Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Kinder im Alter von mehr als 25 Jahren, die auswärtige Schulen besuchen und für deren Unterhalt (einschließlich Ausbildungskosten) der Vater aufkommen muß, sind wie "mittellose Angehörige" zu behandeln.

 

Normenkette

EStG §§ 33, 33a; LStDV §§ 25, 25a

 

Tatbestand

Streitig ist, ob und inwieweit die mit 200 DM monatlich angegebenen Kosten für den Unterhalt und das Hochschulstudium eines über 25 Jahre alten Sohnes als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusehen sind.

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Landgerichtspräsident. Sein monatliches Bruttogehalt betrug im Jahre 1950: 1.286,67 DM. Er hat für das Kalenderjahr 1950 Eintragung eines steuerfreien Betrages auf der Lohnsteuerkarte wegen außergewöhnlicher Belastung, die ihm durch den Unterhalt seines die Hochschule besuchenden Sohnes erwächst, beantragt. Finanzamt und Finanzgericht haben den Antrag abgelehnt.

In der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird folgendes geltend gemacht: Von dem Bruttogehalt von rund 1.290 DM monatlich habe der Bf. monatlich rund 500 DM Steuern und 200 DM Miete zu zahlen. Nur der Restbetrag von rund 590 DM unterliege seiner freien Verfügung. Hiervon müsse er 200 DM monatlich für die Ausbildung seines Sohnes aufwenden. Der Bf. wende sich gegen die Auslegung und Verwertung des Begriffes der "außergewöhnlichen Belastung", wie ihn die Finanzämter und Finanzgericht in jahrelanger Praxis heute noch üben. Seit der Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 554/36 vom 28. Januar 1937 (Slg. Bd. 41 S. 45, Reichssteuerblatt 1937 S. 359) sei die Lebenshaltung viel teurer geworden, so daß der Begriff "außergewöhnliche Belastung" bereits seit einigen Jahren einer Korrektur und anderen Auslegung bedürfe. Beharre die Rechtsprechung der Finanzgericht bei dem vom Bf. bekämpften Standpunkt, so sei die notwendige Folge der Ruin der Bevölkerungsschicht, die bislang für die Erhaltung des Kulturstandes des deutschen Volkes entscheidend gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.

Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage, inwieweit Aufwendungen für Kinder, die eine auswärtige Schule besuchen, als außergewöhnliche Belastung im Rahmen des zur Zeit geltenden Rechts (ß 33 Absatz 1 EStG) zu berücksichtigen sind, hat der Senat den Bundesminister der Finanzen um Beteiligung ersucht. Der Bundesminister der Finanzen hat davon abgesehen, nach § 287 Ziffer 2 der Reichsabgabenordnung (AO) dem Verfahren förmlich beizutreten; er hat aber wie folgt Stellung genommen:

"Die Kosten für den Unterhalt, die Erziehung und die Ausbildung von Kindern, deren Höhe durch die Art der Unterbringung der Kinder (im Elternhause oder auswärts) oder durch die Art der Ausbildung beeinflußt sein kann, gehören grundsätzlich zu den nach § 12 des Einkommensteuergesetzes nicht abzugsfähige Haushaltskosten des Steuerpflichtigen. Unbeschadet dieses Grundsatzes erhält der Steuerpflichtige für jedes Kind, für das ihm Kinderermäßigung zusteht oder gewährt wird (§§ 32, 39 EStG), eine Ermäßigung der Einkommensteuer (Lohnsteuer). Durch diese Kinderermäßigung ist der Umstand, daß jeder Steuerpflichtige mit Kindern für den Unterhalt, die Erziehung und die Ausbildung der Kinder Aufwendungen zu machen hat, im Rahmen des zur Zeit Möglichen bei der Steuerbemessung berücksichtigt. Die Kinderermäßigung, die nach Ziffer 2 der Grundtabelle A zum Einkommensteuergesetz durch Abzug von 600 DM vom Jahreseinkommen berücksichtigt wird, kann, etwa in den ersten Lebensjahren des Kindes, höher sein, als die Aufwendungen für das Kind sind; in anderen Fällen, besonders in späteren Lebensjahren des Kindes, wird sie nicht immer ausreichen, um die Aufwendungen für das Kind in voller Höhe zu decken. Gleichwohl kann in den zuletzt bezeichneten Fällen eine außergewöhnliche Belastung, die zur Gewährung eines steuerfreien Betrags nach § 33 Absatz 1 EStG führen könnte, nicht allgemein, sondern nur anerkannt werden, wenn der Steuerpflichtige für das Kind ausnahmsweise und zwangsläufig größere Aufwendungen machen muß, als die überwiegende Mehrzahl der Steuerpflichtigen, die in gleichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen leben und den gleichen Familienstand haben. Es muß sich also um eine kleine Minderheit von Steuerpflichtigen handeln (Urt. des Obersten Finanzgerichtshofs IV 56/49 S vom 25. November 1949, Ministerialblatt des Bundesministeriums der Finanzen 1950 S. 341).

Das Hochschulstudium, wie überhaupt die auswärtige Unterbringung eines Kindes, erfüllt nicht ohne weiteres den Tatbestand des Außergewöhnlichen und des Zwangsläufigen. Das wird besonders deutlich bei den Kindern zwischen 18 und 25 Jahren, für die § 32 (39) EStG eine Kinderermäßigung vorsieht, wenn der Steuerpflichtige die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung trägt. Aus der allgemeinen Berücksichtigung von Berufsausbildungskosten durch eine Tarifvorschrift geht hervor, daß es sich hierbei um eine allgemein übliche, nicht um eine außergewöhnliche Belastung handelt. Die Belastung kann aber, je nach der Art der Berufsausbildung, in sehr unterschiedlicher Höhe erwachsen. Aus der gesetzlichen Regelung der Kinderermäßigung ist daher weiter ersichtlich, daß Berufsausbildungskosten grundsätzlich ohne Rücksicht auf ihre Art und Höhe durch die Kinderermäßigung abgegolten sein sollen. Die Außergewöhnlichkeit kann deshalb nicht mit der Art und Höhe der Ausbildungskosten allein begründet werden, sondern es müssen andere Merkmale hinzukommen. Diese Merkmale sind in ständiger Rechtsprechung vom Reichsfinanzhof herausgestellt worden. Die entwickelten Grundsätze müssen auch einer im Schrifttum gelegentlich vertretenen anderen Auffassung gegenüber Geltung behalten. Sie entsprechen auch heute noch dem geltenden Recht. Es handelt sich insbesondere um die Fälle, daß

ein Steuerpflichtiger mit kleinem Einkommen einen besonders begabten Sohn studieren läßt oder

ein Steuerpflichtiger für mehrere Kinder gleichzeitig hohe Ausbildungskosten zu tragen hat.

Hier kommt der Gedanke zu Raum, daß eine solche Ausbildung die Ausnahme gegenüber der Tatsache bildet, daß im Falle a) die Mehrzahl aller Steuerpflichtigen in diesen Einkommens- und Vermögensverhältnissen überhaupt von einer kostspieligen, insbesondere auswärtigen Ausbildung ihrer Kinder absehen muß oder im Falle b) nicht mit einer Häufung solcher Aufwendungen zu rechnen braucht. Die Eltern werden sich im allgemeinen bei der Ausbildung ihrer Kinder nach ihrem finanziellen Leistungsvermögen richten. In der Mehrzahl der Fälle werden die Eltern eine mit besonderen Kosten verbundene Ausbildungseinrichtung für das Kind gewählt haben, weil ihre Einkommensverhältnisse, wenn auch vielleicht nicht ohne Schwierigkeiten, ihnen eine solche Wahl gestatten. In solchen Fällen ist die Voraussetzung der Außergewöhnlichkeit im Sinne des § 33 EStG nicht als erfüllt anzusehen. Danach kann nach der gegenwärtigen Rechtslage die gesonderte Behandlung der Steuerpflichtigen mit kleinem Einkommen sich nur auf Ausnahmefälle beschränken.

Die zu entscheidende Frage kann nicht nur aus dem Gesichtspunkt des Hochschulstudiums beurteilt werden. Hat der Steuerpflichtige noch die Kosten einer Berufsausbildung zu tragen, so daß ihm Kinderermäßigung zu gewähren ist, so werden bei der Mannigfaltigkeit der (auch auswärtigen) Ausbildungsmöglichkeiten häufig besondere Kosten entstehen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß durch die Kinderermäßigung Ausbildungskosten verschiedener Höhe abgegolten werden. Bei Aufwendung für Kinder unter 18 Jahren, über die hier nicht zu entscheiden ist, ist die Rechtslage keine andere. Hinsichtlich der eine Hochschule besuchenden Kinder wird man nicht davon ausgehen können, daß nur eine Minderheit auswärtige Hochschulen besucht. Die Mehrzahl aller Studierenden ist nicht am Sitz der Universität beheimatet. Das auswärtige Studium ist also die Regel.

