Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein ermäßigter Steuersatz für Schmuckstücklieferungen eines Designers

 

Leitsatz (NV)

Auch individuell und nach künstlerischer Art gefertigte Schmuckstücke (Flachreliefs, die üblicherweise als Broschen getragen werden) gehören zu den Handelswaren und nicht zu den Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst i. S. v. Nr. 99.03 des GZT. Ihre Lieferung ist daher nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 i. V. m. Nr. 47 der Anlage begünstigt (Anschluß an BFH/NV 1992, 851).

 

Normenkette

UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 1; Anlage Nr. 47; GZT Tarifnr. 99.03

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Goldschmiedemeister und hat die staatliche Abschlußprüfung an der Kunst- und Werkschule A in der Fachrichtung Schmuck- und Gerät-Design abgelegt (Dipl.-Designer FH). Er ist als anerkannter Künstler Mitglied im Berufsverband bildender Künstler. Unter Mithilfe fachlich (handwerklich) vorgebildeten Personals fertigt er in seiner Werkstatt nach eigenen Entwürfen Schmuckstücke aller Art an, insbesondere sog. Flachreliefs, die von den Käufern üblicherweise als Brosche getragen werden. Von jedem Entwurf werden nicht mehr als drei Stücke gefertigt. Bis zum Jahr 1981 wurden seine Umsätze als Leistungen des Angehörigen eines freien Berufs (§ 12 Abs. 2 Nr. 5 des Umsatzsteuer gesetzes -- UStG -- 1980) mit dem ermäßigten Steuersatz besteuert.

In seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr (1982), die 1984 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) einging, errechnete der Kläger die Umsatzsteuer weiterhin nach dem ermäßigten Steuersatz. Mit Änderungsbescheid vom 18. Juli 1988 berechnete das FA die Umsatzsteuer 1982 nach entsprechender Ankündigung mit dem allgemeinen Steuersatz. Mit seiner hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage vertrat der Kläger die Ansicht, bei den von ihm entworfenen und gefertigten Schmuckstücken handele es sich um Kunstwerke, für deren Verkauf sich die Umsatzsteuer gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 i. V. m. Nr. 47 der Anlage auf 6,5 v. H. ermäßige. Sie seien Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst und unter die Tarifnummer 99.03 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) einzureihen, auf die Nr. 47 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 verweise. Die Zuordnung von Schmuckstücken zu den handwerklichen Erzeugnissen verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Begriff der Kunst.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab und führte aus, bei den vom Kläger hergestellten Schmuckstücken handele es sich um Handelswaren im Sinne des Kapitels 76 GZT und nicht um Original erzeugnisse der Bildhauerkunst im Sinne der Tarifnummer 99.03 GZT; denn sie würden als Schmuckwaren wie serienmäßig hergestellte Produkte verwendet.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 i. V. m. Nr. 47 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980) und Verfahrensrechts (§ 76 der Finanzgerichtsordnung

-- FGO --). Er führt aus, seine Werke seien als Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst einzuordnen. Er sei anerkannter Künstler und Mitglied im Berufsverband bildender Künstler. Außerdem sei er für seine Arbeiten aus gezeichnet worden. Das FG verstoße überdies gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grund gesetzes (GG) i. V. m. Art. 3 Abs. 1, wenn es die Werke wegen der Art ihrer Verwendung beim Kunden nicht als Kunstwerke, sondern als handwerkliche Erzeugnisse beurteile. Zudem verletze das Urteil des FG § 4 der Ab gabenordnung (AO 1977) i. V. m. § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig. Sie ist gemäß § 116 Abs. 2 FGO zulassungsfrei, da es sich bei der Vorentscheidung um ein Urteil in einer Zolltarifsache handelt (vgl. im einzelnen Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 20. Februar 1990 VII R 126/89, BFHE 160, 93, BStBl II 1990, 763 m. w. N.).

2. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, daß dem Kläger die von ihm beanspruchte Steuerermäßigung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 i. V. m. Nr. 47 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 nicht zusteht. Die von ihm gefertigten Schmuckstücke sind keine Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, sondern Erzeugnisse des Kapitels 71 GZT.

