Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Zuständigkeit verschiedener Finanzämter für Betrieb und Steuern vom Einkommen eines Einzelunternehmers, der auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit hat

 

Leitsatz (NV)

1. Für die Prüfung, ob das Betriebs-FA auch für die Steuern vom Einkommen zuständig ist, ist grundsätzlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Veranlagung abzustellen und nicht auf die Verhältnisse im Veranlagungszeitraum.

2. Die besondere Zuständigkeitsregelung in § 46 Abs. 6 EStG a.F., wonach für die Durchführung der Einkommensteuerveranlagung das FA örtlich zuständig war, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige am Schluß des Veranlagungszeitraumes seinen Wohnsitz hatte, galt für alle Fälle, in denen nach § 46 Abs. 1 und 2 EStG Veranlagungen durchzuführen sind/waren (Anschluß an das Urteil des VI. Senats des BFH vom 1. 8.1986 VI R 47/81, BFHE 147, 423, BStBl II 1987, 202).

3. Das nach § 46 Abs. 6 EStG a.F. zuständige FA bleibt - ungeachtet späterer Wohnsitzwechsel des Steuerpflichtigen - auch für etwaige Änderungsveranlagungen örtlich zuständig.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 19, 26; EStG 1975-1987 § 46 Abs. 6; EStG § 46 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Streitjahren (1975 bis 1978) bei verschiedenen Niederlassungen der CB-AG (AG) - u.a. in A, B, C und D - als Angestellter tätig. Ab dem Jahre 1979 wohnte er dem Urteil des Finanzgerichts (FG) zufolge wieder im Zuständigkeitsbereich des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -).

Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung beim Vater des Klägers (V), der im Zuständigkeitsbereich des FA eine . . .-vertretung betrieb, stieß der Prüfer auf verschiedene Geldanlagekonten des Klägers. Da dieser die dazu erwünschten Auskünfte verweigerte, wurde gegen ihn am 18. April 1978 ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, das die Jahre 1973 bis 1978 betraf. In dem das Ermittlungsverfahren abschließenden Bericht führte der Prüfer der Steuerfahndungsstelle im wesentlichen aus: Der Kläger habe den von ihm erzielten Arbeitslohn nahezu vollständig auf Sparkonten angelegt. Frei verfügbare Barbeträge hätten nur in geringem Umfang festgestellt werden können, so für 1973 u.a. eine Provisionszahlung von V in Höhe von 795 DM. Andererseits habe der Kläger in seinen Anträgen auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs (für 1974 bis 1977) und in der Einkommensteuererklärung für 1978 aber auch noch beträchtliche Werbungskosten geltend gemacht. Danach müsse davon ausgegangen werden, daß dem Kläger neben seinem Arbeitslohn noch erhebliche weitere Geldbeträge zur Verfügung standen, deren Herkunft allerdings nicht feststehe. Doch liege es nahe, daß es sich dabei um Einnahmen aus einer gewerblichen Tätigkeit gehandelt habe. Wahrscheinlich habe der Kläger Provisionen von V erhalten; es sei zu vermuten, daß es sich bei der für das Jahr 1973 festgestellten Zahlung (in Höhe von 795 DM) nicht um die einzige dieser Art gehandelt habe. Die hiernach für die Streitjahre zusätzlich - zu denen aus nichtselbständiger Arbeit - anzunehmenden Einkünfte (1975 = 59 849 DM, 1976 = 39 737 DM, 1977 = 48 411 DM und 1978 = 38 502 DM) müßten noch bei der Ertragsbesteuerung berücksichtigt werden.

Das FA folgte den Festellungen und rechtl. Folgerungen des Prüfers und erließ am 2. März 1982 entsprechende gesonderte Gewinnfeststellungsbescheide. Den hiergegen vom Kläger erhobenen Einspruch wies es als unbegründet zurück.

Das FG gab der Klage aus formellen Gründen statt. Es war der Auffassung, das FA hätte die Feststellungsbescheide gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b der Abgabenordnung (AO 1977) nicht erlassen dürfen, weil es zu diesem Zeitpunkt bereits wieder für die Einkommensbesteuerung des Klägers zuständig gewesen sei. Das FG bejahte zunächst (unter Hinweis auf seine Ausführungen in dem Urteil zur Gewerbesteuermeßbetragssache) die Zuständigkeit des beklagten FA als Betriebs-FA. Doch ging es sodann davon aus, daß das FA durch die (erneute) Wohnsitznahme des Klägers in seinem, des FA, Zuständigkeitsbereich auch für die Einkommensteuer-(Änderungs-)Veranlagungen für die Streitjahre zuständig geworden sei (§ 26 AO 1977).

Dagegen wendet sich das FA mit der Revision. Es rügt die Verletzung des § 46 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Nach dieser Vorschrift komme es - bei der Veranlagung von Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit - für die Feststellung des örtlich zuständigen FA darauf an, wo der betreffende Steuerpflichtige am Schluß des Veranlagungszeitraumes seinen Wohnsitz gehabt habe. § 46 Abs. 6 EStG schließe als lex specialis die Zuständigkeitsregelungen der §§ 19, 26 AO 1977 aus.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, daß das beklagte FA die gesonderten Gewinnfeststellungsbescheide schon deswegen nicht erlassen durfte, weil es nachträglich für die Einkommensbesteuerung des Klägers zuständig geworden sei.

1. Nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO 1977 werden u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb gesondert festgestellt, wenn das für die gesonderte Feststellung zuständige FA nicht auch für die Steuern vom Einkommen des Steuerpflichtigen zuständig ist. Für den Erlaß eines gesonderten Gewinnfeststellungsbescheides ist demnach das Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeit für die gesonderte Gewinnfeststellung (§ 18 AO 1977) und für die Steuern vom Einkommen (in der Regel § 19 AO 1977) tatbestandsmäßige Voraussetzung.

Davon ist auch das FG ausgegangen. Ebenso zutreffend hat das FG unterstellt, daß für die Prüfung, ob das Betriebs-FA auch für die Steuern vom Einkommen zuständig ist, grundsätzlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Veranlagung abzustellen ist und nicht auf die Verhältnisse im Veranlagungszeitraum (s.hierzu auch die Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195, und vom 11. Dez. 1987 III R 228/84, BFHE 152, 27, BStBl II 1988, 230).

2. Zu Unrecht hat das FG jedoch angenommen, das beklagte FA sei im Jahre 1982 gemäß § 26 AO 1977 auch für die Einkommensteuerveranlagung der Streitjahre (1975 bis 1978) zuständig gewesen.

a) Der Kläger hat in sämtlichen Streitjahren unbestritten (jedenfalls auch) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen. Damit greift die besondere Zuständigkeitsregelung des § 46 Abs. 6 EStG in den von 1975 bis 1987 geltenden Fassungen (EStG a.F.) ein. Nach dieser Vorschrift ist in Fällen, in denen ein Steuerpflichtiger mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zur Einkommensteuer zu veranlagen ist, für die Durchführung der Veranlagung das FA örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige am Schluß des Veranlagungszeitraumes seinen Wohnsitz (oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt) hatte. Der VI.Senat des BFH hält diese Vorschrift bei allen Veranlagungen nach § 46 Abs. 1 und 2 EStG für anwendbar; nicht nur bei jenen, denen ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zugrunde liegen oder die aufgrund des § 46 Abs. 2 Nr. 4 oder Nr. 8 EStG durchzuführen sind (Urteil vom 1. August 1986 VI R 47/81, BFHE 147, 423, BStBl II 1987, 202). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Er sieht sich daran auch nicht durch den Umstand gehindert, daß der Gesetzgeber inzwischen - durch Art, 1 Nr. 66 Buchst. b i.V.m. Nr. 73 Buchst. u (27) des Steuerreformgesetzes 1990 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) - § 46 Abs. 6 EStG a.F. mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1988 ersatzlos aufgehoben hat. Zwar hat der VI.Senat in dem genannten Urteil die von ihm vorgenommene Auslegung des § 46 Abs. 6 EStG a.F. u.a. auch darauf gestützt, daß ein früherer Versuch, die Zuständigkeitsregelung dieser Vorschrift zu beschränken oder ganz aufzuheben, gescheitert sei. Doch tragen nach Auffassung des erkennenden Senats auch die übrigen Argumente die damals getroffene Entscheidung. Hinzu kommt, daß der erkennende Senat nunmehr auch den Gesichtspunkt der Kontinuität der Rechtsprechung zu berücksichtigen hat.