Für Kinder über 25 Jahre erhält der Steuerpflichtige keine Kinderermäßigung. Für diese Fälle ist in Abschnitt 39 Absatz 4 Ziffer 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 1950 die Berücksichtigung der für den Unterhalt und die Berufsausbildung des Kindes erforderlichen Kosten im Rahmen des § 33 EStG vorgesehen. Abgesehen davon, daß die Zwangsläufigkeit nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen ist, kann die Außergewöhnlichkeit der Belastung nur nach den Grundsätzen beurteilt werden, die auch für die Kinder unter 25 Jahren gelten. Der Kostenträger wird daher durch die erwähnte Bestimmung der Lohnsteuer-Richtlinien 1950 in der Regel einem Steuerpflichtigen gleichgestellt, der für das Kind Kinderermäßigung erhält. Eine weitergehende außergewöhnliche Belastung kommt auch hier nur in Betracht, wenn ein Ausnahmefall gegeben ist, der nach den bisherigen Ausführungen auch bei einem Kind unter 25 Jahren zur Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung führen würde.

Nach meiner Auffassung gestattet das geltende Einkommensteuerrecht grundsätzlich keine Berücksichtigung der Kosten des Hochschulstudiums oder auswärtiger Unterbringung als außergewöhnliche Belastung (bei den Kindern über 25 Jahren keine Berücksichtigung einer über den Betrag einer Kinderermäßigung hinausgehenden außergewöhnlichen Belastung). In den wenigen, für eine Sonderbehandlung in Betracht kommenden Fällen gibt die bisherige Rechtsprechung die Möglichkeit zu ihrer Berücksichtigung. Eine Ausweitung dieser Sonderfälle, insbesondere aber die Zulassung weiterer steuerfreier Beträge in fester Höhe, im Wege der Rechtsprechung erscheint nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften nicht angängig."

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen im wesentlichen an, soweit sie Kinder betreffen, für die dem Steuerpflichtigen die Kinderermäßigung zusteht. Was die Kinder im Alter von mehr als 25 Jahren betrifft, so ist der Senat der Auffassung, daß hier Erwägungen über die Höhe der Kinderermäßigung ausscheiden müssen. Kinder im Alter von mehr als 25 Jahren, die kein eigenes Einkommen haben, kein nennenswertes eigenes Vermögen besitzen und für deren Unterhalt und Ausbildungskosten der Vater aufkommen muß, sind wie mittellose Angehörige zu behandeln. Beim Bf. ist die Außergewöhnlichkeit und die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für seinen über 25 Jahre alten Sohn zu bejahen; desgleichen eine dadurch bewirkte wesentliche Beeinträchtigung der steuerlichen Leistungsfähigkeit. Der Antrag des Bf. auf Anwendung des § 33 Absatz 1 EStG ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Für die Höhe der Steuerermäßigung ist von der Vorschrift des § 41 Absatz 1 Ziffer 4 EStG auszugehen. Danach wird "ein vom Finanzamt zu bestimmender Betrag" abgezogen. Der Senat schätzt den Betrag, der als außergewöhnliche, zwangsläufige Belastung des Bf. wegen des auswärtigen Studiums seines Sohnes zu berücksichtigen ist, in freier Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände auf 1.200 DM jährlich. Hiervon ist abzusetzen der Betrag, den der Bf. nach § 25 Absatz 5 der Lohnsteuerdurchführungsverordnung 1950 selbst zu tragen hat (sogenannte Mehrbelastungsgrenze). Der Unterschied ist als steuerfreier Betrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen.

Die Mehrbelastungsgrenze berechnet sich beim Bf. wie folgt: Jahres-Bruttogehalt (1.286,67 DM mal 12 =) 15.440 DM, hiervon ab: Pauschbetrag für Werbungskosten 312 DM, Pauschbetrag für Sonderausgaben 468 DM, ------- 780 DM, Einkommen: ------------------------------- 14.660 DM. Mehrbelastungsgrenze (Steuerklasse II) 6 v. H. von 14.660 DM = ------------------ 879,60 DM. Auf der Lohnsteuerkarte sind als steuerfreier Betrag einzutragen (1.200 DM - 879,60 DM =) 320,40 DM jährlich oder 27 DM monatlich. Das Finanzamt hat den Unterschiedsbetrag zwischen der tatsächlichen einbehaltenen Lohnsteuer und der sich bei Berücksichtigung eines steuerfreien Betrages von 27 DM monatlich ergebenden dem Bf. gemäß § 152 Absatz 2 Ziffer 1 AO zu erstatten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407381

BStBl III 1952, 124

BFHE 1953, 317

BFHE 56, 317

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