Entscheidungsstichwort (Thema)
Werbungskosten eines ledigen Arbeitnehmers wegen auswärtiger Beschäftigung
Leitsatz (NV)
1. Fahrtkosten, Verpflegungsmehraufwand und Mietzins für Wohnung am neuen Arbeitsort als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bei von vornherein vorübergehender Beschäftigung eines Arbeitnehmers für verhältnismäßig kurze Dauer.
2. Fahrtkosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG bei Fahrten von der zweiten, weiter entfernt liegenden Wohnung zur Arbeitsstätte ohne Rücksicht auf Entfernung zur Arbeitsstätte und ohne Prüfung der Angemessenheit, wenn diese Wohnung Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildet (Anschluß an BFH-Urteil vom 13. Dezember 1985 - VI R 7/83, BFHE 145, 386; BStBl II 1986, 221).
3. Flugkosten als Fahrtaufwendungen i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG
Normenkette
EStG 1977 § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Der Kläger bewohnte im Streitjahr 1977 mit seiner Verlobten, die er im Juli 1978 heiratete, eine Eigentumswohnung in B. Er nahm am 16. August 1976 eine Tätigkeit als Diplomkaufmann bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in H auf. Er blieb auch nach Beendigung der Probezeit am 15. Februar 1977 weiterhin dort tätig und legte im Februar 1980 die Prüfung als Steuerberater ab. In H mietete er sich ein Zimmer. An den Wochenenden flog er nach B zu seiner Verlobten. Diese hatte im Streitjahr 1977 Bezüge einer Studienrätin.
Der Kläger machte bei der Einkommensteuerveranlagung 1977 Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung geltend, und zwar Kosten für Verpflegungsmehraufwand von 2 530 DM, Zimmermiete am Beschäftigungsort H von 5 940 DM, Stromkosten von 195,93 DM und Flugkosten von 6 794 DM. Der Abzug dieser Aufwendungen wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) abgelehnt. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Der Kläger brachte mit der Klage vor, seine damalige Verlobte sei im Streitjahr 1977 finanziell von ihm abhängig gewesen, da sie nicht in der Lage gewesen sei, den gemeinsamen Haushalt, insbesondere im Hinblick auf den Schuldendienst der Eigentumswohnung, allein finanziell weiter zu führen. Seine Anstellung in H sei eine zeitlich begrenzte Notlösung gewesen. Auch nach Beendigung der Probezeit am 15. Februar 1977 sei ihm im Hinblick auf seine Heiratspläne ein Umzug nach H nicht zumutbar gewesen. Seinen Lebensmittelpunkt habe er im Streitjahr in B gehabt.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus:
1. Die streitigen Aufwendungen des Klägers könnten nicht unter dem Gesichtspunkt einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten anerkannt werden. Das sei bei einem unverheirateten Steuerpflichtigen nur möglich, wenn er vor der Aufnahme der auswärtigen Beschäftigung mit von ihm finanziell abhängigen Angehörigen einen eigenen Hausstand unterhalten, diesen Hausstand auch nach der Aufnahme der auswärtigen Beschäftigung beibehalten und die Kosten der Unterhaltung ganz oder überwiegend getragen hätte. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Es könne offenbleiben, ob bei Verlobten eine doppelte Haushaltsführung überhaupt steuerlich anzuerkennen sei. Die Verlobte des Klägers jedenfalls sei weder unterhaltsberechtigt noch unterhaltsbedürftig gewesen. Als Studienrätin habe sie über ein Einkommen verfügt, das sie vom Kläger finanziell unabhängig gemacht habe. Für den Kapitaldienst der dem Kläger gehörenden Eigentumswohnung sei sie nicht verantwortlich gewesen.
2. Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen könnten auch nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1977 entsprechend den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. November 1978 VI R 13-14/76 (BFHE 126, 420, BStBl II 1979, 157) berücksichtigt werden. Da der Kläger bereits zu Beginn des Streitjahres mangels Kündigung des Arbeitsverhältnisses habe absehen können, daß er voraussichtlich über die Probezeit hinaus in H tätig sein werde, liege kein Schwebezustand vor, der den Kläger aus beruflichen Gründen hätte veranlassen können, die Wohnung in B weiter zu behalten. Soweit das Verlöbnis für die Aufrechterhaltung der Wohnung mitbestimmend gewesen sei, lägen solche Umstände im privaten Bereich.
