Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Mehraufwendungen für Verpflegung können auch bei den an ihrem Arbeitsort wohnenden Arbeitnehmern, die ausschließlich aus beruflichen Gründen regelmäßig mehr als 12 Stunden von ihrer Wohnung abwesend sind, Werbungskosten sein.

 

Normenkette

EStG §§ 9, 12 Nr. 1; LStDV § 20; LStR Abschn. 24/3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob bei einem Arbeitnehmer, der an seinem Arbeitsort wohnt, Mehraufwendungen für Verpflegung, die durch eine beruflich bedingte ungewöhnlich lange Arbeitszeit von seiner Wohnung notwendig werden, als Werbungskosten anzuerkennen sind.

Die Beschwerdegegnerin (Bgin.), die verheiratet ist, wohnt in A. Stadtteil B und ist als Kontoristin in A. Stadtteil C beschäftigt. Sie arbeitete im Jahr 1953 an 220 Tagen jeweils 11 Stunden. Für jede Fahrt zur Arbeitsstätte und zurück mit Straßenbahn und Omnibus benötigte sie ungefähr 40 Minuten und außerdem 5 Minuten für den Fußweg. Sie verließ ihre Wohnung jeweils um 6.45 Uhr und kehrte abends gegen 19.10 Uhr dorthin zurück.

Das Finanzamt lehnte es ab, den von der Bgin. geltend gemachten Mehraufwand für Verpflegung in Höhe von 1,50 DM für jeden Arbeitstag, an dem sie länger als 12 Stunden von ihrer Wohnung abwesend war, als Werbungskosten zu berücksichtigen, weil ein solcher Mehraufwand nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 119/53 U vom 17. September 1953 (Slg. Bd. 58 S. 81, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1953 III S. 322) nur bei Arbeitnehmern als Werbungskosten anzuerkennen sei, die außerhalb ihres Arbeitsorts wohnen.

Das Finanzgericht entsprach im wesentlichen dem Antrag der Bgin. Es ging bei seiner Entscheidung davon aus, daß das vom Finanzamt angeführte Urteil des Bundesfinanzhofs die vom Finanzamt angenommene Einschränkung nicht enthalte. Es sei in dem damals behandelten Fall nicht zu entscheiden gewesen, ob ein Mehraufwand für Verpflegung auch bei einem an seinem Arbeitsort wohnenden Arbeitnehmer zu den Werbungskosten zu rechnen sei. Da die Bgin. infolge ihrer Berufstätigkeit länger als 12 Stunden von ihrer Wohnung abwesend sei und ihr dadurch Mehrkosten für ihre Verpflegung entständen, müsse nach den in den Gründen des Urteils vom 17. September 1953 gemachten Ausführungen dieser Mehraufwand zu den Werbungskosten gerechnet werden. Die Bgin. wende nach ihren Angaben im Durchschnitt 2 DM täglich für ein warmes Mittagessen auf. Hiervon sei ein Haushaltsersparnis von 1 DM abzuziehen. Die Kosten für den Kaffee, den sie an der Arbeitsstätte aufbrühen lasse, seien dagegen keine Mehraufwendungen, da es in weiten Kreisen üblich sei, sich nachmittags Kaffee zuzubereiten, so daß insoweit ein Mehraufwand nicht vorliege. Die zusätzlichen Kosten für Verpflegung seien daher in Höhe von 1 DM täglich, für 220 Arbeitstage also mit 220 DM als Werbungskosten zu berücksichtigen. Zusammen mit den übrigen unstreitigen Werbungskosten von 261 DM seien danach für das Jahr 1953 Werbungskosten in Höhe von 481 DM anzuerkennen, die nach Abzug des Werbungskostenpauschbetrags gemäß § 20 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) einen Lohnsteuerfreibetrag von 169 DM für 1953 ergäben.

