Leitsatz (amtlich)

Stehen einem Steuerpflichtigen bei der Einkommensteuer-Veranlagung gleichzeitig die Steuerpräferenz nach § 1 Abs. 1 StErlG 1962 und die Vergünstigung nach § 19 Abs. 1 und 5 BHG 1962 zu, so ist die Einkommensteuer zunächst nach § 1 Abs. 1 StErlG 1962 und sodann nach § 19 Abs. 1 und 5 BHG 1962 zu kürzen. Bei der Berechnung der Höchstbetragsgrenze des § 19 Abs. 5 BHG 1962 ist von der um die Steuerpräferenz gekürzten Einkommensteuer auszugehen.

 

Normenkette

BHG 1962 § 19 Abs. 1, 5; StErlG 1962 § 1 Abs. 1, §§ 1a, 4-5, 5a, 9 Abs. 2; Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BHG und StErlG vom 26. Juli 1962 Abschn. I Art. 1 Nr. 12; Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BHG und StErlG vom 26. Juli 1962 Abschn. II Art. 2 Nr. 2 Buchst. a)

 

Tatbestand

Der Stpfl. und seine Ehefrau wohnen und arbeiten in Berlin (West). Sie gaben im Jahr 1963 ein unverzinsliches, in gleichen Jahresbeträgen zu tilgendes Darlehen von 3 400 DM mit einer Laufzeit von zehn Jahren zur Finanzierung des Wohnungsbaus in Berlin (West) und beantragen deswegen nach § 19 Abs. 1 und 5 des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) in der Fassung vom 26. Juli 1962 - BHG 1962 - (BGBl I 1962, 493, BStBl I 1962, 998) eine Ermäßigung der Einkommensteuer um 20 v. H. des Darlehens, höchstens jedoch um 50 v. H. der Einkommensteuer, die sich ohne die Ermäßigung ergeben würde.

Streitig ist, wie die Einkommensteuer zu berechnen ist, wenn diese Vergünstigung mit der Berliner Steuerpräferenz nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Steuererleichterungen und Arbeitnehmervergünstigungen in Berlin (West) in der Fassung vom 26. Juli 1962 - StErlG 1962 - (BGBl I 1962, 502, BStBl I 1962, 1007) zusammentrifft. Das FA gewährte den Stpfl. die Vergünstigungen entsprechend dem Vordruck des Einkommensteuer-Berechnungsbogens nach der folgenden Berechnung:

Zu versteuernder Einkommensbetrag 8 775 DM

Steuer nach der Bundessplittingtabelle 1 080 DM

./. Ermäßigung von 30 v. H. nach

§ 1 Abs. 1 StErlG 1962 324 DM

verbleiben 756 DM

Steuerermäßigung nach § 19 BHG 1962

(20 v. H. von 3 400 DM =) 680 DM,

jedoch höchstens 50 v. H. von 756 DM 378 DM

Einkommensteuerschuld 378 DM

Der Stpfl. hält dagegen nachstehende ihm günstigere Berechnung für richtig:

Steuer nach der Bundessplittingtabelle 1 080 DM

Ermäßigung nach § 1 Abs. 1 StErlG 1962

(wie oben) 324 DM

verbleiben (wie oben) 756 DM

Steuerermäßigung nach § 19 BHG 1962:

680 DM, höchstens jedoch 50 v. H. von 1 080 DM 540 DM

Einkommensteuerschuld 216 DM

Das FG trat im Ergebnis dem FA bei und führte aus, bei der Ermäßigung der Einkommensteuer nach § 19 Abs. 5 BHG 1962 sei von der aus der Bundessplittingtabelle sich ergebenden Steuer auszugehen. Die Steuerpräferenz sei nach der Einkommensteuer zu gewähren, die sich nach der Inanspruchnahme der Vergünstigung des § 19 Abs. 5 BHG 1962 als "veranlagte Einkommensteuer" ergebe. Das FA habe zwar die andere Reihenfolge gewählt; dies sei jedoch nicht schädlich, da das Ergebnis stets gleich sei.

Der Stpfl. rügt mit der Revision eine Verletzung des sachlichen Rechts.

Der BdF, der dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 FGO beigetreten war, hält die Auslegung des FA für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des Stpfl. ist unbegründet.