3. Die Flugkosten könnten nicht als Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG angesehen werden. Die Entfernung zwischen H und B sei zu groß, um eine Fahrt mit dem vom Gesetz als typisches Beförderungsmittel angesehenen PKW an einem Arbeitstag in beiden Richtungen zurücklegen zu können. Im übrigen sei die doppelte Wohnsitznahme privat veranlaßt gewesen. Die Flugkosten könnten nicht im Wege einer griffweisen Schätzung anderen Einkunftsarten zugeordnet werden. Der Kläger habe zwar gegebenenfalls hilfsweise begehrt, wegen seiner sonstigen Tätigkeiten die Flugkosten in der Weise aufzuteilen, daß 20 v. H. auf seine Einnahmen auf selbständige Arbeit, 60 v. H. auf die aus nichtselbständiger Arbeit und 20 v. H. auf die aus Kapitalvermögen entfallen. Dem stehe jedoch der Umstand entgegen, daß der Kläger in der mündlichen Verhandlung kein Wochenende habe bezeichnen können, an dem er so gut wie ausschließlich zwecks Erzielung von Einkünften aus selbständiger Arbeit oder aus Kapitalvermögen nach B geflogen sei.
Der Kläger rügt mit seiner Revision sinngemäß die unzutreffende Anwendung des § 9 EStG. Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und weitere Werbungskosten von 15 460 DM zum Abzug zuzulassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA hat inzwischen am 3. Januar 1985 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1977 erlassen. Dieser Bescheid wurde auf Antrag des Klägers vom 26. Mai 1985 zum Gegenstand des anhängigen Revisionsverfahrens gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Das FG hat die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen ohne Rechtsverstoß nicht als Kosten einer doppelten Haushaltsführung i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG anerkannt.
Nach dieser Vorschrift sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Orts, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.
Das FG ist zutreffend von der Rechtsprechung des Senats ausgegangen (vgl. z. B. Urteile des Senats vom 16. November 1971 VI R 353/69, BFHE 103, 501, BStBl II 1972, 132, und vom 20. Juni 1975 VI R 72/74, BFHE 116, 41, BStBl II 1975, 649), nach der ein Lediger, der in einem möblierten Zimmer oder in einer Wohnung am Beschäftigungsort wohnt, in der Regel dort seinen Haushalt unterhält. Besitzt er eine Wohnung mit eigenen Möbeln an einem anderen Ort, so hat er dort nicht einen zweiten eigenen Haushalt, da er sich nicht gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten aufhalten kann. In einem solchen Fall ruht der verlassene Haushalt in der Zeit, in der sich der Ledige am Beschäftigungsort aufhält. Der Senat hat indessen auch bei einem Unverheirateten die Möglichkeit einer doppelten Haushaltsführung anerkannt, wenn er vor Aufnahme einer auswärtigen Beschäftigung in einem außerhalb des Beschäftigungsorts befindlichen Haushalt einen von ihm finanziell abhängigen Angehörigen aufgenommen hat, da in einem solchen Fall auch während seiner Abwesenheit von der Wohnung dort hauswirtschaftliches Leben herrscht.
Das FG konnte im Streitfall ohne Rechtsverstoß die Frage dahingestellt sein lassen, ob Verlobte zu den Angehörigen im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung gehören. Es hat die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen jedenfalls deshalb zu Recht nicht als solche einer doppelten Haushaltsführung gewürdigt, weil die Verlobte des Klägers im Hinblick auf ihr Gehalt als Studienrätin von ihm nicht finanziell abhängig war. Das FG hat hierbei zutreffend nicht auf die Leistungen von Zinsen und auf die Tilgung von Verbindlichkeiten wegen der vom Kläger und seiner Verlobten bewohnten Eigentumswohnung in B abgestellt, da der Kläger alleiniger Eigentümer dieser Wohnung ist. Seine Verlobte war also rechtlich zur (anteiligen) Tragung solcher Kosten nicht verpflichtet.
2. Das FG hat die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen auch nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zum Abzug zugelassen. Der vom FG festgestellte Sachverhalt läßt jedoch nicht erkennen, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift tatsächlich nicht erfüllt waren.
Fahrtkosten, Verpflegungsmehraufwand und Kosten einer Wohnung am Arbeitsort können von ledigen Arbeitnehmern, bei denen die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG mangels doppelter Haushaltsführung nicht gegeben sind, nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 20. Dezember 1982 VI R 64/81, BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306, und die dort erwähnte Rechtsprechung) nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG als Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn es sich von vornherein um eine vorübergehende auswärtige Beschäftigung des Arbeitnehmers für eine verhältnismäßig kurze Zeit handelt, der Arbeitnehmer voraussichtlich wieder in seine bisherige Wohnung als Lebensmittelpunkt zurückkehren wird und ihm deshalb ein Umzug an den neuen Beschäftigungsort nicht zuzumuten ist. Solche Kosten können unverheiratete Arbeitnehmer ohne doppelte Haushaltsführung gegebenenfalls auch dann geltend machen, wenn sie längerfristig oder wegen einer auf Dauer abgestellten Beschäftigung auswärts tätig sind, solange sie eine nach objektiven Maßstäben angemessene Wohnung am neuen Arbeitsort nicht haben erlangen können.
Das FG hat im Streitfall die berufliche Tätigkeit des Klägers in H im Jahr 1977 nicht als eine vorübergehende Tätigkeit von verhältnismäßig kurzer Dauer gewertet. Dem kann der Senat nicht ohne weiteres beitreten. Nach dem BFH-Urteil vom 11. März 1983 VI R 65/80 (BFHE 139, 32, BStBl II 1983, 629, Abschn. 1a der Entscheidungsgründe) kann von einer vorübergehenden auswärtigen Beschäftigung von verhältismäßig kurzer Dauer dann noch ausgegangen werden, wenn die Tätigkeit des Steuerpflichtigen von vornherein bis auf zwei Jahre begrenzt ist. Im Streitfall hat das FG keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger bei Aufnahme seiner Tätigkeit in H die Absicht hatte, nur für verhältnismäßig kurze Zeit in H zu arbeiten und ob etwa der Beschäftigungsvertrag mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft auf eine verhältnismäßig kurze Dauer zeitlich befristet war. Es fehlen auch Feststellungen des FG dazu, ob gegebenenfalls die halbjährige, am 15. Februar 1977 endende Probezeit als eine Beschäftigung von verhältnismäßig kurzer Dauer anzusehen ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, innerhalb welcher Zeit der Kläger das Probearbeitsverhältnis hätte kündigen müssen, wenn er dieses über die Probezeit hinaus nicht mehr hätte fortsetzen wollen. Im übrigen hat das FG auch keine Feststellungen getroffen, ob die Wohnung in B entsprechend dem Vorbringen des Klägers im Streitjahr 1977 der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen war.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da das FG von anderen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen ist. Der Senat verweist die Sache an das FG zurück, damit es entsprechende Feststellungen nachholt.
Sollte das FG zu dem Ergebnis kommen, daß die Voraussetzungen zum Abzug der vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen wegen Verpflegungsmehraufwands, Zimmermiete, Strom- und Flugkosten als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG für das Streitjahr 1977 oder einen Teil dieses Jahres nicht gegeben sind, weil es sich nicht um eine vorübergehende Beschäftigung von verhältnismäßig kurzer Dauer gehandelt hat, so kann der Kläger die vorgenannten Aufwendungen jedenfalls nicht deshalb begehren, weil er beim Vorliegen einer auf längere Dauer abgestellten Beschäftigung noch keine, nach objektiven Maßstäben angemessene Wohnung am neuen Arbeitsort H hat finden können. Denn auf diesen Gesichtspunkt kann der Kläger sich im Hinblick auf das Urteil des Senats in BFHE 139, 32, BStBl II 1983, 629 deshalb nicht berufen, weil es ihm von vornherein an einer Bereitschaft zum Umzug nach H gefehlt hat. Er selbst hat hierzu wiederholt vorgetragen, daß ein Umzug für ihn nach H unzumutbar gewesen sei.
Sollten die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht erfüllt sein, so muß das FG prüfen, ob die Flugkosten nicht als Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG zu berücksichtigen sind. Wie der Senat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 13. Dezember 1985 VI R 7/83 ausgeführt hat, kann ein Arbeitnehmer mit zwei Wohnungen, von denen er sich abwechselnd zu seiner Arbeitsstätte begibt, Aufwendungen für Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung ohne Rücksicht auf die Entfernung zur Arbeitsstätte und ohne Prüfung der Angemessenheit nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG als Werbungskosten geltend machen, wenn die weiter entfernt liegende Wohnung den örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers darstellt. Auf die Entscheidung wird im einzelnen Bezug genommen.
Im Streitfall hatte der Kläger zwei Wohnungen, eine in B und eine in H, von denen aus er sich abwechselnd zu seiner Arbeitsstätte bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft begab. Die Aufwendungen für Fahrten von der Wohnung in B zu der genannten Arbeitsstätte in H könnten mithin nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG in vollem Umfang berücksichtigt werden, wenn die Wohnung in B Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers im Streitjahr 1977 war. Entsprechende Feststellungen wird das FG noch nachzuholen haben. Der Umstand, daß es sich hier um Flugkosten handelt, steht der Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG nicht entgegen.
Fundstellen
Haufe-Index 60895 |
BFH/NV 1986, 211 |