Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine offenbare Unrichtigkeit, wenn zu deren Feststellung Rückgriff auf Akten der Vorjahre erforderlich ist

 

Leitsatz (NV)

Werden bei einer Einkommensteuerver anlagung erklärungsgemäß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung Absetzungen für Abnutzung zu Unrecht berücksichtigt, scheidet eine Berichtigung des Steuerbescheids nach § 129 AO 1977 dann aus, wenn das Finanzamt zur Feststellung der Unrichtigkeit auf Akten der Vorjahre zurückgreifen muß.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 129, 173 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1982 § 7b

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Einkommensteuerbescheid 1986 (Streitjahr) wegen offenbarer Unrichtigkeit geändert werden kann.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute.

Die Klägerin erwarb im Januar 1985 ein Einfamilienhaus. Den Kaufpreis finanzierte sie durch Darlehen. Seit Februar 1985 nutzen die Kläger das Einfamilienhaus im Umfang von rund 90 % zu eigenen Wohnzwecken, ein Büroraum wird vermietet.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 1985 erklärten die Kläger erstmals Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, wobei sie sowohl Schuldzinsen für die Zeit der Selbstnutzung -- bei Bauantrag und Baubeginn vor dem 1. Oktober 1982 -- als auch u. a. Schuldzinsen als Werbungskosten für die übrige Zeit neben der erhöhten Absetzung nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend machten.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger in der Anlage V unter der Kennziffer 42 (Zeile 7) keine Eintragung, sondern setzten in der darunterliegenden Kennziffer 79 (Zeile 8) einen Betrag von ... DM an. Nach dem Erklärungsvordruck handelt es sich hierbei um Schuldzinsen für die Zeit der Selbstnutzung bei Bauantrag oder Baubeginn nach dem 30. September 1982 und Anschaffung/Fertigstellung nach dem 31. Dezember 1983 oder in 1983, wenn erhöhter Schuldzinsenabzug nachgeholt wird. Ferner machten sie die erhöhten Absetzungen nach § 7 b EStG geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) berücksichtigte in dem bestandskräftig gewordenen Bescheid für 1986 zunächst erklärungsgemäß Schuldzinsen gemäß § 21 a Abs. 4 EStG in Höhe von 10 000 DM.

Unter Berufung auf § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) erließ das FA einen ge änderten Einkommensteuerbescheid für 1986. Mit der Begründung, der Eintragungsfehler in der Anlage V sei vom FA versehentlich übernommen worden, erhöhte es die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung um 10 000 DM.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab. Es führte aus, § 129 AO 1977 sei auch dann anwendbar, wenn die Fehlerhaftigkeit von Angaben des Steuerpflichtigen für das FA ohne weiteres erkennbar gewesen sei und das FA damit eine offenbare Unrichtigkeit der Steuererklärung als eigene übernommen habe. Aus der Steuererklärung des Vorjahres sei für das FA auch ohne weiteres zweifelsfrei die fehlerhafte Eintragung erkennbar gewesen.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 129 AO 1977.

Sie beantragen sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Änderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Nach § 129 AO 1977 kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die bei Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt das Tatbestandsmerkmal "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" voraus, daß die Unrichtigkeit einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich ist, d. h. es sich um einen "mechanischen" Fehler handelt, der ebenso "mechanisch", also ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden kann (BFH-Urteile vom 12. April 1994 IX R 31/91, BFH/NV 1995, 1, und vom 29. März 1990 V R 27/85, BFH/NV 1992, 711 m. w. N.). Eine offenbare Unrichtigkeit kann zwar auch dann vorliegen, wenn das FA eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, d. h. für das FA erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernimmt. Kein mechanisches Versehen liegt jedoch dann vor, wenn es -- ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht -- eine notwendige tatsächliche Ermittlung oder eine rechtliche Prüfung unterläßt (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1995, 1, und vom 23. Januar 1991 I R 26/90, BFH/NV 1992, 359 m. w. N.).

Der -- unstreitig unrichtige -- Einkommensteuerbescheid 1986 kann danach im Streitfall nicht nach § 129 AO 1977 berichtigt werden. Der Bescheid enthält keine "beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufene" offenbare Unrichtigkeit. Das FA hat die in der Einkommensteuererklärung enthaltene Unrichtigkeit nicht als eigene übernommen. Nach den Feststellungen des FG wäre die Unrichtigkeit der Erklärung der Kläger für den zuständigen Sachbearbeiter des FA nur dann ohne weiteres erkennbar gewesen, wenn er die Einkommensteuererklärung 1985 bei der Veranlagung 1986 hin zugezogen hätte. Soweit aber das FA auf Vorakten zurückgreifen muß, liegt grundsätzlich keine offenbare Unrichtigkeit vor. Eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen (BFH- Urteil in BFH/NV 1992, 359). Dabei ist unerheblich, ob das FA die Amtsermittlungspflicht zugunsten oder zuungunsten eines Steuerpflichtigen verletzt hat.

Das FA konnte die Steuerfestsetzung 1986 auch nicht nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ändern. Bei der Durchführung der Veranlagung für das Streitjahr waren dem FA die maßgeblichen Tatsachen aus den Einkommensteuerakten für 1985 bekannt.

Da das FG zu Unrecht eine Änderungsmöglichkeit der Einkommensteuerveranlagung 1986 angenommen hat, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Änderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung sind aufzuheben.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 1033

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