Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Inwieweit sind Mehraufwendungen für Verpflegung bei Arbeitnehmern, die täglich vom Wohnort zum Beschäftigungsort und zurück fahren müssen, als Werbungskosten anzusehen?

 

Normenkette

EStG §§ 9, 12 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Mehraufwendungen für Verpflegung des Beschwerdeführers (Bf.), der in A wohnt und der in B beschäftigt ist, als Werbungskosten anzusehen sind.

Der Bf. ist im Jahre 1924 in A geboren und wohnt dort seit seiner Geburt. Er ist als Beamter in B tätig und fährt jeweils mit der Bundesbahn am Morgen von A nach B und am Abend wieder zurück (Entfernung 18 km). Am 21. Juni 1950 hat der Bf. geheiratet. Seit Juni 1951 ist er bei der Stadtverwaltung B als Wohnungssuchender gemeldet. Nach einer Bescheinigung der Stadt B vom 6. Oktober 1952 kann ihm auf absehbare Zeit in B eine Wohnung nicht zur Verfügung gestellt werden. Der Bf. hat für 1952 einen Antrag auf Berücksichtigung erhöhter Werbungskosten gestellt und hierbei geltend gemacht:

Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeits= stätte ---------------------------------- 250 DM jährlich Aufwendungen für Fachliteratur ---------------- 50 DM jährlich Mehraufwendungen für Verpflegung am Be= schäftigungsort (täglich 2,50 DM für 5 Tage in der Woche und 50 Wochen im Jahr) ---------- 625 DM jährlich Der Bf. weist darauf hin, daß er von Montag bis Freitag täglich 11 3/4 Stunden von seinem Wohnort entfernt sei; er wohne nicht aus persönlichen Gründen in A, sondern wegen der schlechten Wohnungsverhältnisse in B.

Das Finanzamt hat die Fahrtkosten und die Ausgaben für die Fachliteratur als Werbungskosten anerkannt. Diese Kosten sind jedoch durch den Pauschsatz für Werbungskosten abgegolten. Die Mehraufwendungen für Verpflegung hat es nicht als Werbungskosten angesehen, weil der Wohnort des Bf. zum Einzugs- und Siedlungsgebiet der Stadt B gehöre.

Die Sprungberufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht führt aus, daß nach der neueren Rechtsprechung die Mehrkosten für die Verpflegung bei außerhalb ihres Wohnorts beschäftigten Arbeitnehmern nur dann als Werbungskosten berücksichtigt werden können, wenn der Wohnort nicht zum Arbeitnehmereinzugs- und Siedlungsgebiet des Beschäftigungsorts gehört und der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz nicht aus persönlichen Gründen außerhalb des Beschäftigungsorts gewählt hat. Darüber, wie das Einzugs- und Siedlungsgebiet des Beschäftigungsorts abzugrenzen ist, habe sich das oberste Steuergericht bisher nicht geäußert. Das Finanzministerium von Nordrhein-Westfalen habe in dem Erlaß vom 3. Juli 1952 (Finanz-Rundschau 1952 S. 280, "Der Betrieb" 1952 S. 610) eine solche Abgrenzung versucht. Danach sollte ein Arbeitnehmer als nicht im Einzugs- und Siedlungsgebiet wohnend angesehen werden, wenn der Wohnort mehr als 30 km vom Arbeitsort entfernt liegt oder - bei geringerer Entfernung - der Arbeitnehmer bei Benutzung der üblichen Verkehrsmittel unter Zugrundelegung der normalen Arbeitszeit mehr als 10 1/2 Stunden von seiner Wohnung abwesend ist. Dieser Regelung hätten die Finanzminister der übrigen Länder nicht zugestimmt. Das Finanzministerium von Nordrhein-Westfalen habe sie auch für seinen Dienstbereich mit Wirkung vom 1. Januar 1952 wieder aufgehoben. Im vorliegenden Falle gelangt das Finanzgericht zu dem Ergebnis, daß A zum Einzugs- und Siedlungsgebiet von B gehöre. Die Entfernung der beiden Orte betrage 18 km Bahnlinie. Die durchschnittliche Fahrtzeit sei 25 Minuten. Ein Ort, der noch keine halbe Stunde Bahnfahrt vom Beschäftigungsort entfernt sei, und aus dem jahrelang eine Reihe von Arbeitnehmern täglich nach dem Arbeitsort hin und zurück fahre, müsse zum Einzugs- und Siedlungsgebiet des Beschäftigungsorts gerechnet werden. Die Mehraufwendungen für Verpflegung könnten danach nicht als Werbungskosten anerkannt werden.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) beantragt der Bf., die Gemeinde A als nicht zum Einzugs- und Siedlungsgebiet der Stadt B gehörig zu betrachten und die beantragten Mehrkosten für Verpflegung als Werbungskosten zum Abzug vom Arbeitslohn zuzulassen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Die Kosten für die Ernährung sind grundsätzlich nichtabzugsfähige Kosten der Lebenshaltung (ß 12 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Der Reichsfinanzhof hat es - wie das Finanzgericht zutreffend ausführt - in ständiger Rechtsprechung abgelehnt, Verpflegungskosten, die dadurch erwachsen, daß ein Steuerpflichtiger wegen seines Berufs genötigt ist, regelmäßig Mahlzeiten außer dem Haus einzunehmen, als Werbungskosten anzuerkennen. Dies gilt sowohl für Beamte, Angestellte und Arbeiter, als auch für Angehörige der freien Berufe z. B. Rechtsanwälte in Großstädten (zu vgl. Reichssteuerblatt 1933 S. 1315, Reichssteuerblatt 1934 S. 742, 1105, Reichssteuerblatt 1937 S. 778, Reichssteuerblatt 1944 S. 44). Die Nachkriegsverhältnisse haben es mit sich gebracht, daß viele Arbeitnehmer, insbesondere auch Flüchtlinge, die in Landgemeinden wohnen und in Städten ihren Arbeitsplatz haben, täglich weite Wege zur Arbeitsstätte zurücklegen müssen. Dieser Entwicklung hat die Rechtsprechung des Obersten Finanzgerichtshofs und des Bundesfinanzhofs dadurch Rechnung getragen, daß in Ausnahmefällen Mehrausgaben für die Verköstigung bei solchen Arbeitnehmern als Werbungskosten anerkannt werden. Der Bundesfinanzhof vertritt dabei die Auffassung, daß bei einem Arbeitnehmer, der täglich von seiner Wohnsitzgemeinde an den Beschäftigungsort und zurück fahren muß, Verpflegungsaufwendungen, die ausschließlich durch die lange Abwesenheit von der Wohnung bedingt sind, aus dem Rahmen der üblichen Haushaltsführung und insoweit aus der allgemeinen Lebensführung herausfallen. Er hat die Mehraufwendungen für Verpflegung in solchen Fällen als Werbungskosten angesehen, wenn die Wohnsitzgemeinde des Arbeitnehmers nicht zum Einzugs- oder Siedlungsgebiet der Beschäftigungsgemeinde gehört und der Arbeitnehmer nicht aus persönlichen Gründen seinen Wohnsitz außerhalb des Beschäftigungsorts gewählt hat (Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs IV 77/50 U vom 25. August 1950, Amtsblatt des Finanzministeriums Württemberg-Baden 1950 S. 469, Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen 1950 S. 457, und Urteil des Bundesfinanzhofs IV 104/50 U vom 17. November 1950, Bundessteuerblatt 1951 III S. 6). Der Senat hält an der Auffassung fest, daß in Ausnahmefällen bei Arbeitnehmern, die nicht aus persönlichen Gründen außerhalb des Beschäftigungsorts wohnen, denen vom Arbeitgeber auch keine besondere Vergütung gewährt wird (Trennungsentschädigung) und die infolge der Arbeits- und Verkehrsverhältnisse gezwungen sind, außergewöhnlich lange von ihrer Wohnung entfernt zu sein, Mehraufwendungen für die Verköstigung als Werbungskosten anzuerkennen sind. Als außergewöhnlich lange Abwesenheit von der Wohnung ist hierbei ein Zeitraum von mehr als zwölf Stunden täglich zu betrachten. An der in den vorgenannten Urteilen gemachten Unterscheidung zwischen Gemeinden, die zum Einzugs- und Siedlungsgebiet des Beschäftigungsorts gehören und solchen Gemeinden, die nicht zum Einzugs- und Siedlungsgebiet des Beschäftigungsorts gehören, wird nicht mehr festgehalten. Der Antrag des Bf., die Gemeinde A als nicht zum Einzugsgebiet der Gemeinde B gehörig anzusehen, ist damit gegenstandslos geworden.

