Leitsatz (amtlich)

Wenn eine vZTA sich i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erledigt hat, weil sie nach § 23 Abs. 3 ZG durch Änderung der in ihr angewendeten Rechtsvorschriften außer Kraft getreten ist, kann ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung, die vZTA sei rechtswidrig gewesen, weder aus der Absicht des Klägers hergeleitet werden, die Erstattung von Zollbeträgen zu beantragen, die er infolge der angeblich rechtsirrigen Tarifauffassung der Verwaltung bei früheren Einfuhren entrichtet hat, noch aus seiner Absicht, für die weitere Einfuhr der in der erledigten vZTA beschriebenen Ware eine neue vZTA zu beantragen.

 

Normenkette

FGO § 100 Abs. 1 S. 4; ZG § 23

 

Tatbestand

Die Klägerin bat die Beklagte (Oberfinanzdirektion - OFD -) um die Erteilung verbindlicher Zolltarifauskünfte (vZTA) über Mikroliter-Pipetten. In den beiden vZTA vom 14. September 1976 wies die OFD die Waren der Tarifst. 39.07 E II des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu. Mit den hiergegen erhobenen Einsprüchen machte die Klägerin geltend, die Pipetten seien als Handpumpen oder handbetriebene Geräte zum Heben von Flüssigkeiten in der Tarifst. 84.10 B II erfaßt. Die OFD wies die Einsprüche als unbegründet zurück. Mit der daraufhin erhobenen Klage beantragte die Klägerin, die vZTA und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die OFD zu verurteilen, die in Rede stehenden Waren verbindlich nach der Tarifst. 84.10 B II zu tarifieren.

Nachdem die Klägerin erfahren hatte, daß die in den vZTA erwähnte Tarifstelle durch die Verordnung (EWG) Nr. 2500/77 (VO Nr. 2500/77) des Rates vom 7. November 1977 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - Nr. L 289/1 vom 14. November 1977) geändert worden ist und deshalb die vZTA gemäß § 23 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) mit Ablauf des 31. Dezember 1977 außer Kraft getreten sind, erklärte sie: Sie habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, daß die frühere Einstufung der Mikroliter-Pipetten durch die OFD rechtswidrig gewesen sei. Sie beabsichtige, die Erstattung zuviel gezahlter Zollbeträge zu beantragen sowie "einen neuen Antrag auf zolltarifliche Zuordnung" der Mikroliter-Pipetten zu stellen, da sie diese Pipetten nach wie vor importiere. Die Sachentscheidung des Gerichts sei notwendig um sicherzustellen, daß die OFD die zolltarifliche Zuordnung nicht nach denselben Prinzipien vornehme wie in den vZTA vom 14. September 1976. Sie beantrage nunmehr gemäß § 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), festzustellen, daß die vZTA vom 14. September 1976 und die Einspruchsentscheidung rechtswidrig gewesen seien.

Die vZTA vom 14. September 1976 haben sich vor einer Entscheidung über die gegen sie erhobene Anfechtungsklage i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erledigt, weil sie durch Änderung der in ihnen angewendeten Tarifst. 39.07 E II des GZT gemäß § 23 Abs. 3 ZG außer Kraft getreten sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Januar 1978 VII K 7/76). Die Tarifstelle ist durch die VO Nr. 2500/77 vom 7. November 1977 mit Wirkung vom 1. Januar 1978 materiell geändert worden. Sie erfaßte bis dahin Waren aus Stoffen der Tarifnrn. 39.01 bis 39.06, aus anderen Stoffen als aus regenerierter Zellulose, Vulkanfiber, gehärteten Eiweißstoffen oder chemischen Kautschukderivaten, und zwar andere Waren als Spulen und ähnliche Unterlagen für photographische und kinematographische Filme oder für Bänder, Filme und dergleichen der Tarifnr. 92.12; es handelte sich also um eine Auffangposition. Nunmehr erfaßt sie jedoch ganz bestimmte Waren, nämlich Klappfächer und starre Fächer, Fächergestelle und Fächergriffe, Teile von Fächergestellen und Fächergriffen aus den oben genannten anderen Stoffen.

 

Entscheidungsgründe

Mit dem Antrag, gemäß § 100 Abs. 1 FGO festzustellen, daß die vZTA rechtswidrig gewesen seien, ist die Klägerin zu der sogenannten Fortsetzungsfeststellungsklage übergegangen, für deren Zulässigkeit § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO voraussetzt, daß der Kläger an der Feststellung ein "berechtigtes" Interesse hat. Das Interesse an einer Feststellung, daß der erledigte Verwaltungsakt rechtswidrig war, ist i. S. der genannten Vorschrift nur dann berechtigt, wenn es durch die Sachlage aus rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Sicht gerechtfertigt ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. Mai 1976 VII R 108/73, BFHE 119, 26, BStBl II 1976, 566). Da dies hier nicht der Fall ist, mußte die Fortsetzungsfeststellungsklage als unzulässig abgewiesen werden (vgl. BFH-Urteil vom 27. Mai 1975 VII R 80/74, BFHE 116, 315, BStBl II 1975, 860).

Wenn eine vZTA sich i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erledigt hat, weil sie nach § 23 Abs. 3 ZG durch Änderung der in ihr angewendeten Rechtsvorschriften außer Kraft getreten ist, kann ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung, die vZTA sei rechtswidrig gewesen, nicht aus der Absicht des Klägers hergeleitet werden, die Erstattung von Zollbeträgen zu beantragen, die er infolge der angeblich rechtsirrigen Tarifauffassung der Verwaltung bei früheren Einfuhren entrichtet hat, und auch nicht aus seiner Absicht, für die weitere Einfuhr der in der erledigten vZTA beschriebenen Ware eine neue vZTA zu beantragen.

1. Ein Antrag der Klägerin, Eingangsabgaben aus Rechtsgründen zu erstatten, deren Entrichtung darauf beruht, daß Waren der in den erledigten vZTA beschriebenen Art der Tarifst. 39.07 E II statt der Tarifst. 84.10 B II des GZT zugewiesen worden sind, wird auch ohne die von der Klägerin begehrte Feststellung Erfolg haben, wenn die Klägerin von ihrem Recht Gebrauch gemacht hat, die betreffenden Eingangsabgabenbescheide wegen der nach ihrer Ansicht falschen Tarifierung anzufechten, und sich im Verfahren über ihren Rechtsbehelf ihre Tarifauffassung als richtig erweist. Der erkennende Senat kann eine Berechtigung des Interesses der Klägerin an der begehrten Feststellung nicht etwa deshalb anerkennen, weil die in der Feststellung liegende Entscheidung der Tariffrage Rechtsbehelfsverfahren beeinflussen könnte, die aus der Anfechtung von Eingangsabgabenbescheiden entstanden sind. Denn er darf sich mit den in solchen Verfahren anhängigen Rechtsstreitigkeiten erst befassen, wenn er zu ihrer Entscheidung als Revisionsgericht über sie zu befinden hat, und zwar in der dann maßgeblichen Besetzung, die möglicherweise mit der gegenwärtigen nicht übereinstimmt.

2. Sollte die Klägerin unterlassen haben, die Eingangsabgabenbescheide anzufechten, so ergibt sich aus ihrer Absicht, die Erstattung der von der Tarifierungsfrage berührten Eingangsabgaben aus Rechtsgründen zu beantragen, ebenfalls kein Grund, der ihr Interesse an der begehrten Feststellung als gerechtfertigt erscheinen lassen könnte. In diesem Falle könnte der Erstattungsantrag nur Erfolg haben, wenn die Eingangsabgabenbescheide nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) berichtigt würden. Nach dieser im wesentlichen dem § 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) a. F. entsprechenden Vorschrift ist zwar die Behörde ermächtigt, einen falschen Eingangsabgabenbescheid auch dann noch zu berichtigen, wenn er bereits unanfechtbar geworden ist. Durch diese Regelung soll jedoch dem Steuerpflichtigen kein zweiter, an keine Rechtsmittelfristen gebundener Rechtsanspruch auf Nachprüfung der Bescheide eingeräumt werden. Deshalb stellt es in der Regel keinen Ermessensverstoß dar, wenn die Behörde eine Berichtigung ablehnt, nachdem der Steuerpflichtige die Fehlerhaftigkeit des Bescheides nicht in einem Rechtsbehelfsverfahren geltend gemacht hat. Eine Ausnahme von dieser Regel kommt nur unter den besonderen Umständen des Einzelfalles in Betracht (vgl. BFH-Urteile vom 15. Oktober 1968 VII 40/65, BFHE 94, 41, und vom 6. Juli 1976 VII R 98/73, BFHE 120, 2). Im vorliegenden Fall sind keine besonderen Umstände erkennbar, die ausnahmsweise einen Anspruch der Klägerin begründen könnten, unanfechtbar gewordene Eingangsabgabenbescheide über Waren der in Rede stehenden Art wegen falscher Tarifierung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 zu berichtigen. Wer aber die Berichtigung eines Eingangsabgabenbescheides in der Frage der Tarifierung nicht mehr verlangen kann, hat im Rechtsstreit über eine mit dem Eingangsabgabenbescheid übereinstimmende vZTA nach deren Erledigung kein mit einem Abgabenerstattungsanspruch begründbares berechtigtes Interesse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an einer Feststellung, daß die vZTA rechtswidrig gewesen sei.

3. Aus einer Absicht der Klägerin, die Erstattung von Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen zu verlangen (vgl. § 227 Abs. 1 AO 1977), kann erst recht kein berechtigtes Interesse an der von ihr begehrten Feststellung hergeleitet werden. Denn die Erstattung von Abgaben aus Billigkeitsgründen setzt nicht voraus, daß die Abgaben auf Grund eines unrichtigen Bescheides entrichtet worden sind; sie kommt vielmehr gerade dann in Betracht, wenn der Bescheid richtig war (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1977 VII R 114/74, BFHE 122, 20).

4. Das Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung ist auch nicht deshalb berechtigt, weil die Klägerin weiterhin Waren der in Rede stehenden Art einführt und beabsichtigt, "einen neuen Antrag auf zolltarifliche Zuordnung" der Ware zu stellen.

Die vZTA vom 14. September 1976 bestanden in der Erklärung der OFD, daß die in ihnen beschriebenen Waren der Tarifst. 39.07 E II des GZT zuzuweisen seien. Eine Feststellung, daß die vZTA rechtswidrig gewesen seien, ist für die tarifliche Beurteilung der von der Klägerin nach dem 31. Dezember 1977 eingeführten Waren gleicher Art durch die Zollstellen schon deshalb ohne Bedeutung, weil die Tarifst. 39.07 E II materiell geändert worden ist. Es kommt hinzu, daß infolge dieser Rechtsänderung die vZTA von Gesetzes wegen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 ZG) außer Kraft getreten und die Rechte der Klägerin aus ihnen damit gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 ZG erloschen sind. Diese Rechtslage verwehrt der Klägerin jegliche Berufung auf die erledigten vZTA gegenüber den Zollstellen bei künftigen Einfuhrfällen, somit auch eine Berufung darauf, daß sie rechtswidrig gewesen seien. Künftige Einfuhrfälle können also kein Grund dafür sein, daß ein Interesse der Klägerin an der Feststellung, die erledigten vZTA seien rechtswidrig gewesen, als berechtigt angesehen wird. Eine solche Feststellung ist für künftige Einfuhrfälle nutzlos.

5. Schließlich kann für das Feststellungsbegehren der Klägerin eine Berechtigung nicht daraus hergeleitet werden, daß die in den erledigten vZTA angewendete Tarifst. 39.07 E II den gleichen Wortlaut hatte wie die nunmehrige Tarifst. 39.07 E IV und daß daher bei der Einholung einer neuen vZTA die OFD wahrscheinlich ihre tarifliche Entscheidung nach den gleichen Gesichtspunkten trifft wie bei den erledigten vZTA. Denn eine Einwirkung auf die Entscheidung der OFD bei der Erteilung einer neuen vZTA durch die begehrte Feststellung wäre mit dem Wesen der vZTA nicht vereinbar. Die vZTA ist ein Verwaltungsakt eigener Art. Es handelt sich nicht um eine Eingriffsmaßnahme, sondern um eine Erklärung der OFD über die nach ihrer Meinung richtige Tarifstelle für die betreffende Ware. Sie gibt dem Antragsteller besondere Rechte gegenüber bestimmten Zollstellen (vgl. § 23 Abs. 2 ZG), wird nur auf sein Verlangen angewendet und führt dazu, daß aus formellen Gründen das materielle Recht zugunsten des dem Antragsteller gewährten Vertrauensschutzes zurückzutreten hat (vgl. Abs. 2 der Begründung zu § 23 ZG, Bundeszollblatt 1962 S. 36, 49). Es muß daher stets zunächst der OFD überlassen bleiben, wie sie die im Antrag auf Erteilung einer vZTA beschriebene Ware beurteilt und an welche tarifliche Einordnung der Ware sie die in Betracht kommenden Zollstellen binden will. Dies wird dadurch unterstrichen, daß die OFD eine erteilte vZTA trotz ihrer begünstigenden Natur auch jederzeit zurücknehmen kann (vgl. § 23 Abs. 2 Satz 2 ZG; § 96 AO a. F., § 130 Abs. 2 und 3, § 131 Abs. 2 AO 1977).

Für das Gebiet der Einkommensteuer hat das BFH-Urteil vom 16. Dezember 1971 IV R 221/67 (BFHE 103, 555, BStBl II 1972, 182) ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines durch Zurücknahme erledigten Einkommensteuerbescheides ausnahmsweise für den Fall anerkannt, daß auch in den Folgejahren der gleiche Sachverhalt unverändert der Besteuerung und damit der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sein wird und das Finanzamt zu erkennen gibt, daß es zu seiner ursprünglichen, dem zurückgenommenen Steuerbescheid zugrunde gelegten Rechtsauffassung zurückkehren werde. Daraus können für den hier vorliegenden Fall keine Folgerungen gezogen werden, weil die vZTA keine belastenden, sondern begünstigende Verwaltungsakte waren, sich nicht durch Zurücknahme, sondern dadurch erledigt haben, daß sie von Gesetzes wegen außer Kraft getreten sind, weil nicht feststeht, daß ein neuer Antrag der Klägerin insbesondere in bezug auf die Beschreibung der Ware mit den früheren, den erledigten vZTA zugrunde liegenden Anträgen übereinstimmen, die OFD also bei der Erteilung einer neuen Auskunft von einem unveränderten Sachverhalt auszugehen haben wird und weil der Klägerin auch mit einer neuen Auskunft keine Pflichten auferlegt, sondern nur Rechte eingeräumt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72764

BStBl II 1978, 407

BFHE 1979, 24

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