Gegen die Entscheidung des Finanzgerichts hat der Vorsteher des Finanzamts Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt. Zu ihrer Begründung führt er aus: Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17. September 1953 komme eine Anerkennung von Mehraufwendungen für Verpflegung infolge ungewöhnlich langer Abwesenheit von der Wohnung aus beruflichen Gründen nur bei Arbeitnehmern in Betracht, die täglich von ihrem Wohnort zum Beschäftigungsort und zurück fahren müßten. Dieses Urteil wolle dem Umstand Rechnung tragen, daß infolge der Nachkriegsverhältnisse viele Arbeitnehmer, insbesondere auch Flüchtlinge, die in Landgemeinden wohnen, weite Wege zu ihren Arbeitsplätzen in der Stadt zurücklegen müßten und infolge der dadurch bedingten ungewöhnlich langen Abwesenheit von ihrer Wohnung gegenüber den üblichen Verhältnissen einen Mehraufwand für Verpflegung hätten. Diese besonderen Umstände seien nicht gegeben, wenn ein Arbeitnehmer an seinem Beschäftigungsort wohne. Da der Bundesfinanzhof die Zurechnung der Mehraufwendungen für Verpflegung zu den Werbungskosten ausdrücklich auf Ausnahmefälle beschränke, sei eine Ausdehnung dieses Grundsatzes auf die am Beschäftigungsort wohnenden Arbeitnehmer nicht vertretbar.

Die Bgin. hat sich ihrerseits der Rb. des Finanzamts angeschlossen und geltend gemacht, daß der vom Finanzgericht als Mehraufwand anerkannte Betrag von 1 DM täglich zu niedrig sei. Sie müsse infolge der langen Arbeitszeit kräftiger essen, als es sonst notwendig wäre; ein warmes Mittagessen koste allein täglich 2,50 bis 3 DM. Ein Mehraufwand von 1,50 DM, wie ihn der Bundesfinanzhof bisher angenommen habe, sei deshalb auch in ihrem Fall berechtigt.

 

Entscheidungsgründe

Die wegen grundsätzlicher Bedeutung des Falles zugelassene Rb. des Finanzamts ist nicht begründet. Die Anschlußbeschwerde führt dagegen zur änderung der Vorentscheidung.

Die Aufwendungen für Ernährung gehören im allgemeinen zu den Kosten der privaten Lebensführung. Sie sind deshalb bei der Einkommensbesteuerung grundsätzlich nicht abzugsfähig (ß 12 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Nur in Ausnahmefällen kann eine andere Beurteilung berechtigt sein. In dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 104/50 U vom 17. November 1950 (Slg. Bd. 55 S. 14, BStBl 1951 III S. 6) wurden Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten bei einem Arbeitnehmer anerkannt, der außerhalb des Einzugsgebietes seines Arbeitsortes wohnte, und dem infolge ungewöhnlich langer Abwesenheit von seiner Wohnung Mehraufwendungen für Verpflegung erwuchsen, die aus dem Rahmen der üblichen Haushaltsführung herausfielen. In dem Urteil IV 119/53 U vom 17. September 1953 (Slg. Bd. 58 S. 81, BStBl 1953 III S. 322) hat der erkennende Senat aus dem gleichen Grund Mehraufwendungen für die Verköstigung bei einem Arbeitnehmer, der innerhalb des Einzugsgebiets seines Arbeitsorts wohnt, als Werbungskosten anerkannt. Es bestand damals keine Veranlassung, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob Mehraufwendungen für Verpflegung auch bei einem Arbeitnehmer Werbungskosten sein können, der an seinem Arbeitsort wohnt. Aus dem angeführten Urteil vom 17. September 1953 kann deshalb nicht entnommen werden, daß in diesen Fällen ein Mehraufwand für Verpflegung außerhalb des Hauses nicht zu den Werbungskosten gehören kann. Der entscheidende Grund für die steuerliche Berücksichtigung der Mehraufwendungen für Verpflegung war in beiden Entscheidungen, daß die Grundsätze des § 12 Ziff. 1 EStG nur die Aufwendungen für Ernährung betreffen, die bei der großen Mehrzahl aller Steuerpflichtigen durch die allgemeine Lebensführung entstehen, daß aber Mehraufwendungen dieser Art, die infolge einer ausschließlich beruflich bedingten ungewöhnlich langen Abwesenheit eines Arbeitnehmers von seiner Wohnung notwendig werden, wie andere ausschließlich durch den Beruf veranlaßte Aufwendungen zu den Werbungskosten zu rechnen sind. Ist ein an seinem Beschäftigungsort wohnender Arbeitnehmer infolge seiner Berufstätigkeit ungewöhnlich lange von seiner Wohnung entfernt und hat er dadurch höhere Aufwendungen für Verpflegung, so liegt dieser Grund für die Berücksichtigung derartiger Mehraufwendungen im Rahmen der Werbungskosten ebenso vor wie bei einem Arbeitnehmer, der außerhalb seines Arbeitsortes wohnt. Eine andere rechtliche Beurteilung würde gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstoßen.

