Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Veranlaßt das Finanzamt einen rechtsunkundigen Steuerpflichtigen, dessen Rechtsmittel bei ihm schwebt, durch eine nach den Erkenntnissen der Zeit ihrer Erteilung unrichtige Auskunft, insbesondere durch die unrichtige Angabe, das Rechtsmittel sei aussichtslos, zu dessen Zurücknahme, so liegt eine wirksame Rechtsmittelzurücknahme nicht vor.

 

Normenkette

AO §§ 253, 243

 

Tatbestand

Durch notariellen übergabevertrag vom 15. Januar 1948 übertrug die Witwe X. ihrem Sohn, dem Beschwerdeführer (Bf.), ihren landwirtschaftlichen Besitz (Einheitswert: 26.900 RM). Der Bf. räumte in diesem Vertrage seiner Mutter auf die Dauer ihres Lebens ein Wohnrecht auf dem Grundstück und einen Austrag ein. Er erkannte ferner an, ihr 2.000 RM unverzinslich zu schulden. Der Betrag sollte fällig sein, sobald die Mutter unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten die Forderung kündigen würde. Außerdem verpflichten sich der Bf., seiner ledigen, am 21. Januar 1921 geborenen Schwester M. für die Zeit bis zu ihrer etwaigen Eheschließung zum Ausgleich ihrer Ansprüche ebenfalls ein Wohnrecht zu gewähren. Ferner sollte ihr im Falle des Eintritts ihrer Arbeitsunfähigkeit nach dem Ableben der Mutter der gleiche Austrag auf Lebenszeit wie jener zustehen, solange sie ledig blieb. Im Falle der Eheschließung sollte die Schwester eine näher bestimmte Haushaltsausstattung erhalten. Schließlich erkannte der Bf. an, der genannten Schwester eine Geldausstattung in Höhe von 5.000 RM zu schulden. Die Schuld sollte nach dem Ableben der Mutter jährlich mit 4 v. H. verzinst werden. Ihre Fälligkeit sollte erst im Falle der Eheschließung der Schwester oder dann eintreten, wenn die Schwester unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten kündigen oder das 45. Lebensjahr vollenden würde. Der Anspruch auf die Geldausstattung sollte sich um 3.000 RM mindern, wenn die Schwester den vorerwähnten Austrag verlangte.

Der Bf. hat in seiner Erklärung zur Vermögensabgabe sein obenbezeichnetes landwirtschaftliches Vermögen und ferner die Verpflichtungen angegeben, die er gegenüber seiner Mutter und seiner Schwester in dem übergabevertrag eingegangen war.

Das Finanzamt hat in dem Vermögensabgabebescheid vom 1. September 1955 für das genannte landwirtschaftliche Vermögen des Bf. lediglich 23.900 DM angesetzt und hinsichtlich der Verpflichtungen des Bf. aus dem übergabevertrag lediglich das Altenteil seiner Mutter mit 3.150 DM berücksichtigt. Neben dem eigenen landwirtschaftlichen Vermögen des Bf. war landwirtschaftliches Vermögen seiner Ehefrau mit 2.160 DM zum Ansatz gebracht. Gegen diesen Bescheid hat der Bf. rechtzeitig Einspruch eingelegt. Er hat das Rechtsmittel an Amtsstelle am 8. November 1955 unter Vorlage des übergabevertrags damit begründet, daß er um Abzug seiner Verbindlichkeiten aus dem übergabevertrag bat, und zwar außer dem Altenteil seiner am 5. August 1954 verstorbenen Mutter um Abzug des Wohnrechts seiner Schwester die im Januar 1955 in ein Kloster eingetreten sei, und ihres Geldausstattungsanspruchs sowie einiger Bankschulden, die er noch nachweisen werde. Er hat bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, daß er mangels der erforderlichen Geldmittel keine fremden Arbeitskräfte für sein 42,92 ha großes Bauerngut beschäftige, vielmehr auf die Mitarbeit seiner Ehefrau angewiesen sei; die im Haushalt befindlichen drei minderjährigen Kinder (das älteste geboren im Jahr 1947) könnten ebenfalls nicht im landwirtschaftlichen Betrieb helfen. Er hat deshalb um Zuerkennung der Familienermäßigung gebeten.

