruhegeldeinrichtung jedenfalls einer rechtlich selbständigen Versorgungskasse mindestens ähnlich. Im Gegensatz zu Versorgungskassen, die ihre Leistungen auf die Beiträge der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber abstellen, haben die Arbeitnehmer der X. allerdings Anspruch auf eine Versorgung, die sich ausschließlich nach der Länge der Dienstzeit richtet, wobei sonstige Renten anzurechnen sind. Das entspricht an sich nicht dem Wesen einer Versorgungskasse.

Aber wegen der jahrelangen - wenn auch unrichtigen - steuerlichen Behandlung der Arbeitnehmerbeiträge würde es den Grundsätzen von Treu und Glauben widersprechen, wenn das Ruhegehalt eines Arbeitnehmers, der jahrelang lohnsteuerpflichtige Beiträge zu einem Versorgungsfonds geleistet hat, nochmals der Lohnsteuer unterworfen würde. Solche Ruhegelder müssen als Renten im Sinne des § 22 EStG behandelt werden.

Nach allem hat das FG also zutreffend den Stpfl. einem Arbeitnehmer gleichgestellt, der eine Versorgungsrente durch eigene Beiträge erworben hat.

Unerheblich ist es demgegenüber, ob die Beiträge als Sonderausgaben tatsächlich der Lohnsteuer unterlegen haben. Bei den meisten Arbeitnehmern werden die Sonderausgaben durch den Pauschsatz des § 10 c EStG (bis 1953 des § 15 EStDV) abgegolten, der in die Lohnsteuertabelle eingearbeitet ist. Soweit Arbeitnehmer diesen Pauschsatz erhalten haben, sind sie voll mit der Lohnsteuer belastet worden. Aber auch wenn einzelne Arbeitnehmer ihre Sonderausgaben einzeln nachgewiesen und dafür einen Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte (§ 20 a LStDV) erhalten haben, stehen sie wirtschaftlich Arbeitnehmern gleich, die Beiträge an eine selbständige Versorgungskasse geleistet haben und die erhaltenen Versorgungsbezüge als Renten nach § 22 Ziff. 1 EStG versteuern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412015

BStBl III 1966, 225

BFHE 1966, 33

BFHE 85, 33

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