Leitsatz (amtlich)

Eine verbindliche Zolltarifauskunft erledigt sich im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO auch dann, wenn sie nicht zurückgenommen wird, sondern gemäß § 23 Abs. 3 ZG durch Änderung der in ihr angewendeten Rechtsvorschriften außer Kraft tritt.

 

Normenkette

FGO § 100 Abs. 1 S. 4; ZG § 23 Abs. 3

 

Tatbestand

Die Klägerin bat im Juni 1976 um die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) über eine Ware, die sie als „reines Rindfleisch, frisch (roh), entsehnt, entfettet, gehackt, gefroren” bezeichnete. Die Beklagte (die Oberfinanzdirektion – OFD –) erteilte ihr die vZTA vom 5. Juli 1976 dahin, daß die Ware zur Tarifst. 02.01 A II a) 2 dd) 22 ccc) des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) gehöre. Mit dem hiergegen erhobenen Einspruch machte die Klägerin geltend, diese Tarifstelle erlasse nur „Teilstücke”, nicht aber gehacktes Rindfleisch. Die OFD wies den Einspruch durch Entscheidung vom 14. September 1976 als unbegründet zurück. Mit der daraufhin erhobenen Klage beantragte die Klägerin, die vZTA samt der Einspruchsentscheidung aufzuheben mit der Begründung, gehacktes Rindfleisch gehöre in die Tarifst. 02.01 A II b).

Nachdem die Klägerin erfahren hatte, daß die in der vZTA erwähnte Tarifstelle durch die Verordnung (EWG) Nr. 425/77 (VO Nr. 425/77) des Rates vom 14. Februar 1977 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 61 vom 5. März 1977 S. 1) geändert worden und deshalb die vZTA gemäß § 23 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) mit Ablauf des 31. März 1977 außer Kraft getreten ist, erklärte sie, sie stelle die Anfechtungsklage um auf eine Klage mit dem Antrag festzustellen, daß die vZTA und die Einspruchsentscheidung rechtswidrig waren. An der begehrten Feststellung bestehe für sie ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Sie habe die vZTA für künftige Einfuhren eingeholt, ihre Dispositionen danach gerichtet und sich gegen Nachforderungen absichern wollen. Sie verweise auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. August 1967 VII 194/64 (BFHE 90, 383, Bundeszollblatt 1968 S. 252 – BZBl 1968, 252 –). Würde jetzt die Hauptsache für erledigt erklärt werden, dann müßte sie praktisch wieder von vorn anfangen und erneut eine vZTA beantragen. Dabei sei zu bedenken, daß Art. 5 der VO Nr. 425/77 zwar der Tarifst. 02.01 A II a) 2 dd) 22 ccc) die neue Bezeichnung 02.01 A II b) 4 bb) 33 gegeben, jedoch an der streitigen Tariffrage sachlich nichts geändert habe. Es sei mit Sicherheit zu erwarten, daß die OFD die vZTA wiederum in dem durch die Klage angegriffenen Sinne erteilen würde. Erkläre aber der BFH die angegriffene vZTA für rechtswidrig, so werde die OFD eine vZTA nach neuem Recht in dem mit der Klage erstrebten Sinne erteilen. Wenn sich der mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt durch Zurücknahme oder Änderung erledigt habe und anzunehmen sei, daß die beklagte Behörde den in den folgenden Jahren fortdauernden Sachverhalt entsprechend der vom Kläger bekämpften Rechtsauflassung beurteilen werde, sei nach dem BFH-Urteil vom 16. Dezember 1971 IV R 221/67 (BFHE 103, 555, BStBl II 1972, 182) ein Feststellungsinteresse zu bejahen.