Damit kommt § 46 Abs. 6 EStG a.F. im Streitfall ungeachtet dessen zur Anwendung, ob und in welcher Höhe der Kläger in den Streitjahren noch andere Einkünfte (außer denen aus nichtselbständiger Arbeit) bezogen hat.

b) Lag nun die besondere Zuständigkeit nach § 46 Abs. 6 EStG a.F. für die einzelnen Streitjahre bei einem oder mehreren anderen FÄ als dem beklagten FA, dann konnte dieses auch nicht mehr aufgrund eines späteren Wohnsitzwechsels des Klägers gemäß § 26 AO 1977 (für die Einkommensteuerveranlagungen) zuständig werden. § 46 Abs. 6 EStG a.F. stellt auf die Verhältnisse am Schluß des jeweiligen Veranlagungszeitraumes ab, so daß durch einen Wohnsitzwechsel nach diesen Zeitpunkten für vorgausgegangene Zeiträume ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit nicht mehr eintreten kann (so im Ergebnis auch das Urteil in BFHE 147, 423, BStBl II 1987, 202; ebenso Tz.1.2 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 30. Dezember 1987 IV A 5 - S 0120 - 9/87, BStBl I 1988, 4). Dies bedeutet weiter, daß das nach § 46 Abs. 6 EStG a.F. zuständige FA auch für etwaige Änderungsveranlagungen örtlich zuständig bleibt (so auch Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 46 EStG Anm. 230, und Keßler in Littmann / Bitz / Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., § 46 Anm. 57; ebenso Tz. 1.4 des BMF-Schreibens in BStBl I 1988, 4).

c) Nach alledem konnte das FG allein aus dem Umstand, daß der Kläger seit dem Jahre 1979 wieder im Zuständigkeitsbereich des beklagten FA wohnte, nicht den Schluß ziehen, dieses sei schon aufgrund der §§ 19 und 26 AO 1977 auch für die Einkommensteuerveranlagungen des Klägers für die - vor 1979 liegenden - Streitjahre zuständig. Damit entfällt aber der vom FG als entscheidend angesehene Grund für die Verneinung der Anwendbarkeit des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO 1977.

Waren für die Einkommensteuerveranlagungen der Streitjahre andere FÄ zuständig, dann entspricht der Erlaß der Feststellungsbescheide durch das beklagte FA auch durchaus dem Sinn und Zweck gesonderter Feststellungen. Denn das beklagte FA war dann hinsichtlich einer evtl. unternehmerischen Tätigkeit des Klägers das ,,betriebsnähere" FA (s. hierzu auch die Urteile in BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195, und in BFHE 152, 27, BStBl II 1988, 230). Hingegen kannten die (Einkommensteuer-) Veranlagungsämter die sie betreffenden Vorgänge besser.

b) Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Sein Urteil war daher aufzuheben.

3. Die Sache ist nicht spruchreif; sie muß an das FG zurückverwiesen werden (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG wird nunmehr vorrangig prüfen, ob in den Streitjahren andere FÄ als das beklagte für die Einkommensbesteuerung des Klägers nach § 46 Abs. 6 EStG a.F. zuständig waren. Dabei wird auch die Rüge des Klägers, er habe entgegen der Annahme des FG auch in den Streitjahren im Zuständigkeitsbereich des beklagten FA gewohnt, Berücksichtigung finden, es sei denn, die Vorschriften des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit stehen dem entgegen.

Ergibt diese Prüfung, daß das beklagte FA nicht schon gemäß § 46 Abs. 6 EStG a.F. für die Besteuerung des Klägers zuständig war, wird das FG in gleicher Weise zu entscheiden haben, ob und ggf. in welcher Höhe der Kläger in den Streitjahren Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit bezogen hat.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 568

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