Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die nebenberuflich tätigen Vertrauensleute einer Buchgemeinschaft sind steuerlich nicht deren Arbeitnehmer.

 

Normenkette

EStG § 19/1; LStDV Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die nebenberuflich tätigen Vertrauensleute einer Buchgemeinschaft (Bgin.) die ihren Mitgliedern vierteljährlich ein Buch im Wert von mindestens 4,- DM liefert, als deren Arbeitnehmer anzusehen sind. Die Aufgabe der Vertrauensleute, die im Hauptberuf meist Arbeitnehmer sind, ist es, die von den Mitgliedern gewünschten Bücher für diese in Empfang zu nehmen und auszuliefern, die Beiträge zu kassieren, soweit sie nicht unmittelbar an die Bgin. überwiesen werden, für diese zu werben, deren Zeitschrift an die Mitglieder zu verteilen und diesen literarische Anregungen zu geben sowie die kassierten Beiträge vierteljährlich mit der Bgin. abzurechnen. Zur Deckung ihrer Unkosten (Fahrgelder, Telefon, Porto usw.) erhalten die Vertrauensleute von der Bgin. eine Pauschalvergütung von 10 v. H. der kassierten Beiträge. Bei einer Lohnsteuerprüfung wurde festgestellt, daß die etwa 1000 Vertrauensleute in den Jahren 1954 und 1955 insgesamt rund 200.000 DM an Pauschalvergütungen erhalten haben, daß auf jeden Vertrauensmann im Durchschnitt etwa 95 DM im Jahr entfallen sind. Vereinzelt wurden jedoch auch bis zu 500 DM und mehr im Jahr gezahlt. Das Finanzamt sah die Vertrauensleute als Arbeitnehmer der Bgin. an. Es ermittelte unter Berücksichtigung der Zurechnungsbeträge nach § 37 LStDV wegen Nichtvorlage der Lohnsteuerkarten die von den Vertrauensleuten nach Auffassung des Finanzamts geschuldete Lohnsteuer für beide Jahre auf insgesamt 300 DM, für die sie die Bgin. durch Haftungsbescheid heranzog.

Die gegen den Haftungsbescheid eingelegte Sprungberufung der Bgin. führte zu dessen ersatzloser Aufhebung. Das Finanzgericht ging davon aus, daß es für die steuerliche Beurteilung der Selbständigkeit oder der Nichtselbständigkeit der Vertrauensleute auf das nach Abwägung aller Merkmale und unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung sich ergebende Gesamtbild der Verhältnisse ankomme. Das vom Finanzamt für die Unselbständigkeit der Vertrauensleute angeführte Urteil des Reichsfinanzhofs IV 177/38 vom 8. Dezember 1938 (RStBl 1939 S. 197), das Unterkassierer von Ersatzkassen als Arbeitnehmer behandelt habe, sei für die Entscheidung des Streitfalls nicht heranzuziehen. Das gleiche gelte für das Urteil IV 319/38 vom 16. Februar 1939 (RStBl 1939 S. 608), welches die Tätigkeit von Inkassovertretern des Bezirksdirektors einer Versicherungsgesellschaft als "nichtselbständige Arbeitnehmer" bezeichnet habe. Im Gegensatz zu diesen Fällen sie die Stellung der Vertrauensleute der Bgin. im Streitfall nicht der von Arbeitnehmern vergleichbar. Die Vertrauensleute hätten zwar kein eigentliches Inkassorisiko; sie hafteten aber für schuldhaft nicht eingezogene Beiträge. Zeit, Ort und Ausmaß ihrer Tätigkeit bestimmen sie weitgehend selbst. Den von ihnen zu betreuenden Mitgliederkreis schafften sie sich gleichfalls im wesentlichen durch ihre eigene Werbung. Für ihre Selbständigkeit spreche auch, daß sie kein Fixum, sondern eine auf den Leistungserfolg abgestellte Vergütung erhielten. Im übrigen dürfe nicht übersehen werden, daß die Vertrauensleute vorwiegend aus ideellen Gründen tätig geworden seien. Wenn sie auch 10 v. H. der von ihnen kassierten Beiträge erhielten, was einen jährlichen Durchschnitt von etwa 95 DM für jeden von ihnen ergebe, so müßten sie davon alle ihnen entstehenden Unkosten bestreiten, so daß ihnen tatsächlich nur ein geringer Betrag verbleibe. Da die Vertrauensleute schließlich auch nach der Verkehrsauffassung nicht als Arbeitnehmer angesehen würden, könne eine Lohnsteuerpflicht nicht angenommen werden. Damit entfalle auch die Haftung der Bgin.

