Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuerschuld durch Anrechnung von RM-Uberzahlungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird die Einkommensteuerschuld I/1948 durch Anrechnung von RM-Uberzahlungen bei anderen RM-Steuerschulden gemäß § 1 der Verordnung über die Anrechnung und Erstattung von RM-Steuerzahlungen vom 8. März 1949 abgedeckt, so sind die Voraussetzungen der Vergünstigung des § 8 der Dritten StÜDV vom 14. Februar 1949 nicht gegeben.

2. Die Aufrechnung einer Steuerforderung durch das Finanzamt gegen einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Erstattung von Steuern setzt Fälligkeit des Steueranspruches voraus.

 

Normenkette

Dritte StÜDV vom 14. Februar 1949 § 8

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) wurde für I/1948 zu einer Einkommensteuer von 23 804 RM veranlagt. Auf diesen Betrag hat das Finanzamt Überzahlungen an Einkommensteuer 1945 und 1947 angerechnet, so daß die Zahlungsschuld auf diese Weise gedeckt war. Der Steuerpflichtige (Stpfl.) beantragte durch Einspruch eine Ermäßigung der Steuer um 35 %, also um 8 331,40 RM gemäß § 8 der Dritten Verordnung zur Durchführung der Steuerüberleitung -- StÜDV -- (Veranlagung zur Einkommen- und Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum vom 1. Januar 1948 bis 20. Juni 1948), Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (WiGBl.) 1949 S. 271). Die Vorbehörden lehnten das ab. Das Finanzgericht begründete es damit, daß in den Fällen, in denen Überzahlungen aus Vorjahren vorliegen würden, die Finanzkasse diese Beträge zunächst auf die geschuldeten Vorauszahlungen umzubuchen habe. Andernfalls hätte das Finanzamt, weil keine Vorauszahlungen geleistet worden seien, den Strafzuschlag von 15 v. H. der Steuer berechnen müssen.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rechtsbeschwerde (Rb.) ergibt folgendes:

Wie der Oberste Finanzgerichtshof in der Entscheidung IV 13/50 U vom 18. April 1950, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen (BayFMBl.) 1950 S. 240, ausgesprochen hat, ist die Steuerermäßigungsbestimmung des § 8 der Dritten StÜDV eine Tarifvorschrift. Sie ist deshalb bereits bei der Veranlagung, nicht erst im Erhebungsverfahren zu berücksichtigen. In Höhe der Ermäßigung nach § 8 der Dritten StÜDV kommt die Steuerschuld nicht zur Entstehung.

Die Ermäßigung beträgt höchstens 35 v. H. der in Deutscher Mark entrichteten oder zu entrichtenden Vorauszahlungen oder Abschlußzahlung. Es muß somit festgestellt werden, in welcher Höhe die Steuerschuld ohne die Vergünstigung des § 8 der Dritten StÜDV in Deutscher Mark zu bezahlen wäre. Den Vorbehörden ist darin beizupflichten, daß das insoweit nicht der Fall ist, als RM-Vorauszahlungen getätigt worden sind. Nach den Ausführungen des Finanzgerichts hat der Stpfl. keine RM-Vorauszahlungen unmittelbar geleistet. Das Finanzgericht sieht jedoch in den Überzahlungen früherer Jahre Vorauszahlungen für I/1948. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Überzahlungen 1945 und 1947 und Vorauszahlungen I/1948 betreffen verschiedene Steuerschulden.

Es ist wohl möglich, im Wege der Verrechnung in gleichartiger Weise, wie dies § 123 der Reichsabgabenordnung (AO) für freiwillig bezahlte Beträge vorsieht, Überzahlungen bei einer Steuerschuld zu Zahlungen bei einer anderen noch nicht abgedeckten Steuerzahlungsschuld zu verwenden. Dies kann auf Grund der Bestimmung des Stpfl. (§ 123 Abs. 1 AO) oder einer Erklärung des Finanzamts geschehen, sofern der Stpfl. die Bestimmung dem Finanzamt überläßt (§ 123 Abs. 2 bis Abs. 4 AO).

