Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Revisionsbegründung; zum Verpflegungsmehraufwand bei Dienstreisen eines angestellten Handelsvertreters
Leitsatz (NV)
1. Die Revisionsbegründung muß erkennen lassen, daß der Revisionskläger sein bisheriges Vorbringen anhand der Gründe des finanzgerichtlichen Urteils überprüft hat.
2. Die Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen sind grundsätzlich auch von den Finanzgerichten zu beachten. Von der Annahme einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung dabei ist zurückhaltend Gebrauch zu machen (Bestätigung von BFHE 145, 181, BStBl II 1986, 200).
3. Das häusliche Arbeitszimmer (Büro) als regelmäßige Arbeitsstätte eines angestellten Handelsvertreters.
Normenkette
FGO § 120; EStG § 9 Abs. 1 S. 1; LStR 1978 Abschn. 25 Abs. 6
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Außendienstmitarbeiter nichtselbständiger Handelsvertreter. Er bereiste im Streitjahr arbeitstäglich einen Bezirk, der den Landkreis A, einen Teil des Stadtkreises B und einen Teil von C umfaßt. Seine Bruttobezüge von 75 000 DM setzten sich aus einem monatlichen Grundgehalt von . . . DM und Umsatzprovisionen zusammen. Die Klägerin, seine Ehefrau, erhielt dafür, daß sie den Kläger bei dem im häuslichen Arbeitszimmer verrichteten Innendienst unterstützte, Arbeitslohn.
In seiner Einkommensteuererklärung für 1980 machte der Kläger Mehraufwendungen für Verpflegung in Höhe von 6 330 DM als Werbungskosten geltend. Er legte eine Arbeitgeberbestätigung vor, nach der er - ohne Spesenersatz - an 59 Tagen mehr als 12 Stunden und an 166 Tagen zwischen 10 und 12 Stunden von seiner Wohnung abwesend gewesen sei, so daß sich der genannte Werbungskostenbetrag von (59 x 33 DM + 166 x 26,40 DM =) 6 330 DM ergebe. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) verneinte bei der Zusammenveranlagung der Kläger das Vorliegen von Dienstreisen und schätzte die beruflich veranlaßten Verpflegungsmehraufwendungen in Anlehnung an die Pauschbetragsregelung des Abschn. 22 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1981 auf 2 272 DM (59 x 16 DM + 166 x 8 DM). Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus:
Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, daß Mehrverpflegungsaufwendungen in Höhe der Pauschbeträge des Abschn. 25 Abs. 6 Nr. 3 Buchst. a, aa LStR 1978 als Werbungskosten anerkannt würden. Allerdings lägen begrifflich Dienstreisen vor. Die Auffassung des FA, der Kläger habe keine regelmäßige Arbeitsstätte, entspreche nicht der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Denn bei angestellten Handelsvertretern habe man als regelmäßige Arbeitsstätte stets den Ort angesehen, an dem der Innendienst verrichtet werde; das sei im Streitfall das häusliche Arbeitszimmer (Büro) des Klägers gewesen.
Die Anwendung der Pauschbeträge scheide jedoch aus, weil sie zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde. Mangels Bekanntgabe der Schätzungsgrundlagen sei schon nicht erkennbar, ob und ggf. welche ,,typischen" Dienstreisen, die am selben Kalendertag begonnen und beendet würden, bei einer Haushaltsersparnis von maximal 6 DM je Reisetag ,,notwendige" Verpflegungsmehraufwendungen in ungefährer Höhe der Regelsätze des Abschn. 25 Abs. 6 Nr. 3 Buchst. a, aa LStR 1978 mit sich bringen sollten. Den Pauschbeträgen komme deshalb keine Überzeugungskraft zu. Der BFH habe sich der Kritik, die von ihm bedenkenlos sanktionierten Pauschbeträge entsprächen nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, bisher nicht gestellt. Jedenfalls wiesen arbeitstägliche Dienstreisen der hier streitigen Art so gewichtige Besonderheiten auf, daß die Schätzung auch nur annähernd so hoher (notwendiger) Verpflegungsmehraufwendungen, wie sie die fragliche Pauschbetragsregelung für den Normalfall unterstelle, nicht vertretbar sei. Denn bei Außendienstmitarbeitern ohne regelmäßige Arbeitsstätte würden bei mehr als zehnstündiger Abwesenheit Verpflegungsmehraufwendungen auf 5 DM täglich geschätzt. Weshalb Außendienstmitarbeiter mit regelmäßiger Arbeitsstätte bei wirtschaftlich gleichgelagertem Sachverhalt wesentlich höhere Verpflegungsmehraufwendungen benötigen sollten, sei unerfindlich.
Dem Kläger seien auch deshalb keine notwendigen Verpflegungsmehraufwendungen erwachsen, weil er ausweislich der für die Monate November 1981 bis Februar 1982 aufgezeichneten, nach seinen Angaben auch für das Streitjahr 1980 repräsentativen Abfahrt- und Rückkehrzeiten in aller Regel - selbst bei mehr als 12stündiger Abwesenheit - jeweils die erste und letzte Mahlzeit zu Hause habe einnehmen können. Wer, wie der Kläger, ständig Dienstreisen in einem Umkreis von höchstens 40 km unternehme und über seine Arbeitszeit weitgehend selbst bestimme, sei auch tagsüber eher in der Lage, seinen Lebenszuschnitt den beruflichen Erfordernissen anzupassen und von preisgünstigen Verpflegungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen als eine Vielzahl am Betriebssitz ihres Arbeitsgebers beschäftigter Arbeitnehmer, bei denen Verpflegungsmehraufwendungen in einer Gaststätte grundsätzlich nicht als Werbungskosten anerkannt würden.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und Nichtbeachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Zur Begründung führen sie im wesentlichen aus:
Der Kläger sei seit Jahren Außendienstmitarbeiter derselben Firma; seine Steuererklärungen bearbeite er selbst. Bis zum Einkommensteuerbescheid 1979 seien - jeweils nach einer eingereichten Bestätigung seines Arbeitgebers über die Abwesenheitszeiten - Jahr für Jahr Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe der Pauschbeträge nach den LStR anerkannt worden. Erstmals im Einspruchsverfahren 1979 sei er vom FA darauf hingewiesen worden, daß Voraussetzung für die Gewährung der Pauschbeträge Dienstreisen seien; da er am Betriebssitz keine feste Arbeitsstätte habe, führe er keine Dienstreisen aus, so daß ihm die Pauschbeträge nicht gewährt werden könnten. Allerdings sei dem Kläger ein beruflich veranlaßter Verpflegungsmehraufwand entstanden. Das FA beabsichtige deshalb, diesen Verpflegungsmehraufwand in sinngemäßer Anwendung des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 29. Juni 1979 (BStBl I, 374), das zu Mehraufwendungen von Kraftfahrern im Fernverkehr ergangen sei, zu berücksichtigen. Entsprechend sei das FA auch im Streitjahr 1980 verfahren. Bei allen weiteren mündlichen und schriftlichen Verhandlungen mit dem FA sei es nur darum gegangen, ob der Kläger eine regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne der LStR habe und Dienstreisen ausführe. Dabei habe festgestanden, daß er am Sitz seines Arbeitgebers keinen Arbeitsplatz gehabt habe. Zu klären sei deshalb lediglich gewesen, ob sein - vom FA anerkanntes - Arbeitszimmer seine regelmäßige Arbeitsstätte gewesen sei. Diese Frage habe das FA in der Einspruchsentscheidung verneint. Das FG habe demgegenüber das häusliche Arbeitszimmer als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen und Dienstreisen begrifflich bejaht. Damit habe es sich nicht nur in Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH gesetzt, sondern auch nicht beachtet, daß der Steuerpflichtige, wenn die Verwaltung aus Vereinfachungsgründen Werbungskostenpauschbeträge festsetze, einen Rechtsanspruch auf deren Anwendung habe. Es könne nicht Aufgabe eines FG sein, die Versteuerung über diese Maßstäbe hinaus zu verschärfen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn, wie hier, in tatsächlicher Hinsicht keine besonderen Umstände vorlägen. Im übrigen habe das FA auch nicht gebührend gewürdigt, daß dem Kläger bis zum Einkommensteuerbescheid 1979 die streitigen Pauschbeträge gewährt worden seien und die Parteien seit dem Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 1979 nur darüber gestritten hätten, ob eine regelmäßige Arbeitsstätte vorgelegen habe. Das FG hätte deshalb zu der Auffassung gelangen müssen, daß der Kläger keinerlei Veranlassung hatte, für das Jahr 1980 Belege zu sammeln.
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und unter Abänderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides in der Form der Einspruchsentscheidung Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von insgesamt 6 330 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, und hilfsweise, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, die Revisionskläger hätten sich mit den Urteilsgründen des finanzgerichtlichen Urteils nicht ausreichend auseinandergesetzt, sondern ganz überwiegend nur Sachverhalt und Prozeßgeschehen wiedergegeben.
In sachlicher Hinsicht werde daran festgehalten, daß der Kläger keine Dienstreisen unternommen habe, so daß schon aus diesem Grunde die Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen nicht anzuwenden seien. Im übrigen seien aber auch die Ausführungen des FG, daß es keinen rechtfertigenden Gesichtspunkt für die unterschiedliche Höhe der Pauschbeträge bei Außendienstmitarbeitern mit oder ohne regelmäßige Arbeitsstätte gebe, zutreffend.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig. Insbesondere ist sie ausreichend gemäß § 120 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet.
Richtig ist, daß die Revisionsbegründung - neben einem bestimmten Antrag und der Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm - eine sachliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der Vorentscheidung enthalten muß. Sie muß erkennen lassen, daß der Revisionskläger anhand der Gründe des finanzgerichtlichen Urteils sein bisheriges Vorbringen überprüft hat (Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 120 FGO Tz. 54; Gräber/Ruban, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 120 Anm. 32; jeweils mit weiteren Nachweisen). Diesen Anforderungen genügt aber die vorliegende Revisionsbegründung. Denn die Beschäftigung mit den Gründen der Vorentscheidung geht aus ihr schon deshalb hervor, weil die Kläger - im Hinblick auf die völlig andere Begründung des FG gegenüber der des FA - eine Abweichung von der Rechtsprechung des BFH rügen. Hierzu führen die Kläger ferner aus, daß das FG das Wesen der Pauschbetragsregelungen der Finanzverwaltung verkannt habe.
Es trifft auch nicht zu, daß die Kläger ganz überwiegend nur Sachverhalt und Prozeßgeschehen dargestellt hätten. Soweit sie nämlich Tatsachen zum Gang des Verfahrens wiedergeben, soll dies ersichtlich dazu dienen, die von ihnen erhobene Rüge, der Grundsatz von Treu und Glauben sei nicht beachtet worden, zu belegen.
2. Die Revision ist auch begründet.
In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ist das FG zunächst davon ausgegangen, daß der Kläger seine regelmäßige Arbeitsstätte in seinem häuslichen Arbeitszimmer (Büro) hatte und deshalb Dienstreisen durchgeführt hat, wenn er bei seinen Außendienstfahrten in einer Entfernung von mindestens 15 km von seinem Büro tätig geworden ist. Das FG hat festgestellt, daß der Kläger seinen ,,Innendienst" in seinem Büro verrichtete. Zugleich ist es stillschweigend davon ausgegangen, daß der Innendienst einen Teil der vom Kläger nach dem Dienstvertrag geschuldeten Leistungen umfaßte. Hierbei handelt es sich um eine auf tatsächlichem Gebiet liegende Feststellung, an die der Senat mangels zulässiger und begründeter Rügen gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist. Auch entspricht es höchstrichterlicher Rechtsprechung, den Raum, in dem ein angestellter Handelsvertreter einen derartigen Innendienst verrichtet, als seine regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen (BFH-Urteile vom 5. November 1971 VI R 184/69, BFHE 103, 493, BStBl II 1972, 130 und vom 23. April 1982 VI R 30/80, BFHE 135, 515, BStBl II 1982, 500).
Zu Unrecht hat das FG jedoch die Pauschbetragsregelung der LStR für Verpflegungsmehraufwendungen bei Dienstreisen nicht angewandt. Wie der Senat in seinem nach der Vorentscheidung ergangenen Urteil vom 25. Oktober 1985 VI R 15/81 (BFHE 145, 181, BStBl II 1986, 200) in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, ist die Pauschbetragsregelung der LStR grundsätzlich auch von den FG zu beachten. Der Senat hat dies mit der nach außen hin publizierten Selbstbindung der Verwaltung und dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gerechtfertigt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen in BFHE 145, 181, BStBl II 1986, 200 verwiesen.
Das FG konnte sich für seine Entscheidung auch nicht zu Recht darauf berufen, daß eine Anwendung der Pauschbetragsregelung für Verpflegungsmehraufwendungen bei Dienstreisen im vorliegenden Fall zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde. Wie der BFH bereits im Urteil vom 2. April 1982 VI R 48/80 (BFHE 135, 509, BStBl II 1982, 498) entschieden hat, kann nämlich die Annahme einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung nicht allein damit begründet werden, daß der Arbeitnehmer in regelmäßiger Wiederkehr dieselben Zielorte anfahre und deshalb die Möglichkeiten zu preisgünstiger Verpflegung kenne und nutzen könne. Der BFH hat ferner (Urteil in BFHE 135, 515, BStBl II 1982, 500) bereits entschieden, daß die Anwendung der in den LStR vorgesehenen Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen bei eintägigen Dienstreisen in der Regel auch dann zu keiner offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt, wenn es sich überwiegend um Fahrten in ein nur wenige Gemeinden umfassendes Gebiet in der Umgebung des Ortes handelt, in dem der Arbeitnehmer seine regelmäßige Arbeitsstätte hat. Diese Rechtsprechung ist in der erwähnten Entscheidung in BFHE 145, 181, BStBl II 1986, 200 bekräftigt worden. Der BFH hat dort ausgeführt, daß von der Annahme einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung - dem Vereinfachungszweck der Pauschbetragsregelung entsprechend - zurückhaltend Gebrauch zu machen sei; insbesondere könne sie - von dem Fall einer verbilligten Gemeinschaftsverpflegung abgesehen - nicht mit dem Bestehen verbilligter Eßgelegenheiten begründet werden. Vielmehr sei eine derartige Annahme hauptsächlich nur dann gerechtfertigt, wenn bei umfangreicher Reisetätigkeit infolge der Anwendung der Pauschbeträge unverhältnismäßig geringe Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit verbleiben würden. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auch insoweit auf die Ausführungen in BFHE 145, 181, BStBl II 1986, 200 Bezug genommen.
Danach sind im vorliegenden Streitfall keine Anhaltspunkte ersichtlich, die die Besorgnis rechtfertigen würden, bei Anwendung der Pauschbetragsregelung würde es zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung kommen.
3. Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, da das FG keine Feststellungen zum Umfang der vom Kläger geltend gemachten Dienstreisen getroffen hat. Die Sache ist deshalb gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen