Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff des Einfamilienhauses.

Das entscheidende Merkmal eines Einfamilienhauses ist auch bei kleineren Häusern, ob nach der Verkehrsauffassung nicht mehr als eine Wohnung vorhanden ist und ob dieser Zustand nach der Sachlage ein Dauerzustand ist.

 

Normenkette

BewDV § 32 Abs. 1 Ziff. 4; BewG § 75/1/4; BewG § 75/5

 

Tatbestand

Der Streit geht um die Frage, zu welcher Grundstückshauptgruppe die von der Beschwerdeführerin (Bfin.) im Kreis M. errichteten Siedlungshäuser zu rechnen sind. Das Finanzamt hat diese Häuser als Mietwohngrundstücke bewertet, während die Bfin., sie als Einfamilienhäuser ansieht. Als Musterfall liegt die Feststellung des Einheitswerts zum 1. Januar 1952 für die Kleinsiedlung N. (Siedler: R.), zur Entscheidung vor.

Das strittige Siedlungshaus wird von zwei Familien bewohnt. Im Erdgeschoß wohnt der Siedler R.; seine Wohnung umfaßt zwei Zimmer und eine Wohnküche mit zusammen 38 qm Wohnfläche. Im Dachgeschoß wohnt ein anderer Mieter; dessen Wohnung besteht aus einer Schlafstube, einer Kammer und einer Wohnküche mit zusammen 37 qm Wohnfläche. Die beiden Wohnungen sind zum Treppenhaus nicht abgeschlossen. Zur Wohnung des Siedlers gehören noch zwei Kellerräume, eine Futterküche, ein kleiner Stall (mit Futterboden) und Gartenbenutzung; zur Wohnung des anderen Mieters rechnet noch ein Kellerraum. Die Jahresrohmiete für beide Wohnungen zusammen ist 782 DM.

Bei der Einheitsbewertung zum 1. Januar 1952 ist das Finanzamt von einer Jahresrohmiete von 558 DM (umgerechnet auf die Jahresrohmiete nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1935) ausgegangen und hat unter Anwendung des für Mietwohngrundstücke maßgebenden Vervielfältigers von 2 den Einheitswert auf 6.100 DM festgestellt.

Demgegenüber hat die Bfin. sowohl im Einspruch wie in der Berufung vorgebracht, daß ein Einfamilienhaus vorliege, weil es sich bei der Dachgeschoßwohnung um eine Wohnung von untergeordneter Bedeutung handle. Nach § 10 Abs. 4 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (WGGDV) vom 23. Juli 1940 (Reichsgesetzblatt I S. 1012) verliere ein Einfamilienhaus die Eigenschaft als Einfamilienhaus nicht dadurch, daß eine zweite Wohnung, die gegenüber der Hauptwohnung von untergeordneter Bedeutung sei, eingebaut sei (Einliegerwohnung). Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg.

In der Vorentscheidung wird ausgeführt, die Vorschriften der WGGDV müßten bei der steuerlichen Bewertung außer Betracht bleiben. Es sei nicht richtig, daß diese Vorschriften - wie die Bfin. behaupte - in Angleichung an die Bewertungsbestimmungen (ß 32 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz - BewDV -) ergangen seien. Das streitige Grundstück könne nicht als Einfamilienhaus im Sinne des § 32 Abs. 1 Ziff. 4 BewDV gelten. Das Haus sei von Anfang an für zwei selbständige Wohnungen gebaut worden. Bei der Wohnung im Dachgeschoß handle es sich nicht um eine für vorübergehende Dauer bestimmte Not- oder Behelfswohnung.