Der Vorsteher des Finanzamts rügt , das Finanzgericht habe in der Vorentscheidung § 1 Abs. 3 und § 2 Abs. 1 LStDV unrichtig angewendet. Es habe sich insbesondere mit den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI 143/56 U vom 25. Oktober 1957 (BStBl 1958 III S. 15, Slg. Bd. 66 S. 38) in Widerspruch gesetzt. Ein Dienstverhältnis liege nach § 1 Abs. 3 LStDV vor, wenn der Beschäftigte seine Arbeitskraft schulde. Im Streitfall hätten die Vertrauensleute nach den von der Bgin. im "Merkblatt für Vertrauensmänner" aufgestellten Richtlinien arbeiten müssen, also nach genauen Arbeitsanweisungen. Sie seien ein abhängiges Glied der Bgin. gewesen und bei Ausübung ihrer Tätigkeit selbst in keinerlei Rechtsbeziehungen zu den betreuten Mitgliedern getreten. Sie hätten kein Unternehmerrisiko zu tragen, allenfalls nur für schuldhaft nicht eingezogene Beiträge. Dem Umstand, daß die Vertrauensleute weitgehend Zeit, Ort und Ausmaß ihrer Tätigkeit selbst hätten bestimmen können, komme entscheidende Bedeutung nicht zu. Aus der Ablieferungspflicht zum Monats- bzw. Quartalsende ergebe sich zwangsläufig eine auf dem Willen der Bgin. beruhende gewisse Bewegungsfreiheit bei der Beitragseinhebung. Daß die Vertrauensleute sich bei vorübergehender Behinderung durch Familienangehörige oder Arbeitskollegen vertreten lassen könnten, sei nur bedingt richtig. Das gelte nämlich nur für Ausnahmefälle, z. B. bei plötzlicher Erkrankung. Fielen sie für eine längere Zeit aus, so werde von der Bgin. ein neuer Vertrauensmann eingesetzt. Daß die Höhe der Vergütung durch die Vertrauensleute beeinflußt werden könnte, sei nicht von ausschlaggebender Bedeutung, zumal die Höhe der Vergütung abhänge von der Zahl der von der Bgin. zugeteilten Mitglieder und der Menge der von diesen bezogenen Bücher. Der Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 127/53 U vom 7. Oktober 1954 (BStBl 1954 III S. 374, Slg. Bd. 59 S. 427) gehe fehl; denn im Gegensatz zu den Beitragskassierern einer Gewerkschaft, die nach jenem Urteil durchschnittlich nur 47 DM im Jahr erhalten hätten, hätten die Vergütungen der Vertrauensleute durchaus einen Anreiz für die übernahme der Mitarbeitertätigkeit geboten. Daß die Vertrauensleute ihre Auslagen selbst hätten tragen müssen, sei für die Beurteilung ihrer Arbeitnehmereigenschaft ohne Bedeutung. Es sei ihre Sache gewesen, einen entsprechenden Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte zu beantragen. Im übrigen habe sich im Jahre 1954 nur bei 16 von ihnen und im Jahre 1955 sogar nur bei neun eine Lohnsteuer ergeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

§ 1 LStDV enthält die für das Einkommensteuer- und Lohnsteuerrecht maßgebende Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs. Danach ist für die Arbeitnehmereigenschaft entscheidend, ob jemand in einem Arbeitsverhältnis zu einem Dritten steht. Ein Arbeitsverhältnis im steuerlichen Sinn liegt vor, wenn der Beschäftigte seine Arbeitskraft schuldet und in den Geschäftsbetrieb des anderen eingegliedert ist. Ob die Arbeitskraft geschuldet wird und ob eine Eingliederung vorliegt, kann nur nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beurteilt werden. Das Finanzgericht ist nach Würdigung aller Umstände im Streitfall zu dem Ergebnis gekommen, daß die Vertrauensleute der Bgin. nicht als deren Arbeitnehmer anzusehen sind. Die überlegungen, die es dabei angestellt hat, entsprechen den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung über die Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs entwickelten Grundsätzen. Der Senat ist daher gemäß § 288 Ziff. 1 AO an die Feststellung des Finanzgerichts gebunden.

