Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Transportwagen der Trockenanlage eines Ziegelherstellers sind, wenn sie ohne wesentliche Veränderung aus der Trockenanlage herausgenommen und in einen anderen Nutzungszusammenhang gestellt werden können, selbständig bewertbare und selbständig nutzbare Wirtschaftsgüter im Sinn des § 6 Abs. 2 EStG.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige - Stpfl. -), eine Ziegelherstellerin, errichtete in den Jahren 1953 bis 1954 eine neue Trockenanlage in der Form eines Tunnelbaus mit zwei Kanälen. In dem Tunnelbau sind Gleise verlegt, die die Trockenanlage mit Hilfe eines anschließenden Gleis-Ringverkehrs mit der Stelle, an der die Steine gepreßt werden, und mit dem Ringofen, in dem die Steine im Anschluß an den Trocknungsvorgang in der Tunnelanlage gebrannt werden, verbinden. Die gepreßten Steine (Rohlinge) werden an der Presse auf Transportwagen verladen und auf diesen Wagen durch den Tunnelbau geschleust. Dabei werden sie mit Heißluft angeblasen und auf diese Art und Weise getrocknet. Die Transportwagen sind mit offenen Stellagen versehen, auf denen die Rohlinge lagern, so daß die Heißluft von allen Seiten an die Steine herantreten kann. Die Tunnelöffnungen sind so groß gehalten, daß in beiden Kanälen jeweils zwei Wagen nebeneinander laufen können. Der Durchschleusungsvorgang durch den Trockentunnel dauert etwa 36 Stunden. Im Anschluß daran werden die getrockneten Steine zum Brennen in den Ringofen gefahren und dort eingesetzt. Der Trockentunnel faßt ungefähr 108 Wagen und wird ständig nachgefüllt, sobald Wagen mit getrockneten Steinen den Tunnel verlassen. Die insgesamt vorhandenen 160 Wagen befinden sich in einem ständigen Kreislauf, der durch ein entsprechendes Gleisnetz bestimmt ist und sich ausschließlich in zwei zusammenhängenden Gebäuden (Ringofen- und Trockentunnelgebäude) vollzieht. Ein Teil der Wagen befindet sich im Trockentunnel, ein Teil wird an der Presse beladen und ein anderer Teil befindet sich am Ringofen. Von dort aus werden die leeren Wagen wieder zum Beladen an die Presse gefahren.

Während die Stpfl. die bei der Errichtung der Trockenanlage angeschafften 100 Transportwagen aktiviert hatte, wurden die im Streitjahr 1955 angeschafften und demselben Zweck dienenden weiteren 60 Transportwagen (Einzelpreis 283 DM) gemäß § 6 Abs. 2 EStG 1955 sofort abgeschrieben.

Der Betriebsprüfer und der Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA -) aktivierten die Anschaffungskosten in Höhe von 16 980 DM, da nach ihrer Ansicht die in 1955 erworbenen Wagen zusammen mit den bereits vorhandenen und der Trockenanlage eine wirtschaftliche Einheit bilden.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ist zu dem Ergebnis gekommen, daß bei Anwendung der Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) I 286/56 S vom 16. Dezember 1958 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 68 S. 198 - BFH 68, 198 -, BStBl III 1959, 77), aber auch nach der alten Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs - RFH - (Urteil VI 77/43 vom 28. Juli 1943, RStBl 1943, 743) und des BFH (Urteil IV 360/53 U vom 19. November 1953, BFH 58, 271, BStBl III 1954, 18) die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG für die Transportwagen nicht in Betracht komme.

Dagegen wendet sich die Rb. (Revision) der Stpfl. Die Stpfl. ist der Ansicht, das Urteil I 286/56 S, a. a. O., sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, denn eine feste Verbindung von Transportwagen, Gleisen und Tunnel liege nicht vor. Die einzelnen Transportwagen seien lediglich an den Schienenweg gebunden. Die Wagen seien nicht aufeinander abgestimmt. Auch würde es zu weit führen, wenn man der Trockenanlage die selbständige Nutzungsfähigkeit ohne Transportwagen absprechen wollte.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Nach § 6 Abs. 2 EStG 1955 können Steuerpflichtige, die den Gewinn auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, die Anschaffungs- oder Herstellungskosten von beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die der Abnutzung unterliegen und die einer selbständigen Bewertung und Nutzung fähig sind, im Jahr der Anschaffung oder Herstellung in voller Höhe als Betriebsausgaben absetzen, wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten für das einzelne Wirtschaftsgut 600 DM nicht übersteigen.

Diese Voraussetzungen sind bei den 60 Transportwagen, die die Stpfl. im Streitjahr angeschafft hat, erfüllt.