Unter dem 15. Juni 1956 hat das Finanzamt in einem von dem Sachgebietsleiter gezeichneten Schreiben an den Bf. den Einspruch als aussichtslos bezeichnet, dessen Rücknahme nahegelegt und unter anderem erklärt, das Wohnrecht der Schwester könne von seinem vermögensabgabepflichtigen Vermögen nicht abgezogen werden, weil sie am Währungsstichtage auf seinem Gut gearbeitet habe. Auch die Verbindlichkeit von 5.000 RM/DM ihr gegenüber sei nicht abzugsfähig, weil sie aufschiebend bedingt sei.

Am 18. Juni 1956 hat der Bf. an Amtsstelle erklärt, daß er seinen Einspruch zurücknehme. Er bat jedoch, den Abzug der 2.000 RM/DM Geldschuld an seine Mutter im Sinne des § 64 Abs. 2 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) vorzunehmen. Er bat ferner um Erlaß der Rechtsmittelkosten, da er nur vorsorglich das Rechtsmittel eingelegt und die Bestimmungen des LAG nicht gekannt habe.

Das Finanzamt hat daraufhin unter Bezugnahme auf § 94 und § 92 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) den berichtigten Vermögensabgabebescheid vom 28. Juni 1956 erlassen. In diesem Bescheid waren außer der Schuld von 2.000 RM/DM an die Mutter keine weiteren Abzüge, wie sie der Bf. geltend gemacht hatte, abgesetzt. Dagegen war bei dem Abzug der Schuld von 2.000 RM/DM an die Mutter des Bf. berücksichtigt, daß diese im Jahr 1954 gestorben war. Ferner wurde der Ansatz des Einheitswerts des landwirtschaftlichen Vermögens berichtigt. Gegen diesen berichtigten Bescheid hat der Bf. unter dem 8. Januar 1957 abermals Einspruch eingelegt. Zur Begründung hat er erneut den Abzug seiner Verpflichtungen gegenüber seiner Schwester aus deren Wohnrecht und hinsichtlich der Geldausstattung geltend gemacht. Er hat sich hierfür auf die Auskunft des örtlich zuständigen Bauernverbandes berufen. Ferner hat er angeführt, er habe die Zurücknahme des früheren Einspruchs lediglich zufolge der Erklärung des Sachgebietsleiters des Finanzamts ausgesprochen. Hinsichtlich der Verspätung seines neuen Einspruchs hat er gebeten, ihm Nachsicht zu gewähren. In seinem weiteren Schreiben vom 15. Februar 1957 hat der Bf. auch um Billigkeitsmaßnahmen mit Rücksicht auf die Unwetter- bzw. Ernteschäden gebeten, die sein landwirtschaftlicher Besitz erlitten habe.

Das Finanzamt hat den Einspruch vom 8. Januar 1957 unter dem 26. April 1957 wegen schuldhafter Versäumung der Rechtsmittelfrist als unzulässig verworfen; der erste Vermögensabgabebescheid sei infolge der Zurücknahme des ersten Einspruchs in Rechtskraft erwachsen.