Bei der Beurteilung der Verhältnisse darf insbesondere nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Vertrauensleute der Bgin. nebenberuflich tätig sind. Bei der Würdigung einer nebenberuflichen Tätigkeit, bei der die Abgrenzung der selbständigen von der nichtselbständigen Ausübung erfahrungsgemäß oft schwierig ist, kann es unter anderem von Bedeutung sein, ob die Beschäftigung als solche nach der Verkehrsauffassung im allgemeinen von Arbeitnehmern ausgeführt zu werden pflegt. So gibt es Arbeitsleistungen, für die es ihrer Art nach charakteristisch ist, daß sie von Arbeitnehmern ausgeübt werden. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beschäftigung eine enge räumliche Bindung an den Betrieb voraussetzt und sich daraus bereits auf eine Eingliederung schließen läßt. Dieser Gesichtspunkt spricht z. B. bei dem nebenberuflich in Gastwirtschaften beschäftigten Aushilfspersonal für dessen Arbeitnehmerstellung. Für die Vertrauensleute der Bgin. gilt das nicht. Sie erscheinen im Gegenteil vielmehr nach ihrer ganzen Stellung nicht als deren Arbeitnehmer, sondern als deren Beauftragte, die nicht einseitig die Interessen der Bgin. zu vertreten haben, sondern auch die ihrer Mitglieder wahrnehmen sollen. Es fehlt also im Streitfall an der nach der Verkehrsauffassung für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft typischen engen Bindung und der sich daraus ergebenden Einordnung in den Betrieb der Bgin.

Das Finanzgericht hat darauf hingewiesen, daß die Höhe der an die Vertrauensleute gezahlten Vergütungen ebenfalls nicht für deren Arbeitnehmerstellung spreche. Wenn auch einige Vertrauensleute Beträge zwischen 600 und 700 DM im Jahr erhalten haben, so hat die überwiegende Mehrheit von ihnen doch wesentlich niedrigere Vergütungen bekommen. Da anzunehmen ist, daß sie davon auch noch gewisse Unkosten, wie die Straßenbahn-, Porto- und Telefonauslagen bestreiten mußten, ist es bei dem vom Finanzgericht errechneten Jahresdurchschnitt dieser Bezüge von 95 DM nicht wahrscheinlich, daß die Vertrauensleute zur übernahme ihrer Tätigkeit durch die Absicht der Einnahmeerzielung bestimmt worden sind. Der Hinweis des Finanzgerichts, daß die meisten von ihnen wahrscheinlich aus ideellen Gründen für die Bgin. tätig geworden sind, dürfte richtig sein. Wenn dieser Umstand für sich allein auch die Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht ausschließt, so spricht er in Zweifelsfällen doch eher gegen als für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses (vgl. hierzu das oben angeführte Urteil VI 127/53 U).

Es ist schließlich auch nicht zu beanstanden, daß das Finanzgericht bei der Verneinung der Arbeitnehmereigenschaft der Vertrauensleute darauf hinweist, daß die streitige Lohnsteuer nur unbedeutend war. Dieser Gesichtspunkt kann zwar für sich allein bei einer rechtlichen Beurteilung nicht entscheidend sein. Ist jedoch - wie im Streitfall - zweifelhaft, ob bei nebenberuflicher Beschäftigung Arbeitslohn oder Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit vorliegen, so kann diesem Umstand eine gewisse Bedeutung zukommen. Würde insbesondere die Durchführung des Lohnsteuerverfahrens Schwierigkeiten bereiten, so ist es zu vertreten, daß bei einer unklaren Rechtslage in derartigen Fällen das Vorliegen von Arbeitsverhältnissen eher verneint als bejaht wird. Hierdurch werden dann die Ausstellung von Lohnsteuerkarten, die Eintragung von Lohnsteuerfreibeträgen und die Lohnsteuerberechnung durch die auszahlende Kasse vermieden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409650

BStBl III 1960, 215

BFHE 1960, 578

BFHE 70, 578

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge