Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Im Sinne des Grunderwerbsteuerrechts und des § 1 Nr. 3 des niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer in der Fassung vom 6. Oktober 1958 ist zwischen einem "Erwerb" und einem "Erwerbsvorgang" zu unterscheiden.

Im Sinne des Grunderwerbsteuerrechts und der angeführten Vorschrift des niedersächsischen Gesetzes vom 6. Oktober 1958 ist ein "Erwerb" gegeben, sobald ein Erwerbsvorgang endgültig zustande gekommen ist, bei einem Verpflichtungsgeschäft insbesondere dann, wenn die erforderlichen behördlichen Genehmigungen erteilt sind.

GrEStG § 1 Abs. 1, § 19; StAnpG § 3 Abs. 5 Ziff. 5; niedersächsisches Gesetz über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer in der Fassung vom 6. Oktober 1958 § 1 Nrn. 1

 

Normenkette

GrEStG § 1 Abs. 1, § 19; StAnpG § 3 Abs. 5 Ziff. 5; GrEStWGND 1/1; GrEStWGND 1/3

 

Tatbestand

Durch notariellen Vertrag vom 6. Juni 1959 kauften die Bf. ein im Land Niedersachsen belegenes Erbbaurecht mit dem dazugehörigen, von den Voreigentümern errichteten Wohnhaus je zur ideellen Hälfte. Der Kaufvertrag wurde vom zuständigen Stadtplanungsamt am 12. August 1959 und vom Liegenschaftsamt am 19. August 1959 genehmigt.

Die Bf., die für den bezeichneten Erwerbsvorgang in getrennten Steuerbescheiden von jeweils dem halben Kaufpreis und der Hälfte der von ihnen übernommenen Maklergebühr zur Grunderwerbsteuer herangezogen worden waren, machten im Einspruchsverfahren geltend, daß der Erwerbsvorgang nach § 1 Nr. 3 des niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer in der Fassung vom 6. Oktober 1958 befreit sei. Sie legten zwei Bescheinigungen des Bauverwaltungsamtes der Stadt X vom 31. August 1959 vor. In der einen wurde gemäß § 4 Abs. 2 des genannten Gesetzes unter anderem bescheinigt, daß das Einfamilienhaus den Vorschriften des sozialen Wohnungsbaues im Sinne des § 1 Nr. 1 des Gesetzes entspreche, daß es sich um den ersten Erwerb nach Durchführung des Bauvorhabens handele und daß zur Zeit des Erwerbs Wohnungen in dem Gebäude noch nicht oder höchstens seit drei Jahren bezogen waren. Die andere Bescheinigung brachte zum Ausdruck, daß die Wohnungen am 1. August 1956 bezugsfertig geworden seien.

Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzamt war der Ansicht, die Voraussetzungen des § 1 Nr. 3 des bezeichneten Gesetzes seien nicht erfüllt, weil zur Zeit des Erwerbs (19. August 1959) die Wohnung länger als drei Jahre bewohnt gewesen sei. Sie sei von den Voreigentümern am 15. Juni 1956 bezogen worden. Zeitpunkt des Erwerbs sei nicht der Tag des Abschlusses des Kaufvertrages (hier der 6. Juni 1959), sondern der Tag, an dem die Grunderwerbsteuerschuld entstanden sei, also der Tag, an dem das Verpflichtungsgeschäft die letzte erforderliche behördliche Genehmigung gefunden habe; das sei der 19. August 1959. Danach sei die Dreijahresfrist überschritten. Eine Fristverlängerung sei nicht statthaft.

Die Berufung wurde gleichfalls als unbegründet zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Auch die Rb. ist ohne Erfolg.