Die OFD beantragt, die Klage als unzulässig abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klägerin ist von der gegen die vZTA erhobenen Anfechtungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO auf die sogenannte Fortsetzungs-Feststellungsklage übergegangen. Für den Fall, daß sich der mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt vor einer Entscheidung des Gerichts über die Klage durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht nach der genannten Vorschrift das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Eine vZTA erledigt sich im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO auch dann, wenn sie nicht zurückgenommen wird, sondern gemäß § 23 Abs. 3 ZG durch Änderung der in ihr angewendeten Rechtsvorschriften außer Kraft tritt. Im Gegensatz zur Zurücknahme des Verwaltungsaktes ist zwar das auf § 23 Abs. 3 ZG beruhende Außerkrafttreten der vZTA kein Anzeichen für deren Rechtswidrigkeit. Das Gesetz läßt aber neben der Zurücknahme des Verwaltungsaktes jede andere Form seiner Erledigung gelten und stellt demnach nur darauf ab, daß der Verwaltungsakt rechtlich nicht mehr vorhanden ist. Diese Voraussetzung erfüllt auch eine nach § 23 Abs. 3 ZG außer Kraft getretene vZTA.

Die nunmehrige Fortsetzungs-Feststellungsklage war als unzulässig abzuweisen, weil die Klägerin kein berechtigtes Interesse an der mit ihr begehrten Feststellung hat. Für die Vergangenheit ist ein solches Interesse nicht erkennbar, weil aus den Erklärungen der Klägerin nicht hervorgeht, inwiefern sie im Hinblick auf die von ihr für rechtswidrig gehaltene vZTA Dispositionen getroffen hat, die ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der vZTA begründen könnten. Für die Zukunft könnte ein berechtigtes Interesse an einer Feststellung, daß die vZTA rechtswidrig gewesen sei, bejaht werden, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit der gegebene Sachverhalt fortbestünde und anzunehmen wäre, daß die OFD bei seiner Beurteilung zu ihrer in der vZTA vertretenen, der Klägerin ungünstigen Rechtsauffassung zurückkehren werde (vgl. BFH-Urteil IV R 221/67). Einer solchen Annahme steht entgegen, daß die OFD bei der Erteilung einer neuen vZTA für die in Rede stehende Ware davon ausgehen muß, daß die in der angefochtenen vZTA angewandte Tarifst. 02.01 A II a) durch die VO Nr. 425/77 nicht nur formell, sondern auch materiell geändert worden ist. Sie erfaßte bisher nur Fleisch von Hausrindern, während die neue Fassung der Tarifst. 02.01 A II eine Unterscheidung zwischen Fleisch „a) von Hausrindern” und „b) anderes” nicht mehr kennt, also auf Fleisch von Rindern schlechthin anzuwenden ist. Die von der Klägerin angestrebte Einordnung unter die Tarifst. 02.01 A II b) ist nicht mehr möglich, da diese Tarifstelle nicht mehr besteht und auch nicht durch eine entsprechende Tarifstelle ersetzt worden ist.

Die Klägerin irrt mit der Auffassung, hier sei die Rechtslage dieselbe wie in dem vom erkennenden Senat durch das Urteil VII 194/64 entschiedenen Fall. In diesem war die angefochtene vZTA bereits während des Einspruchsverfahrens außer Kraft getreten, jedoch unter Verkennung dieser Tatsache durch die Einspruchsentscheidung bestätigt worden. Dementsprechend erkannte der Senat ein berechtigtes Feststellungsinteresse im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO mit dem Hinweis darauf an, daß die vZTA trotz ihres Außerkrafttretens von der Verwaltung als maßgebend für etwaige Einfuhren angesehen worden sei. Im gegenwärtigen Fall liegt ein solcher Rechtfertigungsgrund für ein Feststellungsinteresse der Klägerin nicht vor. Die OFD hat nach dem Zeitpunkt, in dem die angefochtene vZTA durch Rechtsänderung außer Kraft getreten ist, den Willen bekundet, die vZTA als unwirksam zu behandeln.

Da die Klägerin kein berechtigtes Interesse daran hat, daß der erkennende Senat die erledigte vZTA durch Urteil nachträglich für rechtswidrig erklärt, ist die Klage als unzulässig abzuweisen (vgl. BFH-Urteil vom 27. Mai 1975 VII R 80/74, BFHE 116, 315, BStBl II 1975, 860).

 

Fundstellen

Haufe-Index 514668

BFHE 1978, 150

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