Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesellschaftervereinbarung über Ausgleich der Gesellschaftsverluste

 

Leitsatz (NV)

Haben sich die Gesellschafter einer AG untereinander darauf verständigt, den Verlust der Gesellschaft auszugleichen, die Zahlung jedoch von der weiteren Umsetzung eines Sanierungsplans über den maßgeblichen Abschlußstichtag hinaus abhängig gemacht, hat die AG noch keinen Anspruch, der nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des StÄndG 1992 bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens zu erfassen war.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor dem StÄndG 1992 § 95 Abs. 1; BewG i.d.F. vor dem StÄndG 1992 § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

I. An der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer Aktiengesellschaft, waren zum streitigen Stichtag wie in den Vorjahren die B-AG und das Land A beteiligt. Die Klägerin hatte in dem am 30. September endenden Wirtschaftsjahr 1981/82 einen Bilanzverlust von ... DM erwirtschaftet. Daraufhin entwickelte sie einen Sanierungsplan (Konzept), der eine Reihe kostensenkender und produktivitätssteigernder Maßnahmen vorsah und nur zu verwirklichen war, wenn die Aktionäre neues Kapital von ... DM zuführten. Anderenfalls drohte die Liquidation. Mit dem neuen Kapital, das die Aktionäre im Verhältnis ihrer Beteiligungen aufbringen sollten, wollte die Klägerin u.a. den bereits eingetretenen Verlust 1981/82 sowie die erwarteten und auf ... DM geschätzten Verluste 1982/83 und 1983/84 ausgleichen.

Das Konzept fand im März 1983 die Billigung des Aufsichtsrats und war im Mai 1983 Gegenstand eines Gesprächs der Aktionäre im Beisein des Vorstandsvorsitzenden. Gemäß der darüber gefertigten Niederschrift erklärte sich das Land bereit, sich entsprechend seinem Anteil mit ... DM zu beteiligen. Davon könnten 1983 höchstens ... DM gezahlt werden. Der Restbetrag stehe hälftig in den Jahren 1984 und 1985 zur Verfügung. Insoweit lägen bereits Verpflichtungsermächtigungen vor und könnten schon 1983 Zahlungszusagen erfolgen, falls dies erforderlich sei. Die B-AG kündigte an, dafür zu sorgen, daß die Klägerin zum 30. September 1983 "Forderungen auf zukünftige Mittelzuwendungen buchen" könne, "so daß der Bilanzausgleich 1982/83 gesichert" werde. Einvernehmlich wurde festgelegt, daß weitere Zahlungen im laufenden Geschäftsjahr 1982/83 über den Verlustausgleich für 1981/82 hinaus vom Fortschritt bei der Umsetzung des Sanierungskonzepts abhängig seien. In Aussicht genommen sei, vor dem 30. September 1983 noch ... DM zu zahlen. Dies ist auch geschehen. Der Betrag deckte aber nur einen Teil des Verlustes für 1982/83 ab. Den restlichen Verlust von ... DM glichen die Aktionäre erst 1984 aus.

Als der Prüfer des Jahresabschlusses 1982/83 bezweifelte, daß die Fortführung der Klägerin gesichert sei und eine Forderung auf Ausgleich des restlichen Verlustes angesetzt werden dürfe, bestätigten die Aktionäre im September 1983 schriftlich ihre Bereitschaft, bis zum Höchstbetrag von ... DM abhängig vom Sanierungsfortschritt Kapital zuzuschießen. Daraufhin akzeptierte der Prüfer zwar eine Bewertung, die von der Fortführung des Unternehmens ausging, ließ aber den Ansatz einer Ausgleichsforderung über den restlichen Verlust für 1982/83 nicht zu.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) nahm demgegenüber in Höhe des noch nicht ausgeglichenen Verlustes 1982/83 einen aktivierungspflichtigen Anspruch der Klägerin gegen ihre Aktionäre an, der bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 zu berücksichtigen sei. Demgemäß stellte er durch Bescheid vom 6. Mai 1994 den Einheitswert auf ... DM fest. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, regelmäßig sei in der Vermögensaufstellung ansetzbar, was in der Steuerbilanz als Wirtschaftsgut ausgewiesen werden könne. Der steuerliche Begriff des Wirtschaftsguts entspreche dem handelsrechtlichen Begriff des Vermögensgegenstandes. Nach Handelsrecht richte sich aber die Aktivierung von Vermögensgegenständen in erster Linie nach wirtschaftlichen und nicht nach rechtlichen Gesichtspunkten. Deshalb seien alle vermögenswerten Vorteile eines Betriebs, die einer selbständigen Bewertung fähig seien, einer Aktivierung zugänglich, ohne daß es darauf ankäme, ob eine Forderung fällig oder realisierbar sei. Für die Bilanzierung komme es allein darauf an, ob wirtschaftlich durch die Zugehörigkeit des fraglichen Wirtschaftsguts eine Vermögensmehrung eingetreten sei. Im Streitfall sei diese Voraussetzung erfüllt, weil die Klägerin mit dem vollen Ausgleich des Verlustes aus 1982/83 habe rechnen können. Dies ergebe sich aus den Erklärungen der Aktionäre in dem Gespräch vom Mai 1983 und werde durch spätere Äußerungen der Gesellschafter bestätigt.

