Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerberichtigung nach Fehlbeurteilung der Verwendungsumsätze

 

Leitsatz (NV)

Eine Änderung der für eine Vorsteuerberichtigung maßgebenden Verhältnisse kann auch dadurch eintreten, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist, sofern die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist.

 

Normenkette

UStG 1980 § 15a

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) vermieteten ihr im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft errichtetes Reihenhaus in E ab April 1985 an einen gewerblichen Zwischenvermieter. Die Kläger hatten auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze verzichtet und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über die Herstellung des Reihenhauses ab 1983 geltend gemacht. Ab 1. Juli 1987 vermieteten sie ihr Reihenhaus an einen anderen Zwischenvermieter. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte den Verzicht auf die Steuerbefreiung der Vermietung an den neuen Zwischenvermieter wegen Gestaltungsmißbrauchs im Hinblick darauf nicht mehr an, daß sich seine Miete bei Mietausfällen im Rahmen der Endvermietung vermindern sollte.

In Steueränderungsbescheiden für 1987 (nach §164 Abs. 2 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) und für 1988 (nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) berücksichtigte das FA Vorsteuerberichtigungsansprüche nach §15 a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980), weil sich die Verhältnisse für den Vorsteuerabzug wegen des neuen Zwischenvermieters geändert hätten.

Den Einspruch wies das FA zurück. Auf die Klage änderte das Finanzgericht (FG) die angefochtenen Steuerfestsetzungen antragsgemäß, nachdem die Kläger zuvor die während des finanzgerichtlichen Verfahrens erneut geänderten Steuerfestsetzungen zum Gegenstand des Verfahrens erklärt hatten. In den erneut geänderten Steuerfestsetzungen setzte das FA keine Steueransprüche nach §14 Abs. 2 und 3 UStG 1980 mehr fest.

Das FG hielt die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung nach §15 a UStG 1980 für nicht gegeben. Den Klägern hätte der Vorsteuerabzug für die Wohnung nicht gewährt werden dürfen, führte das FG zur Begründung u. a. aus, weil wirtschaftliche Gründe für eine Zwischenvermietung von Anfang an nicht bestanden hätten und die Vermietung an einen gewerblichen Zwischenvermieter als Umgehung (§42 AO 1977) des Vorsteuerabzugsausschlusses bei steuerfreien Grundstücksvermietungen (§15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. §4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) nicht hätte anerkannt werden dürfen. An diesen Verhältnissen habe sich in den Streitjahren nichts geändert. Das FA dürfe die Steuerfestsetzung des Erstjahres ändern, aber nur soweit dies abgabenrechtlich noch möglich sei.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung sachlichen Rechts. Das FG habe §15 a UStG 1980 unrichtig angewendet. Die Änderung der Verhältnisse sei in den Streitjahren aufgrund eines anderen Mietvertrages als im Erstjahr eingetreten. Eine tatsächliche Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, die zur Vorsteuerberichtigung verpflichte, liege nicht nur vor, wenn das Zwischenmietverhältnis nicht fortgeführt werde, sondern auch, wenn es aufgrund eines geänderten Mietvertrages durchgeführt werde. Es genüge für die Vorsteuerberichtigung, wenn die für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse im Berichtigungsjahr anders als im Erstjahr beurteilt werden müßten. Bei einem Unternehmer, dem der Vorsteuerabzug rechtsfehlerhaft zu Unrecht gewährt worden sei, sei eine Vorsteuerberichtigung eher geboten als bei einer Gesetzesänderung.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger sind der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Vorentscheidung entspricht nicht der Auslegung des §15 a UStG 1980 durch den Bundesfinanzhof (BFH).

1. Nach §15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern. Mit den im Erstjahr für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände gemeint, unter denen der Unternehmer mit dem bezeichneten Wirtschaftsgut die Umsätze ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß §15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts im Abzugsjahr ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).

2. Die Verhältnisse ändern sich i. S. von §15 a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sein.

a) Der Senat hat mit den Urteilen vom 16. Dezember 1993 V R 65/92 (BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485), V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) und V R 24/93 (BFH/NV 1995, 448), vom 27. Januar 1994 V R 31/91 (BFHE 173, 463, BStBl II 1994, 488) sowie vom 17. Februar 1994 V R 44/92 (BFH/NV 1995, 352) entschieden, die Änderung der "maßgebenden Verhältnisse" könne auch dadurch eintreten, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Voraussetzung ist aber, daß die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Der Senat hat der rechtlichen Beurteilung für die Vorsteuerberichtigung nach §15 a Abs. 1 UStG 1980 insoweit dieselbe Wirkung wie bei einer Gesetzesänderung zuerkannt (vgl. dazu BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983; vgl. Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, §15 a Rz. 48). Dieser Rechtsprechung des Senats hat sich der XI. Senat in dem Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BStBl II 1997, 370) angeschlossen. Darauf nimmt der erkennende Senat Bezug.

b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dargelegte Auslegung des §15 a UStG 1980 bestehen nicht. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil in BFH/NV 1995, 444 ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 9. August 1994 1 BvR 592/94).

c) Entscheidungserhebliche Zweifelsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegt werden müßten, stellen sich im Streitfall nicht, weil Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) die Berichtigung des Vorsteuerabzugs "nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten" vorsieht, diesen somit einen Freiraum bei der Umsetzung der Richtliniengrundsätze (Art. 20 Abs. 1 vor Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG) vorbehält. Damit handelt es sich nicht um eine Richtlinienbestimmung, der Anwendungsvorrang zukommen könnte; denn sie ist nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau und läßt dem Mitgliedstaat für die Umsetzung in nationales Recht einen Ermessensspielraum (vgl. ständige Rechtsprechung des EuGH, z. B. Urteile vom 17. September 1996 Rs. C-246- 249/94 -- Cooperativa Agricola Zootecnica, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1997, 126; vom 26. Februar 1986 Rs. 152/82 -- Marshall, Slg. 1986, 723, Neue Juristische Wochenschrift 1986, 2178).

3. Der Senat kann im Streitfall nicht abschließend entscheiden. Das FG hat aufgrund seines Rechtsstandpunkts keine Feststellungen zur Änderbarkeit der Steuerfestsetzungen für die Abzugsjahre getroffen. Er verweist die Sache deshalb an das FG zurück.

Unabänderbarkeit ist gegeben, wenn bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr, in der der Steuerberichtigungsbetrag nach § 15 a UStG 1980 berücksichtigt worden ist, keine Gründe (z. B. nach §§172 ff. AO 1977) für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr vorliegen. Wenn die erstmalige tatsächliche Verwendung (Vermietung der Objekte) nicht im Abzugsjahr, sondern in dem späteren Erstjahr erfolgt, ist für die Änderbarkeit der Steuerfestsetzung des Abzugsjahres §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II. 2.) handelt es sich bei der erstmaligen tatsächlichen Verwendung um ein auf das Abzugsjahr zurückwirkendes Ereignis. In diesem Fall beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt (§175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 225

HFR 1998, 220

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