Die in Betracht kommenden Vorschriften des niedersächsischen Gesetzes vom 6. Oktober 1958 lauten:

"ß 1. Grunderwerbsteuerfreiheit Von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz sind ausgenommen

der Erwerb

eines unbebauten Grundstücks oder eines Grundstücks mit zerstörten Gebäuden zur Errichtung eines Gebäudes durch den Erwerber,

eines Grundstücks mit Gebäuden, die zu mehr als 50 v. H. zerstört sind, zur Errichtung, Wiederherstellung oder zum weiteren Ausbau eines Gebäudes durch den Erwerber,

...;

der erste Erwerb eines Grundstücks, auf dem ein Gebäude der in Nummer 1 bezeichneten Art errichtet worden ist, wenn zur Zeit des Erwerbs Wohnungen in dem Gebäude noch nicht oder höchstens seit 3 Jahren bezogen sind;

und 5. ..." Im Streitfall steht zweifelsfrei fest, daß das Gebäude von den Voreigentümern am 15. Juni 1956 bezogen wurde. Streitig ist aber, was als "Erwerb" eines Grundstücks im Sinne der Nr. 3 anzusehen ist. Ist darunter der Abschluß des Kaufvertrages (6. Juni 1959) zu verstehen, wie die Bf. meinen, so wäre die Steuerbefreiung gegeben. Ist dagegen der Zeitpunkt der Erteilung der erforderlichen Genehmigungen gemeint (12. bzw. 19. August 1959), so wäre der Erwerb verspätet vorgenommen worden.

Hingewiesen sei darauf, daß bürgerlich-rechtlich unter "Erwerb" der Eigentumserwerb zu verstehen ist. Bürgerlich-rechtlich ist also dafür, wann das Eigentum übergeht, der Zeitpunkt der Eintragung im Grundbuch entscheidend (§§ 925 ff. BGB), also ein Zeitpunkt, der der Erteilung der erforderlichen Genehmigungen noch nachfolgt. Das gleiche gilt aber nicht ohne weiteres für die Grunderwerbsteuer; vielmehr ist hier aus wohlerwogenen Gründen vorgesehen (siehe die Begründung im RStBl 1940 S. 388 linke Spalte), daß die Steuerschuld mit dem endgültigen Zustandekommen des Verpflichtungsgeschäfts entsteht (vgl. § 3 Abs. 5 Ziff. 5 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, § 19 Ziff. 1 GrEStG). Das GrEStG selbst bringt diesen Unterschied dadurch zum Ausdruck, daß es im § 1 - überschrift - nicht - wie das BGB - von "Erwerb", sondern von "Erwerbsvorgängen" spricht.

Von dem Begriff "Erwerbsvorgang" ist der des "Erwerbs" zu unterscheiden. Der "Erwerbsvorgang" kann dem Erwerb gleichstehen, nämlich dann, wenn der Erwerbsvorgang bereits verbindlich zustande gekommen ist, ohne daß es noch eines Ereignisses im Sinne des § 3 Abs. 5 Ziff. 5 StAnpG (= § 19 GrEStG) bedarf; ist aber, damit der Erwerbsvorgang endgültig wirksam wird, noch ein ergänzendes Ereignis erforderlich, so ist ein "Erwerb" erst gegeben, sobald auch dieses Ereignis vorliegt (siehe § 3 Abs. 5 Ziff. 5 StAnpG = § 19 GrEStG). Ein Erwerb im Sinne dieser Ausführungen ist gemeint, wenn im Grunderwerbsteuerrecht von einem "Erwerb" gesprochen wird. Demgemäß ist im § 3 Abs. 5 Ziff. 5 a. a. O. der Erwerb keinesfalls der Entstehung der Steuerschuld gleichgestellt. Es wird, was systematisch richtig ist, überhaupt nicht von einem "Erwerb" gesprochen. Es wird vielmehr nur gefordert, daß der Erwerbsvorgang vollen Umfangs verbindlich sein muß, damit die Steuerschuld entstehen kann.