Während des anschließenden Revisionsverfahrens minderte das FA den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 aus anderen Gründen auf ... DM. Die Klägerin hat den Bescheid rechtzeitig zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Mit der Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Anwendung von §95 Abs. 1, §98a des Bewertungsgesetzes (BewG) in der am 1. Januar 1984 geltenden Fassung. Sie trägt vor, am 30. September 1983 als dem maßgeblichen Abschlußtag sei kein Anspruch auf Verlustausgleich gegen die Aktionäre anzusetzen gewesen. Weder handelsrechtlich noch steuerrechtlich habe ein aktivierungsfähiges Wirtschaftsgut vorgelegen. Handelsrechtlich habe nicht einmal ein Wahlrecht bestanden. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt habe sie, die Klägerin, nicht fest damit rechnen können, daß ihre Aktionäre den Verlust des Jahres 1982/83 übernehmen werden. Dies hätte das Bestehen eines zivilrechtlichen Anspruchs vorausgesetzt. Ein derartiger Anspruch habe jedoch am 30. September 1983 nicht bestanden. Der Verlustausgleich sei nicht konkret zugesagt gewesen. Die Aktionäre hätten ihr keine Rechtsposition einräumen wollen, sondern sich lediglich untereinander verständigt, ihr unter bestimmten Voraussetzungen neues Kapital zuzuführen. Daran ändere sich auch bei wirtschaftlicher Betrachtung nichts, solange sie nicht mit einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung verwechselt werde. Die Erklärungen der Aktionäre hätten zwar ausgereicht, die Bilanz unter Fortführungsgesichtspunkten zu erstellen; gleichwohl wäre mit der Aktivierung einer entsprechenden Forderung die Vermögens- und Finanzlage verfälscht worden.

Zu Unrecht berufe sich das FG auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Eine Überprüfung der einschlägigen Entscheidungen ergebe, daß es sich stets um zivilrechtlich bereits bestehende Forderungen oder Rechtspositionen gehandelt habe und nicht etwa nur um wirtschaftlich zukünftige Erwerbspositionen. Die Rechtsauffassung des FG führe überdies bei einem Vergleich mit der Behandlung von Anwartschaften zu einem Widerspruch. Während eine rechtlich begründete Anwartschaft regelmäßig nicht aktiviert werden dürfe, wolle das FG Aussichten auf einen Vermögenszuwachs ohne jede zivilrechtliche Grundlage aktivieren.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den geänderten Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 dahin zu ändern, daß der Einheitswert auf ... DM festgestellt wird.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und der Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin zum 1. Januar 1984 um ... DM zu mindern (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Bei der Feststellung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1984 war keine Forderung auf Ausgleich des restlichen Verlustes 1982/83 anzusetzen.

1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Zutreffend hat das FG zwar angenommen, daß die Klägerin an dem gemäß §106 Abs. 3 Satz 1 BewG maßgeblichen Abschlußstichtag des 30. September 1983 noch keinen Anspruch auf Ausgleich des vollen Verlustes des Wirtschaftsjahres 1982/83 hatte. Ob ihm auch darin zu folgen ist, daß die Erwartung eines Anspruchs auf vollen Verlustausgleich wirtschaftlich derart konkret war, daß handelsrechtlich ein Aktivierungswahlrecht und ertragsteuerrechtlich eine Aktivierungspflicht bestand, kann auf sich beruhen. Denn der daraus gezogene Schluß des FG, damit sei auch bei der Vermögensaufstellung für die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 eine Forderung auf Ausgleich des restlichen Verlustes 1982/83 anzusetzen, ist jedenfalls verfehlt. Die erst durch das Steueränderungsgesetz 1992 (StÄndG 1992) vom 25. Februar 1992 (BGBl I S. 297, BStBl I 1992, 146) mit Wirkung ab 1. Januar 1993 eingeführte Maßgeblichkeit der Steuerbilanzwerte, wie sie seitdem in §95 Abs. 1 und §109 Abs. 1 BewG für Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach §4 Abs. 1 oder §5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermitteln, vorgesehen ist, hat zum streitigen Stichtag noch nicht gegolten.

