Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern

 

Leitsatz (amtlich)

Im Sinne des § 4 Abs. 1 Ziff. 1 a bzw. des § 4 Abs. 2 Satz 1 GrEStG kann von der Schaffung einer Kleinwohnung bzw. von der Verwendung zu dem begünstigten Zweck erst dann gesprochen werden, wenn die Kleinwohnung bezugsfertig hergestellt worden ist. Dem Urteil des Reichsfinanzhofs II A 543/21 vom 5. Januar 1922 (Slg. Bd. 8 S. 13) wird beigetreten.

 

Normenkette

GrEStG § 4/1/1/a, § 4 Abs. 2 S. 1

 

Tatbestand

Die Bfin. erwarb durch Vertrag vom 23. Februar 1954 Grundstücke in Gesamtgröße von 12.183 qm zum Preise von 48.000 DM. Im § 6 des Vertrages war vorgesehen, daß die Grundstücke für den Kleinwohnungsbau im Sinn der Vorschriften über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen verwendet werden sollten. Siehe insoweit das Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen vom 29. Februar 1940 (RStBl 1940 S. 309) und die dazu ergangenen Durchführungsvorschriften (RStBl 1940 S. 685, BStBl 1957 I S. 295).

Das Finanzamt stellte den Grundstückserwerb gemäß § 4 Abs. 1 Ziff. 1 a GrEStG zunächst von der Steuer frei.

Auf Anfrage des Finanzamts vom 2. Februar 1959 teilte die Bfin. am 21. August 1959 mit, daß von den erworbenen Grundstücken die Parzelle Nr. 335 weiterveräußert worden sei, die Parzelle Nr. 247 sich im Zustand der Bebauung befinde und auf der Parzelle Nr. 245 eine Grünanlage geschaffen worden sei. Unter der Grünanlage sei eine Rohrleitung verlegt worden.

Das Finanzamt war der Ansicht, daß die Grundstücke nicht innerhalb von fünf Jahren zu dem begünstigten Zweck verwendet wurden und zog den Erwerbsvorgang gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 GrEStG zur Steuer heran.

Die Nacherhebung der Steuer hinsichtlich des Erwerbs der Parzelle Nr. 335 mit einem Kaufpreisanteil von 6.170,18 DM wurde von der Bfin. als zutreffend anerkannt. Streitig ist, ob die Steuer wegen des Erwerbs der Parzellen Nr. 247 und Nr. 245 nacherhoben werden konnte. Die Bfin. führte aus:

Auf der Parzelle Nr. 247 sei innerhalb der Fünfjahresfrist durch einen Bauträger, für den an dem Grundstück ein Erbbaurecht bestellt wurde, mit dem Bau der Wohnungen begonnen worden. Damit sei der gesetzlichen Voraussetzung, daß das Grundstück innerhalb der Fünfjahresfrist zu dem begünstigten Zweck "verwendet" werden müsse, Genüge getan. Für die Gewährung der Steuerbefreiung verlange das Gesetz die "Schaffung" von Kleinwohnungen. Das Wort "Schaffung" bedeute nach dem Sprachgebrauch eine Tätigkeit (Bautätigkeit) und nicht einen Zustand (Bezugsfertigkeit). Darauf, ob die Wohnungen bezugsfertig seien, komme es für die endgültige Steuerbefreiung nicht an.

Die Parzelle Nr. 245 verlaufe als schmaler Geländestreifen durch die Parzelle Nr. 247 und gehöre zum Gesamtbebauungskomplex. Sie sei lediglich aus der Mutterparzelle ausgesondert worden, um eine Grunddienstbarkeit für eine durch die Parzelle gelegte Rohrleitung eintragen zu können. Die Parzelle stelle eine nach den Bauvorschriften zwingend vorgeschriebene Freifläche zwischen den Wohnhäusern dar.

Einspruch und Berufung wurden als unbegründet zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Auch die Rb. ist ohne Erfolg.

Für die Steuerbefreiung des § 4 Abs. 1 Ziff. 1 a GrEStG ist erforderlich, daß das Grundstück zur "Schaffung von Kleinwohnungen" (ß 4 Abs. 1 Ziff. 1 a GrEStG) bzw. daß es "zu den begünstigten Zweck" "verwendet worden ist" (ß 4 Abs. 2 Satz 1 GrEStG). Dieser Fall ist, wie auch das Finanzgericht ausgeführt hat, nicht gegeben.

Schon im Urteil des Reichsfinanzhofs II A 543/21 vom 5. Januar 1922 (Slg. Bd. 8 S. 13) ist ausgesprochen worden, daß die Worte "Schaffung von Wohnungen" im Sinn von "Verschaffen von Wohngelegenheit" zu verstehen seien. Eine Wohngelegenheit ist aber erst verschafft, wenn bewohnbare Wohnungen fertiggestellt worden sind. Das bezeichnete Urteil des Reichsfinanzhofs erging zu § 8 Abs. 1 Nr. 9 GrEStG 1919. Diese Vorschrift lautete: "Die Steuer wird nicht erhoben .... 9. bei Grundstücksübertragungen, die .... der Schaffung von Kleinwohnungen zu dienen bestimmt sind usw. ....". Es mag zutreffen, daß durch das Urteil II 543/21 vom 5. Februar 1922 auch andere Zweifelsfragen geklärt wurden. Das schließt aber nicht aus, daß zugleich zu der hier streitigen Auslegungsfrage, die für den damaligen Rechtsstreit von nicht unerheblicher Bedeutung war, Stellung genommen wurde. Dem vorbezeichneten Urteil des Reichsfinanzhofs wird beigetreten.