In der Rechtsbeschwerde (Rb.), die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen ist, hat die Bfin. noch folgendes vorgebracht: die Kleinsiedlung mit eingebauter, nicht abgeschlossener Kleinwohnung stelle nach heutiger allgemeiner Auffassung geradezu den Typ der familiengerechten Wohnung dar. Sie erlaube es der noch jungen Siedlerfamilie, zunächst mit dem kleinen Wohnraum im Erdgeschoß auszukommen und das Dachgeschoß in Anbetracht der verhältnismäßig hohen Belastung der Kleinsiedlung an einen Einlieger zu vermieten. Wenn der Kleinsiedler nach Anwachsen der Familie jedoch mit dem kleinen Wohnraum nicht mehr auskomme, könne er ohne bauliche Umgestaltung die bisherige Einliegerwohnung heranziehen. In seinen alten Tagen werde der Kleinsiedler sich sozusagen auf seinen Altenteil in die Einliegerwohnung zurückziehen und dem Erben die Hauptwohnung überlassen. Unter diesem Gesichtspunkt könne die eingebaute Kleinwohnung nicht als eine nach der baulichen Gestaltung auf die Dauer berechnete völlig selbständige Wohnung betrachtet werden. Es sei Aufgabe der Rechtsprechung, unter Berücksichtigung der fortschreitenden Verhältnisse nach heutiger Verkehrsauffassung den bewertungsrechtlichen Begriff des Einfamilienhauses zu ermitteln. Ebenso wie das Vorhandensein einer Wohnung für Hauspersonal (Pförtner, Heizer usw.), der Einbau einer Notwohnung sowie die teilweise eigene oder fremde Nutzung zu gewerblichen Zwecken für den Charakter des Einfamilienhauses unschädlich sei, müsse das auch für die Einliegerwohnung in einer Kleinsiedlung gelten.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Gemäß § 32 Abs. 1 Ziff. 4 BewDV gelten als Einfamilienhäuser solche Wohngrundstücke, die nach ihrer baulichen Gestaltung nicht mehr als eine Wohnung enthalten, wobei Wohnungen für Hauspersonal nicht mitrechnen. Die Eigenschaft als Einfamilienhaus wird auch dadurch nicht beeinträchtigt, daß durch Abtrennung von Räumen weitere Wohnungen (z. B. Not- oder Behelfswohnungen) geschaffen werden, wenn mit ihrem dauernden Bestand nicht gerechnet werden kann. Der erkennende Senat hat bereits im Urteil III 35/51 U vom 19. Juli 1951 (Slg. Bd. 55 S. 442, Bundessteuerblatt 1951 III S. 176) darauf hingewiesen, daß es entscheidend darauf ankommt, ob in dem in Betracht kommenden Hause am Stichtag mehr als eine Wohnung vorhanden war, mit deren dauerndem Bestand gerechnet werden mußte. Er hat in diesem Urteil auch hervorgehoben, daß nach den Zerstörungen von Wohnungen durch den Krieg, nach der durch den Ausgang des Krieges geschaffenen Lage, nach dem Hereinströmen von Millionen von Deutschen aus den Ostgebieten in das Gebiet der Bundesrepublik eine Lage entstanden sei, die sich weitgehend von den in früheren Zeiten bestehenden Auffassungen darüber, was als Wohnungen zu gelten habe, unterscheide. Der Bundesfinanzhof könne an dieser Entwicklung nicht vorübergehen.

Der angezeigten Entwicklung hat - wie auch in dem genannten Urteil erwähnt ist - die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs bereits in gewissem Umfang Rechnung getragen. Mit dem Urteil III 29/39 vom 4. Juli 1940 (Reichssteuerblatt - RStBl. - 1940 S. 820) ist eine Lockerung der bis dahin bestehenden Rechtsprechung zum Begriff des Einfamilienhauses angebahnt worden, insofern das kennzeichnende Merkmal für das Vorliegen eines Einfamilienhauses nicht mehr unbedingt in der baulichen Gestaltung des Hauses, sondern in der Tatsache erblickt wurde, daß nach der Verkehrsauffassung nicht mehr als eine Wohnung vorhanden war. In dem Urteil III 37/42 vom 30. Juli 1942 (RStBl. 1942 S. 962) ist ausgesprochen, daß der ungehinderte Zugang vom Treppenhaus - ohne Abschluß durch eine Wand oder Tür - zu jedem Stockwerk für sich allein die Annahme eines Mietwohngrundstücks nicht ausschließt. Das am gleichen Tag ergangene Urteil III 89/42 (RStBl. 1942 S. 963) bejaht das Vorliegen eines Mietwohngrundstücks bei Mitbenutzung des bisherigen Einfamilienhauses durch die Familie des Sohnes des Hauseigentümers und stellt zugleich fest, daß jemand dort seine Wohnung hat, wo sich der Mittelpunkt seines familiären und geselligen Lebens befindet. In dem Urteil III 123/42 vom 24. September 1942 (RStBl.) 1942 S. 1102) ist ausgeführt, daß ein ursprünglich als Einfamilienhaus errichtetes Wohnhaus, bei dem in absehbarer Zeit mit dem dauernden Bestand von mehreren Wohnungen zu rechnen ist, auch dann als Mietwohngrundstück zu bewerten ist, wenn es baulich nicht wesentlich umgestaltet worden ist. Der erkennende Senat selbst hat sich in dem obengenannten Urteil III 35/51 U auf den Standpunkt gestellt, daß bei Beantwortung der Frage, was als eine Wohnung anzusehen sei, die nach Ausgang des Krieges tatsächlich bestehenden örtlichen Wohnverhältnisse berücksichtigt werden müßten.