Was die Höhe des täglich als Mehraufwand für Verpflegung (Werbungskosten) anzusetzenden Betrags betrifft, so ist davon auszugehen, daß eine große Zahl von Arbeitnehmern, schon mit Rücksicht auf die durchgehende Arbeitszeit, das Mittagessen außerhalb der Wohnung einnehmen muß. Sehr viele Arbeitnehmer haben somit auch bei normaler oder einer weniger als 12 Stunden betragenden Arbeitszeit einen mehr oder weniger großen Verpflegungsaufwand außerhalb der Wohnung, dem eine Ersparnis im Haushalt gegenübersteht. Im Interesse einer verwaltungsmäßig einfachen Durchführung und angesichts der hinsichtlich der Verpflegung bei jedem Arbeitnehmer bestehenden unterschiedlichen Einstellung hält es der Senat für geboten, von einem Durchschnittssatz auszugehen. Der Betrag dieser Aufwendungen kann nur im Schätzungswege ermittelt werden. Der Senat schätzt ihn auf 1,50 DM täglich.

Das Finanzgericht hat festgestellt, daß der Bf. von Montag bis Freitag täglich 11 3/4 Stunden von seinem Wohnort entfernt ist; er müsse morgens 6,15 Uhr in A abfahren und komme um 18,02 Uhr abends zurück. Nicht berücksichtigt ist hierbei die Zeit, die der Bf. braucht, um von seiner Wohnung zum Bahnhof und zurück zu kommen. Angesichts der vorliegenden Verhältnisse besteht die Möglichkeit, daß unter Hinzurechnung des Wegs von der Wohnung zum Bahnhof und zurück sich beim Bf. eine durch den Dienst verursachte Abwesenheit von mehr als zwölf Stunden täglich ergibt.

Das Urteil des Finanzgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen. Dieses hat zu prüfen, ob der Bf. unter Einbeziehung des Wegs von der Wohnung zum Bahnhof und zurück, von Montag bis Freitag jeweils mehr als zwölf Stunden von seiner Wohnung abwesend sein muß.

Danach ist zu entscheiden, ob bei dem Bf. Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten anzuerkennen sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407759

BStBl III 1953, 322

BFHE 1954, 81

BFHE 58, 81

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