Art. XVI des Kontrollratsgesetzes (KontrRG) Nr. 12 hat die Vorschrift des § 35 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1939 dahingehend geändert, daß die Grundlage für die Berechnung der Vorauszahlungen für jedes Vierteljahr das Einkommen des vorgehenden Vierteljahres bildet. Zur Entstehung einer Steuerzahlungsschuld, nicht lediglich einer Steuerschuld im Sinne des § 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) war somit entweder eine entsprechende Vorauszahlungserklärung des Stpfl. oder ein Festsetzungsbescheid des Finanzamts erforderlich. Beides liegt nicht vor. Es ist denkbar, daß ein Finanzamt im Wege der Aufrechnung auch gegen den Willen eines Stpfl. Überzahlungen auf offene Steuerzahlungsschulden verrechnet (Entscheidung des RFHofs II A 367/32 vom 14. September 1932, Reichssteuerblatt -- RStBl. -- 1932 S. 931; Gutachten Gr. S. D 6/32 vom 14. Mai 1934, Slg. Bd. 36 S. 138). Voraussetzung hierfür ist aber Fälligkeit des Geldanspruches. Der unmittelbaren Geltendmachung der Forderung des Finanzamts dürfen keine berechtigten Einwendungen des Stpfl. entgegenstehen (siehe auch RG GS E 10/42; Beschluß vom 17. Juli 1943, Mrozeks Kartei AO 1931 § 124 R. 7; etwas abweichend RFHof-Gutachten Gr. S. D 5/42 vom 14. November 1942, Slg. Bd. 52 S. 210, RStBl. 1942 S. 1061). Die Aufrechnung erfolgt durch die Vollstreckungsstelle oder die Kasse des Finanzamts. Sie ist kein Teil des Veranlagungs-, sondern ein Teil des Erhebungsverfahrens (RFHof-Entscheidungen VI A 42/23 vom 12. Mai 1923, Slg. Bd. 12 S. 182, RStBl. 1923 S. 344, und I e A 45/30 vom 26. April 1930, Slg. Bd. 26 S. 309). Im einzelnen wird auf die §§ 32 bis 34 der Beitreibungsordnung (BeitrO) und die §§ 20 und 53 der Kassenordnung der Reichsfinanzverwaltung verwiesen. Im vorliegenden Fall ist möglicherweise eine Steuerschuld im Sinne des § 3 StAnpG hinsichtlich der Vorauszahlungen entstanden, was die Rb. bestreitet, keinesfalls aber eine fällige Steuerzahlungsschuld. Es ist vom Finanzamt auch keine Aufrechnungserklärung nach § 32 Abs. 4 BeitrO abgegeben worden. Eine Aufrechnung hinsichtlich der Vorauszahlungen scheidet somit aus. Es sind deshalb auf diesem Wege keine Vorauszahlungen getätigt worden.

Des weiteren sind unbestritten keine Vorauszahlungen auf Grund ausdrücklicher Verrechnungsbestimmung des Stpfl. erfolgt. Auch eine stillschweigende Ermächtigung des Finanzamts zur Verrechnung liegt nicht vor. Der Stpfl. hat keine Vorauszahlungserklärungen abgegeben, die zu einer entsprechenden Zahlungsschuld geführt haben, und damit seinen Willen hinsichtlich der Vorauszahlungen, die er zu leisten beabsichtigt, klar ausgedrückt.

Die Begründung des Finanzgerichts, das in den Überzahlungen Vorauszahlungen gesehen hat, vermag somit die Vorentscheidung nicht zu tragen.

Es ist jedoch noch zu prüfen, welche Bedeutung § 1 der Verordnung über die Anrechnung und Erstattung von RM-Steuerzahlungen vom 8. März 1949 (WiGBl. 1949 S. 27)2) zukommt. Hiernach werden RM-Zahlungen, die als Steuerzahlungen an die Finanzämter geleistet und auf RM-Steuerschulden noch nicht angerechnet worden sind oder nicht angerechnet werden können, auf DM-Steuerschulden im Umstellungsverhältnis 10 RM = 1 DM angerechnet oder erstattet. Der Stpfl. muß somit die Überzahlungen in erster Linie zur Abdeckung seiner offenen RM-Steuerschulden verwenden. Im vorliegenden Fall sind deshalb die Überzahlungen aus den Jahren 1945 und 1947 auf die RM-Steuerzahlungsschuld I/1948 (Abschlußzahlung) anzurechnen, sofern nicht noch weitere offene Steuerzahlungsschulden in RM bestehen. Ist dies letztere der Fall, so hat der Stpfl. hinsichtlich der Verrechnung das Wahlrecht. Dienen die Überzahlungsbeträge der Abdeckung der Einkommensteuerschuld I/1948, so wird diese Schuld nicht in DM, sondern in RM beglichen. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 letzter Satz der Dritten StÜDV sind dann nicht erfüllt. Die Rb. ist in diesem Falle im Ergebnis unbegründet.

Die vorliegenden Akten lassen nicht erkennen, ob dem Bf. die Möglichkeit offensteht, die Überzahlungen 1945 und 1947 auf andere RM-Steuerschulden zu verrechnen. Die Vorentscheidung wird deshalb aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung an das Finanzgericht zurückverwiesen.

1) Veröffentlicht im AMBlFin S. 81.

 

Fundstellen

BStBl III 1951, 7

BFHE 1952, 16

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge