Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Girosammeldepotansprüche wegen deutscher Aktien konnten bereits vor dem Inkrafttreten des Wertpapierbereinigungsgesetzes vom 19. August 1949 (WiGBl S. 295), auch schon für einen Stichtag im I. Halbjahr 1948, als ansatzfähige Wirtschaftsgüter der Erbschaftsteuer unterworfen werden, wenn sie im Telefonverkehr der Banken gehandelt worden waren.

 

Normenkette

ErbStG § 22; BewG § 67 Ziff. 3, § 110/1/3

 

Tatbestand

Die streitige Erbschaftsteuersache für den Nachlaß der am 19. April 1948 in X. verstorbenen Ehefrau F. F. liegt dem erkennenden Senat im zweiten Rechtsgang vor.

Nach Bereinigung verfahrensrechtlicher Fragen im ersten Rechtsgang hat das Finanzamt die streitigen Girosammeldepotansprüche hinsichtlich der zum Nachlaß gehörenden Wertpapiere auf den 19. April 1948 mit 50 v. H. der Börsenkurse der effektiven Stücke bewertet; lediglich die Ansprüche hinsichtlich der IG-Farben-Aktien hat das Finanzamt mit dem ungekürzten Börsenkurs von 65 v. H. angesetzt. Es hat sich bei der letzteren Bewertung auf die diesbezügliche Auskunft des für die IG-Farben AG i. L. zuständigen Finanzamts gestützt, während für den Ansatz der übrigen Girosammeldepotansprüche eine entsprechende Empfehlung der Bank deutscher Länder maßgebend gewesen ist.

Die Sprungberufung, die der Beschwerdeführer (Bf.) mit Einwilligung des Vorstehers des Finanzamts eingelegt hat und mit der er Bewertungsfähigkeit und Wertlosigkeit der Girosammeldepotansprüche für den Stichtag geltend gemacht hat, ist ohne Erfolg geblieben.

Das Finanzgericht hat vor seiner Entscheidung auf Anfrage eine Auskunft des Vorstandes der Wertpapierbörse X. dahin empfangen, in der Zeit zwischen dem 1. Januar und dem 20. Juni 1948 seien Girosammeldepotansprüche bei fünf der streitigen acht Werte außerhalb der Börse, im Telefonverkehr zwischen den Banken, umgesetzt worden, und zwar zu Preisen, die sich auf weit mehr als 50 v. H. der Preise der in gleicher Zeit gehandelten effektiven Stücke belaufen hätten. Auf Grund dieser Auskunft hat das Finanzgericht den Einwand des Bf. hinsichtlich der Bewertungsunfähigkeit und Wertlosigkeit der streitigen Girosammeldepotansprüche zum 19. April 1948 als widerlegt erachtet.

An der Höhe des vom Finanzamt angesetzten Bewertungsbetrages der streitigen Girosammeldepotansprüche hat das Finanzgericht deshalb nichts geändert, weil die vom Börsenvorstand genannten Preise selbst bei Außerachtlassung der IG-Farben-Aktien zu einem Wert der streitigen Girosammeldepotansprüche führen würden, der den Ansatz im Steuerbescheid noch um 19.000 RM überstiege. Andererseits hat das Finanzgericht Bedenken getragen, die bei jenen außerbörslichen Transaktionen erzielten Preise in voller Höhe zur Grundlage der steuerlichen Bewertung zu machen, und deshalb von einer Verböserung des Gesamtergebnisses der finanzamtlichen Entscheidung abgesehen.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht der Bf. erneut geltend, die streitigen Girosammeldepotansprüche seien am Stichtage wertlos gewesen, weil damals - mangels der erst später gesetzlich geregelten Wertpapierbereinigung - greifbare Anhaltspunkte für das Wiederaufleben der früheren Aktionärsrechte gefehlt hätten. Der Bf. weist in diesem Zusammenhang auf den Erlaß der Finanzleitstelle Hamburg über die Veranlagung der Erbschaftsteuer auf Grund des Kontrollgesetzes (KRG) Nr. 17 zur änderung der Erbschaftsteuergesetze vom 30. September 1947 S 3710-6/St 3 u S 3900

Deutsche Steuer-Zeitung 1947 - britische Zone - S. 242 ff.) hin.

