Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein Steuerpflichtiger gegen einen Steuerbescheid statt des Einspruchs Sprungberufung eingelegt (ß 261 AO), so kann er die bereits erklärte Sprungberufung wieder in einem Einspruch zurückverwandeln, solange die Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist und der Vorsteher des Finanzamts seine Einwilligung noch nicht erteilt hat.

 

Normenkette

AO § 261; FGO § 45

 

Tatbestand

In einer Grunderwerbsteuersache wurden vom Finanzamt durch Bescheid vom 11. Juni 1958 2.113,85 DM Grunderwerbsteuer gefordert. Die Bfin. legte am 13. Juni 1958 statt des Einspruchs gemäß § 261 AO Sprungberufung ein. Der Vorsteher des Finanzamts genehmigte die Sprungberufung am 10. Juli 1958. Eine Mitteilung an die Bfin. fand nicht statt. Vorher, nämlich durch Schreiben vom 7. Juli 1958 (eingegangen beim Finanzamt am 8. Juli 1958), wurde der Antrag auf Einwilligung in die Sprungberufung von der Bfin. freiwillig zurückgenommen.

Auf Veranlassung des Finanzgerichts nahm das Finanzamt die Steueranforderung durch Schreiben vom 8. Dezember 1958 zurück. Die Kosten des Rechtsmittels übernahm es auf das Land.

Am 16. Dezember 1958 schrieb die Bfin. an das Finanzgericht:

"Ich stimme der Zurücknahme des endgültigen Grunderwerbsteuerbescheides vom 11. Juni 1958, die nicht mit der Absicht erfolgte, die Stpfl. von der Steuer freizustellen, nicht zu und bitte um Entscheidung."

Am 18. Dezember 1958 teilte das Finanzgericht der Bfin. mit, daß das Finanzamt nach § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO einen Steuerbescheid auch ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen zurücknehmen könne, soweit einem Antrag des Steuerpflichtigen der Sache nach entsprochen werde. Nach § 94 Abs. 2 AO gelte dies auch für Einspruchsentscheidungen, die durch Berufung angefochten seien. Im Streitfall habe das Finanzamt die Einspruchsentscheidung und den ihm zugrunde liegenden Steuerbescheid zurückgenommen. Damit sei der Rechtsstreit rechtsgültig beendet. Auch zu einer Kostenentscheidung bestehe keine Veranlassung, nachdem das Finanzamt der Steuerpflichtigen erklärt habe, daß die Kosten vom Land übernommen werden (ß 94 Abs. 2 letzter Satz AO).

Das Finanzgericht entschied dahin, daß die Berufung aus den der Bfin. im Schreiben vom 18. Dezember 1958 mitgeteilten Gründen als unzulässig zu verwerfen sei. Aus welchen Gründen das Finanzamt den Bescheid zurückgenommen habe - im vorliegenden Streitfall habe es beabsichtigt, den angeforderten Steuerbescheid durch zwei getrennte Steuerfestsetzungen zu ersetzen -, sei unerheblich.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt. Die Einwilligung des Vorstehers zur Einlegung der Sprungberufung kann nicht als rechtsgültig angesehen werden, da die Steuerpflichtige ihre dahingehende Erklärung bereits vorher durch Schreiben vom 7. Juli 1958 zurückgenommen hatte. Allerdings bestimmt die AO weder im § 261 noch an anderer Stelle, ob der Steuerpflichtige seine Erklärung, statt des Einspruchs Berufung einzulegen, zurücknehmen kann. Immerhin kann angenommen werden, daß die Erklärung zurückgenommen werden darf, solange die Rechtsmittelfrist noch nicht abgelaufen ist und der Vorsteher des Finanzamts seine Einwilligung noch nicht erteilt hat. Kann der Steuerpflichtige bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist wählen, ob er statt des Einspruchs Sprungberufung einlegen soll, und kann er, wenn er schon Einspruch eingelegt hat, nachträglich erklären, daß er den Einspruch in eine Sprungberufung umwandle (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1873/32 vom 7. Dezember 1932, Slg. Bd. 32 S. 137), so ist nicht einzusehen, warum ihm nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist auch das Recht zustehen soll, die bereits erklärte Sprungberufung wieder in einen Einspruch zurückzuverwandeln. So auch Stehling, Die Sprungberufung, Deutsche Steuer-Zeitung A 1956 S. 89. Wie auch der Reichsfinanzhof in dem vorerwähnten Urteil VI A 1873/32 vom 7. Dezember 1932 ausführt, ist das Rechtsmittelverfahren der AO von dem Grundsatz beherrscht, von der Einhaltung entbehrlicher Förmlichkeiten abzusehen, soweit nicht zwingende Belange des Rechtsschutzes einer solchen Handhabung entgegenstehen. Solche Belange sind nicht vorhanden. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, daß die Sprungberufung im wesentlichen im Interesse des Steuerpflichtigen zugelassen wurde und daß daher ihre Einlegung und ihre Rückumwandlung in einen Einspruch nicht unnötig erschwert werden darf. Siehe dazu auch das Gutachten des Großen Senats des Reichsfinanzhofs Gr.S. D 3/33 vom 30. Oktober 1933 (Slg. Bd. 34 S. 241).

Das angefochtene Urteil war somit aufzuheben und die Sache zur Bearbeitung des Einspruchs an das Finanzamt zurückzuverweisen. Dazu sei bemerkt: Das Finanzamt wird über den Einspruch der Bfin. förmlich entscheiden müssen. Die Voraussetzung des § 94 AO ist entgegen der Ansicht des Finanzgerichts nicht erfüllt; dem Antrag des Steuerpflichtigen wird der Sache nach nur dann entsprochen, wenn das Finanzamt seinem Begehren materiell, nicht nur formell stattgibt. Hingewiesen sei außerdem auf das Urteil des Senats II 79/60 vom 7. Dezember 1960 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961 Nr. 106 S. 103). Nach diesem Urteil ist es zulässig, nur einen Steuerbescheid zu erlassen, wenn ein Grundstück, das zwei Personen je zur Hälfte gehörte, an eine Person veräußert und der Steuerbescheid nur an die erwerbende Partei gerichtet wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410385

BStBl III 1962, 203

BFHE 1962, 546

BFHE 74, 546

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