Die Steuervergünstigung des § 4 Abs. 1 Ziff. 1 a GrEStG 1940 ist in Anlehnung an die Regelung in § 8 Nr. 9 GrEStG 1919/1927 geschaffen worden. Demgemäß wird in beiden Gesetzen übereinstimmend das Wort "Schaffung" gebraucht. Dieser Ausdruck kann somit bei Anwendung des § 4 Abs. 1 Ziff. 1 a GrEStG 1940 nicht anders verstanden werden, als der gleiche Ausdruck im § 8 Nr. 9 GrEStG 1919/1927 verstanden wurde. Begünstigter Zweck ist die "Schaffung von Kleinwohnungen". Eine Kleinwohnung ist aber erst dann geschaffen, wenn sie bezugsfertig hergestellt worden ist. Der Auffassung der Bfin., daß das Hauptwort "Schaffung" sprachlich eine gegenwärtig andauernde Tätigkeit bezeichnet, kann nicht zugestimmt werden.

Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 GrEStG unterliegt der vorbezeichnete Erwerbsvorgang mit dem Ablauf von fünf Jahren der Steuer, wenn das Grundstück nicht innerhalb dieses Zeitraums zu dem begünstigten Zweck "verwendet worden ist". Wie auch das Finanzgericht ausführt, ergibt sich aus diesem Gesetzeswortlaut gleichfalls, daß der Bau der Kleinwohnungen auf dem erworbenen Grundstück vor dem Ablauf der bezeichneten Fünfjahresfrist vollendet werden muß; denn andernfalls könnte nicht in der Vergangenheitsform erklärt werden: "... verwendet worden ist". Die Zeitform der Vergangenheit läßt nur den Schluß zu, daß die durch § 4 Abs. 1 Ziff. 1 a GrEStG begünstigte Absicht, Kleinwohnungen zu schaffen, innerhalb von fünf Jahren vollständig zu verwirklichen ist.

Die Richtigkeit dieser Auffassung wird, worauf das Finanzamt gleichfalls hinweist, durch die Begründung zum GrEStG 1940 (RStBl 1940 S. 387, 398) bestätigt. Dort ist ausgeführt: "Im § 4 Abs. 2 Satz 1 ist der Tatbestand geregelt worden, daß der steuerbegünstigte Zweck nicht verwirklicht worden ist." Innerhalb welcher Frist dieser Zweck zu verwirklichen ist, folgt aus § 4 Abs. 2 Satz 1 GrEStG. Dort ist inhaltlich vorgeschrieben: "innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren". Damit ist eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß der Baubeginn nicht ausreicht, die Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 1 GrEStG auszuschließen. Um dieses Ziel zu erreichen (d. h. um die Nachversteuerung zu verhindern), ist vielmehr erforderlich, daß der Bau innerhalb der Fünfjahresfrist tatsächlich errichtet wird. Die Fünfjahresfrist beginnt mit dem Erwerb des Grundstücks, d. h. mit dem Zeitpunkt, in dem ein Erwerbsvorgang endgültig zustande gekommen ist. Siehe dazu das Urteil des Senats II 146/61 U vom 21. Dezember 1961 (BStBl 1962 III S. 162, Slg. Bd. 74 S. 341). Das war im Streitfall, da eine Wohnsiedlungsgenehmigung nicht erforderlich war, der 23. Februar 1954. Auf den Tag der Auflassung, auf den Tag der grundbuchamtlichen Umschreibung oder auf den Tag der Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung kommt es nicht an.

Die Fünfjahresfrist endete also am 23. Februar 1959. Richtig ist, daß die in Betracht kommenden Bauten wenige Monate danach fertiggestellt wurden. Dem Finanzamt ist aber darin zuzustimmen, daß die Fünfjahresfrist, die bereits sehr großzügig bemessen wurde, genau zu berechnen ist.

Demgemäß entfällt die Steuerbefreiung für den Erwerb der Parzelle Nr. 247. Damit entfällt, wie auch das Finanzgericht entschieden hat, zugleich die Steuerbefreiung für die Parzelle Nr. 245, ohne daß es darauf ankommt, daß für diese Parzelle innerhalb der Fünfjahresfrist kein Erbbaurecht bestellt wurde.

über die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die gegenseitigen Besteuerungsrechte des Reichs, der Länder und der Gemeinden vom 10. August 1925 (RGBl 1925 I S. 252) hinsichtlich der Kostenfrage siehe den Beschluß des Reichsfinanzhofs V A 513/32 vom 20. Januar 1933 (RStBl 1933 S. 91, Slg. Bd. 32 S. 258). Vgl. außerdem den Erlaß des ehemaligen Reichsministers der Finanzen vom 12. März 1940 bzw. 17. März 1944 (RStBl 1940 S. 322, 1944 S. 163), den Erlaß des Bundesministers des Innern vom 29. April 1955 (mitgeteilt durch den Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 23. Januar 1956, Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen 1956 S. 62), den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Finanzgerichtsbarkeit - Begründung zu § 116 Abs. 2 (Bundestagsdrucksache 127 S. 46 - 3. Wahlperiode 1958) und Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Erläuterungen zu § 309 - Abs. 3 -.

Nach alledem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl III 1963, 16

BFHE 1963, 41

BFHE 76, 41

StRK, GrEStG:4/1/1 R 20

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