Entscheidungsstichwort (Thema)

Schuldenabzug bei inländischer Betriebsstätte

 

Leitsatz (NV)

Bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der inländischen Betriebsstätte eines im Ausland ansässigen Unternehmens (Stammhaus) ist die Frage, inwieweit ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der inländischen Betriebsstätte und dem Stammhaus besteht, grundsätzlich nach der sog. direkten Methode zu entscheiden. Danach können nur die durch die inländische Betriebstätte selbst aufgenommenen Fremdmittel sowie die vom Stammhaus für die Betriebsstätte aufgenommenen und an diese weitergeleiteten Darlehen als Schulden abgezogen werden. Die Finanzausstattung der inländischen Betriebstätte durch das Stammhaus kann weder ganz noch teilweise als Schuld berücksichtigt werden, sondern ist dem Eigenkapital der inländischen Betriebstätte zuzurechnen.

 

Normenkette

BewG § 121 Abs. 2 Nr. 3, § 103 Abs. 1; DBA BEL; EWGV Art. 7 (jetzt Art. 6); EWGV Art. 52; EWGVtr Art. 58

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine belgische Kapitalgesellschaft, die im Inland lediglich eine Betriebstätte unterhält. Für diese erstellt sie Jahresabschlüsse. Das vom Kalenderjahr abweichende Wirtschaftsjahr beginnt am 1. November und endet am 31. Oktober.

Der Geschäftsverkehr mit der belgischen Zentrale wird über Kontokorrentkonten abgewickelt, deren Saldo vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) bei der Feststellung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1973 als Verbindlichkeit berücksichtigt wurde. Daneben wird ein besonderes Verrechnungskonto geführt, auf dem lt. Bilanz zum 31. Oktober 1972 u.a.eine Mittelzuführung durch die belgische Zentrale in Höhe von ... DM sowie der bei der inländischen Betriebstätte entstandene Gewinn 1971/1972 ausgewiesen wurden. Nach den Feststellungen des Betriebsprüfers betrug der Passivsaldo dieses Verrechnungskontos (auf den 31. Oktober 1972) ... DM. Dieser Saldo wurde vom FA in vollem Umfang zum Eigenkapital der Klägerin gerechnet. Dementsprechend stellte das FA den Einheitswert des inländischen Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1973 nach dem Ergebnis der Außenprüfung auf ... DM fest.

Nach erfolgslosem Einspruch begehrte die Klägerin mit ihrer Klage, den Einheitswert unter Berücksichtigung des Verhältnisses von Eigenkapital und Fremdkapital des Gesamtunternehmens auf ... DM festzustellen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 221 veröffentlichten Urteil abgewiesen.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Einheitswert auf ... DM herabzusetzen.

Die Klägerin macht außerdem geltend, daß die Ablehnung des von ihr begehrten Schuldenabzugs zu einer Abweichung von der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. Juli 1988 I R 49/84 (BFHE 154, 465, BStBl II 1989, 140) führe, denn § 103 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) und § 50 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) stimmten bezüglich der Frage des wirtschaftlichen Zusammenhangs wörtlich überein. Die Voraussetzungen nach § 11 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für eine Vorlage an den Großen Senat seien daher erfüllt.

Darüber hinaus stelle die Versagung des Abzugs der anteiligen Verbindlichkeiten der Zentrale bei der Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der inländischen Zweigniederlassung eine nach Art. 52 und 58 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) verbotene Diskriminierung dar. Die Klägerin beantragt deshalb hilfsweise, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 177 EWGV vorzulegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Dies bedarf keiner weiteren Begründung (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -).

2. Das FG hat zutreffend entschieden, daß der Saldo des Verrechnungskontos, der aus dem Betriebstättengewinn und aus der Mittelzuführung durch das Stammhaus resultiert, insgesamt als Eigenkapital der inländischen Betriebstätte anzusehen ist.

a) Die Klägerin unterliegt als im Ausland ansässige Körperschaft der beschränkten Vermögensteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 des Vermögensteuergesetzes - VStG -), die sich auf das inländische Betriebsvermögen nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 BewG erstreckt. Die beschränkte Vermögensteuerpflicht der Klägerin wird durch das deutsch-belgische Doppelbesteuerungsabkommen (DBA-Belgien) vom 11. April 1967 (BGBl II 1969, 17) nicht eingeschränkt.

Die Frage, inwieweit Vermögen der inländischen Betriebstätte dient (§ 121 Abs. 2 Nr. 3 BewG) und inwieweit ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der inländischen Betriebstätte und den Schulden der Klägerin besteht (§ 103 Abs. 1 BewG), ist grundsätzlich nach der sog. direkten Methode zu entscheiden (vgl. z.B. Urteile vom 21. Januar 1972 III R 57/71, BFHE 104, 471, BStBl II 1972, 374, 375, rechte Spalte; vom 25. Juni 1986 II R 213/83, BFHE 147, 264, BStBl II 1986, 785, 786, und vom 29. Juli 1992 II R 39/89, BFHE 168, 431, BStBl II 1993, 63). Dabei ist die Betriebstätte als wirtschaftlich - nicht rechtlich - selbständige Einheit zu behandeln (vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 147, 264, BStBl II 1986, 785, 786, rechte Spalte) und das Betriebsvermögen dieser Einheit auf der Basis ihrer Rechnungslegung zu ermitteln (vgl. Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebstätten von Steuerausländern 1982, S. 241). Daraus folgt, daß die von der Betriebstätte für ihre eigenen Zwecke aufgenommenen Fremdmittel (Außentransaktionen) als Schulden abgezogen werden dürfen. Ebenso ist der Verrechnungssaldo abzuziehen, der sich aus dem laufenden Geschäftsbetrieb zugunsten der Zentrale und anderer Zweigstellen (Betriebstätten) ergibt (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 27. Juli 1965 I 110/63 S, BFHE 84, 69, BStBl III 1966, 24, 27, linke Spalte, sowie in BFHE 104, 471, 474, BStBl II 1972, 374 und in BFHE 147, 264, BStBl II 1986, 785, 786). Die Betrachtung der inländischen Betriebstätte als wirtschaftlich selbständige Einheit hat jedoch nicht zur Folge, daß die Finanzausstattung der inländischen Betriebstätte durch die Zentrale ganz oder teilweise als Schuld zu berücksichtigen ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die Zentrale die inländische Betriebstätte mit Eigenmitteln oder mit weitergeleitetem Fremdkapital ausgestattet hat.

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Streitfall ist der in der Buchführung der inländischen Betriebstätte ausgewiesene Verrechnungssaldo, der sich aus dem Betriebstättengewinn und aus der vom Stammhaus intern zugeführten Finanzausstattung ergibt, insgesamt dem Eigenkapital der inländischen Betriebstätte zuzurechnen.

Ausgangspunkt für die Ermittlung des am 1. Januar 1973 anzusetzenden Betriebsvermögens ist nach der auch im Streitfall anzuwendenden direkten Methode der von der Klägerin erstellte Jahresabschluß zum 31. Oktober 1972. In der Schlußbilanz zum streitigen Stichtag ist ein Bilanzposten Verrechnungskonto ausgewiesen, dessen Saldo u.a. den bei der inländischen Betriebstätte entstandenen Gewinn 1971/72 sowie eine Mittelzuführung durch die belgische Zentrale in Höhe von ... DM enthält. Durch die in der Schlußbilanz dokumentierte Zuführung von Finanzmitteln an die inländische Betriebstätte hat die Unternehmensleitung des Stammhauses klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß diese Gelder ausschließlich der Betriebstätte dienen sollen. Ob diese Finanzausstattung vollständig als Dotationskapital - mithin als Eigenkapital - anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit zwischen der Mittelzuführung und den Schulden des Stammhauses/Gesamtunternehmens ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Entgegen der Auffassung der Revision kommt es jedoch nicht darauf an, ob das Eigenkapital auch ausdrücklich als Dotationskapital in der Bilanz bezeichnet wird.

Schulden können nach § 103 Abs. 1 BewG nur insoweit abgezogen werden, als sie mit der Gesamtheit oder einzelnen Teilen des gewerblichen Betriebs in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Die Schuld muß durch den Betrieb veranlaßt sein, d.h. sie muß der Beschaffung, Herstellung, dem Vertrieb usw. von Wirtschaftsgütern dienen, die zum Betriebsvermögen gehören oder durch den Erwerb des Betriebs im ganzen veranlaßt sein. Bezogen auf die Besteuerung der inländischen Betriebstätte als wirtschaftlich selbständige Einheit hat dies zur Folge, daß bei dieser nur solche Schulden berücksichtigt werden können, die durch die inländische Betriebstätte veranlaßt sind. Dementsprechend sind nur die von der inländischen Betriebstätte für ihre eigenen Bedürfnisse selbst aufgenommenen Fremdmittel (Außentransaktionen) sowie die vom Stammhaus für die Betriebstätte aufgenommenen und an diese weitergeleiteten Darlehen (durchgeleitete Darlehen) als Schulden i.S. des § 103 Abs. 1 BewG abzuziehen. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt stammt die Finanzmittelzufuhr im Streitfall weder aus Außentransaktionen noch aus durchgeleiteten Darlehen. Dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Ein Schuldenabzug scheidet demnach aus.

Auch aus der Senatsentscheidung vom 18. Mai 1988 II R 1/85 (BFHE 154, 134, BStBl II 1988, 822), auf die sich die Klägerin beruft, ergibt sich nichts anderes. Denn der damals entschiedene Fall betraf - wie die Urteilsbegründung deutlich macht - einen besonderen Ausnahmefall, nämlich in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer inländischen Schachtelbeteiligung stehende Schulden, und kann daher für die hier zu entscheidende Rechtsfrage nicht herangezogen werden.

Ebenso führt die Anwendung der dealing at arms length-Klausel, nach der Schulden und Lasten in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Betriebstätte stehen, wenn sie bei einem gedachten Vergleichsbetrieb auch Betriebsschulden darstellen würden, zu keinem anderen Ergebnis. Entgegen der Ansicht des FG ist diese Klausel auch für die Vermögensabgrenzung zu beachten. Nach der dealing at arms lenght-Klausel ist eine Schuld der inländischen Betriebstätte gegenüber dem Stammhaus dann anzuerkennen, wenn die Verbindlichkeit aus dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb herrührt. Bei Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und inländischer Betriebstätte muß danach entschieden werden, ob es sich um Vorgänge aus dem normalen Geschäftsbetrieb handelt oder aber um die Unternehmensausstattung. In einem gedachten Vergleichsbetrieb würde eine Unternehmensausstattung, wie sie im Streitfall vorliegt, gerade keine Betriebsschuld, sondern eine Einlage darstellen.

c) Aus dem Urteil in BFHE 154, 465, BStBl II 1989, 140, das sich mit der Gewinnzuordnung befaßt, kann entgegen der Ansicht der Revision nicht gefolgert werden, daß die hier streitigen Mittelzuführungen durch die Zentrale und stehengelassenen Gewinne der inländischen Betriebstätte teilweise als Schulden der inländischen Betriebstätte abgezogen werden können.

Der Senat weicht damit auch nicht in einer Rechtsfrage von diesem Urteil des I.Senats ab. Zum einen ging es bei dieser Entscheidung des I.Senats um die Ermittlung des durch die Tätigkeit der inländischen Betriebstätte erwirtschafteten Gewinns, während der Streitfall die vermögensmäßigen Auswirkungen der Ausstattung der inländischen Betriebstätte mit Finanzmitteln der Zentrale betrifft. Zum anderen fordert der I.Senat für den Abzug von Betriebsausgaben bei der inländischen Betriebstätte, daß die geltend gemachten Aufwendungen auch von der Zweigniederlassung wirtschaftlich veranlaßt sind. Dieser Betrachtungsweise entspricht es, wenn der erkennende Senat - wie bereits dargelegt - nur solche Verbindlichkeiten bei der Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der inländischen Betriebstätte zum Abzug zuläßt, die konkret durch die inländische Betriebstätte veranlaßt und nachgewiesen sind (vgl. insoweit § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Für eine Vorlage an den Großen Senat besteht daher kein Anlaß.

d) Der Senat vermag auch nicht der Auffassung der Klägerin zu folgen, wonach bei der Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der inländischen Betriebstätte von den insgesamt bestehenden Verbindlichkeiten des (rechtlich einheitlichen) Unternehmens der Teilbetrag als Betriebsschuld abzuziehen sei, der - nach Maßgabe der der inländischen Betriebstätte zuzuordnenden Eigenmittel - dem Verhältnis des Eigenkapitals der Klägerin zu ihrem Fremdkapital entspricht (sog. Kapitalspiegelmethode). Eine derartige Zurechnung wäre unvereinbar mit dem von § 103 Abs. 1 BewG geforderten wirtschaftlichen Zusammenhang und der hieraus abzuleitenden direkten Methode, die - wie oben unter b) und c) dargelegt - bezüglich des Schuldenabzugs eine konkrete Veranlassung durch die inländische Betriebstätte erfordert.

3. Der Senat ist nicht nach Art. 177 EWGV zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet.

Die Vermögensbesteuerung der inländischen Betriebstätte der Klägerin verstößt offenkundig nicht gegen das Verbot der Diskriminierung nach Art. 7 EWGV (jetzt: Art. 6 EWGV i.d.F. des Vertrages vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union, BGBl II 1992, 1251 und 1993, 1947) oder gegen die in Art. 52 und 58 EWGV geregelte (rechtsformunabhängige) Niederlassungsfreiheit. Denn die Versagung des geltend gemachten Schuldenabzugs bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der inländischen Betriebstätte mit der Folge einer höheren Vermögensteuerbelastung knüpft nicht daran an, daß es sich um die rechtlich unselbständige Zweigniederlassung einer ausländischen Körperschaft handelt; entscheidend ist vielmehr allein der Umstand, daß die geltend gemachten Verbindlichkeiten nicht konkret durch die Betriebstätte veranlaßt sind und ihr deshalb nicht zugeordnet werden können. Die Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach der direkten Methode ist sachgerecht; sie entspricht den in Art. 22 i.V.m. Art. 7 des OECD-Musterabkommens getroffenen Regelungen. Es besteht daher kein vernünftiger Zweifel daran, daß im Streitfall die Versagung der Zuordnung von Schulden der Zentrale bei der Besteuerung der Zweigniederlassung nicht unter das allgemeine Diskriminierungsverbot fällt oder die Niederlassungsfreiheit der Klägerin in unzulässiger Weise beschränkt. Auch bei rechtlicher Selbständigkeit der inländischen Zweigniederlassung wäre der beantragte Schuldenabzug nicht möglich. Schulden einer rechtlich selbständigen Zentrale (Muttergesellschaft) könnten unter keinem Gesichtspunkt als Schulden einer rechtlich selbständigen Zweigniederlassung (Tochtergesellschaft) behandelt werden. Daß im Streitfall zwischen der Zentrale und der Zweigniederlassung wegen der rechtlichen Einheit kein Darlehensverhältnis möglich ist, ist unstreitig.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 690

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