Auch die Berufung des Bf. gegen diese Entscheidung ist ohne Erfolg geblieben. Der Bf. hat sich besonders auf folgendes berufen: Er sei zur Zurückziehung des ersten Einspruchs durch die unrichtige Auskunft des Sachgebietsleiters bestimmt worden, der ihm wiederholt und nachdrücklich erklärt und auch geschrieben habe, daß das Wohnrecht seiner Schwester sowie ihr Anspruch auf Zahlung von 5.000 RM/DM bei der Berechnung seines vermögensabgabepflichtigen Vermögens nicht abgezogen werden könnten. Diese Auskunft sei unrichtig gewesen. Die Zurückziehung des Rechtsmittels dürfe ihm gegenüber daher nicht geltend gemacht werden. Er, der Bf., erkenne deshalb den ersten Vermögensabgabebescheid in keiner Form als rechtskräftig an und habe deshalb auch nicht die fälligen Abgabebeträge gezahlt. Infolgedessen habe das Finanzamt den Erlös aus dem Verkauf von Holz (rd. 700 DM) sowie die Dieselkraftstoffverbilligung (337,10 DM) gepfändet. Dadurch habe ihm Geld gefehlt, um Arbeitskräfte beschäftigen zu können. So sei die Ernte viel zu spät und in nassem Zustand eingebracht worden. Dieser Schaden sei demnach mittelbar auf die unrichtige Auskunft des Sachgebietsleiters des Finanzamts zurückzuführen. Erst der Bauernverband habe ihn über die Unrichtigkeit jener Auskunft aufgeklärt, und daraufhin habe er den Einspruch gegen den zweiten Vermögensabgabebescheid eingelegt. Abzugsfähige Bankschulden hat der Bf. nicht benannt.

Das Finanzgericht hat sich im wesentlichen auf den Standpunkt des Finanzamts gestellt, ohne auf die Abzugsfähigkeit der geltend gemachten Verpflichtungen näher einzugehen.

 

Entscheidungsgründe

Gegen die Entscheidung des Finanzgerichts richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.).

Der Bf. hat in dem hier anhängigen Steuerrechtsstreit wiederholt darauf hingewiesen, daß der Einspruch gegen den ersten Vermögensabgabebescheid irrtümlich deshalb zurückgenommen worden sei, weil der zuständige Sachgebietsleiter des Finanzamts ihn durch sachlich unrichtige steuerliche Rechtsbelehrung dazu veranlaßt habe. Der Bf. folgert hieraus, daß seine Erklärung über die Zurücknahme des Einspruchs gegen den ersten Vermögensabgabebescheid unwirksam sei. Er hat auch beantragt, den damaligen Sachgebietsleiter darüber zu vernehmen, daß er ihn durch unrichtige Belehrung über die Unzulässigkeit der geltend gemachten Abzüge zur Zurücknahme des Einspruchs bestimmt habe. Nach der feststehenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - vgl. z. B. Urteil IV 192/52 U vom 3. Juli 1952, Bundessteuerblatt (BStBl) 1952 III S. 241, Slg. Bd. 56 S. 627 - ist zwar in dem dem öffentlichen Recht angehörenden Steuerrecht eine verbindlich abgegebene Erklärung eines Steuerpflichtigen im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht anfechtbar, wie dies im bürgerlichen Recht für private Willenserklärungen vorgesehen ist. Andererseits können nach dieser Rechtsprechung derartige Erklärungen nicht als wirksam erachtet werden, wenn sie durch unzulässige Beeinflussung seitens einer Behörde, z. B. unter Druck, durch Drohung oder bewußte Täuschung, zustande gekommen sind. Sie sind in solchen Fällen ohne weiteres unwirksam. Im vorliegenden Falle ergeben die Akten indessen keinen hinreichend substantiierten Anhalt dafür, daß der Bf. vor Abgabe seiner Zurücknahmeerklärung bedroht worden sei; insbesondere ist nicht zu erkennen, womit ein Beamter des Finanzamts im vorliegenden Falle gedroht haben könnte. Auch für eine bewußte Täuschung lassen sich ein Anlaß oder ein Zweck nicht erkennen. Demnach läßt sich die höchstrichterliche Rechtsprechung über die Unwirksamkeit von durch Drohung oder arglistiger Täuschung hervorgerufenen Prozeßerklärungen auf den vorliegenden Fall nicht anwenden.

Es ist daher zu prüfen, ob die Erklärung des Bf. über die Zurücknahme seines Einspruchs gegen den ersten Vermögensabgabebescheid aus anderen Gründen von selbst unwirksam ist. Ist dies der Fall, so ist der Einspruch des Bf. gegen den ersten Vermögensabgabebescheid verfahrensmäßig als nicht zurückgenommen zu behandeln. In diesem Falle ist der Einspruch gegen den ersten Vermögensabgabebescheid noch anhängig und einer Entscheidung durch das Finanzamt zuzuführen.

In dieser Beziehung ist auf folgendes hinzuweisen: Der Bf. hat den Einspruch gegen den ersten Vermögensabgabebescheid am 18. Juni 1956 zurückgenommen. Vorher hat er das Schreiben des Finanzamts vom 15. Juni 1956 empfangen, das von dem Sachgebietsleiter unterschrieben war. In diesem Schreiben hat das Finanzamt ausgeführt, der Einspruch habe keine Aussicht auf Erfolg. Das Finanzamt hat unter anderem in dem Schreiben erklärt, das Wohnrecht der Schwester des Bf. sei nicht als Schuld abzugsfähig, weil die Berechtigte am Währungsstichtage auf dem Hof mitgearbeitet habe. Indessen hat nur der Anspruch auf den Austrag der Schwester nach § 12 des notariellen Vertrages vom 15. Januar 1948 unter der Voraussetzung der Arbeitsunfähigkeit zugestanden. Die Bedingung der Arbeitsunfähigkeit hat indessen nicht für die Bewilligung des Wohnrechts an die Schwester des Bf. bestanden. Das Wohnrecht war daher unbedingt zugestanden worden.

Laut § 6 des Vertrages hat der Abgabepflichtige seiner Schwester M. (geboren 21. Januar 1921) ein Wohnungsrecht auf Lebenszeit ohne jegliche Gegenleistung einzuräumen.

§ 30 des Reichserbhofgesetzes (RErbhG) lautet: "Abs. 1: Die Abkömmlinge des Erblassers werden, soweit sie Miterben oder pflichtteilsberechtigt sind, bis zu ihrer Volljährigkeit auf dem Hofe angemessen unterhalten und erzogen.

Abs. 2: ... Abs. 3: Geraten sie unverschuldet in Not, so können sie auch noch später gegen Leistung angemessener Arbeitshilfe auf dem Hof Zuflucht suchen (Heimatzuflucht) ....".

Demgemäß hat das Bayerische Staatsministerium der Finanzen unter dem 16. Mai 1953 (S 3530 - 5/4 - 48806 I - V) unter II, 1, g die Finanzämter ersucht, Wohnrechte, die auf Grund von übergabeverträgen weichenden Erben zustehen, nur dann als abzugsfähig anzuerkennen, wenn das Recht arbeitsunfähigen Geschwistern des Hofeigentümers zusteht und diese auf dem Hof wohnen, und gebeten, in allen anderen Fällen den Abzug abzulehnen. Diese Anordnung ging offenbar von dem Regelfall aus, daß die weichenden Erben, wie im § 30 RErbhG vorgesehen, angemessene Arbeitshilfe auf dem Hof leisten. Hier steht der Verpflichtung zur überlassung einer Wohnung das Recht auf unentgeltliche Arbeitsleistung als Gegenleistung gegenüber. In derartigen Fällen kann ein Abzug für die Verpflichtung zur Gewährung des Wohnrechts nicht zugelassen werden.

In dem hier streitigen Falle ist aber ausbedungen, daß die Schwester M. das Wohnrecht ohne jegliche Gegenleistung hat. Sie hat also nicht auf Grund der überlassung des Wohnrechts Arbeitshilfe zu leisten. Deshalb fällt der vorliegende Fall nicht unter die Regel, die das Bayerische Staatsministerium der Finanzen für seine Verwaltungsanordnung aufgestellt hat.