Im übrigen seien die streitigen Girosammeldepotansprüche am Bewertungsstichtage nur als bedingt anzusehen und daher nach §§ 4 ff. des Bewertungsgesetzes (BewG) überhaupt nicht anzusetzen gewesen; denn eine Entschädigung für die verlorenen Wertpapiere sei von der Schaffung eines Wertpapierbereinigungsgesetzes und dann, auf Grund dieses Gesetzes, von der Anmeldung und Zuteilung abhängig gewesen.

Schließlich hat der Bf. beanstandet, daß das Finanzamt seine erste Entscheidung zur Sache - vom 21. März 1949 - nur als vorläufig bezeichnet habe. Es hätte die Auskünfte, die es später, vor der endgültigen Veranlagung - vom 15. Juni 1953 - eingeholt habe, bereits vor der vorläufigen Festsetzung einholen können und müssen. Deshalb hätten die Voraussetzungen für eine vorläufige Veranlagung im Sinne des § 100 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht vorgelegen. Die vorläufige sei daher als eine endgültige Veranlagung anzusehen und die spätere sogenannte endgültige Veranlagung nicht mehr zulässig gewesen. Ein nachträglicher Ansatz der in der vorläufigen Veranlagung unberücksichtigt gebliebenen Girosammeldepotansprüche sei also nicht möglich.

 

Entscheidungsgründe

Was zunächst die verfahrensrechtliche Rüge des vorläufigen Charakters des Erbschaftsteuerbescheides vom 21. März 1949 betrifft, so läßt § 100 AO eine vorläufige Entscheidung zu, wenn aus besonderen Gründen der Wert eines Gegenstandes nicht sofort ermittelt werden kann. Im vorliegenden Fall hat es sich unter anderem um die Frage der Bewertung von Girosammeldepotansprüchen für den 19. April 1948 gehandelt. Diese Frage konnte das Finanzamt unter den damaligen Verhältnissen nicht sofort klären. Gerade die Entwicklung des späteren Ermittlungsverfahrens zu dieser Frage hat die großen Schwierigkeiten der Bewertung aufgezeigt. Deshalb ist die Rüge des Bf. hinsichtlich der Anwendung des § 100 AO ungerechtferigt. Im übrigen war das Finanzamt durch § 31 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) zur Vornahme einer vorläufigen Festsetzung der Erbschaftsteuer gesetzlich angewiesen.

Die Einwendungen des Bf. gegen die Berücksichtigung der Girosammeldepotansprüche sind ebenfalls nicht als begründet zu erachten. Schon allein die Tatsache, daß solche Girosammeldepotwerte im ersten Halbjahr des Jahres 1948 nach den Feststellungen des Finanzgerichts gehandelt worden sind, zeigt, daß die streitigen Ansprüche bewertungsfähige Wirtschaftsgüter dargestellt haben. Die nach § 10 BewG für die Bestimmung des gemeinen Wertes maßgebliche Preisgestaltung von zu bewertenden Wirtschaftsgütern weist auf die Bedeutung des Vorhandenseins eines tätsächlichen Marktes für die Bewertungsfähigkeit von Wirtschaftsgütern hin, wie groß auch immer die Risiken sein mochten, die mit dem Erwerb von Girosammeldepotansprüchen verbunden waren. Der Umstand, daß die Feststellungen nur bei fünf der acht streitigen Werte getroffen worden sind, erklärt sich ohne weiteres daraus, daß die Anfrage des Börsenvorstandes X. nur an ein einziges Kreditinstitut ergangen ist. Es begegnet keinen Bedenken und liegt auf dem Gebiete der den Senat bindenden Beweiswürdigung seitens des Finanzgerichts, wenn das letztere aus der Tatsache, daß fünf der streitigen acht Arten von Girosammeldepotansprüchen gehandelt worden sind, den Schluß gezogen hat, daß alle acht Arten von Girosammeldepotansprüchen am Stichtage einen wirtschaftlichen Wert dargestellt haben.

Die streitigen Girosammeldepotansprüche gehören nicht zu den in § 68 BewG vom sonstigen Vermögen ausgenommenen, sondern zu den ansatzfähigen Wirtschaftsgütern.

Zwar ist das Wertpapierbereinigungsgesetz vom 19. August 1949 (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes - WiGBl - S. 295) erst am 1. Oktober 1949 in Kraft getreten. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil III 232/55 U vom 20. Januar 1956 (Slg. Bd. 62 S. 190 = Bundessteuerblatt - BStBl - 1956 II S. 71) ausgeführt hat, hängt die Anerkennung des Wertes von Girosammeldepotansprüchen steuerlich nicht von ihrer Anerkennung im Wertpapierbereinigungsverfahren ab. Auch trifft die Auffassung des Bf. nicht zu, daß an dem hier in Rede stehenden Stichtage vom 19. April 1948 "noch keinerlei ernsthafte Beratungen über ein Wertpapierbereinigungsgesetz" stattgefunden hätten. Im Gegenteil wurden schon bald nach dem Zusammenbruch die ersten Schritte zur Bereinigung des deutschen Wertpapierwesens unter starkem Interesse der öffentlichkeit unternommen. Sie haben das Ziel verfolgt, bei den effektiv vorhandenen Wertpapieren nach Möglichkeit unrechtmäßige Besitzverschiebungen zu berichtigen und bei den nicht greifbaren Wertpapieren den Berechtigten wieder ein gültiges Papier in die Hand zu geben. Es bestanden ein Hamburger Plan, ein Frankfurter Plan, der einem vom Gemeinsamen Deutschen Finanzrat bereits im Jahre 1947 ausgearbeiteten Gesetzentwurf zugrunde lag, und ein Münchener Plan. Der Entwurf des Gemeinsamen Deutschen Finanzrats, der eine gesamtdeutsche Regelung vorsah, ist zwar nicht Gesetz geworden. Aber die Vorarbeiten für das Wertpapierbereinigungsgesetz wurden von der Verwaltung für Finanzen unter Beschränkung auf das Vereinigte Wirtschaftsgebiet fortgesetzt. Wegen der Schwierigkeiten des Stoffes und der sich zum Teil widerstreitenden Interessen sind zahlreiche Beratungen damals nicht nur unter den beteiligten Verwaltungen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und zwischen den zuständigen Länderministerien gepflogen worden; vielmehr wurde ständige Fühlungnahme mit den interessierten Kreisen, den Banken, den Wertpapierbesitzern und den Ausstellern, gehalten (vgl. Ziganke, Wertpapierbereinigungsgesetz, 1950 S. 2 und 3). Demnach ist an dem hier in Betracht kommenden Stichtage vom 19. April 1948 in den beteiligten Kreisen mit dem Wertpapiergesetz gerechnet worden. Die tatsächlich hinsichtlich der streitigen Girosammeldepotansprüche getätigten Geschäfte haben daher eine ernst zu nehmende Grundlage für die Bewertung dieser Wirtschaftsgüter gebildet. Niemand konnte damals zu der Auffassung gelangen, die Girosammeldepotansprüche seien mit 0 RM zu bewerten. Der Mangel der gesetzlichen Regelung war schon damals nur als ein vorübergehender Zustand erkennbar.

Zu Unrecht macht der Bf. ferner geltend, der Erwerb der Girosammeldepotansprüche habe von einem künftigen Ereignis abgehangen, bei dem der Zeitpunkt des Eintritts ungewiß gewesen sei. Der Bf. denkt hierbei an die gesetzliche Regelung zum Zwecke der Wertpapierbereinigung. Indessen waren die streitigen Wirtschaftsgüter (Girosammeldepotansprüche) am Stichtage bereits vorhanden, wie auch durch die tatsächlichen Geschäfte über solche Ansprüche bestätigt worden ist. Die spätere Regelung durch das Wertpapierbereinigungsgesetz konnte nur auf die Höhe der Bewertung Einfluß haben.

