Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an eine Prozeßvollmacht

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Prozeßbevollmächtigter kann eine ansonsten ordnungsgemäße Vollmachtsurkunde, die kein Datum der Unterschriftsleistung und keinen Hinweis auf das konkrete gerichtliche Verfahren enthält, dadurch ausreichend konkretisieren, daß er sie der Klageschrift beiheftet.

2. Deckt sich in einem solchen Fall die Urkunde mit einer bereits dem FA zusammen mit der Steuererklärung eingereichten Vollmachtsurkunde, bestehen mangels sonstiger Anhaltspunkte auch keine berechtigten Zweifel daran, daß die im Klageverfahren vorgelegte Urkunde der dem Prozeßbevollmächtigten tatsächlich erteilten Ermächtigung entspricht.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 3 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhoben durch ihren Prozeßbevollmächtigten Klage wegen der Einkommensteuer für das Streitjahr (1986), mit der sie die Gewährung eines höheren Kinderfreibetrages begehrten. Der Klageschrift war eine schriftliche Prozeßvollmacht beigeheftet. Diese Vollmachtsurkunde weist folgende Besonderheiten auf:

- In der linken oberen Ecke ist der Text: ,,Name der/des Vollmachtgeber/s" aufgedruckt. Eine entsprechende Angabe ist hier nicht erfolgt.

- Eine Datumsangabe fehlt.

- Der allgemeine Teil hat folgenden Wortlaut: ,,Ich/Wir bevollmächtigte/n . . .

(Name, Anschrift, Telefonnummer des Prozeßbevollmächtigten)

. . . mich/uns in meinen/unseren Steuer- und Buchführungsangelegenheiten sowie in Sachen Minderung der Erwerbsfähigkeit vor allen Gerichten, Finanzämtern, Steuer- und sonstigen Behörden sowie Versorgungsämtern und Gesundheitsämtern zu vertreten, gerichtliche und außergerichtliche Rechtsbehelfe abzuschließen, sonstige verbindliche Erklärungen abzugeben und rechtsverbindliche Unterschrift zu leisten. Die Vollmacht gilt u. a. für das Festsetzungs- und Erhebungsverfahren der Finanzämter (Merker 21), für das Einheitswertverfahren sowie für das Steuerstrafverfahren . . ."

- Anschließend wird die Möglichkeit der Unterbevollmächtigung eingeräumt; ferner werden eine Empfangsvollmacht für festgesetzte Kosten und eine Zustellvollmacht bestellt. Abschließend ergeht die Aufforderung, Rückforderungen ausschließlich an den Bevollmächtigten zu richten.

- In der rechten unteren Ecke ist Platz für die Unterschrift des Vollmachtgebers vorgesehen. Die entsprechende Zeile weist hier die Unterschrift der Kläger auf.

Das Finanzgericht (FG) wies den Prozeßbevollmächtigten darauf hin, daß die vorgelegte Vollmacht nicht den Anforderungen entspreche, die der Bundesfinanzhof (BFH) in dem Beschluß vom 9. Februar 1988 III R 180/82 (BFH/NV 1988, 509) an eine wirksame Prozeßvollmacht gestellt habe. Der Prozeßbevollmächtigte teilte hierzu mit, daß er die mit der Klageschrift vorgelegte Vollmacht als ordnungsgemäß ansehe.