2. Die Sache ist spruchreif.

a) Bewertungsrechtlich gehörten vor dem Inkrafttreten des StÄndG 1992 nur solche Kapitalforderungen und sonstige Ansprüche zum Betriebsvermögen i.S. des §95 Abs. 1, §97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG, die bereits entstanden, aber noch nicht erfüllt waren. Sie mußten rechtlich begründet und ihre Realisierung möglich sein (vgl. BFH- Urteil vom 15. Oktober 1997 II R 56/94, BFHE 184, 111, BStBl II 1997, 796, m.w.N.). Erfaßt werden sollte das Betriebsvermögen nur in dem Umfang, wie es am Stichtag mit Sicherheit vorlag. Bedingungen, Möglichkeiten oder Wahrscheinlichkeiten sollten nicht in die Vermögensermittlung einbezogen werden (BFH-Urteil vom 12. Juli 1968 III 181/64, BFHE 93, 323, BStBl II 1968, 794, 797).

Nur in Sonderfällen hat der BFH einen Ansatz in der Vermögensaufstellung für geboten gehalten, ohne daß bereits zivilrechtlich ein Anspruch bestand. So hat er Ansprüche einer GmbH auf ausstehende Stammeinlagen als Kapitalforderungen eigener Art auch dann zum Betriebsvermögen der Gesellschaft gerechnet, wenn ein Einforderungsbeschluß noch nicht vorlag (BFH-Urteil vom 19. Dezember 1979 III R 65/77, BFHE 130, 412, BStBl II 1980, 483). Mit Urteil vom 15. Februar 1989 II R 170/85 (BFHE 156, 231, BStBl II 1989, 401) wurden Beihilfeansprüche gemäß Art. 56 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 noch vor ihrer Beantragung beim dafür zuständigen Arbeitsamt für rechtlich hinreichend konkret und damit für bewertbare Wirtschaftsgüter gehalten, weil die in die Entscheidung eingebundenen Ministerien die Bundesanstalt für Arbeit bereits ermächtigt hatten, die Beihilfen zu gewähren. Diesen Sonderfällen war jedoch gemeinsam, daß das Entstehen eines durchsetzbaren Zahlungsanspruchs nur noch eine Formsache war.

b) Nach diesen Grundsätzen hatte die Klägerin in der Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1984 keine Forderung auf Ausgleich des restlichen Verlustes 1982/83 anzusetzen. In der Sitzung der beiden Gesellschafter der Klägerin vom Mai 1983, an der deren Vorstandsvorsitzender teilnahm, haben die Aktionäre der Klägerin keinen unbedingten Anspruch auf Verlustausgleich eingeräumt. Vielmehr war die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs der Klägerin hinsichtlich des restlichen Verlustes 1982/83 davon abhängig, daß die Umsetzung des Unternehmenskonzepts bis zu der erst in 1984 vorgesehenen Zahlung planmäßig verlief.

Nach der über die Sitzung vom Mai 1983 gefertigten Niederschrift haben sich allenfalls die Aktionäre untereinander und wechselseitig schuldrechtlich verpflichtet, zur Vermeidung einer bilanzmäßigen Überschuldung den Verlust der Klägerin auszugleichen. Eine bloße Gesellschaftervereinbarung der Aktionäre begründet aber noch keinen Anspruch der Kapitalgesellschaft auf Verlustausgleich. Eine Einbeziehung der Klägerin in die Vereinbarung mit der Folge, daß es sich nicht mehr um eine reine Gesellschaftervereinbarung gehandelt hätte, scheidet nach der Niederschrift aus. Es fehlte einmal an einer dahingehenden Erklärung des anwesenden Vorstandsvorsitzenden der Klägerin; zum anderen ist lediglich davon die Rede, daß die Anteilseigner übereinstimmen und sich über das Vorgehen im Detail zu gegebener Zeit verständigen werden. Auch eine Gesellschaftervereinbarung zu Gunsten der Klägerin als Dritter i.S. des §328 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB -- (vlg. Noak, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 317, 318) scheidet aus. Die Gesellschafter haben lediglich ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, die weiteren Verluste der Klägerin auszugleichen, jedoch über die konkret zugesagten Zahlungen für 1983 hinaus noch keine weiteren Leistungen uneingeschränkt versprochen. Weitere Zahlungen sollten vielmehr vom Fortschritt bei der Umsetzung des Sanierungskonzepts abhängig sein. Dabei handelte es sich aber nicht mehr um eine bloße Formsache. Bei einem nach Auffassung der Gesellschafter unbefriedigenden Verlauf der Sanierung bis zur jeweils anstehenden Zahlung wären sie in keiner Weise verpflichtet gewesen, diese tatsächlich zu leisten. Für den streitbefangenen Ausgleich des restlichen Verlustes 1982/83, der erst in 1984 vorgenommen werden sollte, reichte es daher nicht aus, daß die Umsetzung des Sanierungskonzepts bis zum Abschlußtag 30. September 1983 planmäßig verlaufen war. Vielmehr kam es auf die weitere Entwicklung bis ins Jahr 1984 hinein an, und damit auf Verhältnisse nach dem entscheidenden Stichtag.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67459

BFH/NV 1998, 1332

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