Der Bf. kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Bestimmungen der Finanzleitstelle Hamburg über den Ansatz von Girosammeldepotansprüchen bei der Vermögensteuerveranlagung 1946 in einer Erbschaftsteuersache berufen, über die nach Maßgabe der Verhältnisse vom 19. April 1948 zu entscheiden ist. Im übrigen hat schon der oben in anderem Zusammenhang erwähnte Erlaß der Finanzleitstelle über die Erbschaftsteuer vom 30. September 1947 zu II, 10 angeordnet, daß ungewisse Werte zur Erbschaftsteuer heranzuziehen sind. Demgegenüber kann sich der Bf. auf Milderungsbestimmungen, die zur Vermögensteuer früher ergangen sind, nicht mit Erfolg berufen.

Der besondere Einwand des Bf. gegen den Ansatz der Girosammeldepotansprüche bezüglich der zum Nachlaß gehörigen IG- Farben-Aktien, den er wegen der durch die Besatzungsmacht geschaffenen Verhältnisse bei den IG-Farben-Aktien erhoben hat, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil III 187/55 S vom 5. Juli 1957 (Slg. Bd. 65 S. 157 = BStBl 1957 III S. 295 ff.) entschieden hat, sind sogar die vom Gesetz Nr. 55 der amerikanischen Militärregierung betroffenen IG- Farben-Aktien am Währungsstichtag verkehrs- und bewertungsfähige Wirtschaftsgüter gewesen. Wie der erkennende Senat betont hat, ist diese Entscheidung, ohne Rücksicht auf die die Verkehrsfähigkeit der IG-Farben-Aktien bestätigende Entwicklung nach dem Währungsstichtage, vielmehr lediglich auf Grund der tatsächlichen und rechtlichen Entwicklung vor dem Währungsstichtage und ihrer Auswirkungen ergangen. Da jedenfalls im ersten Halbjahr 1948 einschneidende Wandlungen hinsichtlich der IG-Farben-Aktien nicht eingetreten sind, sind diese auch schon für den hier in Betracht kommenden Stichtag vom 19. April 1948, den Tag des Ablebens der Erblasserin, als bewertungsfähig zu erachten. Demanch würde der Einwand des Bf. gegen den Ansatz der streitigen IG-Farben-Girosammeldeoptansprüche selbst dann fehlgehen, wenn die einschlägigen parallelen britischen Besatzungsvorschriften ebenso scharf wie die amerikanischen gewesen wären; jedoch hat tatsächlich in der britischen Zone kein völliges Veräußerungs-, sondern nur ein Börsenhandelsverbot bestanden. Um so weniger kann hier von verkehrsunfähigen Wirtschaftsgütern gesprochen werden.

Was die Höhe der Bewertung der streitigen Girosammeldepotansprüche betrifft, so handelt es sich hier um Fragen der tatsächlichen Beweiswürdigung. Der erkennende Senat ist auf diesem Gebiete nach § 296 Abs. 1 AO an die Entscheidung des Finanzgerichts gebunden. Mit Recht hat die Vorinstanz von einem besonderen Ansatz hinsichtlich der Girosammelmeldedepotanprüche wegen IG-Farben-Aktien abgesehen, weil der Ansatz durch das Finanzamt von den vom Börsenvorstand X. mitgeteilten Werten auch ohne die Ansprüche wegen der IG-Farben- Aktien wesentlich überschritten wird und außerdem im vorliegenden Fall eine so scharfe Handelsbeschränkung fehlt, wie sie in dem Fall des Urteils III 187/55 S vorgelegen hat, der auf amerikanischem Besatzungsgebiet gespielt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409019

BStBl III 1958, 236

BFHE 1958, 611

BFHE 66, 611

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