Die Regelung im § 3 Abs. 5 Ziff. 5 StAnpG ist nur ein Beispiel dafür, wann ein Erwerbsvorgang zu einem "Erwerb" wird. Es handelt sich insoweit zugleich um die Bestätigung eines allgemeinen Grundsatzes. Seit jeher ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entsprechend der Regelung im § 3 Abs. 5 Ziff. 5 StAnpG (= § 19 GrEStG) in allen Fällen verfahren worden, in denen überhaupt Zweifel bestanden, wann ein Erwerb eingetreten war. Z. B. hat der Senat in seinem Urteil II 21/56 U vom 24. Oktober 1956 (BStBl 1956 III S. 387, Slg. Bd. 63 S. 500) ausgeführt, daß in Fällen, in denen die Steuerbefreiungsvorschriften im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld von den Steuerbefreiungsvorschriften abweichen, die bei Fertigstellung des zu errichtenden Wohnraums gelten, die Steuervorschriften maßgebend sind, die bei der Entstehung der Steuerschuld anzuwenden waren; denn in diesem Zeitpunkt ist das Grundstück als erworben anzusehen. Siehe auch das Urteil des Senats II 260/52 S vom 11. Februar 1953 (BStBl 1953 III S. 108, Slg. Bd. 57 S. 274). Den gleichen Standpunkt hat der Senat zu der Frage eingenommen, wann die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorliegen müssen, damit eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer eintreten kann. Auch hier ist der Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld (d. h. der Zeitpunkt des "Erwerbs") als maßgebend angesehen worden (siehe das Urteil II 166/57 U vom 5. November 1958, BStBl 1959 III S. 98, Slg. Bd. 68 S. 251). Ebenso hat der Senat die Frage entschieden, inwieweit Grundstücke in den Fällen der Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG der Vereinigung zuzurechnen sind. Dazu ist im Urteil II 247/58 U vom 9. März 1960 (BStBl 1960 III S. 175, Slg. Bd. 70 S. 468) erklärt worden, daß in den Fällen der Vereinigung aller Anteile bei einer Gesellschaft in einer Hand (ß 1 Abs. 3 GrEStG) ein Grundstück zum Vermögen der Gesellschaft gehört, sobald es der Gesellschaft auf Grund eines unter § 1 Abs. 1 bis 3 GrEStG fallenden Erwerbsvorganges zuzurechnen ist; in Fällen, in denen ein Erwerbsvorgang der Genehmigung einer Behörde bedarf, gehört auch nach diesem Urteil ein Grundstück zum Vermögen der Gesellschaft, wenn und sobald die Genehmigung erteilt ist.

Umgekehrt kann es auch nicht als ausreichend angesehen werden, daß in Fällen, in denen Erwerbsvorgänge genehmigungsbedürftig sind, lediglich der Vorgang selbst stattgefunden hat, die erforderliche Genehmigung aber noch fehlt. Um einen Erwerb bejahen zu können, ist vielmehr erforderlich, daß die vorgeschriebene Genehmigung erteilt worden ist. In § 1 GrEStG wird nicht von Erwerb, sondern nur von Erwerbs- bzw. Rechtsvorgängen gesprochen, also nur von Vorgängen, die zusammen mit einem Ereignis im Sinne des § 3 Abs. 5 Ziff. 5 StAnpG (= § 19 GrEStG) als "Erwerb" anzusprechen sind.

Entsprechend der vorbezeichneten ständigen Rechtsprechung des Senats muß auch im Streitfall verfahren werden. Das niedersächsische Gesetz vom 6. Oktober 1958, das Befreiungen zum GrEStG enthält, ist an die Wortfassung des GrEStG, insbesondere an die seiner Begriffsbestimmungen, angelehnt worden. Es versteht sich deshalb, daß unter einem "Erwerb" im Sinne des bezeichneten Gesetzes der Erwerb im Sinne des GrEStG zu verstehen ist. Demgemäß ist in der Frage, wann das Grundstück erworben wurde, der Zeitpunkt der Erteilung der erforderlichen Genehmigung maßgebend (im Streitfall also der Tag der Erteilung der letzten Genehmigung, d. h. der 19. Oktober 1959).

Das Finanzgericht hat somit zu Recht festgestellt, daß das Grundstück verspätet erworben wurde. Die Steuerbefreiung des § 1 Nr. 3 des vorerwähnten Gesetzes ist deshalb nicht mehr anwendbar.

Die Rb. war demnach als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410337

BStBl III 1962, 162

BFHE 1962, 341

BFHE 74, 431

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