Die Vergünstigungen nach § 1 Abs. 1 StErlG 1962 und § 19 Abs. 1 und 5 BHG 1962 sollen auf verschiedene Weise die Wirtschaft in Berlin (West) fördern. Die Steuerpräferenz gewährt Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin (West) haben, eine 30 %ige Ermäßigung der "veranlagten Einkommensteuer", soweit die Einkommensteuer auf Einkünfte aus Berlin (West) entfällt. § 19 Abs. 1 und 5 BHG 1962 begünstigt dagegen alle Personen, die unverzinsliche und in gleichen Jahresbeträgen zu tilgende Darlehen mit einer Laufzeit von mindestens zehn Jahren zur Förderung des Wohnungsbaus in Berlin (West) geben. Bei solchen Steuerpflichtigen ermäßigt sich die Einkommensteuer in dem Veranlagungszeitraum, in dem das Darlehen gewährt wird, um 20 v. H. des Darlehens, höchstens jedoch um 50 v. H. der Einkommensteuer, "die sich ohne die Ermäßigung ergeben würde". Die Vergünstigung soll den Wohnungsbau in Berlin (West) fördern und den zum 31. Dezember 1961 in Berlin (West) ausgelaufenen § 7c EStG ersetzen (Deutscher Bundestag Drucksache IV/435 S. 15).

Sind die Voraussetzungen für beide Steuervergünstigungen gleichzeitig gegeben, so ist die Einkommensteuer nach der Splittingtabelle zunächst nach § 1 Abs. 1 StErlG 1962 um 30 v. H. auf die in Berlin (West) erzielten Einkünfte zu kürzen. Entgegen der Ansicht des FG kann man aus der Wortfassung dieser Bestimmung "... ermäßigt sich die veranlagte Einkommensteuer ..." nicht entnehmen, daß die Einkommensteuer vorher um die Vergünstigung nach § 19 BHG zu mindern sei. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte er den vorherigen Abzug dieser Vergünstigung zumindest auch durch die Worte: "festgesetzte", "festzusetzende" oder "zu entrichtende Einkommensteuer" zum Ausdruck bringen müssen. Aus dem Begriff "veranlagte Einkommensteuer" kann das FG jedenfalls sein Ergebnis nicht herleiten. Diese Fassung des § 1 Abs. 1 StErlG 1962 soll ebenso wie die gleiche Fassung der §§ 1a und 4 StErlG 1962 die Vorschriften über die Veranlagung der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer von der Lohnsteuerermäßigung nach §§ 5 und 5a StErlG 1962 abgrenzen. Durch die Worte "veranlagte Einkommensteuer" in §§ 1 und 1a StErlG 1962 wird zugleich deutlich gemacht, daß die Einkommensteuer zunächst einheitlich nach der Splittingtabelle zu ermitteln ist, auch wenn ein Steuerpflichtiger seine Einkünfte teilweise nicht aus Berlin (West) bezogen hat. Der nicht auf Berlin (West) entfallende Teil des Einkommens ist dann anschließend für die Berechnung der Steuerpräferenz nach § 4 Abs. 2 StErlG 1962 auszusondern. Die Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 StErlG 1962 steht dieser Auslegung nicht entgegen. Nach dieser Ermächtigungsvorschrift kann die Bundesregierung zwar mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung in den Fällen der §§ 34 und 34b EStG die außerordentlichen Einkünfte und die darauf entfallende Einkommensteuer von der Aufteilung nach § 4 Abs. 2 StErlG 1962 ausnehmen oder für die Berechnung der Ermäßigung gesondert berücksichtigen. Eine solche Ermächtigung besteht jedoch für die Vergünstigung nach § 19 BHG nicht. Entgegen der Ansicht des FG kann § 4 Abs. 3 Satz 2 StErlG 1962 auch nicht entsprechend in dem Sinn angewandt werden, daß die Vergünstigung des § 19 BHG vorab zu gewähren sei.

Ist mithin die Einkommensteuer nach der Splittingtabelle vorab um die Steuerpräferenz zu kürzen, so kann die Vergünstigung nach § 19 BHG nur auf der Grundlage der sich hiernach ergebenden Einkommensteuer berechnet werden. Hierbei ist - entgegen der Ansicht des Stpfl. - die Höchstbetragsgrenze des § 19 Abs. 5 BHG 1962 nicht von der Einkommensteuer nach der Splittingtabelle, sondern von der um die Steuerpräferenz geminderten Einkommensteuer zu berechnen. Dies ergibt sich schon aus dem Begriff "Einkommensteuer", wie er in § 19 Abs. 1 und 5 StErlG 1962 verwandt ist. Das ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Steuer, die sich nach der jeweiligen Steuertabelle ergibt. Für Steuerpflichtige, die einen Anspruch auf eine Steuerpräferenz haben, hat der BdF auf Grund der Ermächtigung in § 9 Abs. 2 StErlG 1962 besondere Einkommensteuer- und Lohnsteuertabellen herausgegeben, in denen die Steuerermäßigung eingearbeitet ist. "Einkommensteuer" im Sinne des § 19 Abs. 1 und 5 BHG 1962 kann daher für Steuerpflichtige, die in Berlin (West) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt habenund dort Einkünfte erzielen, nur die Steuer nach dieser besonderen Tabelle, also die um die Präferenz gekürzte Steuer, sein.