Der Sachverhalt wird durch § 14 des übergabevertrages dahin klargestellt, daß der Abgabepflichtige der Schwester kraft Dienstvertrages für ihre Arbeitsleistung auf dem Hofe den angemessenen ortsüblichen Arbeitslohn zu entrichten hat.

Deshalb ist hier die Belastung mit dem Wohnungsrecht der Schwester abzugsfähig, und die abweichende Auskunft des Finanzamts war in diesem Fall unrichtig.

In übereinstimmung hiermit hat der VI. Senat des Reichsfinanzhofs in seinem Urteil VI A 1303/25 vom 3. Februar 1926 (Slg. Bd. 18 S. 307 ff) sogar ausgesprochen, daß die Belastung durch Wohnrechte, selbst wenn sie am streitigen Tage noch nicht ausgeübt werden (was aber in der hier streitigen Sache der Fall ist), je nach der größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit der voraussichtlichen Nichtausübung mit einem hinter dem Kapitalisierungswert zurückbleibenden gemeinen Werte angesetzt werden kann, soweit der Verpflichtete in jenem Falle mit der Geltendmachung des Wohnrechts rechnen muß. Damit war die Abzugsfähigkeit der Wohnrechtsbelastung grundsätzlich anerkannt.

Weiterhin hat der Reichsfinanzhof in seinem Urteil III A 473/29 vom 8. Mai 1930 (Reichssteuerblatt 1930 S. 405) die Abzugsfähigkeit des Stätterechts ebenfalls grundsätzlich anerkannt und lediglich eingeräumt, daß die Bewertung der Last durch die Verpflichtung des Berechtigten zur - unentgeltlichen - Mitarbeit beeinflußt wird. An solcher Verpflichtung zur Mitarbeit fehlt es aber im vorliegenden Falle. Das Arbeitsverhältnis ist gesondert durch Vertrag mit dem üblichen Arbeitslohn geregelt.

Auch die Erklärung des Finanzamts, die Verbindlichkeit des Bf. gegenüber der Schwester in Höhe von 5.000 RM/DM sei bei der Berechnung des vermögensabgabepflichtigen Vermögens nicht zum Abzug zuzulassen, ist unrichtig gewesen; denn die Verbindlichkeit hat am Währungsstichtage bestanden, und nur hierauf kommt es an, nicht etwa auf den Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit der Zahlung oder auf denjenigen des Beginns des Zinsenlaufs. Insofern erübrigt sich eine Vernehmung des damaligen Sachgebietsleiters.

Die Frage ist, ob die Zurücknahme des Einspruchs wegen dieser unrichtigen Belehrung seitens des Finanzamts unwirksam gewesen ist. Der Bundesfinanzhof hat bereits in seinem Urteil IV 192/52 U vom 3. Juli 1952 (BStBl 1952 III S. 241, Slg. Bd. 56 S. 627) angedeutet, daß unter Umständen schon eine unrichtige Belehrung seitens des Finanzamts die durch sie veranlaßte Erklärung des Steuerpflichtigen über die Zurücknahme eines Rechtsmittels unwirksam machen könne. In der älteren Rechtsprechung sind einander widersprechende Entscheidungen ergangen. Nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs II A 463/27 vom 29. November 1927 (Slg. Bd. 22 S. 291 ff.) ist ein Irrtum im Beweggrund ohne Einfluß auf die Wirksamkeit einer Erklärung über die Zurücknahme eines Rechtsmittels. Wie in diesem Urteil ausgeführt ist, handelt jeder Steuerpflichtige auf eigene Gefahr, wenn er sich auf eine derartige Rechtsbelehrung hin zur Zurücknahme seines Rechtsmittels entschließt. Der II. Senat des Reichsfinanzhofs hat zwar zu dem Fall, daß die unrichtige Rechtsbelehrung von der für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständigen Stelle erteilt worden ist, nicht Stellung nehmen wollen. Er hat aber gemeint, es sei nicht einzusehen, weshalb z. B. das Finanzgericht sich nicht auf die Zurücknahme des Rechtsmittels solle berufen können, wenn der Rechtsmittelführer durch eine unrichtige Rechtsbelehrung seitens des Finanzamts oder z. B. eines Rechtsanwalts oder sonstigen Rechtsverständigen zu der Zurücknahme des Rechtsmittels veranlaßt worden sei. Wäre - so hat der II. Senat des Reichsfinanzhofs ausgeführt - bei objektiver Unrichtigkeit der Belehrung seitens einer Steuerbehörde die hierdurch veranlaßte Zurücknahme eines Rechtsmittels ohne weiteres als unwirksam zu betrachten, dann müßte dies auch dann gelten, wenn die Rechtsbelehrung zwar der damaligen Rechtsprechung entsprochen, diese sich indessen später gewandelt hätte. Das könne nicht zugelassen werden.

Der Auffassung des vorerwähnten Urteils des Reichsfinanzhofs II A 463/27 vom 29. November 1927 vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Wenn in dem genannten Urteil des Reichsfinanzhofs ganz allgemein einem Irrtum im Beweggrund ein Einfluß auf die Wirksamkeit der Erklärung der Zurücknahme eines Rechtsmittels abgesprochen ist, so hält sich die Entscheidung selbst an diesen Grundsatz schon insofern nicht, als sie ausdrücklich im Falle einer Drohung oder arglistigen Täuschung durch die Steuerbehörde eine andere rechtliche Betrachtungsweise gelten lassen würde. Das angeführte Urteil des Reichsfinanzhofs überzeugt auch insofern nicht, als es meint, jeder Steuerpflichtige trage selbst die Gefahr, wenn er sich auf eine unrichtige Rechtsbelehrung seitens des Finanzamts zur Zurücknahme seines Rechtsmittels entschließe, und diesen Fall demjenigen gleichstellt, in welchem sich der Steuerpflichtige auf die Auskunft eines Dritten, z. B. eines Rechtsanwalts oder sonstigen Rechtsverständigen, verläßt und auf diese unter Umständen unrichtige Auskunft hin sein Rechtsmittel zurückzieht. Zwar mag es zutreffen, daß ein Steuerpflichtiger gegenüber der Steuerbehörde - unbeschadet eines etwaigen Schadensersatzsanspruchs gegen den, der ihm die falsche Auskunft erteilt hat - die Folgen daraus zu tragen hat, daß er sich in der ihm berührenden Frage an eine dritte Stelle wendet, diese ihm dann tatsächlich eine falsche Auskunft erteilt und er daraufhin sein Rechtsmittel zurücknimmt. Hier hat er die Wahl, bei wem er sich erkundigt. Welche Wahl bleibt ihm jedoch, wenn er sich in der Frage der Aussichten seines Rechtsmittels nicht an einen Dritten, sondern an die Steuerbehörde selbst wendet oder die Steuerbehörde, wie im vorliegenden Falle, von sich aus sein Rechtsmittel als aussichtslos bezeichnet? Unter den verschiedenen Steuerbehörden hat er keine Wahl. Hier muß er sich regelmäßig an die für ihn zuständige Steuerbehörde halten.

Der Steuerpflichtige muß sich auf die Richtigkeit einer schriftlichen Auskunft seiner Steuerbehörde über die Aussichten seines Einspruchs, wenn die Auskunft ohne Vorbehalt erteilt wird, verlassen können. Eine bloße mündliche Auskunft, die nicht schriftlich bestätigt wird, kann allerdings nicht als die Behörde bindend anerkannt werden, wenn es sich um die Aussichten eines schwebenden Rechtsmittelverfahrens handelt. Auch kann die Steuerbehörde keine bindenden Auskünfte für ein bei einer übergeordneten Instanz schwebendes Verfahren erteilen. Doch abgesehen von diesen Einschränkungen muß sich ein Steuerpflichtiger hinsichtlich der Aussichten seines Rechtsmittels auf die schriftliche Auskunft der für ihn zuständigen Steuerbehörde, wenn sie vorbehaltlos erteilt wird, verlassen können.

Der berechtigten Erwartung eines Steuerpflichtigen auf eine zuverlässige Auskunft seiner Steuerbehörde über die Aussichten seines Rechtsmittels entsprechen im heutigen Rechtsstaat die Verpflichtung und die Verantwortung der Steuerbehörde innerhalb des besonderen öffentlich-rechtlichen Vertrauensverhältnisses, das zwischen ihr und dem Steuerpflichtigen im Rechtsmittelverfahren zu bestehen hat, das bei der Steuerbehörde selbst schwebt, und in dem diese eine doppelte Aufgabe zu erfüllen hat, nämlich nicht nur die staatlichen Belange zu vertreten, sondern laut Gesetz auch die Entscheidung selbst über das Rechtsmittel zu fällen. Deshalb hat das Finanzamt z. B. nach § 204 Abs. 1 Satz 2 AO die Angaben des Steuerpflichtigen auch zu seinen Gunsten zu prüfen. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes steht dem entgegen, daß die Steuerbehörde in einem schwebenden Rechtsmittelverfahren dem Rechtsmittelführer eine unrichtige Auskunft über die Aussichten des bei ihr schwebenden Rechtsmittels erteilt und sich auf die Rechtskraft der angefochten gewesenen Entscheidung beruft, wenn der Rechtsmittelführer das Rechtsmittel auf die unrichtige Auskunft hin zurückgenommen hat. Ist die Auskunft, wie im vorliegenden Falle, mindestens zum Teil unrichtig, und nimmt der rechtsunkundige Steuerpflichtige auf diese unrichtige Auskunft hin sein Rechtsmittel zurück, so widerstreitet es den gerade auch für den behördlichen Geschäftsverkehr geltenden Grundsätzen der Loyalität, wenn die Steuerbehörde den Steuerpflichtigen bei der von ihr selbst irrtümlich veranlaßten Zurücknahme des Einspruchs festzuhalten sucht. Die Steuerbehörde wird deshalb in einem derartigen Fall rechtlich außerstande sein, sich gegenüber dem Steuerpflichtigen auf seine Erklärung über die Zurücknahme des Rechtsmittels zu berufen, wenn er durch eine unzutreffende Auskunft der Steuerbehörde zu dieser Erklärung verleitet worden ist, vielmehr die Zurücknahme als unwirksam behandeln und über den Einspruch entscheiden müssen, als ob er niemals zurückgenommen worden wäre. Dies gilt jedenfalls gegenüber einem rechtsunkundigen, nicht geschäftsgewandten Rechtsmittelführer, wie im vorliegenden Falle.

Wenn das Urteil des Reichsfinanzhofs II A 463/27 zur Begründung seiner entgegengesetzten Auffassung meint, es könne z. B. auch eine auf die bisherige Rechtsprechung gestützte Auskunft der Steuerbehörde eine auf ihre Veranlassung ausgesprochene Zurücknahme eines Rechtsmittels nicht deshalb unwirksam machen, weil diese Rechtsprechung in einer späteren Entscheidung aufgegeben werde, so ist auf § 222 Abs. 2 AO zu verweisen, nach welchem eine spätere änderung in der Rechtsprechung auch nicht zu einer Berichtigungsveranlagung führen kann. Im übrigen wird die Richtigkeit einer Auskunft der Steuerbehörde über die Aussichten eines bei ihr schwebenden Rechtsmittels regelmäßig voraussetzen, daß die Steuerbehörden nach den Gegebenheiten zur Zeit der Auskunftserteilung alle Mittel der Klärung der einschlägigen Frage angewandt hat, und solchenfalls wird die Wirksamkeit einer auf der Auskunft fußenden Zurücknahme eines Rechtsmittels nicht beeinträchtigt sein. Es wird regelmäßig genügen, daß die Auskunft der bisherigen Rechtsprechung entspricht. Die Steuerbehörde wird zu prüfen haben, ob sie ihre Auskunft mit einem entsprechenden Vorbehalt versieht oder sie überhaupt unterläßt. Deshalb wird eine Auskunft der Steuerbehörde, wenn sie erteilt wird, sich jedoch zufolge späterer Rechtsprechung als unrichtig erweist, nicht, wie das genannte Urteil des Reichsfinanzhofs erwägt, eine auf ihr fußende Zurücknahme eines Rechtsmittels unwirksam machen.

In der Tat hat sich der VI. Senat des Reichsfinanzhofs in seinen Urteilen VIe A 123/24 vom 24. September 1924 und VI A 1221/25 vom 13. Januar 1926 (Steuer und Wirtschaft 1924 Nr. 520 und 1926 Nr. 53) auf einen dem des II. Senats entgegengesetzten Standpunkt gestellt, der mit dem des erkennenden Senats übereinstimmt, nämlich auf den Standpunkt, daß sich die Steuerbehörde nicht auf eine Zurücknahmeerklärung des Steuerpflichtigen berufen kann, wenn sie selbst durch eine unrichtige Belehrung die Erklärung veranlaßt hat.

Hiernach ist in der vorliegenden Sache die Erklärung des Bf. über die Zurücknahme seines Einspruchs gegen den ersten Vermögensabgabebescheid unwirksam gewesen. Sie hat nicht nach § 253 Satz 3 AO den Verlust des Rechtsmittels zur Folge gehabt. über den demnach noch schwebenden Einspruch gegen den ersten Vermögensabgabebescheid ist zu entscheiden.

Das angefochtene Urteil und die Entscheidung vom 26. April 1957 über den Einspruch vom 8. Januar 1957 gegen den zweiten Vermögensabgabebescheid sind aufzuheben, weil sie dies verkannt haben, das Rechtsmittelverfahren hinsichtlich des ersten Vermögensabgabebescheids noch abzuschließen ist und sich hierdurch der zweite Vermögensabgabebescheid als gegenstandslos erweisen muß.

Die Sache geht an das Finanzamt zurück. Dieses hat über den Einspruch des Bf. gegen den ersten Vermögensabgabebescheid zu entscheiden. Hierbei sind an Abzügen nicht nur das im ersten Vermögensabgabebescheid abgezogene Altenteilsrecht der Mutter des Bf. sowie die im zweiten Vermögensabgabebescheid (sogenannten berichtigten Bescheid) abgezogenen 2.000 RM/DM Schuld an sie zu berücksichtigen, sondern auch das Wohnrecht und der Geldanspruch der Schwester aus dem übergabevertrag vom 15. Januar 1948. Das landwirtschaftliche Vermögen ist so anzusetzen, wie dies im berichtigten Bescheid geschehen ist.

Wird auf diese Weise im Rechtsmittelverfahren hinsichtlich des ersten Abgabebescheids die Vermögensabgabe des Bf. einer abschließenden, vollständigen Regelung entgegengeführt, dann wird der zweite Vermögensabgabebescheid (sogenannter berichtigter Bescheid) von selbst gegenstandslos.

Die Entscheidung über die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens und die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes werden dem Finanzamt übertragen.

In dem vorliegenden Verfahren kann nicht zu dem Antrage des Bf. Stellung genommen werden, ihm die Vermögensabgabe aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Dies bleibt der Entscheidung der Verwaltung vorbehalten.

 

Fundstellen

BStBl III 1959, 116

BFHE 1959, 296

BFHE 68, 296

StRK, AO:253 R 8

NJW 1959, 911

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