a) Bildhauerarbeiten, die den Charakter einer Handelsware haben (Serienabgüsse, Abgüsse und Handwerkserzeugnisse) gehören nicht zu Tarifnummer 99.03 (Vorschrift 3 zu Kapitel 99). Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH auch dann, wenn es sich um individuell und nach künstlerischer Art gefertigte Schmuckteile handelt (BFH in BFHE 160, 93, BStBl II 1990, 763; BFH-Urteil vom 28. April 1992 VII R 92/91, BFH/NV 1992, 851 m. w. N.). Dies entspricht der Auslegung der Tarifvorschriften durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH). In seiner Entscheidung vom 18. September 1990 Rs. C-228/89 (EuGHE 1990 I, 3401, 3406 f., Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1991, 248 f.) zur Tarifierung sog. Paperweights hat der EuGH im Erwägungsgrund 16 ausgeführt, der Umstand, daß einem Gegenstand ein künstlerischer Charakter zugeschrieben werden könne, habe nicht zwangsläufig dessen Zuordnung zu Kapitel 99 GZT zur Folge, da diese Eigenschaft im wesentlichen nach subjektiven und sich wandelnden Kriterien bestimmt werde. Da es bei der Tarifierung nur auf objektive Kriterien ankommt, die sich aus den äußeren Merkmalen der Waren ergeben, müssen diese Waren immer dann als Handelswaren im Sinne der Vorschrift 3 zu Kapitel 99 GZT angesehen werden, wenn sie nach ihrer äußeren Gestaltung vergleichbaren, industriell oder handwerklich hergestellten Erzeugnissen ähneln, und zwar -- entgegen der Auffassung des Klägers -- selbst dann, wenn sie von Künstlern handgefertigt sind (EuGH, a. a. O., Erwägungsgrund 20). Dem entspricht der Zweck, dessentwegen der GZT für bestimmte Kunstwerke Zollfreiheit und demgemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 i. V. m. Nr. 47 der Anlage Umsatzsteuerermäßigung vorsieht: Es handelt sich dabei um Werke, die wirtschaftlich weder untereinander noch mit anderen Gegenständen im Wettbewerb stehen (EuGH in EuGHE 1990 I, 3401, Erwägungsgrund 18).

b) Nach diesen Grundsätzen läßt die tatsächliche Würdigung des FG, wonach die vom Kläger hergestellten Schmuckstücke "handwerkliche Erzeugnisse" sind, keinen Rechtsfehler erkennen. Wie das FG festgestellt hat, handelt es sich bei den Produkten des Klägers um Schmuckgegenstände, insbesondere um Flachreliefs, die von den Käufern üblicherweise als Brosche getragen werden. Der hieraus gezogene Schluß, daß die Erzeugnisse Handelswaren darstellen, da sie mit serienmäßig hergestellten Schmuckwaren im Wettbewerb stehen können, ist jedenfalls möglich. Der Senat ist daran nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Der Kläger hat insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht.

Die Rüge mangelnder Sachaufklärung greift nicht durch. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung ab (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).

c) Die tarifliche Einordnung der vom Kläger entworfenen und erstellten Schmuckstücke als Handelswaren durch das FG verstößt auch nicht gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 3 Abs. 3 GG. Der Gleichheitssatz in Verbindung mit der Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG verpflichtet den Gesetzgeber nicht, jede wirtschaftliche Förderungsmaßnahme oder steuerliche Begünstigung allen Bereichen künstlerischen Schaffens gleichermaßen zugute kommen zu lassen; vielmehr können für die Beurteilung der Förderungsbedürftigkeit -- wie hier (vgl. 2. a) -- auch wirtschafts- und finanzpolitische Gesichtspunkte berücksichtigt werden (Urteil des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 5. März 1974 1 BvR 712/68, BVerfGE 36, 321, 331 ff.; vgl. auch BVerfG-Beschluß vom 29. November 1989 1 BvR 1402, 1528/87, BVerfGE 81, 108, 116 m. w. N.). Der Gesetzgeber kann genau bestimmte Kunstgegenstände wie Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst begünstigen, handwerkliche Erzeugnisse, auch solche individueller künstlerischer Fertigung aber unberücksichtigt lassen. Hierin liegt keine unsach gemäße Differenzierung, die allein einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz darstellen würde (vgl. hierzu BFH in BFH/NV 1992, 851, 852 m. w. N.).

d) Das FA durfte den Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 i. V. m. § 168 Satz 1 AO 1977 ändern. Darin liegt kein Verstoß gegen Treu und Glauben. Der Senat kann unerörtert lassen, unter welchen Voraussetzungen das Schweigen oder Unterlassen des FA einen Vertrauenstatbestand begründen kann (vgl. dazu Tipke /Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977 Tz. 58 Abs. 2 m. w. N.). Der den ursprünglichen Steuerfestsetzungen beigefügte Vorbehalt der Nachprüfung verhindert grundsätzlich das Entstehen eines für die Bindung nach Treu und Glauben notwendigen Vertrauenstatbestandes (Senatsentscheidung vom 11. November 1991 V B 45/91, BFH/NV 1992, 492; BFH-Urteil vom 11. Dezember 1986 IV R 334/84, BFH/NV 1987, 312).

Gründe, die eine Ausnahme hiervon zulassen, sind im Streitfall nicht ersichtlich. Ob ein Billigkeitserlaß der streitigen Steuer mit Rücksicht darauf in Frage kommt, daß der Kläger möglicherweise gutgläubig seinen Kunden nur die ermäßigte Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hat, ist vom Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 443

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