Das Gesetz fordert neben anderen Merkmalen, die hier nicht streitig sind, daß die Wirtschaftsgüter einer selbständigen Bewertung und Nutzung fähig sind. Es genügt nicht, daß es sich nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung um ein selbständig bewertbares Wirtschaftsgut handelt, was unter der Herrschaft des früheren Rechts nach den Urteilen des RFH VI 389/38 vom 28. September 1938 (RStBl 1939, 84) und I 394/39 vom 28. November 1939 (RStBl 1940, 31) noch als allein entscheidend anzusehen gewesen sein mochte. Hinzukommen muß vielmehr, wie der RFH später für das damalige Recht entschieden hat (Urteil VI 77/43, a. a. O.), daß das Wirtschaftsgut auch selbständig nutzbar ist (BFH-Urteil I 286/56 S, a. a. O.). Angesichts des klaren Wortlauts des Gesetzes ist es nicht möglich, die Vorschrift so zu lesen, als ob dieses weitere Erfordernis nicht aufgestellt wäre, worauf im Ergebnis die Ausführungen von Flume (Der Betrieb - DB - 1960 S. 392) hinauslaufen. Es erscheint dem Senat auch nicht zulässig, die Voraussetzung der selbständigen Nutzbarkeit lediglich in dem eingeschränkten Sinn auszulegen, in dem sie der RFH in dem angeführten Urteil VI 77/43 möglicherweise verstanden hat, und die selbständige Nutzbarkeit nur dann zu verneinen, wenn es sich um Gegenstände handelt, die zwar zur Zeit noch Wirtschaftsgüter sind, die aber künftig Bestandteile eines anderen Wirtschaftsguts werden, wie die in dem Urteil des RFH VI 77/43, a. a. O., behandelten Maschinenersatzteile und Reparaturmaterialien (Thiel, DB 1959 S. 897 (899)). Für die Auslegung des Gesetzes ist der in der Vorschrift objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend. Nur wenn der Wille des Gesetzgebers, die bisherige Rechtsprechung oder gar nur eine bestimmte Entscheidung mit all ihren auf den Einzelfall abgestellten Erwägungen zum Gesetz zu erheben, in irgendeiner Form im Gesetz selbst zum Ausdruck gekommen ist, kann darin eine gesetzliche Bestätigung dieser Rechtsprechung erblickt werden (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 11/59, 11/60 vom 17. Mai 1960, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 11, 126; BFH- Urteil I 276/61 S vom 3. Juli 1963, BFH 77, 394, BStBl III 1963, 464).

Im Streitfall kann nicht bezweifelt werden, daß die 60 Transportwagen selbständig bewertbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens sind, die der Abnutzung unterliegen. Die tatsächlichen Feststellungen des FG rechtfertigen aber auch den Schluß, daß die Transportwagen selbständig nutzbar sind. Die Gründe, mit denen das FG die selbständige Nutzbarkeit verneint hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Tatsache, daß die Wagen nach einem bestimmten Plan auf einer Gleisanlage rollen, stellt eine zu schwache Verbindung mit der gesamten Trockenanlage her, um ihnen die Fähigkeit zu nehmen, auch auf andere Weise dem Betrieb zu dienen. Es ist nicht festgestellt, daß die Transportwagen technisch so auf die Trockenanlage abgestimmt sind, daß sie für andere Zwecke nicht verwendet werden könnten. Die offenen Stellagen der Transportwagen sind keine besondere Eigenschaft, die ausschließlich auf die Trockenanlage zugeschnitten und nur im Zusammenhang mit ihr brauchbar wäre. Eine offene Ladefläche kann den verschiedensten Zwecken dienen und ist daher bei vielen Arten von Rollwagen anzutreffen. Daß die Tunnelöffnungen gerade so breit sind, um für die Aufnahme von jeweils zwei Transportwagen nebeneinander Platz zu bieten, ist ein Gebot der technischen Vernunft und nimmt den Transportwagen ebenfalls nicht die Fähigkeit, anderweit eingesetzt zu werden. Viele Wirtschaftsgüter eines Betriebs sind ihrem Zweck entsprechend technisch und organisch aufeinander abgestimmt, ohne daß sie dadurch allein ihre Eigenschaft als selbständig nutzbare Wirtschaftsgüter verlieren (BFH-Urteil I 201/62 U vom 27. März 1963, BFH 76, 837, BStBl III 1963, 304). Hinzukommen muß nach Auffassung des Senats, daß der Gegenstand, über dessen Abschreibung nach § 6 Abs. 2 EStG zu befinden ist, ohne Veränderung seiner Gestalt nur im Zusammenhang mit bestimmten anderen Gegenständen seiner allgemeinen Bestimmung gemäß genutzt werden kann (BFH-Urteil IV 76/57 vom 20. November 1958, DB 1959 S. 306). Dies ist bei den streitigen Transportwagen nicht der Fall. Sie können, ohne daß sie wesentlich verändert werden müssen, aus der Trockenanlage herausgenommen und in einen anderen Nutzungszusammenhang gestellt werden.

Die 60 Transportwagen können somit im Streitjahr voll abgeschrieben werden.

 

Fundstellen

BStBl III 1966, 692

BFHE 1966, 799

BFHE 86, 799

BB 1966, 1380

StRK, EStG:6/2 R 24

BFH-N, Nr. 2 zu

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