Die Zurechnung der Mehraufwendungen für Verpflegung ist - wie bereits in den angeführten Urteilen vom 17. November 1950 und vom 17. September 1953 ausgesprochen wurde - auf Ausnahmefälle beschränkt. Sie kommt nur in Betracht, wenn ein Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen, denen er sich nicht entziehen kann, ungewöhnlich lange von seiner Wohnung abwesend sein muß. Ob die lange Abwesenheit auf notwendigen überstunden, auf besonderen Verhältnissen des Betriebes, auf der großen Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, auf schlechten Verkehrsverbindungen oder auf anderen Gründen beruht, ist ohne Bedeutung. Der erkennende Senat ist in dem Urteil vom 17. September 1953 davon ausgegangen, daß eine ungewöhnlich lange Abwesenheit von der Wohnung anzunehmen ist, wenn ein Arbeitnehmer länger als 12 Stunden von seiner Wohnung abwesend ist. Es besteht keine Veranlassung, von dieser Begrenzung abzugehen. Eine beruflich bedingte Abwesenheit von mehr als 12 Stunden wird bei Arbeitnehmern, die an ihrem Arbeitsort wohnen, im allgemeinen seltener sein als bei denen, deren Wohnung außerhalb der politischen Gemeinde ihrer Arbeitsstätte liegt; sie wird im allgemeinen nur in Großstädten vorkommen.

Das Finanzgericht hat hiernach mit Recht angenommen, daß die Mehrkosten für Verpflegung, die der Bgin. dadurch entstanden sind, daß sie länger als 12 Stunden aus beruflichen Gründen von ihrer Wohnung abwesend war, Werbungskosten sind. Es hat 1 DM als Mehraufwand für jeden Arbeitstag zugrunde gelegt, an dem diese Voraussetzungen vorgelegen haben. In den beiden angeführten Urteilen des erkennenden Senats wurde der Mehraufwand für Verpflegung mit 1,50 DM täglich angenommen. Diese Schätzung des Mehraufwands auf 1,50 DM hat nicht die Bedeutung eines für alle Fälle verbindlichen Pauschbetrages. Sie ist vielmehr dahin zu verstehen, daß es in der Regel nicht zu beanstanden sein wird, wenn der Mehraufwand für Verpflegung in diesen Fällen mit 1,50 DM täglich angenommen wird. Es kann jedoch im Einzelfall der Ansatz eines niedrigeren Betrages nach den tatsächlichen Verhältnissen gerechtfertigt sein. Derartige besonders günstige Verhältnisse liegen bei der Bgin. nach den Feststellungen des Finanzgerichts jedoch nicht vor. Es besteht deshalb keine Veranlassung, von der Schätzung des Mehraufwandes mit 1,50 DM, die für die große Mehrzahl der Fälle nach den Erfahrungen des täglichen Lebens richtig sein dürfte, abzugehen. Als Mehraufwand für Verpflegung, der bei der Bgin. als Werbungskosten anzuerkennen ist, kommt danach ein Betrag von 220 x 1,50 DM = 330 DM jährlich in Betracht. Unter Berücksichtigung der übrigen unbestrittenen Werbungskosten und Sonderausgaben erhöht sich der vom Finanzgericht errechnete Jahresfreibetrag auf 1.079 DM. Auf die Anschlußbeschwerde war demgemäß die Vorentscheidung entsprechend zu ändern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408118

BStBl III 1955, 109

BFHE 1955, 283

BFHE 60, 283

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