Zuzugeben ist, daß der Reichsfinanzhof und der Bundesfinanzhof die oben dargestellten Grundsätze in Streitfällen aufgestellt haben, in denen die Bewertung von ursprünglich als Einfamilienhäuser errichteten größeren Wohnhäusern streitig war. Er trägt aber keine Bedenken, die für die größeren Einfamilienhäuser entwickelten Grundsätze auch auf die kleineren Einfamilienhäuser anzuwenden. Irgendein stichhaltiger Grund, hier anders zu verfahren, besteht nicht. Das entscheidende Merkmal eines Einfamilienhauses ist auch bei kleineren Häusern, ob nach der Verkehrsauffassung nicht mehr als eine Wohnung vorhanden ist und ob dieser Zustand nach der Sachlage ein Dauerzustand ist.

Im Streitfall hat die Vorinstanz festgestellt, daß die Dachwohnung unstreitig nicht für "Hauspersonal" bestimmt sei und daß auch nicht durch "Abtrennen von Räumen" eine Not- oder Behelfswohnung geschaffen sei; vielmehr sei das Haus von Anfang an für zwei selbständige Wohnungen gebaut worden und es sei auch nach den Verhältnissen am Stichtag mit der dauernden Benutzung des Grundstücks durch zwei Familien zu rechnen gewesen. Diese Feststellungen, die keinen Rechtsirrtum erkennen lassen, sind für den Senat bindend. Damit fällt das strittige Grundstück nicht mehr in die Hauptgruppe der Einfamilienhäuser, sondern in die der Mietwohngrundstücke.

Die Vorinstanz hat es auch mit Recht abgelehnt, aus anderen Gesetzen (wie z. B. dem Reichsheimstättengesetz, der Verordnung über die Förderung von Arbeiterwohnstätten, der WGGDV) etwas für den Begriff des Einfamilienhauses im Sinne des § 32 Abs. 1 Ziff. 4 BewDV zu entnehmen. Auf den Gebieten, auf die sich die obengenannten gesetzlichen Vorschriften beziehen, ist der Begriff des "Einfamilienhauses" etwas weiter gefaßt und aus wirtschaftlichen Gründen der Einbau einer zweiten kleineren Wohnung zugelassen, ohne daß dadurch die Eigenschaft des Einfamilienhauses verloren geht (vgl. Ehrenforth, Heimstättenrecht 1950 S. 58). Für den Bereich des Bewertungsgesetzes ist das abzulehnen, so bedauerlich die unterschiedliche Verwendung des Begriffs "Einfamilienhaus" in mehreren Gesetzen (noch dazu in mehreren Steuergesetzen) ist. Der Bfin. ist auch zuzugeben, daß die von ihr aufgezeigte Entwicklung des Wohnungsbaus und insbesondere die Errichtung von Eigenheimen mit Einliegerwohnung es notwendig machen kann, für die künftige Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes zwischen den Einfamilienhäusern und den Mietwohngrundstücken als weitere Grundstückshauptgruppe die "Zweifamilienhäuser" einzufügen. Für den laufenden Bewertungszeitraum muß jedoch zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Bewertung an den vom Gesetzgeber aufgestellten Grundstückshauptgruppen und den Merkmalen der Abgrenzung voneinander festgehalten werden.

Die Rb. mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden. Die Entscheidung im Kostenpunkt beruht auf § 307 der Reichsabgabenordnung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408071

BStBl III 1955, 4

BFHE 1955, 7

BFHE 60, 7

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