Diese Auslegung wird bestätigt durch die Wortfassung des § 19 Abs. 5 BHG 1962, nach der die Ermäßigung des Abs. 1 50 v. H. der Einkommensteuer nicht übersteigen darf, "die sich ohne die Ermäßigung ergeben würde". Wie der BdF mit Recht hervorhebt, kann diese Fassung nur besagen, daß die Einkommensteuer zur Feststellung der Höchstgrenze nach der Berücksichtigung aller sonst in Betracht kommenden Steuervergünstigungen zu ermitteln ist; denn sonst wäre der Nebensatz "die sich ohne die Ermäßigung ergeben würde", überflüssig. Da § 19 Abs. 5 BHG 1962 für die Steuerpräferenz nichts anderes bestimmt, ist diese Ermäßigung wie alle anderen einkommensteuerlichen Vergünstigungen vorab abzuziehen. Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber beim Erlaß des § 19 Abs. 5 BHG 1962 die Steuerpräferenz nach dem StErlG 1962 übersehen hat; denn diese Vorschrift ist in das BHG durch ein Gesetz eingefügt worden, das zugleich das StErlG änderte und insbesondere den hier maßgeblichen § 1 Abs. 1 StErlG neu faßte (vgl. Abschn. I Art. 1 Nr. 12 und Abschn. II Art. 2 Nr. 2 Buchnt. a BHG 1962 und StErlG 1962, BGBl I 1962, 481, BStBl I 1962, 986).

Es ist dem Stpfl. zuzugeben, daß der vorherige Abzug der Steuerpräferenz zu einem niedrigeren Höchstbetrag und damit zu einer geringeren Steuerermäßigung nach § 19 BHG führt. Doch dieser Nachteil widerspricht nicht erkennbar dem Willen des Gesetzgebers. Wenn die beiden Vergünstigungen auch nach Inhalt, Ziel und dem Kreis der Anspruchsberechtigten verschieden sind, so konnte der Gesetzgeber doch Höchstbeträge für die Steuerermäßigung nach § 19 Abs. 5 BHG 1962 auch dann einheitlich festsetzen, wenn sich dies für die Steuerpflichtigen, denen zugleich die Steuerpräferenz zusteht, nicht so günstig auswirkt. Hierin liegt auch keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Revision, mit der der Stpfl. die Anwendung der Splittingtabelle bei der Berechnung des Höchstbetrags begehrt, ist mithin unbegründet. Das FG hat zwar auf Grund anderer rechtlicher Erwägungen die Vergünstigungen in umgekehrter Reihenfolge berücksichtigt. Dies führt jedoch im Streitfall zu der gleichen Einkommensteuer, die auch das FA festgesetzt hat. Entgegen der Auffassung des FG kann jedoch, wie der BdF zutreffend bemerkt, die Reihenfolge in anderen Fällen von Bedeutung sein, wenn nämlich Steuerpflichtige Darlehen für den Wohnungsbau nach § 19 Abs. 1 BHG 1962 geben, die den Höchstbetrag des § 19 Abs. 5 BHG 1962 nicht übersteigen. Wie das nachstehende, vom BdF angeführte Beispiel zeigt, würde sich die Reihenfolge des FG dann für den Stpfl. ungünstig auswirken:

Beispiel:

Ein Steuerpflichtiger, für den sich vor der Berücksichtigung der Vergünstigungen nach § 19 BHG 1962 und nach § 1 StErlG 1962 eine Einkommensteuer von 5 000 DM ergibt, hat ein Darlehen im Sinn des § 19 BHG 1962 in Höhe von 4 000 DM gewährt.

Die Einkommensteuerschuld beträgt:

a) wenn zunächst § 1 StErlG 1962 und erst

dann § 19 BHG 1962 berücksichtigt wird:

Einkommensteuer vor der Berücksichti

gung der Begünstigungsvorschriften 5 000 DM

Ermäßigung von 30 v. H. nach § 1

Abs. 1 StErlG 1962 ./. 1 500 DM

bleiben 3 500 DM

Ermäßigung nach § 19 BHG 1962 (20 v. H.

von 4000 = 800 DM; die Höchstgrenze

von 50 v. H. von 3500 = 1 750 DM wird

nicht wirksam) ./. 800 DM

Einkommensteuerschuld 2 700 DM

b) wenn zunächst § 19 BHG 1962 und erst

dann § 1 StErlG berücksichtigt wird:

Einkommensteuer vor der Berücksichti-

gung der Begünstigungsvorschriften

wie zu a) 5 000 DM

Ermäßigung nach § 19 BHG 1962 ./. 800 DM

bleiben 4 200 DM

Ermäßigung von 30 v. H. nach § 1 Abs. 1

StErlG 1962 ./. 1 260 DM

Einkommensteuerschuld 2 940 DM

 

Fundstellen

Haufe-Index 425900

BStBl II 1968, 141

BFHE 1968, 447

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