Daraufhin setzte der Berichterstatter des FG dem Prozeßbevollmächtigen eine Frist gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) für die Einreichung einer ordnungsgemäßen Vollmacht. Der Prozeßbevollmächtigte legte keine neue Vollmachtsurkunde vor.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil keine ordnungsgemäße Prozeßvollmacht vorgelegt worden sei. Es vertrat die Auffassung, daß eine ordnungsgemäße Prozeßvollmacht eindeutig erkennen lassen müsse, welche Prozeßhandlungen der Bevollmächtigte vornehmen dürfe. Sie müsse sich dabei, sofern keine Generalvollmacht vorliege, auf das konkrete gerichtliche Verfahren beziehen. Daran fehle es im Streitfall. Um eine Generalvollmacht handele es sich bei der vorgelegten Urkunde schon deshalb nicht, weil der Prozeßbevollmächtigte bereits in den Veranlagungsverfahren für das Streitjahr dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) eine allerdings nur vom Kläger unterschriebene Vollmacht vorgelegt habe, die den gleichen Text aufweise wie die nunmehr im Klageverfahren eingereichte Urkunde. Daraus könne nur der Schluß gezogen werden, daß der Prozeßbevollmächtigte selbst diese Vollmacht nicht als Generalvollmacht, sondern nur als Bevollmächtigung für einen Verfahrensabschnitt angesehen habe.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Kläger. Die Kläger machen geltend, daß die im Klageverfahren vorgelegte Vollmachtsurkunde den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Vollmacht entspreche. Sie lasse nämlich im Wege der Auslegung nicht nur erkennen, wer wen bevollmächtigt habe, sondern auch, wozu bevollmächtigt worden sei. Der namentlich benannte Prozeßbevollmächtigte sei in der Urkunde u. a. ermächtigt worden, sie - die Kläger - in ihren Steuerangelegenheiten vor allen Gerichten zu vertreten. Der konkrete Bezug zum Streitfall ergebe sich schon daraus, daß die Vollmacht der Klageschrift beigeheftet gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig.

Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hat zwar für das Revisionsverfahren keine besondere Vollmacht vorgelegt. Die im Klageverfahren eingereichte Vollmachtsurkunde ermächtigt den Prozeßbevollmächtigten aber sowohl zur Durchführung des Klageverfahrens (s. dazu unten unter 2.) als auch zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen das Urteil des FG. Sie ist nicht auf den ersten Rechtszug beschränkt, sondern erstreckt sich umfassend auf die Vertretung vor allen Gerichten sowie auf die Einlegung von gerichtlichen Rechtsmitteln.

2. Die Revision ist auch begründet. Das FG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Entgegen der Auffassung des FG genügt die im Klageverfahren vorgelegte Vollmachtsurkunde den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Prozeßvollmacht.

Nach der Rechtsprechung des BFH muß eine ordnungsgemäße Vollmacht erkennen lassen, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu bevollmächtigt wurde (Urteile vom 17. Juli 1984 VIII R 20/82, BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802, und vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731, sowie Beschlüsse des erkennenden Senats vom 28. September 1987 III B 100/86, BFH/NV 1988, 183, und in BFH/NV 1988, 509). Die im Klageverfahren vorgelegte Vollmachtsurkunde erfüllt diese Voraussetzungen. Sie ist von den Klägern unterschrieben. Ferner steht außer Frage, daß der in der Urkunde mit Namen, Adresse und Telefonnummer angegebene Prozeßbevollmächtigte als derjenige ausgewiesen ist, auf den sich die Vollmacht bezieht. Entgegen der Auffassung des FG läßt sich auch durch Auslegung ermitteln, daß die Vollmacht zur Durchführung des Klageverfahrens ermächtigt. Die vorgelegte Vollmachtsurkunde hat nämlich durch ihre Beiheftung zur Klageschrift (s. dazu BFH-Urteil in BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731) einen genügend konkreten Bezug zum vorliegenden Rechtsstreit erhalten. Dies hat der erkennende Senat mit Urteil vom 15. März 1991 III R 112/89 (BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726) in einem im wesentlichen gleichgelagerten Fall eingehend begründet. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher auf dieses Urteil Bezug genommen.

Aus im wesentlichen gleichen Gründen wie in diesem Urteil bestehen keine berechtigten Zweifel daran, daß die vorgelegte Vollmachtsurkunde der dem Prozeßbevollmächtigten tatsächlich erteilten Ermächtigung entspricht. Die Urkunde deckt sich mit der bereits dem FA zusammen mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr eingereichten schriftlichen Vollmacht. Obwohl diese dem FA eingereichte Urkunde vom Kläger unterschrieben worden ist, bestehen keine Anhaltspunkte, daß die Klägerin dem Prozeßbevollmächtigten eine weniger weitreichende Ermächtigung erteilt haben könnte als der Kläger.

3. Da das FG zu Unrecht die Ordnungsmäßigkeit der Vollmacht und damit eine Sachentscheidungsvoraussetzung verneint hat, ist das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das FG muß nunmehr zunächst in der Sache entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418016

BFH/NV 1992, 520

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